Donnerstag, 30. Oktober 2008

"Moraltheologie" - oder: wer was wie sagen darf

Moraltheologie, Disziplin der katholischen Theologie; befasst sich mit dem praktischen Lebensvollzug des Christen und den diesem zugrunde liegenden normativen Handlungsvorgaben; ihr entspricht in der evangelischen Theologie die theologische Ethik.
Meyers Lexikon online

Als praktizierender Heide übersetze ich das so: Die Moraltheologie befasst sich mit der Frage, was Christen dürfen, wobei die "moralische Richtschnur" dessen, was man als Christ darf, aus religösen bzw. mythologischen Überlieferungen abgeleitet wird.
Im übertragenen Sinne "moraltheologisch" sind solche Aussagen und Handlungen, in denen es in erster Linie darauf ankommt, sich selbst zu vergewissern, dass man zu den "Guten" gehört, und zu benennen, wer oder was "böse" ist.
Dabei rücken die Fragen, ob "das Böse" angemessen benannt und verboten wird, und ob "die Bösen" angemessen hart bestraft werden, die Frage, ob ein Misstand durch "moraltheologisch" motiviertes Handeln wirklich abgestellt oder wenigstens eingedämmt wird, völlig in den Hintergrund.

Praktisches Beispiel - der "Bible Belt" der USA. Hier ist die Politik stark "moraltheologisch" ausgerichtet, vor allem auch in Hinblick auf Kriminalität. Wäre eine Politik, die darauf drängt, dass Kriminelle aus moralischen Gründen unnachsichtig verfolgt und hart bestraft werden müssen, besonders erfolgreich, müsste man im "Bible Belt" besonders sicher vor Straftaten sein. Ein Blick in die Liste der gefährlichsten Städte der USA zeigt hingegen, dass knapp die Hälfte der "gefährlichsten Städte" der USA im klassischen "Bible Belt" liegen - und nur drei der 25 sichersten Städte.

Nach Ansicht des Journalisten und Schriftstellers (Schwerpunkte: Internet, Rassismus, Antisemitismus, Rechtextremismus, Zensur) Burkhard Schröder erschöpfen sich viele (die meisten?) politische Diskurse in Deutschland in "Moraltheologie":
Man diskutiert nicht über den Inhalt des Gesagten, wie hierzulande üblich, wenn es um Moraltheologie geht, sondern darüber, ob dieser oder jener dieses oder jenes hat sagen und vergleichen dürfen.
Dabei ging es um das Thema Internet-Zensur in China, revisited - aber im Prinzip gilt das für etwa die Hälfte aller politischen und gesellschaftlichen Diskurse, die es in deutsche Massenmedien schaffen. Egal ob es um Drogen, Kinderpornographie, Terrorismus, Rassismus, Antisemitismus, Gewaltkriminalität, Neonazis und sogar Umweltschutz geht. Selbst die Diskurse um die Finanzkrise kreisen hierzulande zu oft um "moraltheologische" Fragen.
Motto: Empörung zeigen, betroffen sein, und jeden abstrafen, der es wag, gut gemeinte, aber unwirksame, Maßnahmen, Projekte, Programme, Gesetze zu hinterfragen.

Die Verbindung zum autoritären Gesellschaftsverständnis ist mit Händen zu greifen. Auf der einen Seite Unsicherheit: "Darf man das? Ist das erlaubt?" - (Ich gebe zu: auch ich bin oft verunsichert, bzw. lasse mich leicht verunsichern.) Auf der anderen Seite: "Wer hat Ihnen das dann erlaubt? Da könnte ja jeder kommen!"

Mal ein aktuelles Beispiel: neulich im Deutschlandfunk (und zwar nicht bei der "Morgenandacht" - sorry für die fehlende Quellenangabe, habe Uhrzeit und Sprecherin nicht notiert) - Es sei zynisch und menschenverachtend, von einer "geplatzte Spekulationsblase" zu reden - denn die Finanzkrise bedeutet für zahllose Menschen Verlust ihre Ersparnisse, Arbeitsplatzverlust, für viele Armut.
Als jemand, dem es - vorsichtig ausgedrückt - wirtschaftlich nicht allzu gut geht, kann ich nur sagen: das Bild einer platzenden Blase trifft's genau. Stelle ich mir so vor wie ein platzender LKW-Reifen. Das ist nicht nur extrem laut, sondern auch extrem unfallgefährlich. Eine platzende Spekulationsblase ist größer, lauter, gefährlicher.
Und selbst wenn es nicht so wäre, wäre der Wortgebrauch mein geringstes Problem.

Das erinnert mich an die "Negerkuss P.C" - oder "Political Correctness für Dünnbrettbohrer": lieber einen vielleicht fragwürdigen, aber für die vom Rassismus Betroffenen einigermaßen harmlosen Sprachgebrauch verdammen, als tatsächlich rassistische Strukturen - z. B. das mörderische Grenzregime der EU auch nur benennen. Aber im Fall der "Negerküsse" reicht es aus, wenn ich das "N-Wort" nicht in den Mund nehme, um mich "als einer der Guten" fühlen zu dürfen.

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