Samstag, 20. September 2008

Leif Eriksons Vinlandfahrt - ein einmaliges Unternehmen?

Was lange währt (bzw. herumliegt): Das Rätsel der Grönlandwikinger: 2. Teil: Leif Eriksons Vinlandfahrt - ein einmaliges Unternehmen?

Keine bekannte und anerkannte schriftliche Quelle - weder die Grönlandsaga ("Grænlendinga saga"), noch die jüngere Saga von Erik dem Roten ("Eiríks saga rauða"), noch die älteste bekannte Quelle für die Entdeckung Vinlands, Adam von Bremens "Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum" (verfasst 1076) deuten darauf hin, dass die kleine Kolonie der "Grönlandwikinger" regelmäßige Reisen zum nordamerikanischen Kontinent unternahmen, geschweige denn, dort siedelten.
Die kurzlebige kleine Siedlung Leifsbuðir wäre demnach der einzige Versuch der Nordeuropäer gewesen, in Nordeuropa Fuß zu fassen.

Leifsbudir wird allgemein mit L'Anse aux Meadows auf Neufundland identifiziert. Dort fand 1961 der norwegische Archäologe Helge Ingstad eine eindeutig nordeuropäische Siedlung, die mehrere Häuser und eine Schmiede umfasste.

Es spricht also einiges dafür, dass die "Vinlandfahrten" auf den engen Zeitraum zwischen 1001 und 1010 beschränkt waren, und dass es nur eine gezielte Entdeckungsfahrt nach Vinland gab, die Reise Leif Eriksons war - die vorangegangene Fahrt Bjarni Herjolfsson war eine unfreiwillige Irrfahrt, außerdem soll Bjarni nicht an Land gegangen sein.

Andererseits: Obwohl die von Thorfinn Karlsefni eingeleitete Besiedlung Vinlands eine kurze Episode blieb, setzten die Grönland-Wikinger ihre Amerika-Fahrten offenbar mindestens bis ins 14. Jahrhundert fort. Darauf deuten Funde von Münzen, Metallteilen, stählernen Pfeilspitzen und charakteristischen Holzschnitzereien der Normannen im nördlichen Kanada ebenso hin, wie ein erst 1993 in der Nähe von Cape Cod in Massachusetts gefundener Runenstein, an dessen Echtheit es im Gegensatz zum umstrittenen „Kensington-Stone" kaum Zweifel gibt („Die Wikinger in Massachusetts", GEO, Heft 1/1994, „Geoskop", S. 166)

Schon länger bekannt sind die "nordeuropäisch" anmutenden Langhausfundamente an der Ungava-Bai in Labrador, Nordost-Kanada. Mangels kohlenstoffhaltiger Überbleibsel konnte die Radiokarbonmethode zur Altersbestimmung nicht eingesetzt werden, auch andere bewährte Datierungsmethoden versagten - man kann allenfalls sagen, dass die Häuser vor der "Kolonialzeit" (in Kanada ab dem 17. Jahrhundert) errichtet wurden, nicht aber, wann oder durch wen. Beispielsweise könnte die Häuser durchaus die Hinterlassenschaften von überwinternden frühneuzeitlichen Fischern oder Walfängern aus der Bretagne oder von den Shetland-Inseln gewesen sein.

Vor kurzem wurden auf Baffin-Island in der kanadischen Arktis beim Ort Kimmirut Artefakte eindeutig nordeuropäsischer Herkunft gefunden, darunter gesponenes Garn und hölzerne Rechenstäbe. Schon zuvor waren Spuren europäisch anmutender Bauten entdeckt worden. Nach Angaben der Archäologin Patricia Sutherland von Canadian Museum of Civilisation (CMC) können das Garn und die Rechenstäbe nicht von den damals dort lebenden Inuit der Dorset-Kultur stammes, beides wäre in dieser Kultur unbekannt gewesen. (Näheres hier: Spuren frühmittelalterlicher Europäer in der kanadischen Arktis entdeckt).)
Für Frau Sutherland sprechen diese Fundstücke für einen längeren Kontakt zwischen Inuit (Eskimos) und Wikinger oder anderen europäischen Seefahrern, in der Zeit zwischen 1000 und 1450, vielleicht sogar früher, denn einige der Fundstücke sind deutlich älter und stammen wahrscheinlich aus den Jahrhunderten vor 1000.

Das könnte darauf schließen lassen, dass entweder die "Entdeckung" Nordamerikas durch die Wikinger schon vor Leif Erikson stattfand, oder dass es andere (nord-)Europäer gab, die im frühen Mittelalter zur Überquerung des Nordatlantiks und zur Fahr in arktischen Gewässern in der Lage waren.

Wie auch immer: Es gab mit einiger Wahrscheinlichkeit noch mehrere Kolonisationsversuche, die nicht in den Sagas erwähnt sind. Außerdem ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich die Bewohner Grönlands Bauholz aus Nordamerika holten, da sie auf Grönland lediglich Treibholz zur Verfügung hatten und sogar Island von der Ostküste weiter entfernt war als "Markland". Die nächsten für Dachsparren und Schiffsplanken geeigneten Bäume auf der europäischer Seite des Atlantiks wuchsen sogar erst in Irland, Schottland oder Norwegen. Allerdings lässt sich bei den Holzresten amerikanischer Herkunft, die in Grönland gefunden wurden, nur schwer sagen, ob sie von Treibholzstämmen oder von an Ort und Stelle geschlagenen Bäumen stammen.
Es deutet also Vieles auf wiederholte Reisen der normannischen Grönländer zum nordamerikanischen Kontinent hin.

Bliebe ein Rätsel: Wenn die Wikinger sogar in der kanadischen Arktis, wo die Bedingungen härter sind, als in Westgrönland, zumindest Vorposten errichteten - wieso bestand dann die Niederlassung auf Neufundland nur wenige Jahre?

Eine mögliche Antwort könnte sein: Weil andere Siedlungen noch nicht gefunden wurden. Neufundland, Neuschottland und Labrador sind längst nicht so umfassend archäologisch erkundet, wie z. B. Deutschland - und auch hierzulande gibt es immer wieder überraschende Funde.
Man muss sich vor Augen halten, dass es nur etwa 5.000 bis 6.000 Grönländer nordeuropäischer Herkunft gab. Selbst wenn alle "Grönlandwikinger" geschlossen nach Amerika ausgewandert wären, hätten sie - anders als im dünn besiedelten Norden - in den klimatisch günstigeren, aber auch dichter bewohnten Gebieten Nordamerikas kaum nennenswerten Spuren hinterlassen. Mit einer möglichen Ausnahme: sie hätte dann vermutlich das Pferd in Nordamerika eingeführt - Pferde tauchten dort aber erst "nach Columbus" auf.

Leifsbuðir wurde nach Streitigkeiten mit den Einheimischen aufgegeben. Die Streitmacht der Grönländer war klein und ihr waffentechnischer Vorsprung gegenüber den Indianern zwar groß, aber nicht überwältigend. Die europäischen Siedler des 16. und 17. Jahrhunderts waren Anfangs zwar auch nur wenige, aber sie hatten Feuerwaffen - und konnten deshalb "erfolgreicher" gegen sich wehrende Indianer vorgehen. Die einzige Chance des kleine Häufchens Normannen war es, zu versuchen, möglichst gut mit den Einheimischen auszukommen. Das schließt einzelne Siedlungen nicht aus, Handel ohnehin nicht, aber sehr wohl "Eroberungszüge".

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