Sonntag, 17. August 2008

Legende "deutsche Wunderwaffen"

Ende des letzten Jahres debattierte die deutsche Science-Fiction Szene heftig über eine neue deutsche SF Serie "Stahlfront": Ist der leicht angebräunte Name Programm?. Das heißt, die Debatte war zwar heftig, aber einseitig: "Stahlfront" -Verlag, -Autoren und -Fans gegen den "Rest des SF-Universums". Und offensichtlich war "Stahlfront" kein Ausrutscher. Nun ist es nicht so, dass "Military SF", in denen "gute" Nazis bzw. "gute" Nazitraditionen eine tragende Rolle spielen, eine deutsch(-nationalistische) Spezialität wären - Romane mit "Stahlfront"-kompatibler Weltsicht kommen auch z. B. aus den USA: Bloody Stupid Brown Books: Watch on the Rhine.

Egal, ob es um braunstichige SF-Romane oder ebensolche "Sachbücher" geht: ein zentrales Element ist die Legende von den "deutschen Wunderwaffen". "Stahlfront" geht z. B. davon aus, dass die Waffenentwicklungen der Nazi-Kriegsindustrie heimlich weitergetrieben wurden (dabei ist die "Neuschwabenland"-Legende von einer "reichsdeutschen" Kolonie in der Antarktis wichtig) und heute zu phantastischen Waffensystemen geführt hätte, die die Menschheit bei ihrem Kampf gegen fiese Außerirdische unbedingt braucht.
Die Legende - besser vielleicht: "moderne Sage" - von den Nazi-Wunderwaffen beruht auf der weit verbreiteten Annahme, dass Waffensysteme, Material- und Grundlagenforschungen Deutschlands am Ende des Zweiten Weltkriegs ihrer Zeit weit voraus gewesen seien - eine Annahme, die, abgesehen von einigen Spezialgebieten, nicht stimmt.

Die Wunderwaffen-Legende speist sich aus mehreren Quellen:
  • Die deutsche Wunderwaffen-Propaganda in der letzten Phase des 2.Weltkriegs, inbesondere die um die V-Waffen. Diese "Wunderwaffen" sollten doch noch einen deutschen Sieg ermöglichen. Daraus entstand der Nachkriegs-Mythos, dass nur das "rasche" Kriegsende einen effektiven Einsatz dieser Waffen unmöglich gemacht hätte.
  • Nach der bedingungslosen Kapitulation gerieten verschiedenste ausgereifte oder bloß in der Erprobung befindliche Waffensysteme in alliierte Hände. Einige dieser Entwicklungen - vor allem auf dem Gebiet der Raketentechnik, der Düsenflugzeuge und des U-Boot-Baus - waren den entsprechenden allierten Entwicklungen tatsächlich voraus, bei anderen entstand, weil die Allierten ihre entsprechenden Entwicklungen geheim hielten, fälschlicherweise der Eindruck deutscher Überlegenheit (z. B. auf dem Gebiet der Nervengifte, der Radartechnik, der Herstellung synthetischer Treibstoffe).
  • Die Entwicklung der einzigen realen "Wunderwaffe" des 2. Weltkrieges, der Atombombe, stand unter dem (fälschlichen) Eindruck eines "Wettlaufes um die Bombe" mit dem deutschen Uranprojekt. Die Befürchtung, dass Nazideutschland mittels Atombomben den Krieg hätte gewinnen können, ist so alptraumhaft, dass sie bis heute kulturell nachklingt, und selbst wage Hinweise auf eine "deutsche Atombombe" über Gebühr ernst genommen werden.
  • Unter den gefundenen deutschen Reißbrett-Projekten befanden sich auch technisch unrealistische "Panik"- und "Größenwahn"-Ideen, z. B. die (nie geflogenen) Flugscheiben Heinrich Fleißners oder der Riesenpanzer P 1500 "Monster". Hinzu kommen teilweise realisierte "Panik-Entwicklungen" wie die Bachem Ba 349 "Natter", die die Grenzen des damals technisch Realisierbaren großzügig außer Acht ließen. Solche phantastischen, aber irrealen, Waffenprojekte lieferten reichlich Stoff für ebenso irreale Spekulationen.
  • Die Allierten suchten nach Kriegsende intensiv nach deutschen Wissenschaftlern und Ingenieuren (Operation Overcast). Da der teils erzwungene, teils angedienten Übertritt deutscher Wissenschaftler in die Nachkriegsforschung der beiden Supermächte nicht geheim bliebt, wurde der Eindruck, dass es in Deutschland ein immenses und nicht einmal ausgeschöpftes Potential für Waffenentwicklungen gegeben hätte, enorm verstärkt.
  • Der meiner Ansicht nach zumindest in Deutschland stärkste Beitrag zur "Wunderwaffenlegende" lag in der "Fronterfahrung" der deutschen Soldaten: sie bekamen die technischen Durchbrüche, die tatsächlich erreicht wurden, vor allem im Flugzeug-, Panzer- und Unterseebootbau, durchaus mit, zumal diese Errungenschaften auch propagandistisch überhöht wurden. Diese punktuelle technische Überlegenheit verschleierte die Tatsache, dass etwa ab 1943 die Allierten nicht allein hinsichtlich des Umfangs ihrer Waffenproduktion, sondern auch hinsichtlich der Qualität der meisten ihrer Waffen erdrückend überlegen waren. Viele Deutsche glaubten - oder wollten glauben, - dass letzten Endes allierte "Masse" gegen deutsche "Klasse" gesiegt hätte.
  • Ein weites Feld sind die (braun-) esoterischen Beiträge zur "Wunderwaffenlegende". Allerdings hätten "Jan van Helsing" und Konsorten mit ihren Behauptungen über "Reichsflugscheiben" kein Gehör gefunden, wenn es den Mythos "deutsche Wunderwaffe" nicht geben würde.
Ein paar Sätze zur in Deutschland besonders wirksamen Vorstellung, "wir" hätten doch die technisch besseren Waffen gehabt, Oppa hätte schließlich mit eigenen Augen gesehen, wie hilflos die Ami- oder Russenpanzer gegen "unsere" Königstiger gewesen wären, nur hätten "wir" davon zuwenige gehabt.
Selbst bei den (wenigen) deutschen Waffensystemen, die denen der Alliierten gegen Ende des 2. Weltkrieges noch technisch deutlich voraus waren, kann von "Wunderwaffen" keine Rede sein:

Die Me 262 war in der Hand geübter Piloten ein guter Abfangjäger - mehr aber auch nicht.
Ihre Reichweite betrug gerade einmal ca. 1.000 km bei voller Treibstoff-Zuladung. Mit dem sich daraus ergebenden Aktionsradius von unter 500 km war die Bomberversion A-2a taktisch gesehen unsinnig, zumal sie gerade mal 2 x 250 kg Bombenlast schleppen konnte. (Aber Hitler, Göring und sehr viele wundergläubige "Volksgenossen" wollten den "schnellsten Bomber der Welt".)
Außerdem waren die Triebwerke noch notorisch unzuverlässig - und viele Piloten kamen mit dem schnellen "Wundervogel" nicht zurecht. Es gingen mehr Me 262 durch Pilotenfehler oder technisches Versagen als durch Feindeinwirkung verloren!

Auch bei den schweren Kampfpanzern hatte Nazideutschland einen gewissen technischen Vorsprung - aber Wunderwaffen waren der "Tiger", der "Königstiger" und der "Panther" nicht.
Eine Schwäche der "Tiger"-Familie war ihr kompliziertes Schachtellaufwerk - war das einmal eingefroren, was im Winter im Osten nicht selten vorkam, konnten die unbeweglichen Kolosse ziemlich mühelos von der sowjetischen Panzerabwehr-Artillerie zusammengeschossen werden. Viele Brücken waren für die schweren Panzer (Tiger II: 68 Tonnen)schlicht zu schwach.
Die Notwendigkeit, für den Bahntransport mühsam spezielle Transportketten aufzuziehen zu müssen, wie beim "Königstiger", war ein logistischer Alptraum. Außerdem war der Treibstoffverbrauch der schweren Panzer, angesichts der angespannten Brennstofflage, katastrophal. Nicht zuletzt erforderten diese technisch anspruchsvollen Panzer eine gut ausgebildete Besatzung - und damit haperte es ab 1942/43.

Das Körnchen Wahrheit, dass jede Legende enthält, gibt es auch bei den "Wunderwaffen". Einige kamen tatsächlich "zu spärlich" oder "zu spät": eine ausgereifte und zielsichere A4-Rakete (alias "V2") oder eine frühere Serienreife der U-Boote vom Typ XXI hätten, wie ein Masseneinsatz der Me 262, den Kriegsverlauf durchaus beeinflussen können - der Krieg hätte in diesem Fall aber nur länger gedauert, dass mit diesen Waffen noch ein "Endsieg" hätte erzwungen werden können, war von Anfang an illusorisch.
Was "Wunderwaffenfans" regelmäßig übersehen: die "bedingungslose Kapitulation" (unconditional surrender) war der zentrale Punkt der Anti-Hitler-Koalition. Da eine bedingungslose Kapitulation Waffenstillstandsverhandlungen und Teilkapitulationen ausschloss, bewies das der Sowjetunion, dass die Westalliierten bereit waren, den Krieg gegen Deutschland unter allen Umständen weiter an ihrer Seite zu führen. Da ab Juli 1945 die Atombombe einsatzbereit war, und ihr Einsatz ohne Zweifel geeignet war, eine bedingungslose Kapitulation zu erzwingen, wären bei längerer Kriegsdauer mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit Atombomben auf deutsche Städte abgeworfen worden.

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