1989 - "Paradigmas lost"
Nach langer Zeit - und nach vielen Bedenken - setze ich die Reihe meiner autobiographischen Episoden über meinen "spirituellen Weg" fort.
1974 - Sommer der Wandlung und 1982 - Im Labyrinth der Eiszeit
1989 war ein Jahr einschneidenden politischen Wandels. Es war auch das Jahr, in dem für mich vieles anders wurde - auf eine Weise, die ich vorher für nicht möglich gehalten hätte.
Das unten stehende Bild malte ich im März 1989. Das es im März geschah, ist wichtig, denn das Bild ist keine Anspielung auf den Fall der "Mauer", wie viele, die das Bild später bei mir sahen, meinten.
Es ist eines meiner "Comic-Bilder", d. h. zuerst mit schwarzer Tusche gezeichnet, dann mit Deckfarben koloriert. Tatsächlich ist es eine Szene aus einem Roman von Robert A. Heinlein "Methuselah's Children" ("Die Ausgestoßenen der Erde"). Aber ich räume ein: das Bild spuckte mir schon monatelang in meinen Kopf herum, bis ich es malte.
Die optimistischen Erwartungen an mein Leben, die ich noch wenige Jahre zuvor hatte, waren bitter enttäuscht worden. Es war nichts mit dem erfolgreichen Studium, nichts mit der schönen Wohnung, der harmonischen Partnerschaft - die illusorischen Seifenblasen platzten. Was alles in meinem Leben in den "80ern" schief ging, gehört nicht in ein öffentliches Blog. Es wäre zu dramatisch (und nebenbei eines jener literarischen Klischees, die man im echten Leben praktisch nie trifft), wenn ich behaupten würde, dass ich durch einige Schockerlebnisse aus meiner Traumwelt in die Wirklichkeit gerissen worden wäre. Denn so "verträumt" und "weltfremd" waren meine Vorstellungen, was ich mit dem Leben anfangen wollte, ja nicht - ich wollte "nur" das, was auch andere wollten: Wohlstand, Karriere. Und ich wollte nur nicht auffallen, nur nicht anecken - das "wahre Leben" findet da statt, wo es Außenstehende nicht zu sehen bekommen. Tatsächlich habe ich damals gern nach außen hin den braven, wenn auch etwas "nerdigen" jungen Mann dargestellt. Hauptbedürfnis: Lasst mich gefälligst in Ruhe! Wie es drinnen bei mir aussieht, das hat niemanden etwas zu interessieren.
Und es ging bergab. Mit meinen Nerven, meinem Studium, meinen Beziehungen.
Besser wurde es erst, als ich endlich die Kraft fand, mich mit meinem eigenen Versagen auseinander zu setzen, eine nüchterne Bilanz zu ziehen, und meinen Lebensweg entsprechend den äußeren Gegebenheiten und einer realistischen Einschätzung meiner Fähigkeiten anzupassen. Dass mich dieser Erfolg dazu verleitete, die Selbstkritik irgendwann bis zum Selbsthass - paradoxerweise verbunden mit einem Hang zum weinerlichen Selbstmitleid - zu steigern, und meinem ohnehin vorhandenen Hang zum autoaggressiven Verhalten Vorschub zu leisten, wirkte sich ja erst später aus.
Erst einmal ging es, langsam, mit Rückschlägen, bergauf. 1989 wohnte ich in einer bescheidenen eigenen Wohnung, hatte eine bescheidene berufliche Perspektive und genoss ein bescheidenes privates Glück.
Politisch war 1989 ein Jahr, in dem vieles geschah, was noch kurz zuvor als unrealistische Träumerei verworfen worden war. Es wurde alles anders - anders, als es uns im Poltikunterricht erzählt worden war, anders, als es im Politik-Teil der Zeitungen stand, aber auch anders als auf den endlosen politischen Diskussionen im Umfeld der "Grün-Alternativen", zu denen ich mich zählte. Mehr "alternativ" als "grün" im damaligen Verständnis übrigens. Das Klischee des in ungefärbte Wolle gekleideten Birkenstock-Trägers, das damals wirklich auf einige "Grüne" zutraf, erfüllte ich nie. Wichtiger war, dass ich ein ausgesprochener Computer-Fan mit positivem Verhältnis zur beinahe (!) aller High-Tech war - ich begriff technischen Wandel als Chance. Vielleicht kann ich behaupten: ich begriff überhaupt Wandel als Chance, was eine stetige Quelle für Meinungsverschiedenheiten mit konservativen Zeitgenossen war. Auch damals schon waren die "Grünen" viel konservativer, als es ihr "alternatives" Image nahe legte.
Im Nachhinein ist es fast amüsant, wie unsicher und irritiert hier im "Westen" die Reaktion auf die revolutionären Prozesse im "Ostblock" waren. Das traft nicht nur auf jene Zeitgenossen zu, die gerne den Sonntagsreden über "Überwindung der deutschen Teilung" gelauscht hatten oder selber welche hielten, und die nun ohne Konzept und Plan sozusagen mit heruntergelassenen Hosen dastanden. Es traft auch auf die zu, die von Abrüstung und einer dauerhafter Friedenslösung in Europa träumten. Es war die Angst, dass Veränderungen im politischen Machtgefüge "Krieg" bedeuten könnten, die lähmte und konservativ machte. Im Herbst 1989, mitten in der "Wende", behaupte jemand, der immerhin u. A. Lehrer für Politik war, dass das, was da in der DDR und sonstwo "im Osten" vor sich ginge, gar keine Revolution wäre. Obwohl er kein Kommunist war und nicht die geringste Sympathien für den "real extistierenden Sozialismus" im Ostblock hatte, hielt er die sich abzeichnende "Wende" für einen Staatsstreich politischer Abenteurer und verantwortungsloser Demagogen. (Später, nach dem "Anschluss" der DDR, war seine Welt wieder in Ordnung: ganz klar, die DDR war auf kaltem Wege erobert worden! Wohlgemerkt, der Mann hätte einem SED-Funktionär oder einem DKP-Mitglied nicht die Hand gegeben und war nach eigenen Angaben FDP-Wähler.)
Mir ist auch noch gut ein Gespräch zweier älterer Frauen, die beide den 2. Weltkrieg bewusst miterlebt hatten, am Morgen des 10. Novembers 1989 in Erinnerung: "Ich hätte nie gedacht, dass so was ohne Krieg abgeht." - "Hoffen wir, dass es so friedlich bleibt." Der "Fall der Mauer" ohne Krieg - daran hatten diese Frauen niemals gedacht. Es widersprach ihrer Lebenserfahrung.
Viele Paradigmen (im Sinne der Wissenschaftstheorie von Thomas S. Kuhn) "konkrete Problemlösungen, die die Fachwelt akzeptiert hat") waren im Jahre 1989 verloren gegangen.
Auch mir ging 1989 ein "Paradigma", eine Grundannahme, auf der mein Modell der Wirklichkeit beruht, verloren. Die Grundannahme eines linearen Flusses der Zeit, vom Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
In einem Betrieb, in dem ich für ein Praktikum arbeitete, arbeitete auch ein bemerkenswerter Mann. Er arbeitete nur noch in Teilzeit, denn den größten Teil seine Einkommens erwarb er mit Spekulationen - und zwar spekulierte er mit Optionsscheinen. Optionscheine sind eine besonders risikoreiche Anlageform, und Spekulation mit Optionsscheinen wird, mit einigem Recht, mit Zocken am Roulettetisch verglichen. Der gute Mann schaffte das, was eigentlich unmöglich war: ein nicht überwältigendes, aber recht ordentliches und vor allem konstantes Einkommen mit Optionsschein-Spekulation zu erreichen. Er erklärte mir auch den seiner Meinung nach vorhandenen Unterschied zwischen reinen Glücksspielen und Spekulationen: auf dem Optionsmarkt regiert nicht allein der reine Zufall. Aber was ist der Unterschied genau? Für eine Vorhersage der ganzen komplizierten Kausaltätskette, die den Wert einer Option bestimmt, reichte sein Wissen nämlich nicht aus.
Mehr noch als dieses "realweltliche" Erlebnis prägte ein bemerkenswerter Traum meine spirituelle Entwicklung. Wenn es mir schon vorher trotz meiner eher skeptischen Einstellung zum Thema "PSI" ausgesprochen schwer fiel, "außersinnliche Wahrnehmungen" immer als "Wunschdenken", "Betrug", "Wahnvorstellungen", "neurotische Wahrnehmungsstörungen" oder "Mißdeutung bekannter Phänomene" einzuordnen, war es mir von da an praktisch unmöglich, an jener Weltsicht festzuhalten, von der ich gelernt hatte, dass sie die allein vernünftige sei.
Es war nicht der erste Wahrtraum, den ich erlebte. Tatsächlich habe ich "so was" relativ regelmäßig. Ich hatte auch schon "prospektive Wahrträume", also hatte zukünftige Ereignisse im Traum erlebt.
Lange Zeit konnte ich die beunruhigenden "prophetischen Träume" "vernünftig" erklären. Ein Erklärung ist, dass ich jede Nacht mehrere Stunden träume, und es schon deshalb gelegentlich zu zufälligen Übereinstimmungen zwischen Traum und tatsächlichem Geschehen kommen muss.
Außerdem beziehen sich Wahrträume - ob prophetisch oder nicht - meistens auf persönliche Dinge. Solche Dinge sind für mich durchaus zu einem gewissen Grad vorhersehbar. Daneben gibt es bei Dingen, die ich selbst beeinflussen kann, immer die Gefahr einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Entscheidend ist aber, dass ich, wie die meisten Menschen, dazu neige "Vorzeichen", die nicht in Erfüllung gingen, zu ignorieren und geglückte Prophezeihungen bevorzugt im Gedächtnis zu behalten.
In der Nacht zum 30. April 1989 (ich führte damals Tagebuch) geriet dieses einfache Erklärungsmodell ins Wanken, als ich einen total verrückten Traum hatte.
Ein russisches (damals sowjetisches) Jagdflugzeug zerschellte in diesem Traum in Belgien. Dann "lief" der Traum episodenhaft ab, und zwar in umgekehrten zeitlicher Abfolge. Es hatte zuvor die (damalige) BRD im Tiefflug überquert - mit offener Cockpithaube. Ich konnte erkennen, dass die Maschine ein Typ mit Schwenkflügeln war und erfuhr dann (im Traum), dass die Maschine auf einem Luftwaffenstützpunkt in Polen bei Kolberg gestartet war.
Am 4. September 1989 - und nicht, wie ich mich später zu erinnern glaubte, nur eine Woche später - durchquerte eine sowjetische MiG 23 (ein Schwenkflügler) den westdeutschen Luftraum. Der Pilot hatte sich kurz nach dem Start auf einem Fliegerhorst bei Kolberg (Polen) mit dem Schleudersitz aus der Maschine katapultiert. Von Autopiloten gelenkt, nahm die Maschine Kurs nach Westen - mit offenstehendem Cockpit. Die Maschine stürzte dann Belgien ab.
Schon daran, dass ich mich an das Datum der Eintreffens der "Prophezeihung" nicht richtig erinnerte, zeigt, wie trügerisch das "chronologische Gedächtnis" sein kann. Hätte ich nicht den Zeitpunkt des Traums notiert, würde ich heute zu der Erklärung neigen, dass ich wohl "Ursache" und "Wirkung" zeitlich verwechselt hätte.
Es könnte alles Zufall sein. Es gibt ja schließlich auch Sechser im Lotto. Nur - es war nicht der letzte prospektive Wahrtraum. Und bei weitem nicht der einzige, dessen Ereignisse von mir nicht beeinflusst werden konnten.
Allerdings stellte mich der Traum, bzw. seine Bewertung, vor ein "falsches Dilemma": entweder hätte ich das "naturwissenschaftliche", rationale Weltbild aufgeben müssen, zugunsten esoterischer Welterklärungsmodelle - oder den Traum als belangloses Kuriosum verdrängen müssen.
Der - umstrittene - Begriff der Synchronitizität erwies sich für mich als hilfreich.
Dem "falschen Dilemma" - entweder "vernünftig bleiben" oder "magisch denken" (und womöglich doch bei den "Esos" landen) - entkam ich auf Dauer auch deshalb, weil ich zufällig (oder auch nicht) ein Jahr später auf ein bemerkenswertes Buch stieß: "Verlust der Wahrheit. Streitfragen der Naturwissenschaften" von John L. Casti (Originaltitel: Paradigmas Lost).
Eine der Streitfragen, der sich Casti widmet, sind die Deutungsschwierigkeiten der Quantenmechanik. Hierbei gibt Casti der Viele-Welten-Interpretation den Vorzug, die mir, als Science Fiction-Fan, nicht ganz unbekannt war. Wichtiger ist aber, dass ich begann, die Quantenmechanik nicht mehr ein Theoriensystem zu betrachten, das man nicht versuchen sollte, irgendwie zu verstehen - es reiche aus, wenn sie die richtigen Ergebnisse liefere. Auch wenn auch vielleicht die Kopenhagener Deutung die Phänomene besser erklären könnte - in allen Fällen hat das, was wir "Kausalität" nennen, nicht die universelle Bedeutung, die sie in der klassischen Physik hat.
Auch wenn mache New-Age-Esoteriker mit quantenmechnischen Begriffen hantieren, war die Beschäftigung mit Quantenmechanik einer der Gründe, aus denen ich das im Grunde deterministische Weltbild, dass den meisten Hypothesen über PSI und Vorauswissen zugrunde liegt, verwarf. In einer Welt, in der von Anfang an alles zwangsläufig, wie ein Uhrwerk abläuft, und in der es keine echten Zufälle gibt, wären zutreffende Prognosen in der Tat möglich. Aber so funktioniert die Welt nun einmal nicht.
Ich kam zu der Vermutung, dass ich nicht wirklich in der Lage bin, einen Blick in die Zukunft zu werfen - weil es die Zukunft nicht gibt.
Es gibt nur Möglichkeiten, die aus meiner Sicht irgendwann real werden können, davon einige wahrscheinlich, andere unwahrscheinlich. Wenn sie sich manifestiert haben, sind sie nicht mehr zu ändern - Vergangenheit, oder besser: das Gewordene.
Damit ist ein prospektiver Wahrtraum kein "Eisenbahngleis in die Zukunft" - wenn da ein Zug entgegenkommt, ist es gelaufen. Er ist nur eine Prognose, und wie alle Prognosen unsicher. Wie genau diese Prognose zustande kommt, ist zweitrangig.
Es befriedigte mich sehr, dass sich meine selbstgestrickte Philosophie von Zeit und Zukunft seht gut mit Karl R. Poppers kritischem Rationalismus übereinstimmte: "Die Zukunft ist offen".
Noch mehr freute ich mich Jahre später, als Menschen, die meine Freunde werden sollten, von einer ganz anderen Richtung her denkend, zum gleichen Ergebnis kamen. Das mir irgendwann so was wie Asatru zustieß, liegt also auch daran, dass ich mich von moderner Physik ebenso wenig abstießen ließ, wie von Erkenntnisphilosophie.
1974 - Sommer der Wandlung und 1982 - Im Labyrinth der Eiszeit
1989 war ein Jahr einschneidenden politischen Wandels. Es war auch das Jahr, in dem für mich vieles anders wurde - auf eine Weise, die ich vorher für nicht möglich gehalten hätte.
Das unten stehende Bild malte ich im März 1989. Das es im März geschah, ist wichtig, denn das Bild ist keine Anspielung auf den Fall der "Mauer", wie viele, die das Bild später bei mir sahen, meinten.
Es ist eines meiner "Comic-Bilder", d. h. zuerst mit schwarzer Tusche gezeichnet, dann mit Deckfarben koloriert. Tatsächlich ist es eine Szene aus einem Roman von Robert A. Heinlein "Methuselah's Children" ("Die Ausgestoßenen der Erde"). Aber ich räume ein: das Bild spuckte mir schon monatelang in meinen Kopf herum, bis ich es malte.
Die optimistischen Erwartungen an mein Leben, die ich noch wenige Jahre zuvor hatte, waren bitter enttäuscht worden. Es war nichts mit dem erfolgreichen Studium, nichts mit der schönen Wohnung, der harmonischen Partnerschaft - die illusorischen Seifenblasen platzten. Was alles in meinem Leben in den "80ern" schief ging, gehört nicht in ein öffentliches Blog. Es wäre zu dramatisch (und nebenbei eines jener literarischen Klischees, die man im echten Leben praktisch nie trifft), wenn ich behaupten würde, dass ich durch einige Schockerlebnisse aus meiner Traumwelt in die Wirklichkeit gerissen worden wäre. Denn so "verträumt" und "weltfremd" waren meine Vorstellungen, was ich mit dem Leben anfangen wollte, ja nicht - ich wollte "nur" das, was auch andere wollten: Wohlstand, Karriere. Und ich wollte nur nicht auffallen, nur nicht anecken - das "wahre Leben" findet da statt, wo es Außenstehende nicht zu sehen bekommen. Tatsächlich habe ich damals gern nach außen hin den braven, wenn auch etwas "nerdigen" jungen Mann dargestellt. Hauptbedürfnis: Lasst mich gefälligst in Ruhe! Wie es drinnen bei mir aussieht, das hat niemanden etwas zu interessieren.
Und es ging bergab. Mit meinen Nerven, meinem Studium, meinen Beziehungen.
Besser wurde es erst, als ich endlich die Kraft fand, mich mit meinem eigenen Versagen auseinander zu setzen, eine nüchterne Bilanz zu ziehen, und meinen Lebensweg entsprechend den äußeren Gegebenheiten und einer realistischen Einschätzung meiner Fähigkeiten anzupassen. Dass mich dieser Erfolg dazu verleitete, die Selbstkritik irgendwann bis zum Selbsthass - paradoxerweise verbunden mit einem Hang zum weinerlichen Selbstmitleid - zu steigern, und meinem ohnehin vorhandenen Hang zum autoaggressiven Verhalten Vorschub zu leisten, wirkte sich ja erst später aus.
Erst einmal ging es, langsam, mit Rückschlägen, bergauf. 1989 wohnte ich in einer bescheidenen eigenen Wohnung, hatte eine bescheidene berufliche Perspektive und genoss ein bescheidenes privates Glück.
Politisch war 1989 ein Jahr, in dem vieles geschah, was noch kurz zuvor als unrealistische Träumerei verworfen worden war. Es wurde alles anders - anders, als es uns im Poltikunterricht erzählt worden war, anders, als es im Politik-Teil der Zeitungen stand, aber auch anders als auf den endlosen politischen Diskussionen im Umfeld der "Grün-Alternativen", zu denen ich mich zählte. Mehr "alternativ" als "grün" im damaligen Verständnis übrigens. Das Klischee des in ungefärbte Wolle gekleideten Birkenstock-Trägers, das damals wirklich auf einige "Grüne" zutraf, erfüllte ich nie. Wichtiger war, dass ich ein ausgesprochener Computer-Fan mit positivem Verhältnis zur beinahe (!) aller High-Tech war - ich begriff technischen Wandel als Chance. Vielleicht kann ich behaupten: ich begriff überhaupt Wandel als Chance, was eine stetige Quelle für Meinungsverschiedenheiten mit konservativen Zeitgenossen war. Auch damals schon waren die "Grünen" viel konservativer, als es ihr "alternatives" Image nahe legte.
Im Nachhinein ist es fast amüsant, wie unsicher und irritiert hier im "Westen" die Reaktion auf die revolutionären Prozesse im "Ostblock" waren. Das traft nicht nur auf jene Zeitgenossen zu, die gerne den Sonntagsreden über "Überwindung der deutschen Teilung" gelauscht hatten oder selber welche hielten, und die nun ohne Konzept und Plan sozusagen mit heruntergelassenen Hosen dastanden. Es traft auch auf die zu, die von Abrüstung und einer dauerhafter Friedenslösung in Europa träumten. Es war die Angst, dass Veränderungen im politischen Machtgefüge "Krieg" bedeuten könnten, die lähmte und konservativ machte. Im Herbst 1989, mitten in der "Wende", behaupte jemand, der immerhin u. A. Lehrer für Politik war, dass das, was da in der DDR und sonstwo "im Osten" vor sich ginge, gar keine Revolution wäre. Obwohl er kein Kommunist war und nicht die geringste Sympathien für den "real extistierenden Sozialismus" im Ostblock hatte, hielt er die sich abzeichnende "Wende" für einen Staatsstreich politischer Abenteurer und verantwortungsloser Demagogen. (Später, nach dem "Anschluss" der DDR, war seine Welt wieder in Ordnung: ganz klar, die DDR war auf kaltem Wege erobert worden! Wohlgemerkt, der Mann hätte einem SED-Funktionär oder einem DKP-Mitglied nicht die Hand gegeben und war nach eigenen Angaben FDP-Wähler.)
Mir ist auch noch gut ein Gespräch zweier älterer Frauen, die beide den 2. Weltkrieg bewusst miterlebt hatten, am Morgen des 10. Novembers 1989 in Erinnerung: "Ich hätte nie gedacht, dass so was ohne Krieg abgeht." - "Hoffen wir, dass es so friedlich bleibt." Der "Fall der Mauer" ohne Krieg - daran hatten diese Frauen niemals gedacht. Es widersprach ihrer Lebenserfahrung.
Viele Paradigmen (im Sinne der Wissenschaftstheorie von Thomas S. Kuhn) "konkrete Problemlösungen, die die Fachwelt akzeptiert hat") waren im Jahre 1989 verloren gegangen.
Auch mir ging 1989 ein "Paradigma", eine Grundannahme, auf der mein Modell der Wirklichkeit beruht, verloren. Die Grundannahme eines linearen Flusses der Zeit, vom Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
In einem Betrieb, in dem ich für ein Praktikum arbeitete, arbeitete auch ein bemerkenswerter Mann. Er arbeitete nur noch in Teilzeit, denn den größten Teil seine Einkommens erwarb er mit Spekulationen - und zwar spekulierte er mit Optionsscheinen. Optionscheine sind eine besonders risikoreiche Anlageform, und Spekulation mit Optionsscheinen wird, mit einigem Recht, mit Zocken am Roulettetisch verglichen. Der gute Mann schaffte das, was eigentlich unmöglich war: ein nicht überwältigendes, aber recht ordentliches und vor allem konstantes Einkommen mit Optionsschein-Spekulation zu erreichen. Er erklärte mir auch den seiner Meinung nach vorhandenen Unterschied zwischen reinen Glücksspielen und Spekulationen: auf dem Optionsmarkt regiert nicht allein der reine Zufall. Aber was ist der Unterschied genau? Für eine Vorhersage der ganzen komplizierten Kausaltätskette, die den Wert einer Option bestimmt, reichte sein Wissen nämlich nicht aus.
Mehr noch als dieses "realweltliche" Erlebnis prägte ein bemerkenswerter Traum meine spirituelle Entwicklung. Wenn es mir schon vorher trotz meiner eher skeptischen Einstellung zum Thema "PSI" ausgesprochen schwer fiel, "außersinnliche Wahrnehmungen" immer als "Wunschdenken", "Betrug", "Wahnvorstellungen", "neurotische Wahrnehmungsstörungen" oder "Mißdeutung bekannter Phänomene" einzuordnen, war es mir von da an praktisch unmöglich, an jener Weltsicht festzuhalten, von der ich gelernt hatte, dass sie die allein vernünftige sei.
Es war nicht der erste Wahrtraum, den ich erlebte. Tatsächlich habe ich "so was" relativ regelmäßig. Ich hatte auch schon "prospektive Wahrträume", also hatte zukünftige Ereignisse im Traum erlebt.
Lange Zeit konnte ich die beunruhigenden "prophetischen Träume" "vernünftig" erklären. Ein Erklärung ist, dass ich jede Nacht mehrere Stunden träume, und es schon deshalb gelegentlich zu zufälligen Übereinstimmungen zwischen Traum und tatsächlichem Geschehen kommen muss.
Außerdem beziehen sich Wahrträume - ob prophetisch oder nicht - meistens auf persönliche Dinge. Solche Dinge sind für mich durchaus zu einem gewissen Grad vorhersehbar. Daneben gibt es bei Dingen, die ich selbst beeinflussen kann, immer die Gefahr einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Entscheidend ist aber, dass ich, wie die meisten Menschen, dazu neige "Vorzeichen", die nicht in Erfüllung gingen, zu ignorieren und geglückte Prophezeihungen bevorzugt im Gedächtnis zu behalten.
In der Nacht zum 30. April 1989 (ich führte damals Tagebuch) geriet dieses einfache Erklärungsmodell ins Wanken, als ich einen total verrückten Traum hatte.
Ein russisches (damals sowjetisches) Jagdflugzeug zerschellte in diesem Traum in Belgien. Dann "lief" der Traum episodenhaft ab, und zwar in umgekehrten zeitlicher Abfolge. Es hatte zuvor die (damalige) BRD im Tiefflug überquert - mit offener Cockpithaube. Ich konnte erkennen, dass die Maschine ein Typ mit Schwenkflügeln war und erfuhr dann (im Traum), dass die Maschine auf einem Luftwaffenstützpunkt in Polen bei Kolberg gestartet war.
Am 4. September 1989 - und nicht, wie ich mich später zu erinnern glaubte, nur eine Woche später - durchquerte eine sowjetische MiG 23 (ein Schwenkflügler) den westdeutschen Luftraum. Der Pilot hatte sich kurz nach dem Start auf einem Fliegerhorst bei Kolberg (Polen) mit dem Schleudersitz aus der Maschine katapultiert. Von Autopiloten gelenkt, nahm die Maschine Kurs nach Westen - mit offenstehendem Cockpit. Die Maschine stürzte dann Belgien ab.
Schon daran, dass ich mich an das Datum der Eintreffens der "Prophezeihung" nicht richtig erinnerte, zeigt, wie trügerisch das "chronologische Gedächtnis" sein kann. Hätte ich nicht den Zeitpunkt des Traums notiert, würde ich heute zu der Erklärung neigen, dass ich wohl "Ursache" und "Wirkung" zeitlich verwechselt hätte.
Es könnte alles Zufall sein. Es gibt ja schließlich auch Sechser im Lotto. Nur - es war nicht der letzte prospektive Wahrtraum. Und bei weitem nicht der einzige, dessen Ereignisse von mir nicht beeinflusst werden konnten.
Allerdings stellte mich der Traum, bzw. seine Bewertung, vor ein "falsches Dilemma": entweder hätte ich das "naturwissenschaftliche", rationale Weltbild aufgeben müssen, zugunsten esoterischer Welterklärungsmodelle - oder den Traum als belangloses Kuriosum verdrängen müssen.
Der - umstrittene - Begriff der Synchronitizität erwies sich für mich als hilfreich.
Dem "falschen Dilemma" - entweder "vernünftig bleiben" oder "magisch denken" (und womöglich doch bei den "Esos" landen) - entkam ich auf Dauer auch deshalb, weil ich zufällig (oder auch nicht) ein Jahr später auf ein bemerkenswertes Buch stieß: "Verlust der Wahrheit. Streitfragen der Naturwissenschaften" von John L. Casti (Originaltitel: Paradigmas Lost).
Eine der Streitfragen, der sich Casti widmet, sind die Deutungsschwierigkeiten der Quantenmechanik. Hierbei gibt Casti der Viele-Welten-Interpretation den Vorzug, die mir, als Science Fiction-Fan, nicht ganz unbekannt war. Wichtiger ist aber, dass ich begann, die Quantenmechanik nicht mehr ein Theoriensystem zu betrachten, das man nicht versuchen sollte, irgendwie zu verstehen - es reiche aus, wenn sie die richtigen Ergebnisse liefere. Auch wenn auch vielleicht die Kopenhagener Deutung die Phänomene besser erklären könnte - in allen Fällen hat das, was wir "Kausalität" nennen, nicht die universelle Bedeutung, die sie in der klassischen Physik hat.
Auch wenn mache New-Age-Esoteriker mit quantenmechnischen Begriffen hantieren, war die Beschäftigung mit Quantenmechanik einer der Gründe, aus denen ich das im Grunde deterministische Weltbild, dass den meisten Hypothesen über PSI und Vorauswissen zugrunde liegt, verwarf. In einer Welt, in der von Anfang an alles zwangsläufig, wie ein Uhrwerk abläuft, und in der es keine echten Zufälle gibt, wären zutreffende Prognosen in der Tat möglich. Aber so funktioniert die Welt nun einmal nicht.
Ich kam zu der Vermutung, dass ich nicht wirklich in der Lage bin, einen Blick in die Zukunft zu werfen - weil es die Zukunft nicht gibt.
Es gibt nur Möglichkeiten, die aus meiner Sicht irgendwann real werden können, davon einige wahrscheinlich, andere unwahrscheinlich. Wenn sie sich manifestiert haben, sind sie nicht mehr zu ändern - Vergangenheit, oder besser: das Gewordene.
Damit ist ein prospektiver Wahrtraum kein "Eisenbahngleis in die Zukunft" - wenn da ein Zug entgegenkommt, ist es gelaufen. Er ist nur eine Prognose, und wie alle Prognosen unsicher. Wie genau diese Prognose zustande kommt, ist zweitrangig.
Es befriedigte mich sehr, dass sich meine selbstgestrickte Philosophie von Zeit und Zukunft seht gut mit Karl R. Poppers kritischem Rationalismus übereinstimmte: "Die Zukunft ist offen".
Noch mehr freute ich mich Jahre später, als Menschen, die meine Freunde werden sollten, von einer ganz anderen Richtung her denkend, zum gleichen Ergebnis kamen. Das mir irgendwann so was wie Asatru zustieß, liegt also auch daran, dass ich mich von moderner Physik ebenso wenig abstießen ließ, wie von Erkenntnisphilosophie.
MMarheinecke - Sonntag, 8. August 2010
"Die Ausgestoßenen der Erde"
Mein Verhältnis zu Heinleins Werk ist ambivalent
Wobei mir der Anarchismus deutlich sympathischer ist. Immerhin: er schrieb gut.