Einige Gedanken dazu, dass es "nach Apollo" nicht weiterging

"Hat man eine Erde gesehen, hat man alle gesehen."
Harrison Schmitt (Apollo 17) über den Anblick der Erde aus dem All.

"Es" steht hierbei nicht für die Raumfahrt - die ja weiterging, wenn auch in weitaus bescheidenerem Maße, als dies 1969 allgemein erwartet wurde. "Es" steht für eine technologische, kulturelle und allgemein-gesellschaftliche Aufbruchstimmung der später 1960er Jahre, deren spektakulärstes Symbol die bemannten Mondlandung war.
Karan schrob anlässlich des Apollo-11-Jubiliäums:
Die Grundhaltung war damals: alles ist möglich. Unbegrenzt wie der menschliche Forschungsdrang erschienen die Mittel und Gelegenheiten. Und ich frage mich bis zum heutigen Tag, wann genau das eigentlich gekippt ist. Es war wohl ein gradueller Prozeß…
Am einfachsten lässt sich diese Frage noch in Hinblick auf die Raumfahrt selbst beantworten. Ich sehr das von John F. Kennedy angeschobene Mondlandeprojekt einerseits als den Versuch, der Welt die technische und organisatorische Überlegenheit der USA zu demonstrieren - und zwar ohne die Gefahr einer militärische Auseinandersetzung mit der UdSSR. Anderseits war es der clevere Versuch, ein staatliches Technologieförderungsprogramm in einem Land durchzusetzten, in dem solche Programme traditionell auf starken Widerstand stoßen. "Apollo" regte, anders als die großen Rüstungsprojekte, die beteiligten Unternehmen zur Transparenz und Zusammenarbeit an. Erfindungen, die für "Apollo" gemacht wurden, verschwanden nicht erst mal wegen der militärischen Geheimhaltung, für einige Jahre im Panzerschrank, sondern der "Spin-Off" konnte sofort an die Zivilwirtschaft weitergegeben werden. Bei "Apollo" wurde nicht nur neue Technologien erprobt, sondern auch neue Managementmethoden.
Für die Militärtechnologie war und ist der Mond uninteressant - daran ändern auch Mondflug-Projekte unter militärischer Leitung wie Horizon (US Army) oder Lunex (US Air Force) nichts, die schon in ihrer Definitionsphase starben, weil die Frage, was das Militär auf dem Mond will, nicht zu schlüssig zu beantworten war.
Für das Militär reichen Raketen, die Satelliten für die Spionage, für die militärische Kommunikation in die Umlaufbahn bringen, aus. Auch für "Killersatelliten", die andere Satelliten stören oder zerstören, braucht man weder Mondflüge, noch Sonden, die andere Planeten erreichen. Man braucht, wie die US Air Force, die 1969
entsprechende Pläne
aufgab, im Verlauf der 1960er Jahre merke, dafür auch keine bemannten Raumstationen.
Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass der ausgeprägte Militärisch-industrielle-Komplex der USA Apollo nur so lange unterstützte, solange das Ziel "es die Russen zu zeigen", also die Propagandawirkung und die Demonstration technischer (auch indirekt: waffentechnischer) Überlegenheit klar im Vordergrund stand. Mit der geglückten Mondlandung wurde das Apollo-Projekt uninteressant.
Übrigens dachten auch viele Menschen abseits des Militärisch-industriellen-Komplexe ähnlich. Erinnert sei an den Ausspruch des CBS-Anchorman Walter Cronkite, dass das Geld für das Apollo-Programm verschwendet gewesen sei, weil "die Russen niemals im Rennen gewesen waren." (Siehe: Die echte "Mondlandungslüge".)

Indirekt wirkten die Mondflüge über das Bild der Erde aus dem Weltraum, das nicht zufällig zur "Ikone" der Umweltbewegung wurde:
NASA-Apollo8-Dec24-Earthrise
Wenn man so will, kam erst mit der Raumfahrt die "kopernikanische Wende" im Alltagsbewusstsein an: die Erde ist nicht die "große, weite Welt", sie eine winzige, blaue Oase vor dem immensen schwarzen Hintergrund des Weltalls. Erst seit Ende der1960er Jahren gibt es so etwas wie eine geistige Globalisierung - neben der ökonomischen, die es schon spätestens seit dem 19. Jahrhundert gibt.
Wo es eine "geistige Revolution" gibt, die Hinwendung zum globalem Denken - verbunden mit den ebenfalls etwa vor 40 Jahren populär gewordenen "Graswurzel-Bewegungen, dem "lokalen Handeln", da gibt es auch Gegenkräfte. So wie es heute politische Kräfte gibt, die das Internet (übrigens auch einem "Kind" des bewegten Jahres 1969) im Sinne der "bestehenden Ordnung" zu bändigen versuchen. Nicht alle diese Gegenkräfte kamen "von oben", der Natur und Umweltschutz war lange Zeit stark konservativ (bis reaktionär) und "antitechnisch" geprägt. Es ist m. E. kein Zufall, dass eine Umweltbewegung, in der gesellschaftlich progressiv gedacht wurde, und die in moderner Technik auch Chancen und nicht nur Gefahren sah, sich erst gut zehn Jahre nach "Apollo" und "Woodstock" etablieren konnte. Vorher dominierten noch Menschen, die mit der Vorstellung, für eine florierende Wirtschaften seinen nun einmal "rauchende Schlote" notwendig, und die natürlich Ressourcen seien im Prinzip unerschöpflich, aufgewachsen waren, Politik und Wirtschaft. (Umgekehrt wurde der Natur- und Umweltschutz lange Zeit von einem starken antitechnologischen Affekt beherrscht, der selbst heute noch spürbar ist.) Auch das Denken, dass Kriege "da hinten" in Ostasien oder Hungersnöte "da drunten" in Afrika "uns" nicht angingen, ist seit der geistige Globalisierung, die in den 1960er Jahren begann, "von gestern".
Unsere heutige Kommunikation ist weltumspannend. Was immer in einem Winkel der Erde geschieht, der Rest sieht es. Kein Despot kann mehr machen was er will, ohne dass die Bilder in alle Länder gehen. Dass das den wenigsten Mächtigen und sich für mächtig haltenden, nicht passt, sollte nicht überraschen.

Dabei bedeutet "progressiv", obwohl dieser Begriff gern von (extremen) Linken gekapert wurde und wird, nicht dasselbe wie "sozialistisch". In der BRD konnte man sich dem Vernehmen nach Ende der 1960er in "linken Kreisen" schnell zum Außenseiter stempeln, wenn man im "Apollo"-Projekt einen tieferen Sinn sah. Das überstieg offensichtlich den Horizont der damals tonangebenden "linken" Kräfte. Den der Konservativen sowieso.

Vielleicht sollte man das "Apollo-Projekt" aus Ausdruck des "Unbewussten einer Organisation" sehen.
Der Ausdruck stammt vom Physiker
Richard Feynman, und wurde von ihm während der Untersuchungen zur Challenger-Katastrophe im Jahr 1986 geprägt. (Bekannt wurde sein öffentlicher Auftritt, in dem er die Folgen von Frost an den Dichtringen der Feststoff-Treibstofftanks mit einem Glas Eiswasser vorführte.) Sein von der Mehrheit abweichender Bericht äußerte sich kritisch zur bürokratischen Organisation der NASA.
Feynman wusste innerhalb einer Woche, dass ein Dichtungsring die technische Ursache des Unfalls war. Hingegen verbrachte er sechs Monate damit, herauszufinden, wie es möglich war, dass einer Organisation wie der NASA so ein haarsträubender Fehler unterlaufen konnte. Seine Erklärung:
Vor der Mondlandung stand die ganze US-amerikanische Gesellschaft hinter den Raumfahrt-Projekten. Aus durchaus unterschiedlichen Gründen, im Zweifel war es reines Prestigedenken: man wollte "vor den Russen" auf dem Mond sein. Aus politische Gründen wurde das Raumfahrtprogramm schon während der Apollo-Flüge drastisch eingeschränkt. Die Folge: in den 1970er Jahren war die NASA eine 5 Milliarden-Bürokratie, die nicht ausgelastet wa.
Also erfand sie sich einen Arbeitsauftrag, den sie der Politik (und ich ergänze: dem Militärisch-industriellen-Komplex) "verkaufen" konnte - das "Space Shuttle"-Programm. Der Shuttle-Orbiter sollten, entgegen der ursprünglich Planung, so groß sein, dass er Satelliten nicht nur starten, sondern auch bergen und zur Erde zurückbringen konnte. Außerdem versprach man, dass die Raumfahrt mit einem teilweise wiederverwendbaren System wirtschaftlicher werden würde als mit "Wegwerf-Raketen" - eine schon damals umstrittene Ansicht. Folge: das Projekt wurde, anders als Apollo sozusagen "auf Kante genäht": man musste ja zugleich "wirtschaftlich" sein wie andererseits die hohen Erwartungen der Air Force und des CIA erfüllen. Die NASA musste außerdem trotz der Vorbehalte in der Bevölkerung (die es aus verschiedene Gründen und aus verschiedene Richtungen gab) sicherstellen, dass die Gelder weiterhin vom Parlament genehmigt würden.
Feynman sagte, die NASA hätte sich sozusagen in zwei Hälften gespalten: Das obere Management war damit beschäftigt, das Space-Shuttle-Projekt der Nation zu verkaufen und wollte von Sicherheitsfragen deshalb nichts wissen. Es verdrängte die Probleme in das "Unbewusste der Organisation".

Was Feyman für die NASA feststellte, gilt, dessen bin ich mir ziemlich sicher, auch für "westlichen Gesellschaften" als Ganzes: "Von unten", in der Bevölkerung, kam nach der Aufbruchstimmung der späten 1960er Jahre (die sowieso nur einen Teil der Bevölkerung mitriss - in Westdeutschland wollte längst nicht alle mit Bundeskanzler Willy Brandt "mehr Demokratie wagen") spätestens nach der "Ölkrise" 1973 die Ernüchterung. Zudem rächte es sich in dieser Zeit, dass in den 1950er und 1960er Jahren, der Begriff "Fortschritt" (Wandel zum Besseren) in der medialen Öffentlichkeit zumeist auf "technischen Fortschritt" und dieser wiederum auf "technische Neuerungen" reduziert worden war. Wer etwas gesellschaftlich bewegen wollte, musste sich anpassen - die Umweltschützer etwa an die oft stockkonservativen Naturschützer, während die "68er" (und noch mehr "69er"-Nachläufer) beim "Marsch durch die Institutionen" das Klüngeln und den Opportunismus lernten. Andere lernten, sich und ihre Idee zu verkaufen - so gut, dass am Ende oft nur nur heiße Luft als "Idee" verkauft wurde.

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