Goldene Worte - bleierne Realität

Ja, da hat Miriam Meckel Recht:
Wir brauchen Menschen, die von ihrem Schreibtisch aufstehen und sich von ihrem Computer lösen, um zu beobachten, was in der Welt geschieht. Wir brauchen Menschen, die unter Recherche mehr als die Eingabe eines Begriffs in eine Suchmaschine verstehen. Die mit anderen Menschen sprechen, um zu verstehen, was sie bewegt und ihr Leben bestimmt. Wir brauchen Menschen, die diese Geschichten so erzählen können, dass andere sich für sie interessieren.
Was, so sehe ich es, auf einige andere Aussagen in ihrem Artikel Qualitätsjournalismus: In der Grotte der Erinnerung nicht zutreffen dürfte.

Lassen wir mal die wohldokomentierte Tasache beiseite, dass Frau Meckel Partnerin der Brunswick Group, eines international tätigen Unternehmens für Strategieberatung ist. Wobei die Brunswick Group ja auch den "Journalistenschreck" David Montgomery, den Medien-Finanzinvestor, berät, einen knallharten Kostenminimierer und Redaktions-Einschrumpfer. Ich vermute zwar, dass sie damit mehr Geld verdient, als als "Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen", und damit keineswegs eine neutrale Expertin ist, aber da heißt noch lange nicht zwangläufig, dass der Artikel verlogen ist. Schließlich ist sie nicht die persönliche Beraterin Montgomerys, eines der real existierenden "Totengräber des Qualitätsjournalismus".
Ich nehme sogar an, dass die Frau Professorin ehrlich glaubt, was sie da schreibt.

Ich bin zwar kein berufsmäßiger Journalist, aber ich weiß aus Gesprächen mit "Profis" in etwa, wie der reale Redaktionsalltag im Jahre 2009 so aussieht. Nämlich trübe. Wenn ich z. B. erfahre, dass in einer Online-Redaktion der einzige Mitarbeiter, der überhaupt Zeit und Energie hat, mal den Schreibtisch zu verlassen und für Recherchen nach draußen zu gehen, die Praktikantin ist, dann ist das, nach allem was ich weiß, nicht untypisch. Ebenso wenig, wie dass Zeitungsredaktionen heutzutage hauptsächlich mit dem Umschreiben von Pressemeldungen und dem Aufbereiten von Agenturtexten beschäftigt sind. Oder dass die meisten Texte von Volontären und Praktikanten verfasst werden, während erfahrenere Journalisten, etwa als Chefredakteure, sich mehr denn je mit betriebswirtschaftlichen und administrativen Tätigkeiten, mit Produktmanagement, herumschlagen müssen. Für investigative Recherchen fehlen meistens schlicht die Mittel.
Näheres überlasse ich einem Bloggerkollegen, der selbst Journalist ist, und uns Blogger keineswegs schont (im Gegenteil); und einem bloggendem Journalisten.

Ich habe den Eindruck, dass Meckel im "Entweder-Oder"-Denken gefangen ist. Entweder, das bisherige Geschäftsmodell der Medienunternehmen finanziert weiterhin den Journalismus - oder der recherchierende und reflektierende Qualitätsjournalismus verschwindet. Bis auf das von ihr als unzureichend beschriebenen Stiftungsmodell Huffingtons erwähnt - oder kennt? - die Medienwissenschaftlerin keine anderen Modelle. (Das ist etwa so, als würde ich behaupten, ein Musiker könne nur mit einem Plattenvertrag mit einen "Major Label" Geld verdienen, abgesehen von einer Handvoll Musikern in öffentlichen oder durch Stiftungen finanzierten Einrichtungen.)

Wie sieht es bei mir persönlich, einem Blogger und Gelegenheitsjournalisten (manche sagen: Möchtegernjournalisten) aus?
Frau Meckel hat natürlich recht, ein Großteil der Inhalte, die in Weblogs präsentiert und diskutiert werden, stammen aus der Recherche und Publikation der traditionellen Medien. Dass trifft auch auf mein Senfblog zu.
Allerdings kommt auch der Inhalt "tradioneller Medien", siehe oben, größtenteils aus zweiter Hand.
Ich behaupte mal ganz frech: Auf einige Gebieten traue ich mir ohne Weiteres zu, kundiger als die meisten Journalisten zu sein. Das trifft auf viele Blogger in noch größerem Maße als mich zu. Was, zusammen mit der Tatsache, dass "Amateure" selten unter Zeitdruck stehen, dazu führt, dass nicht nur die "Kommentare", sondern auch die "Hintergrundartikel" auf Blogs oft qualitativ besser sind, als die in den "traditionellen Medien".
In meinem Fall kommt noch hinzu, dass ich, vor allem auf den Seiten von "Nornirs Ætt", gern Nachrichten aufgreife, die im "Mainstream", aus welchen Gründe auch immer, untergehen. Auch dieses "Heben versunkenen Schätze" betreiben viele Blogger. Und nicht wenige von ihnen machen das weitaus besser, als die unter Auflagen- und Quotendruck, eventuell auch noch unter dem Druck der Agenda ihres Verlages oder ihres Senders, stehenden klassischen Medien.

Außerdem hätte sie sogar bei meinen wenig ambitionierten Blog Unrecht, wenn sie meint, dass (abgesehen von persönlichen Befindlichkeiten und Alltagsgeschichten) nichts wirklich Neues darin stünde.
Erst recht gilt das für die Blogs von Experten und politisch engagierten Bürgern, deren Inhalten mitunter später von den klassischen Medien aufgegriffen werden. (Aktuelles Beispiel: Zensursula. Denn zuerst jubelte die Maistream-Medien fast unisono über den "Stoppschild"-Gesetzentwurf, die sachkundige Kritik kam "aus dem Internet".)

Trackback URL:
https://martinm.twoday.net/stories/5697505/modTrackback

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 6725 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren