"Die Aggression und nackte Gewalt ging von rechter Seite aus" - Nachlese zur Demo

"Die Aggression und nackte Gewalt ging von rechter Seite aus",
sagte Polizei-Einsatzleiter Peter Born am Freitag vor Journalisten.
Hamburg: Schuldsuche Schuldsuche nach den Mai-Krawallen - Viele Verletzte, viele Festnahmen und viele Fragen Wobei: die Suche nach "Schuldigen" - abgesehen von den Neonazis, ohne die der Krawall nie stattgefunden hätte - ist keine gute Idee, jedenfalls nicht, solange es dringendere Probleme gibt.

Interessanter ist schon die Suche nach den Ursachen. Und die liegen m. E. ziemlich deutlich zu Tage:
Dass die Nazis brutal und auf Krawall aus sind, war bekannt. Neu waren der sogenannte autonomen nationalistischen Block - man kann auch sagen: organisierte Schlägertrupps, die hauptsächlich in den neuen Bundesländern regelrecht rekrutiert wurden. Sie machte zwar "nur" 200 der rund 1.500 in Hamburg versammelten Rechtsextremisten aus, rissen aber sicherlich viele "Nazi-Deppen" durch ihr Beispiel mit.
Zur Eskalation beigetragen haben leider auch "Randalekids", nach eigenem Verständnis auf Seiten der Gegendemonstranten, und jene "Testosteronbolzen" (distelfliege) die "revolutionäre" Gewalt romantisieren bzw. Selbstbestätigung im Kampf suchen. Diese dürfen auf keine Fall mit den (überwiegend schon ein paar Jahre älteren) "klassischen Autonomen" verwechselt werden, die zwar vor der gewaltsamen Auseinandersetzung nicht zurückschrecken, aber erst denken und dann zuschlagen. Im Grund spielten die Randalekids den Nazi-Schlägern in die Hände bzw. Fäuste. Allerdings: ohne die Nazidemo wäre auch die Randale der Randale-Kids nicht eskaliert. Die Blockade der Bahnstrecke kann z. B. auch als verzweifelte Abwehrmaßnahme gesehen werden.

Die Planung der Gegendemonstration war gut, und gegen einen "herkömmlichen" Naziaufmarsch wäre die Taktik, öffentliche Räume buchstäblich zu "besetzen" auch aufgegangen. Die Kritik an der OLG-Entscheidung ist m. E. überzogen - und nach der ursprünglichen Planung hätten Schlägertrupps unter Umständen in Barmbek-Nord (einem dicht bewohnten Stadtteil mit hohem Einwanderanteil, der allerdings kein "verarmtes Ghetto" ist) freie Bahn gehabt.

Bemerkenswert erscheint mir, dass in der Nähe vom Barmbeker Bahnhof (einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt) schon lange vor der Nazi-Demo und der Gegenveranstaltung mehr als 100 Nazis sich mit eine etwa gleich großen Gruppe teils linker Autonomer, teils wohl auch kampfgeiler Randalekids heftig prügelten. "Wenn sich die Polizei nicht dazwischengeworfen hätte, dann hätte es Tote gegeben", sagte Einsatzleiter Born, und damit hat er wohl leider recht. (Auch wenn die Polizeitaktik nach Angaben von Leuten, die näher dran waren als ich, nicht ganz "ohne" war. Die typischen Gummiknüppel-Kopfplatzwunden haben sich verletzte Demonstranten kaum selbst zugefügt.) Subjektiv mag es ja ehrenwert sein, den Nazis eine Tracht Prügel verpassen zu wollen, aber: klug handeln geht anders. Und ich fürchte, die Toten hätte es nicht auf Seiten der Nazis gegeben.
Eigentlich hätte schon dann die Nazi-Kundgebung mit dem Hinweis auf die nicht zu gewährleistende öffentliche Sicherheit abgesagt werden müssen.

Obwohl ich schon ein paar "heftige" Demos mitgemacht habe, habe ich so etwas noch nicht erlebt - brennende Autos schon, aber regelrechte brennende Barrikaden noch nicht. Sinnlose Aktionen, wie das Anzünden des Reifenlagers (damit im Hintergrund auch was brennt, wie man es aus Action-Filmen kennt?) oder das Anzünden von Autos "aus Verdacht" (wenn das einzige Indiz, es mit einem Nazi-Auto zu tun zu haben, eine Autonummer mit "1488" ist, dann sind "Fehlgriffe" unvermeidlich) zeugen eher von Hysterie und purer Lust auf Gewalt, als von politischem Bewusstsein.

Auch, dass große Helikopter zusätzliche Polizeihundertschaften z. B. aus Berlin einflogen und dass die Feuerwehr, um nicht selbst in Gefahr zu geraten, nicht zum Löschen durchkam (und sogar von Nazis direkt angegriffen wurde!) habe ich noch nicht erlebt.

Was mich selbst angeht: ich war nicht "mittendrin", sondern "nur dabei" und wollte eigentlich nur an einer friedlichen Gegendemo teilnehmen. In unmittelbarer Gefahr befand ich mich nicht. Trotzdem war ich froh, als ich weg war.

Zur Berichterstattung in den Medien: mir ist aufgefallen, dass bei im großen und ganzen friedlichen Demos gern von "Randale" berichtet wird, sprich dramatisiert wird. (Den einsamen Spitzenplatz erreichte in dieser Beziehung das "Bocholt-Borkener Volksblatt", das nach einer völlig friedlichen Anti-Nazi-Demo titelte: "Nach der Demo die Randale" - wobei grade mal ein Ei geflogen war.)

Dieser Dramatisierung steht im Falle der Straßenschlachten am 1. Mai eine gewisse Zurückhaltung bzw. ein in vielen Medien sichtbares Bestreben, die Sache niedrig zu hängen, gegenüber.

Sehr gut, wie immer, wenn es um Nazideppen geht - Pantoffelpunk: Randalekiddies.
Besonders schön - Peltos Kommentar:
Ach, hin oder her, das war schon ein schöner Tag. Die ganzen Poster in den Barmbeker Fenstern! Die sich über die Nazispacken empörenden Kleingärtner! 10.000 gegen 700, na, wenn die Blizbirnen immer noch glauben, das Volk zu sein: Nazis - mehr Haare als Verstand.
Ich fand zwar, der Tag hätte schön sein können - aber Pelto hat recht: die Unterstützung der Barmbeker gegen den Nazi-Aufmarsch war schon erfrischend. (Mehr als 700 Nazideppen waren es dann leider doch.)

Nachtrag: Darauf, dass die Krawalle wenig mit den Autonomen, aber sehr viel mit Randalekids und Krawallniks mit Testosteronüberschuss zu tun hat, deutet auch dieser Bericht in der taz hin: 1. Mai-Krawalle in Hamburg
Auch die nächtliche Randale im Szenestadtteil Schanzenviertel im Verlauf eines Antifa-Konzerts im autonomen Stadtteilzentrum Rote Flora unter dem Motto "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen" hatte nichts mit autonomer Politik zu tun. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei flogen Steine auf die Einsatzkräfte, und bei einem anschließenden Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei gingen 20 Müllcontainer und zwei Autos in Flammen auf. "Die Leute von der Roten Flora haben noch versucht, beruhigend einzuwirken", so Einsatzleiter Born. "Das Konzert war auch völlig friedlich." Ein Rotflorist bestätigt: "Wir hatten auf den Scheiß keinen Bock."
Noch ein Nachtrag: Burkhard Schröder Betrachtungen (wie immer lesenswert) auf telepolis: Die Lehre aus den Krawallen in Hamburg.
Ein Absatz gibt mir zu Denken:
Der voyeuristische Unterhaltungswert aber für Leute, die Gewalt und Straßenkampf nur aus Filmen kennen, ist hoch, weil die Authentizität mehr interessiert als die Medienberichte, deren Bilder und Filmsequenzen nur das wiederholen, was ohnehin schon oft und genau so vorgekommen ist. "Die schlimmsten Krawalle seit 30 Jahren": Wer dabei war, kann und will etwas davon erzählen.
Was die Teilnehmer der Gegendemo angeht, hatte ich nicht den Eindruck, dass unter uns viele darauf scharf waren, Straßenschlachten und brennende Autos "live" zu sehen. Was die "Randalekids" angeht, hat Burks wohl Recht. Endlich mit den alten Knackern, die so von Brokdorf ´77 oder Hafenstraße ´82 so erzählen, wie Opa von der Ardennen-Offensive, gleichziehen! Und was werden die Kumpels in Buxtehude, Wismar oder Gütersloh staunen!
Straßenkampf als Adoleszenzritual und Abenteuerurlaub. Distel, Du hast ja so recht!
Und Burks hat wohl auch recht, wenn er meint: Die Krawalle sind jedoch langfristig politisch bedeutungslos.
Wirr-Licht - 5. Mai, 18:20

gewalt

ist scheisse. und dennoch lass ich mir nicht MEIN beltane von irgendwelchen blöden agrodeppen vermiesen. das hat miteinander nur sehr wenig zu tun.

MMarheinecke - 5. Mai, 18:49

Das sehe ich auch so, aber ich war bekanntlich nicht auf einer Beltaine-Feier, sondern einer Demo und auch bei Distel geht es, wenn ich sie richtig verstehe, um die Walpurgisnacht-Frauendemo, die erheblich unter den zeitgleichen Aktionen krawallbereiter Jungmännern leidet.
distelfliege - 8. Mai, 21:01

auf ner Beltanefeier..

..hätt ich mich auch nicht viel wohler gefühlt *muahahaha*
Is schon gut daß ich mir so nen schönen Tag gemacht habe ;)

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