"Summer of Love VII" - Hippie-Pop und Hippie-Kommerz

In lockerer Folge schreibe ich im Laufe der Sommermonate über den "Sommer of Love" 1967, der in Wirklichkeit ein politisch, gesellschaftlich und kulturell "heißer" Sommer war, schreiben. Bisher gab es schon einen kleinen ironischen Text zum "Sommer of Love", einen Artikel zum "heißen Frühsommer" im West-Berlin des Jahres 1967 und einen kleinen Aufsatz, in dem ich zu zeigen versuchte, dass die Hippies mehr als nur "Blumenkinder" waren. Das Ende des chemischen Pfingstens schließt sich inhaltlich an die Beitrag LSD - die "Wunderdroge" und den nicht zur "Serie" gehörenden Text 70 Jahre Marihuana-Verbot an. Der sechste Teil der Serie widmet sich der Unvollständigen Sexuellen Revolution.

Im Rückblick erscheinen die späten 60er und frühen 70er Jahre als die Ära der grellbunten Pop-Farben. Wobei im Einzelnen nicht zu klären ist ist, ob die grellen, plakativen Farben der Pop-Art das Design oder das grellbunte Design die Pop-Art inspirierte. Eines ist jedenfalls klar: das kommerzielle Design und die Mode dieser Zeit machte viele Anleihen bei der Hippie-Kultur.

Eine Legende kann ich leicht widerlegen: die Einführung des Farbfernsehens 1967 hatte nichts mit der Farbenfreude der Zeit zwischen 1966 und 1974 zu tun. Schon deswegen, weil es 1967 / 1968 nur wenige Fernsehsendungen in Farbe gab (Anfangs nur vier Stunden pro Woche) und Farbfernseher etwa vier mal so teuer wie Schwarzweiß-Fernseher waren und entsprechend wenige Leute einen Farbfernseher hatten. Erst ab Mitte der 70er Jahre kann man davon ausgehen, dass Farbfernsehen "nichts Besonderes" mehr war. Das Farbfernsehen erforderte am Anfang eine sehr helle Beleuchtung, weshalb grelle Farben und strahlendes Weiß gar nicht gingen - weiße Hemden wurde, damit sie trotz greller Reflexion "natürlich" wirkten, mit kaltem Tee "gegilbt", ansonsten wurden Pastelltöne bei der Kleidung bevorzugt. Das gilt allerdings nur für Fernsehproduktionen, wenn auf Farbfilm produziert wurde, konnte man es schon "bunt" treiben. Am Rande vermerkt sei, dass es trotzdem einen Einfluss des Farbfernsehens auf die Mode gab: vor 1967 waren Kleider und Anzüge mit Pepita-Muster und kleinkarierte Hemden modern. Im analogen Farbfernsehen rufen kleinkarierte Muster allerdings lästige Moiré-Effekte hervor, weshalb sie für Auftritte vor der Fernsehkamera (bis heute) absolut tabu sind. Weil das, was z. B. von Fernsehmoderatoren getragen wird, starken Einfluss auf die Alltagsmode hat, verschwanden Pepita und andere Kleinkaros fast völlig aus dem Sortiment der Textilindustrie. (Leider sind kleinkarierte Weltbilder im Fernsehen problemlos übertragbar.)

Aber zurück zum Hippie-Kommerz. An sich eigneten sich die bescheiden lebenden, sich bewusst dem "Konsumterror" entgegenstellenden, Hippies nicht als Zielgruppe - außer vielleicht für Schallplatten.
Es gab auch Künstler - wieder vor allem Musiker - die aus der Hippie-Kultur hervorgingen, und aus diesen Wurzeln Kapital schlugen. Von denen ist hier aber nicht die Rede. Es geht auch nicht um Musiker, Künstler, Schreiber, die sich wie z. B. die Beatles von den Hippies inspirieren ließen. Selbst das Musical "Hair" zähle ich, trotz seines enormen kommerziellen Erfolgs, nicht wirklich zum "Hippie-Kommerz". Auch wenn viele Alt-Hippies das anders sehen dürften.
Es geht darum, dass die "exotische" Subkultur der Hippies sich sehr gut vermarkten ließ. Für so ziemlich alles.
Versatzstücke der Hippie-Kultur wurden in die sich nun entstehende Pop-Kultur integriert - wobei die Pop-Kultur anfangs durchaus nicht gleichbedeutend mit "Mainstream" war, in den 60er Jahre wurde sie noch als Jugendkultur betrachtet; eine der beliebtesten Rock- und Popsendungen des NDR-Rundfunks hieß schlicht "Musik für junge Leute" und galt als Teenagerprogramm. Jedenfalls so lange, bis die Hörerbriefe von über 20- und sogar über 30-jährigen nicht mehr zu übersehen waren.
Hippie-beeinflusster Pop - das waren Rock, Folk, Blues, und sogar psychedelische Musik (dazu im nächsten Teil mehr), allerdings gefällig arrangiert und "radiotauglich" gemacht.
Obwohl die Hippies von konservativen Menschen als Gammler, Chaoten und Langhaarige diffamiert wurden, war die "sanfte Rebellion" doch für den "Mainstream" akzeptabler, als z. B. die politisierenden "68er" (die eigentlich "67er" heißen müssten) - oder die martialisch wirkenden "Rocker", die bald das pauschale Image weg hatten, gewalttätig und kriminell zu sein. Hippie - das hatte etwas romantisches, abenteuerliches - und als Pazifisten sie taten niemandem absichtlich weh.
Nicht jeder konnte oder wollte Hippie sein. Aber ein wenig "auf Hippie" machen, das war ab 1967 "in". 1968 bezeichneten sich, wenn man der Wikipedia glaubt, immerhin 0,2 Prozent der U.S.-Bevölkerung als "Hippies" - die "Sympathisanten" und "Nachahmer"-Szene dürfte weitaus größer gewesen sein.

Ein Zweig des "Hippie-Kommerzes" benutzte das "Prinzip Steinbruch". Dabei ist der Übergang zu jenen Künstlern, Designern, Modeschöpfern, die sich inspirieren ließen, natürlich fließend. Die Hippies verwendeten und entwickelten "alternative" Kunstformen; entdeckten das Straßentheater neu, belebten die Folk-Music. Kulturelle und modische Einflüsse aus Indien erreichten Europa und Nordamerika damals indirekt, über trampende Hippies, die die kulturellen Vorurteile vieler "reicher" westlicher Indienreisender nicht teilten.
Typisch für den originalen Hippie-Stil war, dass sich die Geschlechter optisch anglichen. Sowohl Männer wie Frauen trugen Jeans und langes Haar. Immerhin konnte man Hippiemänner oft am Vollbart identifizieren. Es dauerte nur wenige Jahre, bis diese Merkmale der Hippie-Stils bei den "Stinknormalen" angekommen war.
Hippies bevorzugten bunte Farben und für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Kleidungsstücke: Hosen mit weitem Schlag, bestickte Westen, Batik-gefärbte Kleidung. Sowohl die ultrakurze Variante des Mini-Rocks wie sein genaues Gegenteil, der weite, bodenlange Schlabber-Rock, drangen über die Hippie-Kultur und ihre Nachahmer in die Modewelt ein. Kleidung nach indianischen, indischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Vorbild waren bei den Hippies beliebt - und zogen wenig später den "Folklore-Look" nach sich. Dabei ist die Ironie nicht zu übersehen, dass die Hippies aus
Protest gegen der "Konsumterror" selbstgemachte oder selbst "aufbereitete" gebrauchte Kleidung bevorzugten - und eben jene Textilindustrie, die sie verachteten, von der durch ihr Vorbild geprägte Mode profitierte.

Es gab aber auch eine andere Art der "Hippie-Vermarktung", die für die Art und Weise, wie "exotische" Minderheiten medial "verbraten", in die "Pfanne gehauen", dämonisiert wurden, geradezu archetypisch war. In der damaligen "Berichterstattung" der "Bild" über Hippies findet man Klischees wieder, die noch heute in der "Berichterstattung" der Boulevardmedien über "komische Außenseiter". Grundprinzip: Exotenschau und der Appell: "Was können Sie froh sein, dass Sie nicht so sind wie diese peinlichen Spinner!"
Im "Sommer of love" 1967 reisten schätzungsweise 100.000 Hippies nach San Francisco. Die Medien waren ihnen auf den Fersen, und richteten ihre Aufmerksamkeit auf den Haight-Ashbury-Distrikt. Nicht alle Medien schlachteten die "Hippiemania" in besagter Weise aus, tatsächlich machten sie die "Hippies" erst weltweit zum Begriff. Liberale und "linke" Medien sympatisierten mit den Idealen der Hippies, "love and peace", obwohl auch von dieser Seite manchmal Kritik am Lebensstil geübt wurde. Anders sah es in den konservativen Medien und vor allem der "unpolitischen" Sensationspresse aus. Sie fokussierte sich auf die "arbeitsscheue", "drogenverherrlichende" und "unsittliche" Seite. Die freie Sexualität der Hippies wurde zum Objekt (buchstäblich) sensationsgeiler Spekulationen, nach dem Prinzip: erst mutmaßen, welchen "Schweinereien" sich die "Gammler" hingeben - und ihnen anschließend jene "sexuellen Perversionen", die man selbst ihnen unterstellt hatte, zum Vorwurf machen.
In den USA führte das zur moralischen Panik unter kulturell konservativen - und die religiöse Rechte predigte Vorwürfen der Dekadenz und Gottesferne bestätigt.
In Europa sah man das etwas gelassener, vermutlich, weil die "Hippies" als "harmlos" galten.
Der Kern der Hippiephilosophie war (und ist) ein kompromisslos freiheitlicher, pazifistischer, sozialer, toleranter Individualismus - wobei es dieser Individualismus ist, der sie von vielen "Alternativlern" der späten 70er und frühen 80er Jahre abhob - aber auch eine Gemeinsamkeit zu anderen Subkulturen, wie den bereits erwähnten "Rockern" (abgesehen von der Gewaltlosigkeit) darstellte. "Spät-" und "Neo"-Hippies neigen oft zu anarchischtischen Denkweisen; sie werden gerne der legendären gesellschaftlichen Gruppe der "kulturell Kreativen" zugerechnet.

Kommerziell besonders folgenschwer war der Hang der Hippies zu teil naturreligiösen, teils esoterischen Vorstellungen. Die aus der Theosophie stammende Vorstellung von bevorstehenden "Wassermannzeitalter" wanderte über die Hippie-Subkultur von obskuren theosophischen Zirkeln in das allgemeine kulturelle Bewusstsein. Man kann sagen: ohne Hippies keine "New Age"-Welle, aber auch keine Kommerz-Esoterik.

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