Franz Alt entpuppt sich wieder mal als alter naiver Alternativer

Franz Alt behauptet in seinem Artikel Keine Angst vor Biosprit.
Was in die Tanks der Auto fließt, können wir nicht essen.
und zeichnet auch sonst ein recht rosiges Bild vom Einsatz von Agrar-Diesel und Agrar-Alkohol als Treibstoffe.

Nun, leider wird Agrar-Alkohol zumeist (noch) aus Pflanzen gewonnen, die bisher in erster Linie als Nahrungsmittel angebaut wurden. Angeblich wird bereites rund ein Viertel der US-Maisproduktion für die Treibstoffgewinnung genutzt (Wirtschaftswoche: Steigende Lebensmittel-Preise erzürnen die Amerikaner). Ob die Preissteigerungen für Mais in erster Linie darauf zurückzuführen sind, ist zwar fraglich, ohne Preisseffekt bleibt die "Maisverspritung" aber sicher nicht. Und überhaupt nicht fraglich ist, dass gestiegene Maispreise vor allem für das benachbarte Mexiko ein soziales Problem ersten Ranges sind.

Noch größer ist das Problem im Agrarsprit-Vorreiterland Brasilien. Die Energiepflanzen - vor allem Zuckerrohr - werden in riesigen Monokulturen angepflanzt, mit allen bekannte ökologischen Nachteilen. Hinzu kommt, so kritisiert der internationale Kleinbauernverband La via Campesina, dass nicht die Kleinbauern, sondern Großgrundbesitzer vom Energiepflanzenboom profitieren – auf Kosten von vielen Millionen Kleinbauern, die gerade in in Brasilien schon lange buchstäblich ums Überleben kämpfen.

Beim "Biodiesel" gibt es ein Problem, über das ich schon vor über eineinhalb Jahren bloggte - nämlich, dass für seine Herstellung im großen Umfang importiertes Palmöl eingesetzt wird, und dass für neue Palmöl-Plantagen Regenwald abgeholzt wird: Biokraftstoff ist schlecht für den Regenwald und Den Teufel mit dem Belzebub ... .

Alt jubelt:
Jetzt bekommen die Bauern endlich höhere Preise für ihre wertvollen Produkte. Sie haben eine Alternative zur bisherigen Lebensmittelproduktion. Bald könnte Schluss sein mit der Überproduktion und dem Vernichtungswahnsinn am Lebensmittelmarkt.
Ja, es könnte sinnvoll sein - da die EU-Landwirtschaft tatsächlich Überschüsse produziert. Aber: In der Europäischen Union sollen bis 2020 insgesamt zehn Prozent des Treibstoffes durch Agrar-Alkohol bzw. -Diesel ersetzt werden. Selbst für dieses vergleichsweise bescheidene Ziel reicht die Anbaufläche innerhalb der EU-Grenzen nicht aus, wenn man bei der herkömmlichen "Verspritung" bzw. Ölveresterung bleibt.
Aber statt das nahende Ende des Wahnsinns zu begrüßen, wird in Deutschland schon wieder gejammert: Die Flächen reichen nicht aus, um alle Autos mit Biosprit zu betanken!
Sie reichen nicht einmal für 10 % der Autos aus!
Wer will das denn? Biosprit ist selbstverständlich nur ein Teil der Lösung. Elektroautos, Wasserstoffautos, Hybridautos und vor allem kleinere, sparsamere Autos kommen hinzu.
Stimmt. Und auch der von Alt angesprochene Ausbau der öffentlichen Verkehrmittel dürfte sinnvoll sein.

Das Grundproblem bleibt aber, dass "Biotreibstoff" fast ausschließlich aus primären Agrarrohstoffen gewonnen wird - aus dem "Hauptprodukt" der angebauten Pflanze, das zugleich Nahrungmittel ist: Rapsöl, Maiskörner, Rohrzucker, Palmöl usw. . Sinnvoller ist es, die Biotreibstoffe aus sekundären Argarrohstoffen (z. B. Maisstroh) oder gar aus Abfällen zu gewinnen. Technisch machbar ist es, z. B. berichtete "nano" vor einiger Zeit über Treibstoff aus Müll.

Sehr lesenswert was im amerikanischen "Rolling Stone" online zu "Biosprit" steht: Ethanol Scam: Ethanol Hurts the Environment And Is One of America's Biggest Political Boondoggles
Gregor Keuschnig - 9. Aug, 09:45

Mit diesen Argumenten setzt sich jemand wie Franz Alt natürlich nicht auseinander.

Ich glaube ja, dass Alt der prototypische Vertreter der alternativen Bewegung ist, der dieser mit seinen vor Komplexitätsreduzierungen strotzenden Thesen mehr Schaden zufügt als Nutzen stiftet. Ein Beispiel, das eine "gute Gesinnung" nicht automatisch Gutes bewirkt.

joker (Gast) - 9. Aug, 09:48

Jain!

>> Sinnvoller ist es, die Biotreibstoffe aus sekundären Argarrohstoffen (z. B. Maisstroh) oder gar aus Abfällen zu gewinnen.

Das auch nur zum Teil. Die verwerteten Stoffe (Spelzen, Stroh, Maisstroh) fehlen in der Nährstoffbilanz des Ackers und müssen deshalb u.U. wieder - z.B. über Mineraldünger - zugefügt werden. Das verlangt (sinnvollerweise) die 'gute, fachliche Praxis'.

Die Alt'sche Euphorie ist mE ein Beleg für die allgemeine Erkenntnis, daß etwas (in Bezug auf die Energiefrage) passieren muß. Allerdings fehlt - wie in der Vergangenheit - die Möglichkeit, ganzheitliche Aspekte (soetwas wie eine 'soziale und ökologische Vollkostenrechnung') beiseite zu lassen.

Köppnick - 9. Aug, 20:53

In Diamonds "Kollaps" wird erwähnt, dass wir bereits etwa die Hälfte der weltweiten Photosynthesekapazität nutzen - das war einer der Fakten im Buch, der mir vollkommen neu war. Da der Wirkungsgrad der Photosynthese sehr gering ist, ich schätze, dass die Pflanzen maximal 1% der auf sie fallenden Sonnenenergie in organische Energie umwandeln, ist die Verwendung von Pflanzen als Energiequelle vermutlich der schlechteste Weg der Energiegewinnung.

Wenn die Erdbevölkerung von jetzt 6,5 auf über 11 Milliarden angewachsen ist, brauchen wir alles, was wir ernten können, für unsere Ernährung. Außerdem produziert die Verbrennung organischer Materie unter den Bedingungen kleiner Trieb- oder Kraftwerke zu viele Schadstoffe.

Die wichtigste Energiequelle der nahen Zukunft ist die Energieeinsparung. Wenn man damit wirklich ernst machen würde, käme man mit dem Abschalten von überflüssigen Kraftwerken gar nicht hinterher.

Gregor Keuschnig - 10. Aug, 10:13

Energiesparen

Das ist ja genau das, was der Bevölkerung nicht "zugemutet" werden soll: Gabriel im ZEIT-Interview "Klimaschutz tut nicht weh". Zitat: Zumutungen? Wer glaubt, Klimaschutz müsse den Verbrauchern richtig wehtun, ist schief gewickelt. Das ist falsch.

Letztlich schlagen alle (von Alt bis Gabriel) in die gleiche Kerbe: Man braucht seinen Lebensstil kaum zu verändern; alle machen weiter so und vertrauen auf neue Techniken.
MMarheinecke - 10. Aug, 11:14

Ganz so falsch liegen die nicht ...

... jedenfalls technisch gesehen. Es gibt ein Riesenpotenzial bei der Energieeffizienz, und ein gerade enormes Potenzial an regenerativen Energiequellen, während viele der diskutierten Einsparmöglichkeiten durch persönliche Verhaltensänderungen eher symbolischen Wert haben.
Das politische und ökonomische Problem: der Umstieg auf ein energieffizientes Energieversorgungssystem, ausschließlich aus regenerativen Quellen, wäre mit starken kurzfristige ökonomischen Nachteilen verbunden. Es tut "weh" - und zwar zuerst in den Bilanzen in Deutschland tätiger Unternehmen der Energiewirtschaft.
Oder anders ausgedrückt: es ist wahrscheinlicher, dass eine deutsche Regierung Urlaubsflüge verbietet, als dass sie die Energiekonzerne zerschlägt - oder die Autoindustrie auf einen Flottendurchschnittsverbrauch von 3 Liter festnagelt.

Alt schlägt durchaus in eine andere Kerbe als Gabriel und schlug schon mal einen "energie-asketischen" Lebensstil vor. (Da schlägt der "Jesus-Fan" in Alt durch.)

Äh, noch was:
Wenn die Erdbevölkerung von jetzt 6,5 auf über 11 Milliarden angewachsen ist, brauchen wir alles, was wir ernten können, für unsere Ernährung.
In diesem, wie in vielen anderen Punkten, denkt Diamont aber extrem konservativ (was ich nicht teile) und ausgesprochen pessimistisch (was ich, mit Seitenblick auf Politik und Ökonomie, gut verstehen kann). Der "alles, was wir ernten könne"-Punkt dürfte jenseits von 15 Milliarden Menschen liegen - einer Weltbevölkerung, von der ich so oder so nicht erwarte, dass es sie in den nächsten Jahrhunderten geben wird.
Gregor Keuschnig - 13. Aug, 15:27

Potential

Natürlich gibt es, was Energieeffizienz angeht, ein Riesenpotential. Aber es ist fatal, den Leuten zu suggerieren, sie brauchten ihren Lebensstil nicht zu ändern - nur ein bisschen weniger "stand-by", statt Glühbirnen Energiesparlampen, ein Grad weniger heizen im Winter [die Winter sollen ja eh milder werden!] und ein bisschen Steinwolle auf die Aussenwände: fertig.

So wird das nicht funktionieren. Und es ist politische Dummheit sich im Falle von Klimaschutzmassnahmen heute wie weiland 1989 hinzustellen, und zu sagen, die deutsche Einheit bezahle man aus der Portokasse.

Zur Weltbevölkerung: In Heinsohns Buch "Söhne und Weltmacht" ist dargelegt, dass es seit mindestens 200 Jahren heisst, bei einer Weltbevölkerung von X gibt es kein Nahrungsangebot für alle mehr. Fakt ist: Nie war das Nahrungsangebot grösser als heute; theoretisch bräuchte bereits heute niemand mehr Hunger leiden (wenn die Verteilung besser "organisiert" wäre). Die "Ernährungsfrage" bei steigender Weltbevölkerung ist das kleinere Problem - das grössere Problem ist, dass die Ressourcen dann irgendwann nicht mehr ausreichen (weil man den Leuten den "westlichen" Lebensstil auf Dauer nicht vorenthalten kann).
Köppnick - 13. Aug, 22:31

@Gregor

Das Argument mit den "seit 200 Jahren" ist irreführend. Beispiel: Wir haben einen See von 100 km2mit einer Seerose, die eine Blattfläche von 10 cm2 hat. Jeden Tag verdoppelt sich die Blattfläche. Es dauert reichlich 33 Tage bis der See zugewachsen ist. Die ersten 27 Tage sieht man kaum eine Seerose, die Bedeckung liegt unter 1%. Das Problem wird nicht gesehen. Nach 30 Tagen hat man eine Bedeckung von 10%, das Problem wird erkannt. Nach weiteren 3 Tagen ist der See zugewachsen.

Konkret auf das Etnährungsproblem: Ich habe es vor einigen Jahren über die Kalorienbilanz mal ausgerechnet: Fläche mal Sonnenenergie mal Wirkungsgrad der Photosynthese durch Kalorienbedarf eines Menschen und bin auf eine Größenordnung von ca. 50 Milliarden Menschen bei rein vegetarischer Ernährung gekommen. Bei rein fleischlicher Nahrung (durch 10) wären es nur 5 Milliarden Menschen. Das ist ein weiterer Beleg für die fast vollständige Ausschöpfung der von mir bereits erwähnten Photosynthesekapazität der Erde.

Mit den prognostizierten über 10 Milliarden Menschen fahren wir das System Erde an den oberen Anschlag - für nahezu alle uns bekannten Ressourcen (auch für die Klimabilanz). Ich vermute, die Menschheit wird in den folgenden Jahrhunderten die Zahl ihrer Individuen wieder verringern, vielleicht auf 2-3 Milliarden, das ist bei vernünftiger Ökologie eine verträgliche Größenordnung für das Raumschiff Erde.
Gregor Keuschnig - 15. Aug, 12:13

@Köppnick

Die Weltbevölkerung wird sich in absehbarer Zeit freiwillig nicht auf 2-3 Milliarden reduzieren; dies wird - wenn überhaupt - durch andere Vorgänge (Naturkatastrophen; Kriege) geschehen.

Zwar ist belegt, das bessere Bildungsangebote (insbesondere für Frauen) in der sogenannten Dritten Welt zu signifikanten Rückgängen bei der Geburtenrate führen. Dies wird jedoch höchstens langfristig zu gewissen Effekten führen.

Parallel wird in den westlichen Staaten die "Aufrüstung" weitergehen (siehe Familienpolitik der Bundesregierung).

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