"Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen"
Heute, am 10. Mai, ist der "Tag des Buches". Anlaß dieser Tages waren die öffentlichen Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933: Wikipedia:Bücherverbrennung 1933 - Shoa.de:Bücherverbrennung 1933.
Sie waren ein Höhepunkt der organisierten und systematisch vorbereiteten Verfolgung "unbequemer" Schriftsteller. In erster Linie marxististische, pazifististische und jüdischer Schriftsteller, aber nicht nur. Es konnte jeden Schriftsteller treffen, der Rückgrad zeigte, der darauf beharrte, selber zu denken, der seine Gedanken nicht vorzensierte. Jeden "Nicht-Opportunisten".
Und es war keine Kampagne des Propagandaministeriums, keine Inszenierung des diabolischen Dr. Goebbels, auch wenn er begeistert mitmachte. Die Aktion wurde von der Deutschen Studentenschaft geplant und durchgeführt. Und sie war kein historischer Einzelfall. Bei Weitem nicht! Ich empfehle den sehr ausführlichen Artikel Bücherverbrennung in der Wikipedia. Auch heute werden Bücher verbrannt. In den letzten Jahren mit steigender Tendenz. Und es bewahrheitet sich immer wieder auf's Neue, was Heinrich Heine schrieb:
Heine erkannte richtig: die Konsequenz aus dem Versuche, "unerwünschtes" und "unbequemes" Denken durch Vernichtung der Schriften der "unerwünschten" und "unbequemen" Denker zu eliminieren, führt zum Wunsch, auch die Denker selbst zu vernichten - und mit ihnen all jene, denen man auch nur "unbequemes" und "unerwünschtes" Denken zutraut. Eliminatorisches Denken ist in der Konsequenz immer möderisch.
Sein zweites Zitat deckt auf, in welcher Tradition die bücherverbrennenden Studenten des Jahres 1933 standen. Es zeigt deutlich: der Nationalsozialismus war kein historischer Betriebsunfall, und es war kein Zufall, dass der systematische, millionenfache Mord an "unerwünschten" Menschen, genannt "Holocaust" oder "Shoa" - wobei es wirklich kein Zufall war, dass Juden den Nazis-Mördern und ihren vielen willigen Helfern als besonders unerwünscht galten - von Deutschen verübt wurde.
Auf der Wartburg wurde gewissermaßen die Krematorien von Auschwitz angeheizt.
Damit man mich nicht falsch versteht: es gibt keine geschlosse Kausalkette, keine "historische Zwangsläufigkeit", keine "historische Schuld" (und schon gar keine "karmische Bestimmung") zwischen den Nationalromantikern des 19. und den Völkermördern des 20. Jahrhunderts. Aber damals wurden die geistigen Strukturen geschaffen, die "Denke" geprägt, die "Auschwitz" möglich machte.
Mit dieser Struktur meine ich die "Nationalromantik", die Idee vom "organisch gewachsenen Staat", die vom "deutsche Blut" und vor allem auch die Idee der "Kulturnation". Die Bücherverbrennungen auf der Wartburg ensprangen nicht zuletzt der Idee des einigende Bandes deutscher Kultur - und wer nicht dazugehören will, dessen Bücher werden verbrannt.
Typisch für die deutsche Nationalromantik ist, wie schon Heine wußte, ihr Hang, nationale Utopien in die ferne Vergangenheit zu projezieren. Zum Beispiel die "Varusschlacht" - im Jahre 9, als die Cherusker unter Arminius gegen drei römische Legionen siegten.
Für patriotische Deutsche war völlig klar, dass die “alten Germanen” durch die Bank “Deutsche” (und zwar national gesinnte Deutsche) waren. Und dass die bösen "Franzmänner" unter Napeoleon usw. zumindest die "Nachkommen" der "alten Römer" sind. Die Schlacht geriet geradezu zum Gründungsmythos Deutschlands - immerhin fast 900 Jahre, bevor zumindest einen Vorgängerstaat dessen, was man später "Deutschland" nennen sollte, gab.
Der Sieg war deshalb so “herrlich”, weil er ein Vernichtungssieg war. Generationen von Schulkindern wuchsen mit der Vorstellung auf, sie seine ein seit der grauen Vorzeit einheitliches Volk, in das “Uneinigkeit” nur durch äußere Einflüsse getragen wurde - ein “Fremder” ein “Einwanderer”, der nicht “vom richtigen Blute” ist, kann kein “wahrer Deutscher” sein.
Die "deutsche Indentität" wurde - und wird! - fast ausschließlich durch Abgrenzung gegenüber "den anderen" und durch "äußere Bedrohungen" hergestellt.
Im deutsche Nationalismus gilt nur die Vernichtung des Feindes wirklich als “Sieg” - “Hermann” (nicht zu verwechseln mit dem historischen Cheruskerfürsten Arminus) “lehrt uns, dass Kompromiss, Verständigung und sogar Gnade nichts als gefährliche Schwäche sind” und dass “wir Deutsche nur unsere Uneinigkeit fürchten müßen”.
Es gibt eine Tradition des “eliminatorischen Denkens”, gegenüber allen, die als “Volksfeinde”, als “außerhalb der Volksgemeinschaft” wahrgenommen werden. Die leider noch nicht gebrochen oder durch etwas Besseres ersetzt worden ist.
Auch nach dem Ende des Hitlerfaschismus bleib dieses Denken virulent. Sowohl die DDR wie die BRD funktionierten nur mittels Feindbilder, angsteinflößender äußerer Gegner, gegen die “wir” zusammenhalten müssen.
Seit 1989 sind die Feindbilder aus dem "Kalten Krieg" weg - und ich habe den Eindruck, dass sie vielen Deutschen fehlen.
Feindbildsuche gibt es auch in anderen Ländern, auch in solchen, die sich auf ihre liberale Tradition zurecht viel zugute halten. Aber ich habe den Eindruck, dass sie hierzulande besonders neurotische Züge annimmt. Am Auffälligsten ist das auf dem Feld der “Sicherheitspolitik” - ja, auch in anderen Ländern wird der “Krieg gegen den Terror” zum Vorwand genommen, Bürgerrechte ab- und einen Überwachungsstaat aufzubauen. Der Unterschied: in Deutschland ist das offensichtlich konsensstiftend.
Anläßlich der Bücherverbrennung vor 74 Jahren weise ich auf eine Veranstaltung in München hin: Brandfleck auf dem Königsplatz - MÜNCHEN liest - aus verbrannten Büchern. - München hat (im Gegensatz zu einigen anderen "Brandstädten") bis heute kein dauerhaftes Zeichen der Erinnerung an die in der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" groß inszenierte Bücherverbrennung.
Leider gehört auch das zum Umfeld des "Tages des Buches": Ziel der Großrazzien gegen Gegner des G8-Gipfels waren unter anderem auch drei autonome Kulturzentren, die Rote Flora in Hamburg, das Künstlerhaus Bethanien und das Kulturzentrum Mehringhof in Berlin.
Ich bin kein Gegner des G8-Gipfels an sich, allerdings ein entschiedener Gegner des bizarren Angst-Abwehr-Apparates, genannt "Sicherheitsmaßnahmen".
Im Falle der "Roten Flora" kann ich sagen: Randale an der Roten Flora - das war mal. Und wer heute behauptet, die "alternativen Kulturzentren" seien Zentren der "gewaltbereiten Linken", der lebt geistig in den 80er Jahren, als die Hafenstraßenhäuser noch keine alternative Wohngenossenschaft waren. Da werden überholte Feindbilder reaktiviert. Weil "man" sich offenbar braucht - siehe oben!
Es ist auch kein Zufall, dass es gerade Kulturzentren trifft, denn
Kultur ist subversiv. Kultur ist gefährlich. Vor allem "alternative", "autonome", nicht staatlichen oder kommerziellen Vorgaben gehorchende Kultur. Wenn ein Staat das nicht mehr aushällt, dann werden nicht unbedingt Bücher verbrannt. Aber möglicherweise bald im Interesse der Sicherheit verboten.
Die Aktionen dienen, vemute ich, nicht in erster Linie der "Sicherheit des G8-Gipfels". Sie sind vor allem Machtdemonstrationen. Einschüchtern, damit "Ruhe im Land" herrscht. Teil der Erziehung zum Duckmäusertum.
Sie waren ein Höhepunkt der organisierten und systematisch vorbereiteten Verfolgung "unbequemer" Schriftsteller. In erster Linie marxististische, pazifististische und jüdischer Schriftsteller, aber nicht nur. Es konnte jeden Schriftsteller treffen, der Rückgrad zeigte, der darauf beharrte, selber zu denken, der seine Gedanken nicht vorzensierte. Jeden "Nicht-Opportunisten".
Und es war keine Kampagne des Propagandaministeriums, keine Inszenierung des diabolischen Dr. Goebbels, auch wenn er begeistert mitmachte. Die Aktion wurde von der Deutschen Studentenschaft geplant und durchgeführt. Und sie war kein historischer Einzelfall. Bei Weitem nicht! Ich empfehle den sehr ausführlichen Artikel Bücherverbrennung in der Wikipedia. Auch heute werden Bücher verbrannt. In den letzten Jahren mit steigender Tendenz. Und es bewahrheitet sich immer wieder auf's Neue, was Heinrich Heine schrieb:
"Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen."(Almansor. Eine Tragödie, 1821) Seine Worte beziehen sich auf eine Verbrennung des Koran während der Eroberung des spanischen Granada durch christliche Ritter. Sie werden aber auch im Zusammenhang mit der Bücherverbrennung auf dem Wartburgfest 1817 gesehen, zu dem Heine schrieb:
Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren! (…) Auf der Wartburg herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anderes war als Haß des Fremden und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand, und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wußte als Bücher zu verbrennen! Ich sage Unwissenheit, denn in dieser Beziehung war jene frühere Opposition, die wir unter dem Namen "die Altdeutschen" kennen, noch großartiger als die neuere Opposition, obgleich diese nicht gar besonders durch Gelehrsamkeit glänzt. Eben derjenige, welcher das Bücherverbrennen auf der Wartburg in Vorschlag brachte, war auch zugleich das unwissendste Geschöpf, das je auf Erden turnte und altdeutsche Lesarten herausgab: wahrhaftig, dieses Subjekt hätte auch Bröders lateinische Grammatik ins Feuer werfen sollen!(Heinrich Heine: Ludwig Börne. Eine Denkschrift. Viertes Buch, 1840)
Heine erkannte richtig: die Konsequenz aus dem Versuche, "unerwünschtes" und "unbequemes" Denken durch Vernichtung der Schriften der "unerwünschten" und "unbequemen" Denker zu eliminieren, führt zum Wunsch, auch die Denker selbst zu vernichten - und mit ihnen all jene, denen man auch nur "unbequemes" und "unerwünschtes" Denken zutraut. Eliminatorisches Denken ist in der Konsequenz immer möderisch.
Sein zweites Zitat deckt auf, in welcher Tradition die bücherverbrennenden Studenten des Jahres 1933 standen. Es zeigt deutlich: der Nationalsozialismus war kein historischer Betriebsunfall, und es war kein Zufall, dass der systematische, millionenfache Mord an "unerwünschten" Menschen, genannt "Holocaust" oder "Shoa" - wobei es wirklich kein Zufall war, dass Juden den Nazis-Mördern und ihren vielen willigen Helfern als besonders unerwünscht galten - von Deutschen verübt wurde.
Auf der Wartburg wurde gewissermaßen die Krematorien von Auschwitz angeheizt.
Damit man mich nicht falsch versteht: es gibt keine geschlosse Kausalkette, keine "historische Zwangsläufigkeit", keine "historische Schuld" (und schon gar keine "karmische Bestimmung") zwischen den Nationalromantikern des 19. und den Völkermördern des 20. Jahrhunderts. Aber damals wurden die geistigen Strukturen geschaffen, die "Denke" geprägt, die "Auschwitz" möglich machte.
Mit dieser Struktur meine ich die "Nationalromantik", die Idee vom "organisch gewachsenen Staat", die vom "deutsche Blut" und vor allem auch die Idee der "Kulturnation". Die Bücherverbrennungen auf der Wartburg ensprangen nicht zuletzt der Idee des einigende Bandes deutscher Kultur - und wer nicht dazugehören will, dessen Bücher werden verbrannt.
Typisch für die deutsche Nationalromantik ist, wie schon Heine wußte, ihr Hang, nationale Utopien in die ferne Vergangenheit zu projezieren. Zum Beispiel die "Varusschlacht" - im Jahre 9, als die Cherusker unter Arminius gegen drei römische Legionen siegten.
Für patriotische Deutsche war völlig klar, dass die “alten Germanen” durch die Bank “Deutsche” (und zwar national gesinnte Deutsche) waren. Und dass die bösen "Franzmänner" unter Napeoleon usw. zumindest die "Nachkommen" der "alten Römer" sind. Die Schlacht geriet geradezu zum Gründungsmythos Deutschlands - immerhin fast 900 Jahre, bevor zumindest einen Vorgängerstaat dessen, was man später "Deutschland" nennen sollte, gab.
Der Sieg war deshalb so “herrlich”, weil er ein Vernichtungssieg war. Generationen von Schulkindern wuchsen mit der Vorstellung auf, sie seine ein seit der grauen Vorzeit einheitliches Volk, in das “Uneinigkeit” nur durch äußere Einflüsse getragen wurde - ein “Fremder” ein “Einwanderer”, der nicht “vom richtigen Blute” ist, kann kein “wahrer Deutscher” sein.
Die "deutsche Indentität" wurde - und wird! - fast ausschließlich durch Abgrenzung gegenüber "den anderen" und durch "äußere Bedrohungen" hergestellt.
Im deutsche Nationalismus gilt nur die Vernichtung des Feindes wirklich als “Sieg” - “Hermann” (nicht zu verwechseln mit dem historischen Cheruskerfürsten Arminus) “lehrt uns, dass Kompromiss, Verständigung und sogar Gnade nichts als gefährliche Schwäche sind” und dass “wir Deutsche nur unsere Uneinigkeit fürchten müßen”.
Es gibt eine Tradition des “eliminatorischen Denkens”, gegenüber allen, die als “Volksfeinde”, als “außerhalb der Volksgemeinschaft” wahrgenommen werden. Die leider noch nicht gebrochen oder durch etwas Besseres ersetzt worden ist.
Auch nach dem Ende des Hitlerfaschismus bleib dieses Denken virulent. Sowohl die DDR wie die BRD funktionierten nur mittels Feindbilder, angsteinflößender äußerer Gegner, gegen die “wir” zusammenhalten müssen.
Seit 1989 sind die Feindbilder aus dem "Kalten Krieg" weg - und ich habe den Eindruck, dass sie vielen Deutschen fehlen.
Feindbildsuche gibt es auch in anderen Ländern, auch in solchen, die sich auf ihre liberale Tradition zurecht viel zugute halten. Aber ich habe den Eindruck, dass sie hierzulande besonders neurotische Züge annimmt. Am Auffälligsten ist das auf dem Feld der “Sicherheitspolitik” - ja, auch in anderen Ländern wird der “Krieg gegen den Terror” zum Vorwand genommen, Bürgerrechte ab- und einen Überwachungsstaat aufzubauen. Der Unterschied: in Deutschland ist das offensichtlich konsensstiftend.
Anläßlich der Bücherverbrennung vor 74 Jahren weise ich auf eine Veranstaltung in München hin: Brandfleck auf dem Königsplatz - MÜNCHEN liest - aus verbrannten Büchern. - München hat (im Gegensatz zu einigen anderen "Brandstädten") bis heute kein dauerhaftes Zeichen der Erinnerung an die in der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" groß inszenierte Bücherverbrennung.
Leider gehört auch das zum Umfeld des "Tages des Buches": Ziel der Großrazzien gegen Gegner des G8-Gipfels waren unter anderem auch drei autonome Kulturzentren, die Rote Flora in Hamburg, das Künstlerhaus Bethanien und das Kulturzentrum Mehringhof in Berlin.
Ich bin kein Gegner des G8-Gipfels an sich, allerdings ein entschiedener Gegner des bizarren Angst-Abwehr-Apparates, genannt "Sicherheitsmaßnahmen".
Im Falle der "Roten Flora" kann ich sagen: Randale an der Roten Flora - das war mal. Und wer heute behauptet, die "alternativen Kulturzentren" seien Zentren der "gewaltbereiten Linken", der lebt geistig in den 80er Jahren, als die Hafenstraßenhäuser noch keine alternative Wohngenossenschaft waren. Da werden überholte Feindbilder reaktiviert. Weil "man" sich offenbar braucht - siehe oben!
Es ist auch kein Zufall, dass es gerade Kulturzentren trifft, denn
Kultur ist subversiv. Kultur ist gefährlich. Vor allem "alternative", "autonome", nicht staatlichen oder kommerziellen Vorgaben gehorchende Kultur. Wenn ein Staat das nicht mehr aushällt, dann werden nicht unbedingt Bücher verbrannt. Aber möglicherweise bald im Interesse der Sicherheit verboten.
Die Aktionen dienen, vemute ich, nicht in erster Linie der "Sicherheit des G8-Gipfels". Sie sind vor allem Machtdemonstrationen. Einschüchtern, damit "Ruhe im Land" herrscht. Teil der Erziehung zum Duckmäusertum.
MMarheinecke - Donnerstag, 10. Mai 2007
Den Unterschied macht wohl weniger die Forderung nach dem eigenen Staat aus, sondern die spezifisch deutsche Definition von Nation als Sprach- und Abstammungsgemeinschaft. Sie ist offenbar noch heute sehr lebendig: kürzlich durfte ich lesen, das wir Schweizer "historisch gesehen" Deutsche seien (http://www.blogwiese.ch/archives/580). Schliesslich sprechen wir ja Deutsch und gehören damit zu deutschen Nation. Basta. Fehlt nur noch die Folgerung, dass nun endlich Zusammenwachsen soll was zusammengehört...
Dieses Vereinnahmende, Vereinheitlichende, das dem deutschen Verständnis von Kultur und Sprache immer noch anhaftet, empfinde ich als Nichtdeutscher deutscher Muttersprache als extrem verstörend. Man möchte sich fast wünschen, jenes Fest auf der Wartburg hätte niemals stattgefunden, und das Land zwischen Nordsee und Alpenrhein wäre der vielfältige, bunte Flickenteppich geblieben, der es mal war...
Grüsse nach D, pil
Nationalromantiken
(Ich stelle mir gerade vor, was passiert wäre, wenn die Schweizer auch so gedacht hätten.)
Ähnlich die Entwicklung in Dänemark: die Dänen "entdeckten" in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre uralt-eigenständige Kultur.
Die deutschen Nationalromantiker empfanden - verständlicherweise - die extreme Kleinstaaterei im "Deutschen Bund" als Hindernis auf dem Weg zu einem modernen, freiheitlich verfassten, Staat, durchaus nach französischem oder britischem Muster. ("Die Freiheit, das ist die Auktion / von fünfzig Fürstenhüten".) Weil sie aber die Sprache und Kultur (neben dem ominösen "deutschen Blut") als Merkmal für "deutsch" ansahen, wurden in der Folge z. B. die Elsässer aufgrund ihrer Sprache als Deutsche "eingemeindet", obwohl ihre Loyalität mehrheitlich Frankreich galt. Umgekehrt wurden z. B. die Sorben ausgegrenzt, weil sie eine slawische Sprache sprachen.
Die deutsch-dänischen Kriege 1848 und 1863 liefern reichliches Material, wie sich die jeweligen "romantisch" Nationalideologien auswirkten: die "völkisch-vereinahmende" deutsche und die "völkisch-individuelle" dänische.
Noch "spannender" war es, wenn nationalromantisch "alldeutsche" mit nationalromantisch "allpolnischen" Vorstellungen kollidierten. Wobei die Polen ja im 19. Jahrhundert außer ihrer Nationalromantik buchstäblich keine "nationalstaatliche Grundlage" hatten, und als kulturelle Gruppe unterdrückt wurden - was einige nationalistische Entgleisungen entschuldigt.
Die Bedeutung des Wartburgfestes für die "nationale Einigung" Deutschlands, die an allen "etnischen", sprachlichen und kulturellen Erwägungen vorbei (die deutschsprachigen und sich damals überwiegend auch wirklich als "deutsch" empfindenden Östereicher bleibt draußen, dafür gehörten riesige polnisch-sprachige Gebiete zum Reich - und von Elsass-Lothringen war schon die Rede) durch "Eisen und Blut" erfolgte, halte ich für eher gering.
Mir währe es am liebsten gewesen, im 19. Jahrhundert wäre in Mitteleuropa ein bewußt kulturell uneinheitlicher, und u. U sogar mehrsprachiger Bundesstaat nach Schweizer Vorbild entstanden. Aber die Chance war spätesten nach der gescheiterten 1848er Revolution vom Tisch.
Antirömische Neuheiden?
Sehr weit verbreitet und sehr problematisch ist der Hang, das als "fremd" und zerstörerisch wahrgenommene Christentum und die oft gewaltsame Christianiesierung des europäischen Nordens mit "Rom" zu indentifizieren. Noch problematischer (und sehr nationalromantisch) ist die Abneigung gegen den Rom als "widernatürlichen Vielvölkerstaat", der den unterworfenen Völkern "die Identität raubte" und einen "kulturell verarmten Einheitsbrei" schaffte - der dann verdientermaßen unterging.
Übrigens gibt es gar nicht mal so wenige Anhänger des altgriechischen Pantheons - nach meinem Eindruck gibt es in Deutschland weitaus mehr Hellenisten als z. B. slawisch orientierte Heiden. Die Übergänge zur "Religio Romana", die durchaus bei uns einige Anhänger hat, sind, wie schon im Altertum, fließend.