Die Katastrophen-Konstante

Neulich kramte eine Bekannte aus Schultagen, mit dem ich mich über eben jene Schultage unterhielt, die Erinnerung an einen halb vergessenen Sachbuch-Bestseller der 1970er Jahre hervor: Herbert Gruhls "Ein Planet wird geplündert – Die Schreckensbilanz unserer Politik". Wir waren uns schnell einig, dass Gruhl politisch ein - gelinde gesagt - erzkonservativer Knochen war. Zu autoritär für unseren Geschmack.
Dass er sich später ziemlich unverhohlen gegen Einwanderung aussprach, stieß uns genau so übel auf, wie seine drastischen Beschreibungen der von ihm befürchteten Übervölkerung der Erde, ("Menschenflut" oder "Menschenlawinen").
Nicht zustimmen konnte ich ihr, was die Beurteilung des Ökonomen und Ökologen Gruhls anging. Seine Kritik an der Wachtumgläubigkeit der meisten (damaligen) ökonomischen Ansätze, und an der Nicht-Einrechnung der auf die Allgemeinheit abgewälzten Kosten von Unweltverschmutzung in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung war nicht neu, allerdings für einen CDU-Mann, der er damals war, bemerkenswert. Im Detail richtig waren sie meiner Ansicht damit noch lange nicht - Gruhl war ein "Wecker", aber kein "Aufklärer".

Geradezu grotesk fand ich allerdings die Behauptung, Gruhl hätte als einer der Ersten schon damals das CO2 / Klimaproblem richtig erfasst.
Ich schlug im meinem zerfledderten Exemplar des "Geplünderten Planeten" nach, und fand zu diesem Thema fast gar nichts. Dafür fand ich diese bemerkenswerte Aufstellung:
Wir haben die Umweltelemente in der obigen Aufstellung nach der Dringlichkeit geordnet:
1. Fehlende Luft führt zum Tod nach Sekunden.
2. Fehlendes Wasser führt zum Tod nach Tagen.
3. Fehlende Nahrung führt zum Tod nach Wochen.
4. Lärm führt zur Schlaflosigkeit und steigert sich bis zur Krankheit, möglicherweise zum Wahnsinn.
5. Die chemische Vergiftung von Ökosystemen führt zum Tod nach Jahren. Radioaktive Vergiftung kann allerdings auch zur sofortigen Vernichtung des Lebens und der Natur führen.
6. Die langsame Zerstörung der Natur entzieht allen Lebewesen die Lebensgrundlage in Jahrzehnten.
7. Die Abwärme führt zu klimatischen Veranderungen des Planeten, zum Abschmelzen der polaren Eiskappen und damit zu einer Überflutung riesiger Landmassen.
8. Die Raumüberfüllung kann nach der jetzigen Bevölkerungszunahme schon in wenigen Jahrzehnten eintreten.
Die Punkte 7 und 8 beinhalten Möglichkeiten, zu denen es wahrscheinlich gar nicht kommen wird, weil längst vorher die anderen Faktoren die Entwicklung stoppen werden.
(...)
Übrig bleiben schließlich die beiden Faktoren, die kaum eintreten werden, weil längst vorher die anderen Kräfte zur Katastrophe geführt haben. Die Abwärme wäre sicher dann irreversibel, wenn man die Energieproduktion rücksichtlsos soweit vorantriebe, bis die praktischen Folgen nicht mehr zu stoppen wären. Der absolute Höhepunkt der Veränderung des Weltklimas würde namlich erst mit einigen Jahren Verzögerung eintreten. Die unerträgliche Raumenge würde sich wahrscheinlich in unablässigen Ausrottungskriegen äussern und wäre damit prinzipiell reversibel. Mit grösserer Wahrscheinlichkeit käme es aber längst vorher zu Zusammenbrüchen der Nahrungsversorgung als Folge der Punkte 1 und 2.
Auffällig, auf der rein sachlichen Ebene: er schreibt von "der Abwärme",die zu klimatischen Veranderungen usw. führt. Von CO2, Treibhauseffekt usw. ist überraschenderweise gar nicht die Rede. Was ziemlich bemerkenswert ist, da dieser Mechanismus Mitte der 1970er Jahre schon längst unter Umweltschützern diskutiert wurde. Mein Eindruck: Gruhl hatte irgend etwas "aufgeschnappt" und (noch) nicht weiter recherchiert. (Später sollte sich das ändern.) Überhaupt wirkt sein Buch heute sehr oberflächlich.

Auffällig auch, dass Gruhl diesen Klimaeffekt damals als nachgeordnetes Problem ansah - bevor es akut würde, wäre die Menschheit längst ausgestorben. Auffällig auch, dass "Lärm" immerhin an 4. Stelle liegt. Das könnte daran liegen, dass damals der Lärm als Umweltproblem gerade "entdeckt" wurde.
Später verschoben sich die Einschätzungen Gruhls. In "Himmelfahrt ins Nichts – Der geplünderte Planet vor dem Ende" (1992) nahm die Klimakatastrophe einen weitaus höheren Rang ein - wie auch die Überbevölkerung. Dass heißt, obwohl er es nicht so sah: die beiden "unwichtigsten" Öko-Katastrophen von 1975 rückten 1992 in den Mittelpunkt, weil die "vorrangigen" Bedrohungen sich als weniger bedrohlich bzw. als lösbare Probleme erwiesen hatten.
Dennoch war Gruhls Weltbild 1992 noch genau so öko-apokalyptisch wies in seinem früheren Buch.

Das fällt mir auch bei anderen, neueren, Öko-Alarmisten (und übrigens auch bei Öko-Optimisten) auf: die jeweilige pessimistische bzw. optimistische Einstellung bleibt, egal was geschieht, über die Jahre hinweg in etwa konstant. Für Gruhl hieße das: Gäbe es "Entwarnung" beim Weltklima (bei der Bevölkerungsentwicklung ist schon jetzt absehbar, dass Gruhl falsch lag) - er würde einen anderen apokalyptische Reiter nachrücken lassen.

Diese Einstellung des "flexiblem Bedrohungszenarios" kennt man auch von Militärs, Geheimdienstlern und "Sicherheitsexperten".

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