Auf Klärung aus: 2. Was ist "Poltical Correctness"?

Angeregt durch Che (Das "Scheitern der Multikultur"), Karan (Ausmisten) und Externspeicher (Klarstellung zum Fall Hirsi Ali) - eine Überlegung zum übel vernutzten "Kampfbegriff" Political Correctness (nicht zu trennen von der Idee des "Multikulturalismus").

Wie schon beim Antisemitismus kommt man mit Lexikondefinitionen nicht so recht weiter.
Political Correctness, kurz PC, kann mitlerweile so ziemlich alles zwischen "Widerstand gegen Diskriminierung" und "euphemistische Sprachregelung" ("Personen mit Migrationshintergrund", "vertically challenged" usw.) bedeuten.
Das trifft den Kern der Sache jedoch nicht, z. B. steckt hinter der mitunter grostesken Sprachkosmetik längst nicht immer Rücksicht oder vermeindliche Rücksicht auf diskriminierte oder sich diskriminiert fühlende Gruppen, also PC. Und oft ist das, was als PC bezeichnet wird, in Wirklichkeit Feigheit (vor "einflußreichen" oder "gewalttätigen" Gruppen), Scheu vor politischen Auseinandersetzungen, Opportunismus, Schmeichelei, Imagekosmetik, "falsche Toleranz" oder schlicht übersteigertes Harmoniebedürfnis.

Seit einige Jahren wird der Begriff überwiegend ablehnend verwendet, "politically incorrect" ist zumindest in den USA schon ein Synonym für "Klartext" und "schonungslose Ehrlichkeit" geworden. (Ob das auch auf das gleichnamige deutsche konservative Blog zutrifft, mag jeder selbst beurteilen: politically incorrect - immerhin: übertrieben rücksichtsvoll ist man dort mit Sicherheit nicht).
Es entbehrt nicht der Ironie, dass vor allem Rechtskonservative das Schlagwort von der political correctness gegen das "liberale Meinungskartell" (bzw. "linkes Meinungkartell" bzw. "68-er Meinungskartell") anbringen. Sie werfen ihren liberalen und linken Gegnern vor, sie wollten unliebsame Themen im Sinne der political correctness tabuisieren. Zumindest was die PC-Bewegung in den USA angeht, ist das widersinnig, und auch in Deutschland sind "typische" PC-Anhänger alles andere als liberal und höchsten verbal links.
Ich knüpfe inhaltlich an Ches Kritik des Multikulturalismus an. Es heißt nämlich oft, der Begriff der "political correctness" stamme aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Das ist nur bedingt richtig. Er wurde in der radikal multikulturalistischen Szene geprägt. Die - sich meistens "links" gebende - radikale Multikulturalisten behaupten von sich, sie stünden auf der Seite der Opfer von Imperialismus, Kapitalismus, Rassismus und männlicher Dominanz. Typisch ist eine "verkürzte Kolonialismus / Imperialismuskritik": wenn sich Angehörige der unterdrückten Kulturen gegen die eurozentrische bzw. "westliche" Dominanz zu behaupten versuchen, dann sind sie automatisch im Recht. Es gelte daher, alle nicht in den "Metropolen" (den wirtschaftlichen und kulturellen Zentren des "Westens" bzw. "Nordens") beheimateten ethnischen Gruppen und alle ethnischen und sonstigen Minderheiten in den "Metropolen" zu unterstützen, die sich vom schädlichen Einfluß der universalistischen Ideologie befreien und zu einer eigenen "kulturellen Identität" finden wollen. Die Ähnlichkeit des radikalen Multikulturalimus zum neurechten Konzept des "Ethnopluralismus" ist verblüffend, trotz des höchst unterschiedlichen politischen Stallgeruchs der Vertreter der jeweiligen Lehre. "Links" wie "Rechtsaußen" lehnt man Interkulturalität ab, voneinander Lernen, Austausch der Kulturen untereinander, wechselseitiges Wachstum usw. werden zugunsten der "authentischen" bzw. "reinen" kulturellen Identität beargwöhnt. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass der rechte "Ethnopularismus" außerdem noch die Komponente "Heimaterde" umfasst - Motto: "Deutschland den Deutschen, die Türkei den Türken und die USA teil man am Besten in ethnisch bestimmte Teilnationen auf". Multikulti-Fans sind mehr für das "Modell Flickenteppich" - unterschiedliche Kulturen leben nebeneinander her. Dennoch ist Che zuzustimmen, wenn er schon 1990 das grüne Konzept des Multikulturalismus als Multitrassismus kritisierte.

Die in den USA entstandene, von radikalen Multikulturalisten und Kulturrelativisten getragene PC-Bewegung vertritt den Vorrang von Partikularinteressen vor dem liberalen Gerechtigkeitsprinzip (und auch der traditionelle Universalismus der "Linken" steht ihnen fern). In einem Satz zusammengefaßt lautet der Standpunkt der political correctness:
Nur Angehörige einer bestimmten "Gemeinschaft" (Minderheit, Religion, Rasse usw.) können über ihre eigenen Angelegenheiten wahre Aussagen treffen.
Eine politische oder sogar eine wissenschaftliche Aussage ist nach den Maßstäben der PC nur dann statthaft, wenn sich die Mitglieder unterdrückter (und sich unterdückt fühlender) Gruppen nicht von ihr herabgesetzt fühlen. Unter dieser Maßgabe kann alles geistige Leben nach dem Belieben politischer oder intellektueller Wortführer manipuliert werden, wenn sie nur vorgeben, im Namen ihrer "Gemeinschaft" zu sprechen. Der besonders in Deutschland weit verbreitete Hang, gerne einen einheitlichen Ansprechpartner haben zu wollen, der alle Angehörigen "seiner" Gruppe vertritt, begünstigt diese fatale Tendenz zusätzlich: der "Moslemrat" sprich dann für "die" Muslime oder der Zentralrat der Sinti und Roma für die Zigeuner (ein Wort, dass der Zentralrat als diskriminierend ablehnt - im Gegensatz z. B. zur Sinti Allianz Deutschland oder diversen Roma-Gruppen).
Political correctness geht von einem ausdrücklich anti-liberalen Weltbild aus: Sie bestreitet, dass es universal gültige Kriterien für die Verständigung zwischen Individuen und gesellschaftlichen Gruppen gibt. Sie mißtraut der Redefreiheit, die sie durch sprachliche und soziale Verhaltensvorschriften regulieren will. Faktisch unterbinden die Vertreter der political correctness den offenen Meinungsstreit, indem sie bestimmte Ideen - sofern sie von "unterdrückten", besonders schutzwürdigen Gruppen bzw. ihren "Sprechern" geäußert werden - der Kritik entziehen.

(Ich beziehe mich hier, der Deutlichkeits halber sei es ausdrücklich vermerkt, auf die ideologische political correctness. Nicht alles, was gemeinhin politisch korrekt gennant wird, fällt darunter.

Auf den Ausgangspunkt der "politisch korrekten" Sprachregelungen, nämlich die Annahme, dass das Bewußtsein ziemlich direkt durch den Sprachgebrauch bestimmt wird, gehe ich nicht näher ein - weil diese Sprachregelungen im Zusammenhang mit der PC/Multikulti-Ideologie nur ein Aspekt unter vielen sind.)
distelfliege - 18. Mai, 18:56

cooler Beitrag

..danke!

Die Geschichte von PC kannte ich nicht. (Das über Ethnopluralismus und Multikulturalismus ist mir dagegen nicht neu, und genau das ist auch einer der Knackpunkte und ärgerlichen Faktoren, die bewirken, daß Neurechte und das, was heute noch links ist, mitunter zu einem Themenbrei verkommt, in dem sich Ottilie Normalverbraucher keinen Deut mehr auskennt).

Ich nahm bisher an, PC wäre die Bemühung, Begriffe, die halt als diskriminierend und abwertend empfunden werden, nicht mehr zu benutzen. (Z.b. "Neger")
Ich selber hab überhaupt kein Problem damit, wenns um das Ersetzen von Begriffen an sich geht, wenn man hinterher mit den neuen Begriffen genausogut das sagen kann, was man vorher auch hätte sagen wollen.
Ob ich jetzt sage "Viele Neger beteiligten sich in den 70er Jahren an der amerikanischen Black-Power-Bewegung" oder "Viele Schwarze beteiligten sich in den 70er Jahren in der amerikanischen Black-Power-Bewegung" ist doch Jacke wie Hose was den Informationsgehalt der Aussage betrifft.

Aussagen ganz zu verbieten, oder gar die Beschäftigung mit gewissen Themen ganz zu verbieten, habe ich im Zusammenhang mit PC bisher noch nie gehört - aber ich lebe teilweise auch echt hinterm Mond.

Hier haste noch ein Schmankerl was ich vor ner ganzen Weile mal gefunden habe:
Against Multiculturalism aus der Hakim - Bey- Bibliothek bei hermetic.com (Ist zwar auf Englisch, aber ich mag die Schreibe - sollte vom Stil her nicht langweilig werden)

Grützlis

Distel

MMarheinecke - 18. Mai, 19:12

Ja, das auch!

Ich nahm bisher an, PC wäre die Bemühung, Begriffe, die halt als diskriminierend und abwertend empfunden werden, nicht mehr zu benutzen. (Z.b. "Neger")
Ja, das auch. Aber das ist nur ein Teilaspekt der PC, und zwar ein manchmal nützlicher und meistens harmloser. Ich beziehe mich ja ausdrücklich auf die PC-Ideologie und nicht auf einzelne "politisch korrekte" Verhaltensweisen.
Aussagen ganz zu verbieten, oder gar die Beschäftigung mit gewissen Themen ganz zu verbieten, habe ich im Zusammenhang mit PC bisher noch nie gehört - aber ich lebe teilweise auch echt hinterm Mond. Lebst Du nicht. Im Zusammenhang mit Multikulturalismus hast Du bestimmt schon davon gehört ("Als Anhörige einer christlich geprägten Kultur dürfen wir uns kein Urteil über die Zustände in tradionell islamischen Familien anmaßen" usw.) und die PC-Ideologie ist eben ein typischen Resultat des radikalen Multikulturalismus. (Es gibt auch einen "gemäßigten", Motto "Leben und Leben lassen", und einen "naiven", der bei den "Grünen" so Ende der 80er, Anfang der 90er "in" war.)

Danke für den Link!

MM
che2001 - 19. Mai, 11:26

Die von Dir geschilderte Haltung wurde wesentlich geprägt durch VertreterInnen von grassroots movements ethnischer Gruppen in den USA und GB, ihre Ideologie ist eine Mischung aus Kommunitarismus (einer politischen Philosophie, die die Existenz universaler Grundsätze und eines universalen Naturrechts bestreitet und Werte nur kontextbezogen anerkennt, im Begriff der politischen Praxis hauptsächlich auf die Zivilgesellschaft abhebt und in ihrer linken Strömung so etwas Ähnliches vertritt wie deutsche Realo-Grüne, politischem Handeln aber nur Legitimität zuspricht, wenn es aus persönlicher Verbundenheit der politischen Subjekte aus ihrer ureigenen Sache erfolgt, vgl. Michael Walzer, Zweifel und Einmischung) und unreflektiert übernommenem Ethnopluralismus. Aus meiner politischen Heimat, der linken Szene, kenne ich den Begriff der political Correctness aber anders. Da versteht man darunter die Verwendung der geschlechrsneutralen Sprache mit großem I, die Vermeidung von Ausdrücken wie "Neger", das Nichterzählen sexistischer Witze und das peinliche Vermeiden von Klischees, teil- und zeitweise galt auch schon der Konsum von Fleisch in der Öffentlichkeit als politisch unkorrekt. Je nach dem praktizierten Maß schwankte die political correctness der linken Szene zwischen ganz sinnvoll und völlig durchgeknallt, war vor allem auch oft moralisch repressiv (wenn die Parole "Jeder Mann ist ein potenzieller Vergewaltiger" in Männergruppen als Teil eines moralisch geforderten Selbstverständnisses diskutiert wurde, kommt die Moral eines selbstgeißelnden Dominikanerkonvikts heraus), aber PC als Solches wurde dort durchaus als positiv verstanden. "Das ist voll PC" ist in der autonomen Linken teilweise eine Äußerung mit dem Stellenwert von "echt klasse", "finde ich knorke" oder "supi".

MMarheinecke - 19. Mai, 22:44

Den "innerlinken" Begriff der PC kenne ich auch.

Damals, Ende der 80er Jahre, hat er mich einige Male zur Weißglut getrieben - und nicht nur mich. (Deshalb kam der ätzende Spott über "Gutmenschen" und PC-Speech ja auch zuerst aus der politisch linken Ecke, die "Rechten" haben sich da rangehängt, als die "PC-Welle" fast durch war.) Aus heutige Sicht halte ich es für einen klaren Fall von Hypermoralität - gerade angesichts von Verhaltensweisen, die direkt gegen die "bürgerliche Moral" verstießen (ich rede jetzt z. B. vom "heftigeren" Teil der "Hafenstraße"-Szene). Man/frau war bestrebt, sich als moralisch überlegen, als Teil "der Guten", zu sehen und angesehen zu werden. Eigentlich ein manichäistischen schwarz/weiß Weltbild. Deshalb gab es auch jede Menge durchaus "bürgerliche" Heuchlei, bis hin zum Musikgeschmack (heimlich Elektro-Pop hören, aber so tun, als ob man auf musiklische dreckigen "Underground" stehen würde). Es gab ja Leute, die schon die "Scherben" öffentlich als "Kommerzband" ablehnten ...
Wobei es grade im "Hafen"-Umfeld sehr vielen Anarchisten und Gelegenheits-Anarchos (hauptsächlich Punks) gab und gibt, die auf
Sprachregelungskacke, Moralinsäure und Betroffenheitsglaber absolut nicht können.
Wobei: die schlimmsten Fälle von "autonom-linker" political correctness kenne ich gar nicht aus dieser Szene, sondern von eher "gut-bürgerlichen" Mitläuferinnen (waren fast alles Frauen) , die sich einerseits gegen bestehende Verhältnisse auflehnen wollten, aber auf der anderen Seite ein extremes Bedürfnis hatten, sich dabei die Hände und das Gewissen nicht schmutzig zu machen. und die sich dabei von einem Feindbild zum anderen hangelten.

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