"Die Apokalyptische Matrix"

Es sieht so aus, als ob der apokalyptische Wahn zu einer globalen Kulturströmung geworden ist - und das die Gefahr eines weltweiten "Krieges der Religionen" (gern fälschlich als "Krieg der Kulturen" bezeichnet) durchaus real ist.
Die scharf religionskritische Giordano Bruno Stiftung weist in diesem Zusammenhang auf die Arbeit von Victor und Victoria Trimondi hin. Die als Kritiker der tibetischen Buddhismus bekannt gewordenen Trimondis zeigen in ihrem Buch "Krieg der Religionen", wie Fanatiker die Legitimation für Gewalttaten aus der apokalyptischen Literatur ihres jeweiligen Glaubens ableiten.

In einem vorab auf der Website der Giordano Bruno Stiftung veröffentlichten Artikel für die Zeitschrift MIZ fassen die Trimondis ihre Forschungsergebnisse und Ansichten auf wenigen Seiten zusammen.
Download des Artikels "Die Apokalyptische Matrix" (pdf)
Zusammenfassung der Buches auf der Website von Victor und Vitoria Trimondi: DIE APOKALYPTISCHE MATRIX - Kommt es zu einem Krieg der Religionen?

Das interessante am Ansatz der Trimondis ist, dass sie eine gemeinsame Struktur, eben die "apokalyptische Matrix", bei "fundamentalistischen", fanatischen Anhängern aller "Weltreligionen" finden:
Die apokalyptischen Matrix hat die Form eines „Dramas“ vom Untergang der Welt und ihrer Neuerstehung. Sie weist in allen Glaubensrichtungen die folgenden gleichen Inhalte, Handlungsabläufe und Zielrichtungen auf:
1. Die Geschichte der Menschheit ist der irdische Ausdruck eines kosmischen Krieges zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis. In diesem universellen Kampf stehen sich Gott und Satan, Engel und Teufel, Oberwelt und Unterwelt als unversöhnliche Feinde gegenüber. Wenn sich die Weltgeschichte der apokalyptischen Entscheidungsschlacht nähert, ist jeder Mensch gezwungen, sich für oder gegen Gott zu entscheiden.
2. Die gegenwärtige Periode in der Menschheitsgeschichte ist gekennzeichnet durch die zunehmende Herrschaft des Bösen, die sich ausdrückt im sittlichem Verfall und sexuellen Exzessen, in Ungläubigkeit, Korruption, Krieg, Gewalt, Ungerechtigkeiten, Verbrechen, Seuchen, Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen. Die Gegenwart, so wie sie ist, wird radikal abgelehnt.
3. Ein Dämon, der Satan oder dessen Stellvertreter, ergreift die Gewaltherrschaft über diese Welt der Niedertracht. Mit Vorspiegelungen, Betrug, Hinterhältigkeit, Manipulation, Terror und Mord zwingt er einen Großteil der Menschheit unter sein Kommando und wird zum Weltenherrscher. Dann versucht er nach dem Throne Gottes zu greifen.
4. Kurz bevor der satanische Welt-Imperator alle seine Ziele erreichen kann, inkarniert sich im letzten Augenblick das Gute in der Gestalt eines „Militanten Messias“, der als Anführer einer „kosmischen Armee“ aus Menschen und Überwesen (Engeln, Göttern, Heroen) mit extremer Härte, mit Zorn und mit gnadenloser Grausamkeit gegen die „Koalition des Bösen“, den Teufel und sein Pandämonium antritt und diese dann endgültig vernichtet. Beide Parteien kämpfen mit allen Arten von Massenvernichtungswaffen und setzen auch Naturkatastrophen und Seuchen als Kampfmittel gegeneinander ein.
5. Die Anhänger des „Militanten Messias“ bezeichnen sich als „Gotteskrieger“, die bereitwillig das Martyrium auf sich nehmen, um dadurch sofortige „Erlösung“ zu erlangen.
6. Vernichtet werden am Ende alle, die nicht den „wahren“ Glauben haben, erlöst werden dagegen alle Rechtgläubigen. Diejenigen, welche die apokalyptischen Kriege überleben, müssen sich einem Gericht stellen, das die restlichen Rebellen und Ungläubigen zu unsäglichen Höllenqualen verurteilt.
7. Nach seinem triumphalen Sieg über das Böse errichtet der „Militante Messias“ einen weltweiten, autoritativen „Gottesstaat“ (eine Theokratie oder eine Buddhokratie) mit dem eigenen Glauben als einziger Religion. Ein totalitärer Staat, in dem alle Gesetze von „Gott“ und nicht von den Menschen erlassen werden, in dem die absolute Macht durch ein militantes Priesterkönigtum ausgeübt wird und in dem die Frauen eine untergeordnete Rolle spielen, ist das Ziel jeder traditionellen Endzeitvision. Dieser religiöse Machtstaat wird in den apokalyptischen Schriften als das „Paradies auf Erden“ beschrieben.
8. 1000 Jahre (ein Millennium) lang dauert dieses paradiesische „Reich des Guten“. Danach geht es ebenfalls unter und der gesamte Planet Erde wird vernichtet.


Die allgemeine Gültigkeit der apokalyptischen Matrix für alle Glaubensrichtungen zeigt jedoch die ganze Absurdität des messianischen Endzeit-Wahns. Obgleich sie sich in einen gegenseitigen „Heiligen Krieg“ verstricken und sich in einer Konkurrenz um die Erlangung der Weltenherrschaft befinden, teilen die Apokalyptiker aller Religionen sehr ähnliche traditionalistische Wertvorstellungen insbesondere in ihrer konservativen Haltung gegenüber der Geschlechterfrage. Auch in ihren politischen Visionen ähneln sie sich. Vertreter der amerikanischen Christlichen Rechte, religiöse Zionisten, revolutionäre Islamisten, Hindu-Fundamentalisten und Dalai Lama Anhänger alle träumen von einer globalen Theokratie (bzw. Buddhokratie) ihres jeweiligen Höchsten Wesens. Insofern ist es im eigentlichen Sinne falsch vom „Kampf der Kulturen“ zu sprechen, denn die sich gegenseitig bekriegende „Kultur-Muster“ decken sich inhaltlich, strukturell und programmatisch in vielen Punkten. Die „Guten“ und die „Bösen“ im apokalyptischen Welttheater sind einander sich bekämpfende „Brüder“, die vom selben zerstörerischen dualistischen Geist, wenn auch jeweils mit umgekehrtem Vorzeichen, getrieben werden.
Interessant ist übrigens, dass sich Elemente dieser "apokalyptischen Matrix" auch bei "Fundamentalisten" weltlicher Heilsbewegungen, wie z. B. dem Kommunismus, finden lassen.
Die Gefahr religiöser Gewalt stammt nach Ansicht der Trimondis aus den Religionen selbst, aus ihrer blutigen Vergangenheit, insbesondere jedoch aus ihren Heiligen Texten. Das heißt, Toleranz und Friedfertigkeit sind nur Oberflächenphänomene, die jederzeit von "authentischeren", fanatischen, kriegerischen religiösen Strömungen hinweggeschwemmt werden können.

Mir stößen allerdings schon bei der Zusammenfassung zwei Dinge unangenehm auf:
Die Trimondis kultiviren wieder einmal ihr bevorzugtes Feindbild, den tibetischen Buddhismus, eine in der Praxis ausgesprochen friedfertige Religion. Wie schon in ihren umstrittenen Buch "Der Schatten des Dalai Lama" stellen sie dabei das Kalachakra-Tantra-Ritual in den Mittelpunkt, in dessen Mittelpunkt in der Tat ein apokalyptischer Text steht, in dem von einer "Letzten Schlacht zwischen Buddhisten und Muslimen" die Rede sein soll. Das wirkt sich allerdings weder auf die Rhetorik des Dalai Lama, noch auf die auf eine parlamentarische Demokratie und gewaltfreier Kompromiss-Lösung des Tibet-Konfliktes hinarbeitende tibetische Exilregierung, noch auf die von Dalai Lama in der Öffentlichkeit vertetenenen philosophischen, sprituellen und religiösen Lehren aus. Es ist gut möglich, dass es einen militanten buddhistischen Fundamentalismus gibt - die Trimondis nennen den „apokalyptischen Terrorismus“ des japanischen Sekten-Gurus Shoko Asahara (der allerdings schwerlich dem tibetischen Buddhismus nahestand - und auch vom japanischen Zen-Buddhismus nur das übernahm, was ihm in den Kram passte).
Es ist meines Erachtens aber ziemlich paranoid, den tibetischen Buddhisten und dem Dalai Lama zu unterstellen, sie wären insgeheim gewaltbereite Streiter für eine weltweite "Buddhokratie".

Der zweite Punkt ist die fast zur Quasi-Religion geronnene Religionsfeindschaft der Trimondis (bei der Lektüre ihres Dalai Lama-Buches kam mir der Begriff "strenggläubige Atheisten" in den Sinn). Genauso, wie einige militante "Muselfresser" den Islam an sich für eine gefährliche, menschenverachtende und gewaltigbereite Ideologie halten, so halten die Trimondis offensichtlich alle Religionen für gefährliche, menschenverachtende und gewaltigbereite Ideologien. Wobei sie sich in ihrem Pessimismus und ihrer Kompromisslosigkeit ironischerweise gar nicht mehr so sehr von religösen Apokalyptikern unterscheiden.

(Ich nehme die Gelegenheit war, auf diese meiner Ansicht nach sehr unterstüzenswerte Petion der Giordana Bruno-Stiftung hinzuweisen: "Nicht den Bock zum Gärtner machen!“ GBS-Petition gegen die religiöse Fundierung von Bildung und Erziehung . Amüsantes Detail: ich stehe auf der Unterschriftenliste genau unter dem Schriftsteller Max Kruse ("Urmel aus dem Eis").
Londo - 5. Mai, 12:20

Interessant, was die Trimondis...

...da entdeckt haben, wobei ich die Dalai Lama-Anhänger raus nehmen würde, da - wie du richtig bemerkt hast - der Dalai Lama nirgends apokalyptische Denkweisen nach obiger Definition geäußert hat, und seine Anhänger wohl auch nicht.

Gehe ich recht in der Annahme, dass mit den "amerikanischen Christlichen Rechten" die Neocons gemeint sind?

MMarheinecke - 6. Mai, 10:05

Ich weiß, was die Trimondis darunter verstehen ...

... aber ich würde die "Religous Rights" und die Neocons nicht gleichsetzen. Unter den amerikanischen christlichen Rechten sind sehr viele "Alt-Konservative", was in den US auch immer bedeutet: sie treten für eine eher isolationistische Politik ein - oder ihnen ist der "Rest der Welt" außerhalb der USA schlicht egal (in überraschend vielen Fällen endet ihr Interesse sogar an der Grenze des jeweiligen Bundesstaates oder ist noch enger gefaßt). Dann gibt es religiöse Rechte vom Kaliber des Fernsehprediger und (Möchtegern-)Politiker Pat Robertson, die zwar, wie die Neocons, für eine aktive, interventionalistische und auch vor Gewalt nicht zurückschreckende Außenpolitik sind, aber politisch noch viel autoritärer, nationalistischer und skrupelloser sind - und außerdem alle Konflikte dieser Welt durch die religiös-dualistische Brille sehen: "Fundi-Christen sind gut, alle anderen sind Handlanger des Satans".
Umgekehrt sind längst nicht alle Neocons religiös, noch nicht einmal alle Neocons, die dem frömmelden US-Präsidenten nachestehen.

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