Gorch Fock - ein halbvergessener Schriftsteller

In den letzten Wochen ist das Segelschulschiff der deutschen Marine, die Bark "Gorch Fock", ins Gerede gekommen. Darüber will ich nichts schreiben, denn ich hätte nichts dazu zu sagen, was andere nicht schon besser gesagt hätten. Zum oft angezweifelten Sinn der seemännischen Ausbildung auf Segelschiffen: die halte ich für sinnvoll, ich halte sie sogar für angehende Handelsschiffsoffiziere für sinnvoll, während ich am Sinn der deutschen Marine durchaus meine Zweifel habe.

Wahrscheinlich wäre der Namenspatron der Bark, dessen Bild immerhin gut 30 Jahre lang den 10 DM-Schein verzierte, ohne dieses berühmte Schiff heute ein weiterer vergessener Dichter.
Johann Wilhelm Kinau, wie Gorch Fock mit mit bürgerlichem Namen hieß, wird heute nur noch wenig gelesen. Was meiner Ansicht nach nichts über die literarischen Qualitäten seines quantitativ eher schmalen Werkes sagt.

Geboren wurde Johann Kinau am 22. August 1880 im zur Hamburg gehörenden Teil der ElbInsel Finkenwerder, damals Finkenwärder geschrieben. Sein Vater Heinrich war Seefischer. Johann fuhr mit 14 Jahren mit, war dabei ständig seekrank und erschien seinem Vater für zu schwach für die harte Arbeit an Bord. Auch eine Lehre als Krämer, wie die Einzelhändler damals genannt wurden, musste er abbrechen. Er wurde er Buchhalter und nebenbei Schriftsteller. Immerhin arbeitete er ab 1906 bei der größten deutschen Reederei, der Hamburg-Amerika-Linie.

Bekannt, zumindest in Norddeutschland, wurde er mit seinen plattdeutschen Gedichten und Liedertexten. Er versuchte, zusammen mit seinem Freund Richard Ohnsorg, dem Gründer des gleichnamigen Theaters, die plattdeutsche Sprache wenigsten in Hamburg und umto "salonfähig" und literaturfähig zu machen. Wirklich gelungen ist ihnen das nicht. "Erneuerer der niederdeutschen Literatur", wie ihn sein Bruder Rudolf Kinau, ebenfalls ein bekannter plattdeutscher Schriftsteller, nannte, war er nicht und konnte er gar nicht sein. Dazu war sein Werk zu schmal vom Umfang und zu eng vom Genre.

Es sind die dichterischen Qualitäten, Focks Umgang mit der Sprache und sein Talent, Stimmungen zu transportieren, die sein bekanntestes Werk, Seefahrt ist Not!, ein Roman mit hochdeutschem Text und plattdeutschen Dialogen, noch heute lesenswert machen. Es schildert das harte und gefährliche Leben der Finkenwerder Hochseefischer zugleich realistisch und romantisch, und unübersehbar heroisierend: Klaus Mewe, der junge Fischer, gerät zum "späten Wikinger".
Ich gebe zu: ich mag so was. Abenteuerbücher - und "Seefahrt ist not!" ist eines - leben von solchen kernigen Charakteren, von zupackenden Optimisten. Man mag es absurd finden, für sinnlosen Heroismus halten, wenn Klaus, dessen Vater von einer Fahrt nicht mehr zurückgekommen war, so besessen von der See ist, dass er immer wieder hinaus muss, bis er selbst in der Nordsee untergeht. Es ist klar, dass Klaus Mewe, genannt "Klaus Störtebeker", das Leben in vollen Zügen genießt und trotzdem (oder gerade deshalb?) immer wieder sein Leben riskiert.
Kinau war ein großer, aber kein ganz großer Abenteuerschriftsteller. Jack London und Herman Melville, die amerikanischen Meister des Seeromans, kannten auch traumatisierte oder an sich selbst zweifelnden Helden, deren Heldentum auch gerade im Sieg gegen sich selbst liegt. Kinau ist längst nicht so tief. Aber sein Klaus Mewes ist auch kein papierener Strahlemann, wie die Helden Karl Mays.
Leider finden sich auch antibritische und nationalistische Töne in diesem Buch: Kinau war auch in dieser Hinsicht ein Kind seiner Zeit: Damals, 1912, entsprachen seine vaterländischen Untertöne dem Zeitgeist einer Zeit der maritimen Aufrüstung und des Hurra-Patriotismus.
Die Hamburger Schulbehörde verteilte 5000 Exemplare an die männlichen Schüler der Hansestadt. Wäre er kein patriotischer Heimatschriftsteller gewesen, wäre das trotz der literarischen Qualitäten Focks wohl nicht geschehen.
Finkenwerder-69
Gedenkstein für Gorch Fock (eigentlich Johann Wilhelm Kinau) in seinem Heimatort Finkenwerder. Foto: MartinM - CC-Lizenz by-nc-sa)

Kinau gehört zu den vielen, zu vielen, Künstlern, die im 1. Weltkrieg buchstäblich ihrer patriotischen Begeisterung zum Opfer fielen und viel zu jung starben. Als der Krieg 1914 ausbrach, meldete er sich freiwillig - er war immerhin 34, nur bedingt tauglich und Familienvater, er hätte nicht müssen. Für die Marine galt er als nicht tauglich, er kam zum Heer, wurde in Serbien und in Verdun eingesetzt, machte sogar Karriere: 1916 wurde er Offiziersanwärter. Im März 1916 erfüllte sich für den Mann, den die Sehnsucht nach der See nie losgelassen hatte, seinen Traum: Er wurde zur Marine versetzt, wurde Matrose auf dem Kleinen Kreuzer S.M.S. "Wiesbaden". Wenige Monate später, am 31. Mai 1916, wird die "Wiesbaden" in der Seeschlacht am Skagerrak schon zu Beginn der Schlacht durch einen Volltreffer in den Maschinenraum manövrierunfähig geschossen und sank nach einem Torpedotreffer ins Heck. Johann Kinau ertrank, seine Leiche wurde in Schweden angetrieben. In den Taschen seiner Uniform fand sich seine Kladde mit den Aufzeichnungen, die er bis zum letzten Tag führte. Er wurde zusammen mit anderen deutschen und britischen Opfern der Seeschlacht auf dem Ehrenfriedhof für Marinesoldaten am Südhang des Jorefjords bestattet, auf der Insel Steensholm, wo seine Leiche antrieb, gibt es einen Gedenkstein mit seinem Namen.

Mit dem "Heldentod" des patriotischen Dichters setzte die Glorifizierung "Gorch Focks" ein. Sein Werk und auch sein ziemlich kurzes, unheroisches Leben wurde von Nationalisten glorifiziert, so sehr, dass das literarische Werk fast völlig gegen den künstlichen nationalen Glorienschein verblasste. Kinau war Nationalist, seine "plattdeutschen Kriegsgedichte" von 1915 sprechen eine deutliche Sprache, aber zum "völkischen Dichter" wurde er erst posthum hochgejubelt.
Daher überrascht es wenig, dass die Reichsmarine 1933 ihr neu erbautes Segelschulschiff "Gorch Fock" nannte. (Die erste Gorch Fock liegt heute als Museumsschiff im Stadthafen von Stralsund.)
Die Nationalsozialisten vereinnahmten den Schriftsteller dann komplett. Es war nicht sehr schwer, Gorch Fock in die Naziideologie einzupassen, man musste nur Suchen und das eine oder andere weglassen. Es gibt eine einzige judenfeindliche Passage in seinen 20 erhaltenen Tagebüchern, aber in der Gorch-Fock-Darstellung der Nazizeit nahm sie einen prominenten Platz ein. Bei der propagandistischen Instrumentalisierung sollen Kinaus Brüder keine ruhmreiche Rolle gespielt haben.

Gorch Focks "Seefahrt ist Not!" bleibt auch nach dem Ende der Nazizeit zumindest in der Bundesrepublik Deutschland "Volksbuch" und Schullektüre. Die Namenswahl für die zweite Gorch Fock 1958 war - im Gegensatz zum Schiff selbst - nicht umstritten.
Das änderte sich erst Mitte der 1960er Jahre. 1965 erschien in der "Frankfurter Rundschau" ein Beitrag von Egbert Hoehl, der eine längst fällige Debatte über die fatale erzieherisch Wirkung von "Blut und Boden"-Literatur in westdeutschen Schulen anstieß. Hoehl meinte damit nicht die Blut-und-Boden-Literatur, kurz BluBo, der Nazizeit, sondern benutzte diesen Begriff als Polemik gegen Autoren mit nationalistischer Tendenz, wie Gorch Fock, Hermann Löns, Walter Flex und Heinrich Lersch.
Tatsächlich wurden Kinaus Werke aus den Lehrplänen getilgt. Was ich - obwohl ich einige Werke Kinaus und Löns schätze - für eine richtige Entscheidung halte. Ein Bruch mit völkischen Traditionen war überfällig, und er war in der Praxis wohl nur dadurch zu erreichen, in dem diese Texte aus dem Unterricht verschwanden.
(Hermann Löns-Gedichte habe ich trotzdem noch in den 1970er Jahren in der Schule gelernt - ob sie noch im offiziellen Lehrbuch standen, weiß ich nicht, dass unsere Lehrerin einen völkisch-nationalistischen "heimlichen Lehrplan" hatte, glaube ich nicht. Sie fand die Gedichte wohl einfach schön.)

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