Asymetrische Intoleranz
Ein Nebengedanke, verursacht durch den "Zirkus Sarrazini" und die breite Zustimmung, die die nach Sozialdarwinismus und Oberklassen-Arroganz müffelnden "Erklärungsmodelle" offensichtlich erhalten.
Angeblich sind "die Deutschen" (eine, wie alle derartige Verallgemeinerungen, deutlich diskriminierende Formulierung) ja vorschriftengläubig und tun sich schwer damit, sogar offenkundig sinnlose Verbote zu missachten. Ich muss gestehen, dass ich tatsächlich den Eindruck habe, dass viele meiner Landsleute so gestrickt sind (zum Glück gibt es zahlreiche Ausnahmen).
Ich beobachte aber auch, dass die Neigung, z. B.
Verbotsschilder zu beachten, sehr davon abhängt, ob jemand glaubt, zur "Mehrheit" (egal, ob zur zahlenmäßigen Mehrheit, zur "moralischen Mehrheit", zur Mehrheit der "anständigen Leute" usw.) bzw. zu den "Normalen" zu gehören - oder eben nicht.
Als Radfahrer (natürlich meine ich damit: ich fahre mit dem Fahrrad, es gibt ja auch andere) erlebe ich es zwar, dass Radwege zugeparkt sind oder dass Fußgänger erst nach energischem Klingeln den Weg freimachen. Aber im Großen und Ganzen wird respektiert, dass ein Radweg ein für Radfahrer reservierter Weg ist. Ich habe es jedenfalls noch nie erlebt, dass jemand, den ich per Fahrradklingel vom Radweg gescheucht hatte, mir vorwarf, dass die Straße samt Fußweg- und Radweg schließlich allen gehören würde, und nicht nur den Radfahrern.
Etwas anders scheint der Fall bei Reitwegen zu liegen. Eine reitende Freundin erzählte mir, dass mindestens zwei Mal pro Woche Fußgänger, fast immer mit Hund, auf dem Reitweg unterwegs seien. Wenn man sie darauf hinweist, dass ein Reitweg schließlich per amtlichem Schild (weiße Pferdesilhouette auf blauem Grund) für Ross und Reiter reserviert wäre, würden sie "so sicher wie das Amen in der Kirche" herummeckern, dass der Wald schließlich allen gehören würde, nicht nur den Reitern. Wobei in diesem ausgewiesenen Erholungswald stets gut ausgebaute Fußwege parallel zum Reitweg vorhanden sind.
Die Reiterin vermutet, dass die selben Leute sofort per Handy das Ordnungsamt anrufen würden, wenn sie einen Reiter auf dem Fußweg antreffen würden. Was ja nicht grundsätzlich verkehrt ist: Wenn der Reiter jemanden gefährdet, oder wenn er auf stur stellt und uneinsichtig auf dem Fußweg weiterreitet, ist ein Anruf beim Ordnungsamt völlig angemessen - eventuell sogar einer bei der Polizei.
Ein anderes Beispiel sind Menschen, die sich empören und es eklig finden, wenn zwei Männer oder zwei Frauen sich auf "offener Straße" küssen - aber empört wären, wenn sich jemand darüber aufregen würde, wenn sie ihr(e) Ehefrau / Ehemann in der Öffentlichkeit "abknutschen". (Übrigens bin ich nicht schwul.)
Ein weniger mit Fragen der "poltical correctness" behangenes Beispiel: Man vergleiche die Reaktion auf einen mit Badehose Bekleideten am FKK-Strand mit der Reaktion, die ein Nackter am Textilstrand auslöst. Ich habe den Eindruck, dass es erdrückend viel mehr "Badehosensünder" am FKK als "Flitzer" am Textilstrand gibt. (Nein, ich käme nie auf die Idee, nackt an den Textilstrand oder mit Badehose an den FKK zu gehen.)
Natürlich ist das keine deutsche Spezialität. Den größte "Klops" auf dem Gebiet der asymetrischen Toleranz leistet sich zur Zeit die Schweiz. Dem per Volksentscheid beschlossenen Minarettverbot steht (natürlich?) kein Kirchturmbauverbot gegenüber.
Selbstverständlich kenne ich auch rechthaberische, arrogante und rücksichtslose Vertreter von Minderheiten. Das sind meistens Überzeugungstäter, nicht selten mit missionarischem Anspruch - gerade bei religiösen und weltanschaulichen Minderheiten gibt es die unschön häufig. Und es gibt Provokateure: Die meisten "Nackt-am-Textilstrand-Geher" rechne ich zu dieser Gruppe.
Aber das Schema bleibt, dass das Gefühl zur "Mehrheit" zu gehören, "normal" zu sein, dazu verleitet, anderen Menschen Vorschriften zu machen und sogar selbst Verbote zu übertreten.
Angeblich sind "die Deutschen" (eine, wie alle derartige Verallgemeinerungen, deutlich diskriminierende Formulierung) ja vorschriftengläubig und tun sich schwer damit, sogar offenkundig sinnlose Verbote zu missachten. Ich muss gestehen, dass ich tatsächlich den Eindruck habe, dass viele meiner Landsleute so gestrickt sind (zum Glück gibt es zahlreiche Ausnahmen).
Ich beobachte aber auch, dass die Neigung, z. B.
Verbotsschilder zu beachten, sehr davon abhängt, ob jemand glaubt, zur "Mehrheit" (egal, ob zur zahlenmäßigen Mehrheit, zur "moralischen Mehrheit", zur Mehrheit der "anständigen Leute" usw.) bzw. zu den "Normalen" zu gehören - oder eben nicht.
Als Radfahrer (natürlich meine ich damit: ich fahre mit dem Fahrrad, es gibt ja auch andere) erlebe ich es zwar, dass Radwege zugeparkt sind oder dass Fußgänger erst nach energischem Klingeln den Weg freimachen. Aber im Großen und Ganzen wird respektiert, dass ein Radweg ein für Radfahrer reservierter Weg ist. Ich habe es jedenfalls noch nie erlebt, dass jemand, den ich per Fahrradklingel vom Radweg gescheucht hatte, mir vorwarf, dass die Straße samt Fußweg- und Radweg schließlich allen gehören würde, und nicht nur den Radfahrern.
Etwas anders scheint der Fall bei Reitwegen zu liegen. Eine reitende Freundin erzählte mir, dass mindestens zwei Mal pro Woche Fußgänger, fast immer mit Hund, auf dem Reitweg unterwegs seien. Wenn man sie darauf hinweist, dass ein Reitweg schließlich per amtlichem Schild (weiße Pferdesilhouette auf blauem Grund) für Ross und Reiter reserviert wäre, würden sie "so sicher wie das Amen in der Kirche" herummeckern, dass der Wald schließlich allen gehören würde, nicht nur den Reitern. Wobei in diesem ausgewiesenen Erholungswald stets gut ausgebaute Fußwege parallel zum Reitweg vorhanden sind.
Die Reiterin vermutet, dass die selben Leute sofort per Handy das Ordnungsamt anrufen würden, wenn sie einen Reiter auf dem Fußweg antreffen würden. Was ja nicht grundsätzlich verkehrt ist: Wenn der Reiter jemanden gefährdet, oder wenn er auf stur stellt und uneinsichtig auf dem Fußweg weiterreitet, ist ein Anruf beim Ordnungsamt völlig angemessen - eventuell sogar einer bei der Polizei.
Ein anderes Beispiel sind Menschen, die sich empören und es eklig finden, wenn zwei Männer oder zwei Frauen sich auf "offener Straße" küssen - aber empört wären, wenn sich jemand darüber aufregen würde, wenn sie ihr(e) Ehefrau / Ehemann in der Öffentlichkeit "abknutschen". (Übrigens bin ich nicht schwul.)
Ein weniger mit Fragen der "poltical correctness" behangenes Beispiel: Man vergleiche die Reaktion auf einen mit Badehose Bekleideten am FKK-Strand mit der Reaktion, die ein Nackter am Textilstrand auslöst. Ich habe den Eindruck, dass es erdrückend viel mehr "Badehosensünder" am FKK als "Flitzer" am Textilstrand gibt. (Nein, ich käme nie auf die Idee, nackt an den Textilstrand oder mit Badehose an den FKK zu gehen.)
Natürlich ist das keine deutsche Spezialität. Den größte "Klops" auf dem Gebiet der asymetrischen Toleranz leistet sich zur Zeit die Schweiz. Dem per Volksentscheid beschlossenen Minarettverbot steht (natürlich?) kein Kirchturmbauverbot gegenüber.
Selbstverständlich kenne ich auch rechthaberische, arrogante und rücksichtslose Vertreter von Minderheiten. Das sind meistens Überzeugungstäter, nicht selten mit missionarischem Anspruch - gerade bei religiösen und weltanschaulichen Minderheiten gibt es die unschön häufig. Und es gibt Provokateure: Die meisten "Nackt-am-Textilstrand-Geher" rechne ich zu dieser Gruppe.
Aber das Schema bleibt, dass das Gefühl zur "Mehrheit" zu gehören, "normal" zu sein, dazu verleitet, anderen Menschen Vorschriften zu machen und sogar selbst Verbote zu übertreten.
MMarheinecke - Sonntag, 12. September 2010
Trackback URL:
https://martinm.twoday.net/stories/6505834/modTrackback