"Sie begriffen die Katastrophe erst, als sie schon passiert war"
Es gibt in Norddeutschland zahlreiche Gedenksteine, die an die Sturmflutkatastrophe im Februar 1962 erinnern. Dieser Stein in Allermöhe ist eher unscheinbar.
Von den zahlreichen Flutmarkierungen und Gedenksteinen, die an die Flutnacht vor 50 Jahren erinnern, spricht mich dieser Stein besonders an. An jenem warmen Spätsommernachmittag, als ich ich ihn sozusagen im Vorbeigehen knipste (daher etwas schräg), da erschien der Gedanke an eine stürmische, kalte Winternacht so fern zu liegen. So fern wie die Elbe. Denn der Stein steht kilometerweit vom Hauptstrom der Elbe entfernt, mitten im Land sozusagen. Er wirkt, anders als die Gedenksteine und Markierungen am Hafen, gerade surreal.
Er zeigt, wie katastrophal es wirklich war. Wie sehr diese Nacht die Grenzen des "Normalen" sprengte.
So, wie der Sturm die Grenzen des Erwarteten sprengte: In den Seegebieten der nördlichen Nordsee traten Windgeschwindigkeiten jenseits des Messbereiches der damaligen Windmessgeräte auf. Der Wasserstandsmesser am Pegel in Cuxhaven an der Elbmündung fiel aus, die Fluthöhe konnte nur geschätzt werden.
Eine gute Übersicht darüber, was damals geschah, gibt ein Dossier auf "scienexx": Sturmflut Hamburg 1962 – kann sich die Katastrophe wiederholen?
In der Nacht vom 16. zum 17. Februar 1962 brachen an 50 Stellen die Deiche an der Unterelbe. Unter anderem wurde ungefährein Dritte 120 km² des Hamburger Stadtgebietes überflutet, darunter die dicht bewohnten und damals noch mit Behelfsheimen für Flüchtlinge übervölkerten Stadtteile Willhelmsburg und Georgswerder. Mehr als 30.000 Hamburger verloren ihre Wohnung. Etwa 100 000 Menschen wurden vom Wasser eingeschlossen und harrten auf Hausdächern, Anhöhen oder den oberen Stockwerken aus – ohne Trinkwasser, Nahrung oder wärmende Decken, mit durchnässten Kleidern bei eisiger Kälte.
319 Menschen starben. Erstaunlich wenig, wenn man die Umstände bedenkt.
Das Zitat:
Mut hatte er jedenfalls - auch den, für seine Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Er überschritt seine Kompetenzen, er brach sogar die bewusst die Verfassung (nicht zu verwechseln mit dem fahrlässigen Verfassungsbruch, der für deutsche Politiker leider nicht untypisch ist):
Anders als bei anderen Unwetterkatastrophen lag es nicht an einer schlechten oder fehlerhaften Vorhersage, dass es in der in der Nacht zum 17. Februar 1962 zur Katastrophe kam. Ganz im Gegenteil: Die Wissenschaftler des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und der Sturmflutwarndienst am Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) sind auch heute noch von der Arbeit ihre damaligen Kollegen angetan.
Aus heutiger Sicht besonders bizarr war, dass die ARD ihr Fernsehprogramm nicht für eine Warnmeldung unterbrach - es lief übrigens die Fernsehserie "Familie Hesselbach" und nicht etwa das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft oder ähnliches. Es gab, nicht einmal ein eingeblendetes Laufband (das es beim Bau der Berliner Mauer einige Monate zuvor oder beim Kennedy-Mord eineinhalb Jahre später gegeben hatte - es lag also nicht am Stand der Technik, wie manche heute behaupten).
Ein psychologisch ungünstiges Detail war, dass in den Sturmflutwarnungen immer nur von der "Küste" bzw. "dem Gebiet der deutschen Nordseeküste" gesprochen wurde. In Hamburg, 80 km von der offenen See entfernt, fühlten sich viele gar nicht angesprochen. Außerdem wohnten gerade in den besonders betroffenen Gebieten viele Aussiedler und Flüchtlinge, denen die Warnungen mit Böllerschüssen nichts sagten, und die die Gefahr bei Deichbruch nicht einschätzen konnten.
Aber das alles verblasst gegen das beschämende Chaos, das in den Hamburger Behörden herrschte.
Dringende Warnungen aus den Küstenorten wurden nicht ernst genommen. Als dann die Telefonverbindungen zusammenbrachen (durch Überflutungen im Unterelberaum wurden die Leitungen nicht etwa gestört oder beschädigt, sondern vernichtet), verloren Polizei und Feuerwehr ab Mitternacht den Überblick über die tatsächliche Lage. Die zuständige Baubehörde sah aus der Sorge, möglicherweise einen blinden Alarm auszulösen, ebenfalls von einer Alarmierung ab, nicht einmal der Bausenator wurde geweckt. Evakuierungspläne gab es nicht.
Die Entscheidungswege waren unklar, es gab konkurrierende Zuständigkeiten, dafür aber keine praktikablen Katastrophenschutzpläne.
Auch nachdem endlich, um 0:30 Uhr der Ausnahmezustand verhängt worden war, gab es noch keine zentrale Koordination der Rettungseinsätze, bis am frühen Morgen Polizeisenator (ab Juli: Innensenator) Helmut Schmidt, der bei der Innenministerkonferenz in Berlin gewesen war, die zentrale Einsatzleitung für das Hamburger Stadtgebiet übernahm. Ohne dazu durch gesetzliche Grundlagen legimitiert zu sein, nutzte Schmidt bestehende Kontakte zur Bundeswehr und NATO, um auch mit Soldaten, Hilfsgütern, Hubschraubern und Pioniergerät von Bundeswehr und Alliierten schnelle und umfassende Hilfe zu ermöglichen. Ein energischer und notfalls skrupelloser "Macher" wie Schmidt war ein Glücksfall, sonst hätte es noch weitaus mehr Tote gegeben.
Der Vergleich mit dem (keineswegs optimalen) Krisenmanagement in Bremerhaven und Bremen, wo wenigsten das Schlimmste verhindert werden konnte, zeigt, wie das organisatorische Chaos die Sturmflutkatastrophe verschlimmerte. Parallelen zur Sturmflutkatastrophe in New Orleans durch den Hurrikan Katrina 2005 sind nicht zu übersehen - auch dort verschlimmerte schlechtes Krisenmanagement die Katastrophe. (Hurrikan "Katrina": New Orleans und die Folgen - GEO-Dossier.)
Kann sich so eine Katastrophe wiederholen? "So eine" wohl nicht. 1976 gab es eine noch höhere Sturmflut, aber die Folgen hielten sich in Grenzen - Katastrophen, auf die man vorbereitet ist, laufen eben weniger katastrophal ab, als solche, mit denen man nicht rechnet - oder deren Möglichkeit man verdrängt.
Nachtrag
Vor 50 Jahren: Hamburg versinkt im Wasser (NDR)
50 Jahre nach der Sturmflut: Hamburgs Führung schlief trotz Notstand (FR-online)
Von den zahlreichen Flutmarkierungen und Gedenksteinen, die an die Flutnacht vor 50 Jahren erinnern, spricht mich dieser Stein besonders an. An jenem warmen Spätsommernachmittag, als ich ich ihn sozusagen im Vorbeigehen knipste (daher etwas schräg), da erschien der Gedanke an eine stürmische, kalte Winternacht so fern zu liegen. So fern wie die Elbe. Denn der Stein steht kilometerweit vom Hauptstrom der Elbe entfernt, mitten im Land sozusagen. Er wirkt, anders als die Gedenksteine und Markierungen am Hafen, gerade surreal.
Er zeigt, wie katastrophal es wirklich war. Wie sehr diese Nacht die Grenzen des "Normalen" sprengte.
So, wie der Sturm die Grenzen des Erwarteten sprengte: In den Seegebieten der nördlichen Nordsee traten Windgeschwindigkeiten jenseits des Messbereiches der damaligen Windmessgeräte auf. Der Wasserstandsmesser am Pegel in Cuxhaven an der Elbmündung fiel aus, die Fluthöhe konnte nur geschätzt werden.
Eine gute Übersicht darüber, was damals geschah, gibt ein Dossier auf "scienexx": Sturmflut Hamburg 1962 – kann sich die Katastrophe wiederholen?
In der Nacht vom 16. zum 17. Februar 1962 brachen an 50 Stellen die Deiche an der Unterelbe. Unter anderem wurde ungefähr
319 Menschen starben. Erstaunlich wenig, wenn man die Umstände bedenkt.
Das Zitat:
"Sie begriffen die Katastrophe erst, als sie schon passiert war"stammt von Helmut Schmidt. Ich bin nicht unbedingt ein Anhänger der Politik, die der damalige Hamburg Polizeisenator und spätere Bundeskanzler betrieben hatte. Damals war er aber der richtige Mann im richtigen Amt. Er war ein Politiker für die akuten Krisensituationen (was er später noch einige Male beweisen sollte), aber keiner für Grundsatzfragen - obwohl: verglichen mit der heutigen Politikergeneration empfinde ich manchmal geradezu nostalgische Gefühle für den knochenharten Pragmatiker Schmidt.
Mut hatte er jedenfalls - auch den, für seine Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Er überschritt seine Kompetenzen, er brach sogar die bewusst die Verfassung (nicht zu verwechseln mit dem fahrlässigen Verfassungsbruch, der für deutsche Politiker leider nicht untypisch ist):
Ich habe das Grundgesetz nicht angeguckt in jenen Tagen.So problematisch ein Verfassungsbruch immer ist: in dieser Situation ging es nicht anders. Oder besser: Es ging nicht mehr anders. Denn das Krisenmanagement in der Sturmflutnacht war in Hamburg ein grausamer Witz. (Wie schlecht das Krisenmanagement war, welche grotesk falschen Entscheidungen aus wie lächerllichen Gründen getroffen wurden, wird vielleicht am Besten aus den dürren Worten in der Wikipedia deutlich.)
Anders als bei anderen Unwetterkatastrophen lag es nicht an einer schlechten oder fehlerhaften Vorhersage, dass es in der in der Nacht zum 17. Februar 1962 zur Katastrophe kam. Ganz im Gegenteil: Die Wissenschaftler des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und der Sturmflutwarndienst am Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) sind auch heute noch von der Arbeit ihre damaligen Kollegen angetan.
Aus heutiger Sicht besonders bizarr war, dass die ARD ihr Fernsehprogramm nicht für eine Warnmeldung unterbrach - es lief übrigens die Fernsehserie "Familie Hesselbach" und nicht etwa das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft oder ähnliches. Es gab, nicht einmal ein eingeblendetes Laufband (das es beim Bau der Berliner Mauer einige Monate zuvor oder beim Kennedy-Mord eineinhalb Jahre später gegeben hatte - es lag also nicht am Stand der Technik, wie manche heute behaupten).
Ein psychologisch ungünstiges Detail war, dass in den Sturmflutwarnungen immer nur von der "Küste" bzw. "dem Gebiet der deutschen Nordseeküste" gesprochen wurde. In Hamburg, 80 km von der offenen See entfernt, fühlten sich viele gar nicht angesprochen. Außerdem wohnten gerade in den besonders betroffenen Gebieten viele Aussiedler und Flüchtlinge, denen die Warnungen mit Böllerschüssen nichts sagten, und die die Gefahr bei Deichbruch nicht einschätzen konnten.
Aber das alles verblasst gegen das beschämende Chaos, das in den Hamburger Behörden herrschte.
Dringende Warnungen aus den Küstenorten wurden nicht ernst genommen. Als dann die Telefonverbindungen zusammenbrachen (durch Überflutungen im Unterelberaum wurden die Leitungen nicht etwa gestört oder beschädigt, sondern vernichtet), verloren Polizei und Feuerwehr ab Mitternacht den Überblick über die tatsächliche Lage. Die zuständige Baubehörde sah aus der Sorge, möglicherweise einen blinden Alarm auszulösen, ebenfalls von einer Alarmierung ab, nicht einmal der Bausenator wurde geweckt. Evakuierungspläne gab es nicht.
Die Entscheidungswege waren unklar, es gab konkurrierende Zuständigkeiten, dafür aber keine praktikablen Katastrophenschutzpläne.
Auch nachdem endlich, um 0:30 Uhr der Ausnahmezustand verhängt worden war, gab es noch keine zentrale Koordination der Rettungseinsätze, bis am frühen Morgen Polizeisenator (ab Juli: Innensenator) Helmut Schmidt, der bei der Innenministerkonferenz in Berlin gewesen war, die zentrale Einsatzleitung für das Hamburger Stadtgebiet übernahm. Ohne dazu durch gesetzliche Grundlagen legimitiert zu sein, nutzte Schmidt bestehende Kontakte zur Bundeswehr und NATO, um auch mit Soldaten, Hilfsgütern, Hubschraubern und Pioniergerät von Bundeswehr und Alliierten schnelle und umfassende Hilfe zu ermöglichen. Ein energischer und notfalls skrupelloser "Macher" wie Schmidt war ein Glücksfall, sonst hätte es noch weitaus mehr Tote gegeben.
Der Vergleich mit dem (keineswegs optimalen) Krisenmanagement in Bremerhaven und Bremen, wo wenigsten das Schlimmste verhindert werden konnte, zeigt, wie das organisatorische Chaos die Sturmflutkatastrophe verschlimmerte. Parallelen zur Sturmflutkatastrophe in New Orleans durch den Hurrikan Katrina 2005 sind nicht zu übersehen - auch dort verschlimmerte schlechtes Krisenmanagement die Katastrophe. (Hurrikan "Katrina": New Orleans und die Folgen - GEO-Dossier.)
Kann sich so eine Katastrophe wiederholen? "So eine" wohl nicht. 1976 gab es eine noch höhere Sturmflut, aber die Folgen hielten sich in Grenzen - Katastrophen, auf die man vorbereitet ist, laufen eben weniger katastrophal ab, als solche, mit denen man nicht rechnet - oder deren Möglichkeit man verdrängt.
Nachtrag
Vor 50 Jahren: Hamburg versinkt im Wasser (NDR)
50 Jahre nach der Sturmflut: Hamburgs Führung schlief trotz Notstand (FR-online)
MMarheinecke - Mittwoch, 15. Februar 2012
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