Über Opportunismus, Technik und die Illusion des "Unpoltischen"

Nachdem ich zwei Mal über einer der größten Triumphe der Technik, die Mondlandung von Apollo 11 bloggte, geht es dieses Mal um eine Schattenseite dieses Projektes. Sie personifiziert sich im Projektleiter, Wernher von Braun.
Don't say that he's hypocritical,
Say rather that he's apolitical.
"Once the rockets are up, who cares where they come down?
That's not my department,"
Says Wernher von Braun.
(Zitat aus Tom Lehrers Spottlied "Wernher von Braun".)
Sag' nicht, er sei scheinheilig,
sag eher, er ist unpolitisch.
"Wenn die Raketen erst mal oben sind, wen kümmert's wo sie ´runterkommen? Das ist nicht meine Abteilung", sagt Wernher von Braun.

Es geht mir nicht darum, Wernher von Braun als bösen, menschenverachtenden Naziwissenschaftler zu dämonisieren.
Dass war er nämlich ebenso wenig, wie er der unschuldig ins Nazisystem, in die Produktion einer Terrorwaffe und deren Produktion unter Bedingungen der "Vernichtung durch Arbeit" verstrickte "Nur-Raketenkonstrukteur" und Technokrat war, als der er bis in die 1960er in den USA "verkauft" wurde.

Er war ein Opportunist mit wenig Skrupeln. Er war jemand, der für sich trennte, was nicht zu trennen ist: die Verantwortung der Technikers und Managers für das Projekt von der politischen Verantwortung für das, was mit den Produkten dieses Projektes gemacht wurde. (Ein Grund, weshalb ich so wenig davon halte, sich, etwa als Verein oder als religiöse Gruppe, unpolitisch zu geben. Das bedeutet nämlich oft: sich vor politischer Verantwortung zu drücken.) Er fragte nicht: "Für wen produziere ich?" oder "Wozu produziere ich?" Ihm ging es um den technischen Durchbruch. Fixiert auf den Bau der Rakete, zeigte er sich bereit zu fortwährenden Konzession an die "Umstände" - also letzten Endes an das Regime. Bis hin zum Beitritt zur SS.
Dabei war seine Motivation schwerlich nationalistisch: die von ihm um 1950 verantwortlich konstruierte Redstone-Raketen hätten, wäre sie zum Einsatz gekommen, ihren Atomsprengköpfe vor allem in deutsche Städte getragen. Er hätte, wenn es sich angeboten hätte, auch für die UdSSR gearbeitet - es arbeiteten tatsächlich mehr "Ex-Penemünder" für "die Russen" als für die "Amis", auch wenn es die USA geschafft hatten, sich viele "führende Köpfe" für ihre Rüstungsindustrie zu sichern.
Und er war einer von vielen. So wie er dachten tausende, wenn nicht zehntausende, "NS-belastete"-Fachleute.

Die Technik und die technischen Fachleute gedeihen in fast allen denkbaren gesellschaftlichen Systemen gleich gut: Demokratie, Faschismus, Nationalsozialismus, Stalinismus, Kapitalismus, Planwirtschaft - das spielt alles keine Rolle, die Technik funktioniert überall, und die Mathematik ist auch überall die gleiche. Daher zahlt sich politischer Opportunismus für Ingenieure und techniknahe Naturwissenschaftler aus.
Schon in den Naturwissenschaft kann das anders sein. In der UdSSR war zum Bespiel die Genetik gut 30 Jahre lang als "bürgerlich-idealistische" Wissenschaft verpönt. (Mit Folgen, an denen Russlang noch heute leidet.) Theokratien tuen sich schwer mit dem Darwinismus. In Nazi-Deutschland wurde die Relativitätstheorie eine Zeit lang als "jüdische Physik" diffamiert (was später stillschweigend geändert wurde - es war allzu weltfremd für ein nach industrieller Überlegenheit und Wunderwaffen gierendes System).
Das ist wohl der Grund, weshalb Naturwissenschaftler häufiger "politischer" sind als Ingenieure.
Geisteswissenschaften, Kunst und Kultur haben es am schwersten. Die gedeihen nur in Freiheit wirklich gut. Leider folgt daraus nicht, dass jeder Geisteswissenschafler oder Künstler überzeugter Demokrat wäre.

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