Fußballkrieg

Heute vor genau 40 Jahren, am 26. Juni 1969, fand in Ciudad de México ein folgenschweres Fußballspiel statt. Es war das Entscheidungsspiel der Nord- und Mittelamerikagruppe für die WM 1970, in dem El Salvador über Honduras siegte. Straßenkrawalle nach Fußballspielen sind leider nicht selten, dass aber eine "3. Halbzeit" zu einem Krieg eskalieren könnte, dem fast 3000 Menschen umgebracht wurden, ist ein aberwitziger Gedanke.
Dennoch war der "Fußballkrieg" zwischen Honduras und San Salvador blutige Realität.

Die nationalistisch aufgeladenen Spannungen zwischen den beiden kleinen mittelamerikanischen Staaten hatten sich schon beim zweiten Spiel der WM-Qualifikation in El Salvador am 15. Juni in Straßenunruhen entladen. Das Spiel endete 3:0 für El Salvador, nachdem eine Woche zuvor Honduras 1:0 gewonnen hatte. Die Ausschreitungen wurden von Militär und Polizei niedergeschlagen. Während des Spiels verbrannten einige Salvadorianer die honduranische Flagge und bewarfen die honduranischen Spieler mit Gegenständen.
Auch am Rande des dritten und entscheidende Spiel in Mexico am 26. Juni gab es Unruhen. Als Pipo Rodriguez in der Nachspielzeit das 3:2 für El Salvador schoss, war Honduras ausgeschieden. Kurz darauf kam es zu unkontrollierten Ausschreitungen, bei denen es auch Tote gab.
Am 14. Juli 1969 entschloss sich die salvadorianische Regierung dann zur militärischen Intervention. General Fidel Sánchez Hernández, Präsident von El Salvador schickte ohne Kriegserklärung Bomber nach Honduras. Natürlich war das Fußballspiel am 26. Juni weder der Grund für den Krieg, noch für die kriegsauslösenden Unruhen. So bitter ernst nimmt man selbst im fußballverrückten Lateinamerika eine WM-Qualifikation nicht.

Wie bei den meisten Kriegen waren es letzten Endes wirtschaftliche Ursachen, die zum "Fußballkrieg" führten. Ursachen, die man gerade im heutigen Europa ernst nehmen sollte. Es ging zentral um das Problem der "Wirtschaftsflüchtlinge".

1960 wurde, nach dem Vorbild des EU-Vorläufers EWG, der Zentralamerikanische gemeinsame Markt (MCCA) gegründet. El Salvador, das industriell am weitesten entwickelte Land der Region, profitierte zunächst am meisten vom gemeinsamen Markt. Allerdings stieß El Salvador schnell an Grenze des Integrationskonzepts, an die regionale Binnenmarktenge. Zwar gab es einen größerer Absatzmarkt für die sich entwickelnde Industrieproduktion, aber die für einen anhaltenden Wirtschaftsaufschwung nötigen kaufkräftigen Konsumentenschichten fehlten. Sowohl El Salvador wie Honduras wurden politisch von Agraroligarchien, von den "Kaffee-", "Zucker-", "Vieh-" und "Bananenbaronen", beherrscht, die weder am Übergang zu einer modernen Industriegesellschaft, noch am Wohlstand der Massen, geschweige den an einer Demokratisierung interessiert waren. (Außerdem standen - und stehen - beide Staaten stark unter dem Einfluss US-amerikanischer Unternehmen, die auf offene und verdeckte Rückendeckung der USA zählen konnten. Sie waren zwar am Erhalt des quasi-feudalen Status Quo der "Bananenrepubliken" interessiert, aber auch an Stabilität. Was übrigens auch für die offizielle US-Außenpolitik galt.)
Das salvadorenische Machtkartell aus Militär und Agraroligarchen versuchte die sich abzeichnende Wirtschaftskrise abzufangen, indem sie, entgegen den Integrationsbestimmungen des MCCA, auf den hondurenischen Markt expandierte. San Salvador exportierte aber nicht nur Industrieprodukte nach Honduras, sondern "exportierte" auch arbeits- und landlose Arme. Anders gesagt: sie förderte die bereits seit Jahrzehnten stattfindende Auswanderung der Unterschicht in die Nachbarländer, vor allem nach Honduras.

Die honduranische Militärregierung schob den "Wirtschaftsflüchtlinge" aus San Salvador ihrerseits die Schuld für die beginnenden wirtschaftlichen Probleme des Landes in die abgetragenen Schuhe. Sie führte, auch entgegen dem MCCA, protektionistische Maßnahmen ein, verlängerte den Migrationsvertrag zwischen Honduras und El Salvador nicht und ließ in Honduras lebenden salvadorenischen Siedler vertreiben. Das honduranische Regime versuchte, die sich seit 1967 zuspitzenden Landkonflikte durch eine Agrarreform unter Kontrolle zu bringen, bei der die von den salvadorenischen "illegalen Siedlern" besetzten Landstücke an arme Honduraner verteilt werden sollten. Etwa 300.000 Salvadorianer waren über die offene Grenze nach Honduras gekommen und hatten dort brachliegendes Land in Besitz genommen, ohne jedoch das Land rechtmäßig erworben zu haben.
Am 30. April 1969 forderten die honduranischen Behörden die "Squatter" auf, innerhalb von 30 Tagen nach El Salvador zurückzukehren.

In beiden Ländern wurden nationalistischer Stimmungen geschürt, um von internen Spannungen abzulenken. Die salvadorenische Regierung, die das für sie wichtige "Ventil" der Auswanderung der Armen zu verlieren fürchtete, nutzte die nationale Empörung über die Behandlung der "Squatter", um die Auseinandersetzungen mit Honduras zum Krieg eskalieren zu lassen.
Da es "um das Vaterland" ging, gelang es der salvadorenischen Regierung kurzfristig, selbst die politisch und gewerkschaftlich organisierten Teile der Bevölkerung, die in der zweiten Hälfte der 60er Jahre teilweise in direkter Konfrontation zu dem Staatsapparat gestanden hatten, mehrheitlich einzubinden und vorübergehend zu demobilisieren.
Die Unruhen und Ausschreitungen nach dem Fußballspiel lieferten den Anlass bzw. den Vorwand dafür, dass am 14. Juli salvadorenische Flugzeuge den Flughafen der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa bombardieren und salvadorenische Truppen nach Honduras einmarschierten. Das salvadorenische Kriegsziel war es, ein Bleiberecht für die "Squatter" aus El Salvador durchzusetzen. Die rasch vordringenden überlegenen salvadorenischen Streitkräfte konnte von den schlecht ausgerüsteten hondurenischen Truppen nur dank der bedeutender Hilfe der Zivilbevölkerung abgebremst werden - es wäre auf längere Sicht wohl zum Guerilla-Krieg gekommen. Die sich abzeichnende Niederlage der honduranischen Armee veranlasste die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) dazu, in den Konflikt einzugreifen und drohte mit Wirtschaftsanktionen. Der UN Generalsekretär schaltete sich als Vermittler ein. Am 18. Juli 1969 endeten die Kämpfe.

Am 29. Juli musste die salvadorianische Regierung dem Rückzug ihrer Truppen zustimmen, ohne dass ihre wichtigste Forderung erfüllt wurde. Am 4. August verließen die letzten Soldaten Honduras. Der Krieg kostete 3.000 Menschen das Leben, weitere 6.000 wurden verletzt. Der Krieg dauerte nur 4 Tage, aber der Konflikt schwelte weiter. Erst 1980 schlossen beide Länder endlich Frieden. Einen Streit um die Landesgrenzen im Golf von Fonseca legten Honduras und El Salvador erst 2006 bei.

Inzwischen hatte El Salvador ein anderes, noch viel größeres Problem: Der soziale Konflikt zwischen der Agraroligarchie und dem ihm verbundenen Militär und den landlosen Armen war 1970 zum offenen Bürgerkrieg eskaliert, der volle zwölf Jahre dauerte, mindestens 80 000 Menschenleben kostete und das Land praktisch ruinierte.
Der Fußballkrieg bedeutete zugleich das Ende des 1960 gegründeten Zentralamerikanischen gemeinsamen Marktes (MCCA).

Auch wenn das Fußballspiel am 26. Juni 1969 nur der Anlass für Unruhen war, die wiederum der Vorwand für den Krieg waren, stellt der "Fußballkrieg" die oft geäußerte Behauptung von der "völkerverständigenden Kraft des Sports" infrage.

Wikipedia: Fußballkrieg
Uni Hamburg: El Salvador / Honduras ("Fußballkrieg")

Süddeutsche.de: WM Qualifikation: Der Fußballkrieg - Spiel mit hohem Risiko.

WDR.de: Vor 40 Jahren: Fußballkrieg zwischen Honduras und El Salvador

Trackback URL:
https://martinm.twoday.net/STORIES/5783828/modTrackback

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 6715 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren