"Antisemitismus? Nö, wir Deutsche doch nicht ... "
Ich gebe zu, ich habe bei “Hart aber fair” zum Thema "Gaza-Krieg" irgendwann genervt abgeschaltet.
Deshalb verweise ich besser auf Reinhard Mohrs schonungslose Besprechung auf "Spon": Gaza-Krieg bei Plasberg - Schlamassel mit der deutschen Schuld.
Das wirklich Peinliche ist nicht, dass in dieser Runde ein (Ex-)Politiker wie Norbert Blüm offensichtlich unreflektiert die Klischees des sekundären Antisemitismus bedient. Denn der "sekundäre Antisemitismus" ist das Produkt eines - allzu berechtigenten - schlechten Gewissens. Er speist sich aus Gefühlen der Scham und Abwehr von nachträglicher Mitverantwortung für nationalsozialistische Verbrechen, weshalb auch vom "Schuldabwehr-Antisemitismus" die Rede ist. Typisch für "sekundäre Antisemiten" ist Pauschalkritik am Staat Israel in Form von NS-Vergleichen. Wenn Blüm darauf hinweist, dass "wir Deutsche", gerade weil wir jene Verbrechen begangen haben, sozusagen verpflichtet seien, anprangern, wie die Palästinenser heute von Israel schikaniert, gequält und gedemütigt würden, dann ist ihm vielleicht gar nicht bewusst, dass er Israel und Nazideutschland gleichsetzt. (Ich schließe mich der Ansicht an, dass unsere Einzige "historische Pflicht" in dieser Sache die ist, zum Gaza-Konflikt vorsichtig zu sein oder die Klappe zu halten.)
Aber das ist halb so schlimm. Selbst Norbert Blüms völlig unsinniger Satz "Christen können keine Antisemiten sein!" ist nicht das Schlimmste.
Schlimmer sind die Reaktionen des Publikums, abzulesen z. B. an den Diskussionen im Spon-Forum. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Menschen, die sich offensichtlich selbst nicht als Antisemiten begreifen, sich eindeutig antisemitisch äußern. Vor allem Friedmann scheint, durch seine polarisierende, aber scharfsinnige Art, die Fassade manches heimlichen Judenhassers zerkratzt zu haben. Ich schätze Friedmans Art zu diskutieren nicht sonderlich, aber offensichtlich wirkt sie. Der offene Hass auf "die Juden" scheint in Deutschland sehr weit verbreitet zu sein. Gut, es gibt auch in anderen Ländern Europas Antisemitismus, oft sogar ausgeprägter als hierzulande. Und auch der Antisemitismus in Deutschland ist oft gewissermaßen "importiert", Sache der moslemischen Minderheit. Für den es aber ein "öffentliches Verständnis" gibt, das ich nicht nachvollziehen kann. Für Antisemitismus gibt es ebenso wenig eine Entschuldigung, wie für Rassismus. Reinhard Mohr bringt es auf den Punkt:
Deshalb verweise ich besser auf Reinhard Mohrs schonungslose Besprechung auf "Spon": Gaza-Krieg bei Plasberg - Schlamassel mit der deutschen Schuld.
Das wirklich Peinliche ist nicht, dass in dieser Runde ein (Ex-)Politiker wie Norbert Blüm offensichtlich unreflektiert die Klischees des sekundären Antisemitismus bedient. Denn der "sekundäre Antisemitismus" ist das Produkt eines - allzu berechtigenten - schlechten Gewissens. Er speist sich aus Gefühlen der Scham und Abwehr von nachträglicher Mitverantwortung für nationalsozialistische Verbrechen, weshalb auch vom "Schuldabwehr-Antisemitismus" die Rede ist. Typisch für "sekundäre Antisemiten" ist Pauschalkritik am Staat Israel in Form von NS-Vergleichen. Wenn Blüm darauf hinweist, dass "wir Deutsche", gerade weil wir jene Verbrechen begangen haben, sozusagen verpflichtet seien, anprangern, wie die Palästinenser heute von Israel schikaniert, gequält und gedemütigt würden, dann ist ihm vielleicht gar nicht bewusst, dass er Israel und Nazideutschland gleichsetzt. (Ich schließe mich der Ansicht an, dass unsere Einzige "historische Pflicht" in dieser Sache die ist, zum Gaza-Konflikt vorsichtig zu sein oder die Klappe zu halten.)
Aber das ist halb so schlimm. Selbst Norbert Blüms völlig unsinniger Satz "Christen können keine Antisemiten sein!" ist nicht das Schlimmste.
Schlimmer sind die Reaktionen des Publikums, abzulesen z. B. an den Diskussionen im Spon-Forum. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Menschen, die sich offensichtlich selbst nicht als Antisemiten begreifen, sich eindeutig antisemitisch äußern. Vor allem Friedmann scheint, durch seine polarisierende, aber scharfsinnige Art, die Fassade manches heimlichen Judenhassers zerkratzt zu haben. Ich schätze Friedmans Art zu diskutieren nicht sonderlich, aber offensichtlich wirkt sie. Der offene Hass auf "die Juden" scheint in Deutschland sehr weit verbreitet zu sein. Gut, es gibt auch in anderen Ländern Europas Antisemitismus, oft sogar ausgeprägter als hierzulande. Und auch der Antisemitismus in Deutschland ist oft gewissermaßen "importiert", Sache der moslemischen Minderheit. Für den es aber ein "öffentliches Verständnis" gibt, das ich nicht nachvollziehen kann. Für Antisemitismus gibt es ebenso wenig eine Entschuldigung, wie für Rassismus. Reinhard Mohr bringt es auf den Punkt:
Der Verdacht liegt nahe, dass die Geysire des Unbewussten exakt zwischen "Tabu" und "Tabubruch" liegen, zwischen Schuldgefühlen und dem Drang, sie zu überwinden – dass es also doch untergründige Verbindungen zwischen Israel-Kritik und einem Antisemitismus gibt, der aus den Untiefen der Geschichte kommt und sich immer wieder neu auflädt.Sehr empfehle ich in diesem Zusammenhang den Aufsatz: Karikaturen, Puppen und Plakate: Alter Judenhass in neuen Gewändern! Denn Israel und "die Juden" haben auch falsche Freunde - Antiislamisten zum Beispiel:
Bei Wiedenroth dürfte die Solidarität mit Israel nur vorgeschoben sein - in erster Linie zum Zwecke der Verächtlichmachung von Muslimen. Israel und die Juden sind nur willkommen, wenn man sie gegen den Islam verwenden kann.Nachtrag für Leute mit guten Nerven: Die "Hart aber Fair"-Sendung auf der WDR-Website: http://www.wdr.de/themen/global/webmedia/webtv/getwebtv.phtml?p=4&b=215
MMarheinecke - Donnerstag, 22. Januar 2009
(der Satz ist aus dem Gedächtnis zitiert, Abweichungen beim Wortlaut sind möglich).
Man könnte auch den israelischen Psychoanalytiker Zvi Rex zitieren:
(Womit er den sekundären Antisemitismus sarkastisch auf den Punkt bringt.)
Ob die Leute im SpOn-Forum "deutsche Bildungsbürger" sind, wage ich zu bezweifeln. (Ich bin schließlich auch kein Bildungsbürger, sondern ein Prolet, der irgendwie ein wenig Bildung aufgeschnappt hat. Damit will ich sagen: höherer Bildungsabschluss und Bildungsbürgertum sind nicht dasselbe.) Was aber nach mehreren demoskopischen Studien stimmt: je höher die formale Bildung ist, desto weniger Antisemiten sind unter den Befragten. Angesichts dieser Perspektive wird mir schlecht.
Nein, auch Norbert Blüm ist kein Antisemit. Jedenfalls würde eine simple Umfrage wohl kein antisemitisches Gedankengut zutage fördern.
Aber er denkt in den Bahnen des sekundären Antisemitismus, eines "Antisemitismus ohne Antisemiten". (Womit ich meine, dass sekundäre Antisemiten sich selbst nicht als Antisemiten verstehen und auch nicht durch besonderen Judenhass auffallen.) In der Diskussion identifizierte er Michel Friedman mit Israel, so als ob Friedman so etwas wie ein inoffizieller Botschafter Israels sei. Nun ist nicht jeder Jude Israeli (und nicht jeder Israeli Jude), und Friedman ist weder Israeli, noch Mitglied der israelischen Regierung noch verantwortlicher Offizier der israelischen Armee. Er ist deutscher Jude. Blüm verzichtet darauf, zu differenzieren. Und das ist das eigentliche Problem.
(Anders herum existiert dieses Problem auch: Thomas Assheuer setzte in der "Zeit" einen Aufruf zum Boykott von israelischen Waren mit einem in Aufruf zum Boykott "jüdischer Exportgüter", also einem Boykott von Juden, gleich. Auch wenn ich diesen Boykottaufruf, der unter anderem von Naomi Klein unterstützt wird, für grundfalsch und töricht halte - er ist gegen Israel, nicht gegen "die Juden" gerichtet.)