Zu viele Leichen - zu viele Zweifel
In meinem letzten Beitrag S-Bahn, Lügen und Video erwähnte ich, dass ich Zeuge eines Bahnsuzids geworden war. Nun ist es immer heikel, öffentlich, und sei es in einem Blog, über Suizide zu berichten, da jede Berichterstattung "Nachahmer" anstiftet. Der Nachahmungseffekt, nach dem berühmtesten Beispiel "Werther-Effekt" genannt, gilt inzwischen wissenschaftlich als statistisch belegbares Phänomen.
Aus dem Pressekodex des Deutschen Presserates:
Das unprofessionelle Verhalten der Polizisten ist dadurch erklärbar, dass die Beamten selbst hochgradig erregt waren und unter einem erheblichen Aufklärungsdruck standen. Außerdem empfand ich, rein subjektiv, die Polizisten als aufdringlicher, als sie es aller Wahrscheinlichkeit nach waren.
Ich persönlich kann sagen, dass mir der Umstand, dass ich der Zeuge zweier, salopp formuliert, unappetitlicher Selbsttötungen wurde, mich von eigenen Suizidplänen abhielt. (Denn "sanfte" Methoden der Selbsttötung, etwa Gift, kamen für mich interessanterweise nie in Frage: "Wenn ich abtrete, dann mit einen Knall und nicht mit einem Wimmern". Das ist keine leere Behauptung, denn ich hatte jahrelang ein Röhrchen mit Kaliumzyanid im Badezimmerschrank stehen - bis ich es dann doch mal beim Problemmüll abgab. In all den Jahren hatte ich nie mit dem Gedanken gespielt, es zu benutzen - aber viele Phantasien, wie ich "mit einem Knall abgehen" könnte.)
Wenn ich in grüblerischen Momenten auf mein bisheriges Leben zurückblicke, dann habe ich schon einige Menschen beim Sterben beobachtet. Außer den beiden Suiziden waren es Unfälle - und zwar seltsam zufällig, völlig "sinnlose", rational nicht zu fassende Unfälle. Weder "technisches Versagen" noch "menschliches Versagen" im Sinne einer groben Fahrlässigkeit war im Spiel - höchsten "ein Moment nicht ausgepasst". So, wie die Insassen des Wohnmobils, dass auf einer Talbrücke von einer plötzliches Windböe über die Mittelleitplanke geweht wurde - in den Gegenverkehr hinnein. Oder der Motorradfahrer, der in voller Fahrt in eine plötzlich geöffnete Fahrertür eines stehenden PKW raste. Oder der betrunkene Passagier eines Fährschiffes, der offensichtlich über die Reling pinkeln wollte, zu diesem Zweck auf eine Kiste mir Schwimmwesten stieg, das Gleichgewicht verlor und in die eiskalte Nordsee kippte. Obwohl das Fährschiff sofort drehte und stoppte (ein echtes Gewaltmanöver) und ein Boot aussetzte, konnte er nur noch tot geborgen werden.
In allen diesen Fälle hätte ich, realistisch betrachtet, nicht mehr helfen können. Trotzdem mache ich mir Vorwürfe - ich hätte "mehr tun sollen als Gaffen oder Wegsehen".
Aus dem Pressekodex des Deutschen Presserates:
Richtlinie 8.5 - SelbsttötungDie Psychiater und Psychologen, die sich mit diesem Problem beschäftigt haben, bitten die Journalisten von Presse, Funk und Fernsehen auf folgende suizid-präventiven Aspekte zu achten (nach W. Ziegler und U. Hegerl, 2002):
Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände. Eine Ausnahme ist beispielsweise dann zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Vorfall der Zeitgeschichte von öffentlichem Interesse handelt.
- Angaben zur biologischen und sozialen Identität vermeiden: Detaillierte Hinweise über Alter, Geschlecht und Aussehen (Fotos, Bilder) sollten ebenso vermieden werden wie Angaben über soziale Beziehungen, gemütsmäßige Verfassung, Charakter und Leistungsfähigkeit (z. B. schulisches Versagen, Arbeitslosigkeit) des Suizidenten.
- Angaben zu Suizidmethode und Suizidort vermeiden: Dies gilt vor allem für konkrete Informationen über die Suizidmethode, die instruktiv oder gar induzierend sein könnte. Ähnliches gilt für den Suizidort, der auf keinen Fall "mystifiziert" werden darf: z. B. "Todesbrücke von …", "das Hochhaus des Grauens", "an der Biegung des Flusses", "zwischen … und … bricht den Lokführern schon der Schweiß aus" u.a.
- Keine Spekulationen über Ursachen und Bewertungen des Suizides: Diese Empfehlung mag überraschen und vor allem journalistisch einengen, hat aber einen nachvollziehbaren Hintergrund. Nach dem erschütternden Freitod eines Familienmitglieds neigen vor allem Angehörige und Bekannte, Freunde und Nachbarn dazu, den Verstorbenen zu überhöhen. Das kann eine entsprechende Berichterstattung bahnen ("er blieb sich selbst treu", "er starb, wie er lebte", "Anpassung war nicht seine Sache" u.a.).
Das unprofessionelle Verhalten der Polizisten ist dadurch erklärbar, dass die Beamten selbst hochgradig erregt waren und unter einem erheblichen Aufklärungsdruck standen. Außerdem empfand ich, rein subjektiv, die Polizisten als aufdringlicher, als sie es aller Wahrscheinlichkeit nach waren.
Ich persönlich kann sagen, dass mir der Umstand, dass ich der Zeuge zweier, salopp formuliert, unappetitlicher Selbsttötungen wurde, mich von eigenen Suizidplänen abhielt. (Denn "sanfte" Methoden der Selbsttötung, etwa Gift, kamen für mich interessanterweise nie in Frage: "Wenn ich abtrete, dann mit einen Knall und nicht mit einem Wimmern". Das ist keine leere Behauptung, denn ich hatte jahrelang ein Röhrchen mit Kaliumzyanid im Badezimmerschrank stehen - bis ich es dann doch mal beim Problemmüll abgab. In all den Jahren hatte ich nie mit dem Gedanken gespielt, es zu benutzen - aber viele Phantasien, wie ich "mit einem Knall abgehen" könnte.)
Wenn ich in grüblerischen Momenten auf mein bisheriges Leben zurückblicke, dann habe ich schon einige Menschen beim Sterben beobachtet. Außer den beiden Suiziden waren es Unfälle - und zwar seltsam zufällig, völlig "sinnlose", rational nicht zu fassende Unfälle. Weder "technisches Versagen" noch "menschliches Versagen" im Sinne einer groben Fahrlässigkeit war im Spiel - höchsten "ein Moment nicht ausgepasst". So, wie die Insassen des Wohnmobils, dass auf einer Talbrücke von einer plötzliches Windböe über die Mittelleitplanke geweht wurde - in den Gegenverkehr hinnein. Oder der Motorradfahrer, der in voller Fahrt in eine plötzlich geöffnete Fahrertür eines stehenden PKW raste. Oder der betrunkene Passagier eines Fährschiffes, der offensichtlich über die Reling pinkeln wollte, zu diesem Zweck auf eine Kiste mir Schwimmwesten stieg, das Gleichgewicht verlor und in die eiskalte Nordsee kippte. Obwohl das Fährschiff sofort drehte und stoppte (ein echtes Gewaltmanöver) und ein Boot aussetzte, konnte er nur noch tot geborgen werden.
In allen diesen Fälle hätte ich, realistisch betrachtet, nicht mehr helfen können. Trotzdem mache ich mir Vorwürfe - ich hätte "mehr tun sollen als Gaffen oder Wegsehen".
MMarheinecke - Dienstag, 14. Oktober 2008
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