Hexenjagd

"Twister" (Bettina Winsemann) weist auf "telepolis" auf einen beunruhigenden politisch-psychologischen Mechanismus hin: Paranoia, Folter und die Unmöglichkeit der Unschuld.

Ein Gedanke "Twisters" zur paranoiden Reaktion auf die "terroristische Bedrohung" kommt mir, als "Amateur-Hexenforscher", unangenehm bekannt vor:
(...) Bedenkt man nämlich, dass Folter letzten Endes nur die erwünschten Ergebnisse bringen kann (zynisch betrachtet: sind sie zu stark, sind wir zu schwach), so gäbe es bei demjenigen, der den Spuckbeutel hinterließ, bei dem Pärchen, das auf dem Parkplatz weiße Pfeile anbrachte usw. nur zwei Möglichkeiten:
  • entweder sie brechen unter der Folter zusammen und bekennen sich schuldig
  • oder sie sind zu stark, so dass die Methoden der "Verhöre" intensiviert werden müssen.
Denn wie sollte jemand seine Unschuld beweisen können? Das ist auch das Wesen der paranoiden Überlegungen und der Folterdebatte: Es gibt keine Unschuld, man muss nur lang genug nach der Schuld fischen, um sie zu fangen. Notfalls erfindet der Delinquent sie, um einfach seinem Martyrium ein Ende zu machen.(...)
(Hervorhebung von mir, MM.)

Auf genau diese Art und Weise wurden im 16. und 17. Jahrhundert tausende "Hexen" des "Teufelspaktes" "überführt". Man solle sich hüten, die Hexenverfolgung für die Reaktion einer noch "primitiven" Gesellschaft zu halten. Es wurden damals differenzierte Methoden entwickelt, um Hexerei nachzuweisen und spezielle juristische Leitfäden für die "ordnungsgemäße Durchführung" von Hexenprozessen ausgearbeitet, nicht etwa nur die berüchtigte "Inquisition", sondern auch die theologischen und juristischen Fakultäten der meisten Universitäten, egal ob katholisch oder protestantisch, waren aktiv mit der "Bekämpfung des Hexenwesens" befasst. Es gab nicht nur einschlägige Gesetze und Verordnungen, und zahlreiche Experten aus Kirche, Wissenschaft und Politik, die fest davon überzeugt waren, dass die Hexerei eine konkrete Gefahr für die Gesellschaft bedeutete, es gab vor allem eine durch zahlreiche Krisen - Klimaverschlechterung und damit verbundene Ernteausfälle, die zu Hungersnöten führten, politische Instabilität, Kriege, Wirtschaftskrisen - verunsicherte Bevölkerung, die "dankbar" die "offizielle Erlaubnis" zum Hass auf vermeintlich "Schuldige" an ihrer Misere annahm. Der psychologische Mechanismus war dem der Judenverfolgung nicht unähnlich, allerdings wohl erheblich angstbesetzter - man hatte es schließlich mit einem "Superverbrechen", dem Teufelspakt, zu tun! Jedes, aber auch jedes Mittel zur Bekämpfung dieses unendlich bösen Superverbrechens war legitim, der Zweck heiligte jedes Mittel.

Was es in dieser Zeit allerdings nicht gab, das waren Hexen! (Hexen im "Sinne der Anklage" natürlich - ich bezeichne mich manchmal selbst, sogar im Fernsehen, als "Hexe, männlich", und zwar nicht nur zum Spaß.) Mehr zur "historischen Hexenverfolgung" und ihren Hintergründen hier -> Die Erfindung des Hexereidelikts

Terroristen gibt es wirklich, allerdings habe ich nicht selten den Eindruck, dass die meisten "Terrornetzwerke" und "abstrakten Gefährdungen" etwa den Realitätsgehalt eines Teufelspaktes samt Besenflug zum Hexensabbat auf dem Blocksberg haben.

Meines Erachtens weist der "Hexenwahn" mit der "terroristischen Bedrohung" eine weitere Parallelen auf:
Es gibt keine "Zentralsteuerung", etwa im Sinne einer "Weltverschwörung" - die Hexenverfolgung war keine Machenschaft der "Inquisition" (tatsächlich wirkte ausgerechnet die spanische Inquisition einer Hexenverfolgung entgegen), genauso wenig wie der Terrorismus vom CIA, NSA oder Mossad "ferngesteuert" wird. Allerdings war die Inquisition durchaus in die Hexenverfolgung verwickelt, so wie die Geheimdienste durchaus Teil des Problems "Terrorismus" sind.

Es zeigt sich auch heute, dass Hexenverfolgung und Krise Hand in Hand gehen - siehe die heutigen Hexenverfolgungen, z. B. in Afrika.

Ich rechne damit, dass im Fall einer - leider nicht unwahrscheinlichen - Weltwirtschaftskrise die hysterische "Sündenbocksuche" genau so um sich greifen wird, wie eine blühende "Sicherheitsindustrie" - beides zu Lasten der bürgerlichen Freiheiten. Hinzu kommt, dass die Neigung der Politiker und wirtschaftlich Mächtigen, ihre Macht durch das publikumswirksame an die Wand malen von Bedrohungen und durch das Ausbauen des Sicherheitsapparates (mit der Begründung, damit "Superverbrechen" abzuwehren) zu stabilisieren, ebenfalls Gift für die offene Gesellschaft und in der Folge für jede mehr als formale Demokratie sind.

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