Aus der Wunderwelt der gut-doofen Filme - heute: Die Wikinger

Auch wenn die historischen Fakten in diesem berühmten Kostümfilm nicht wirklich authentisch zu nennen sind, zeichnet er ein in weiten Teilen glaubwürdiges Bild der Wikinger als wagemutige und wilde Seefahrer, und auch die Charaktere wirken echt. Zudem besticht der Film durch farbenprächtig wiedergegebene Riten und beeindruckende Aufnahmen an Originalschauplätzen.
ARTE-Website über den Film "Die Wikinger".

So kann man es natürlich auch ausdrücken. Eine treffendere Beschreibung wäre allerdings: "Der Film lässt kaum ein Wikinger-Klischee aus und ignoriert äußerst souverän die historische Fakten."
Die Wikinger
Die Wikinger" (The Vikings) aus dem Jahre 1958 ist der bekannteste und kommerziell erfolgreichste Wikingerfilm aller Zeiten.
Für mich gehört er, inhaltlich gesehen, zu einer Unterkategorie, in der sich sonst eher billige Trash-Filme als aufwendige Großproduktionen finden: "So daneben ist, dass der Film schon wieder Kult ist."
Das betrifft, wie gesagt, den Inhalt, in erster Linie also das Drehbuch. Optisch und dramaturgisch gehört der Film "Die Wikinger" zu den besseren "Historienschinken" der 1950er Jahre.

Die Besetzung ist hervorragend - Kirk Douglas, damals ohnehin die Idealbesetzung für kantige Kämpfertypen mit körperlicher Präsenz, gab mit sichtbarer Spielfreude und der notwendigen Prise Ironie den Wikingerhäuptling Einar, Tony Curtis überzeugte als sein Halbbruder / Rivale Erik. Erstaunlicherweise konnte auch Ernest Borgnine als Douglas' Filmvater Ragnar überzeugen, obwohl Borgine und Douglas etwa gleichaltrig sind. Die gutaussehende Janet Leigh war als Prinzessin Morgana auch keine Fehlbesetzung. James Donald als intriganter Lord Egbert und Frank Thring als böser König Aella von Northumbrien traten neben der enormen Präsenz der Hauptdarsteller Curtis und Douglas etwas in den Hintergrund.

Die Dramaturgie ist routiniert, und die für Hollywood in den 50ern obligatorische Liebes-Schmonzette - Einar und Erik verlieben sich beide in Morgana - noch im erträglichen Kitschbereich. Die Kampf- und Schlachtszenen sind, für damalige Verhältnisse, überzeugend choreographiert, die Ausstattung ist üppig. Es kam dem Film auch sehr zugute, dass er zum Teil an Originalschauplätzen gedreht wurde.

Die Idee für den Film stammte von Kirk Douglas selbst. 1956 nahmen seine Pläne, einen "Normannenfilm" zu machen, konkrete Formen an. Als Regisseur engagierte er Richard Fleischer, mit dem er bereits bei der aufwendigen Jules-Verne-Verfilmung "20000 Leagues Under the Sea" ("20000 Meilen unter den Meeren") erfolgreich zusammengearbeitet hatte. Douglas und Fleischer sollen anfangs beabsichtigt haben, den Roman "Die Abenteuer des Röde Orm" von Frans G. Bengtsson zu verfilmen, sie wählten jedoch den weniger bekannten Roman "The Viking" von Edison Marshall als literarische Vorlage. Abgesehen davon, dass es offenbar schwierig war, die Filmrechte von Bengtssons Erben zu bekommen, war der vielschichtige und genau recherchierte "Röde Orm" wahrscheinlich als Vorlage eines "Western, der in der Wikingerzeit spielt" (Douglas über seinen Film), weniger geeignet als Marshalls Roman, der mit dem Untertitel "An Heroic Saga of Lust and Conquest" erschien.
Douglas und Fleischer entschlossen sich, nach eigenen Angaben, die Wikinger so weit wie möglich historisch genau darzustellen. Deshalb sollten die Wikinger in ihrem Film auch keine Helme mit Hörnern tragen (einige Hörnerhelmträger schafften es dann doch in den fertigen Film).
"Die Wikinger" wurden, wie so viele "Hollywood"-Monumentalfilme von der Stummfilmzeit bis heute, fernab von Kalifornien gedreht. Die Innenaufnahmen entschanden in den Bavaria-Filmstudios bei München, die Außenaufnahmen entstanden in einer mittelalterlichen Burg in Frankreich und in Norwegen, wo ein komplettes und einigermaßen originalgetreues Wikingerdorf am Sognefjord errichtet wurde. Der Schnitt und die Nachbearbeitung fanden in London statt. Zwei originalgetreue Wikingerschiffe wurden auf einer norwegischen Bootswerft gebaut - sie gehören bis heute zu den überzeugendsten Film-Langschiffen. Beim Casting der Wikinger-Nebendarsteller und -Komparsen bissen die Klischees um so heftiger zu: sie mussten nicht nur geübte Ruderer sein, sondern auch mindestens 1,80 m groß sein und lange Vollbärte tragen.
Zu den Kompromissen, die beim Nachbau der Wikingerschiffen gemacht wurden, gehörten nicht nur versteckt eingebaute Bootsmotoren, sondern auch Segel aus Kunstfaser. Die Motoren wurden dazu benutzt, um die Schiffe schnell von einem Drehort zum anderen zu bringen - allerdings sollen die Propeller in einigen Szenen zu sehen sein (mir sind sie bisher nicht aufgefallen). In einer Produktion mit großem Budget und großzügigem Zeitrahmen konnte Fleischer es sich leisten, Filmszenen neu drehen zu lassen, wenn in bereits fertigen Szenen ein "Wikinger" im Hintergrund eine Zigarette rauchte oder eine leere Bierdose im Wasser trieb.
Aushangbild "Die Wikinger"
Das unberechenbare norwegische Wetter und Fleischers Perfektionismus drohten schließlich doch das Budget und den Zeitrahmen zu sprengen - Schlechtwetter erforderte drei Monate zusätzliche Drehzeit, das Budget wurde um eine Million Dollar (was damals viel Geld war) überschritten.
Kopfschmerzen bereitete Fleischer auch Kirk Douglas' und Tony Curtis' bei Regisseuren und Produzenten gefürchtete Vorliebe dafür, gefährliche Stunts selbst auszuführen. Hätte sich Douglas in der berühmten Szene, in der er außenbords von Riemen (Ruder) zu Riemen sprang oder Curtis bei seinem Sprung auf den Pferderücken etwa ein Bein gebrochen, wäre das Filmprojekt wahrscheinlich geplatzt. Ein Streik der norwegischen Komparsen um mehr Gage verzögerte die Dreharbeiten nur geringfügig. Die von Douglas gern erzählte Anekdote, dass er und Curtis bei einer Party für die Filmcrew auf der Bühne jongliert hätten und sich über den frenetischen Beifall gewundert und gefreut hätte, weil sie nicht gewusst hätten, dass Janet Leigh hinter ihnen einen Striptease aufführte, ist wahrscheinlich eine von Douglas erfundene Legende, mit der er den Komparsenstreik ausschmückte.

Der Film war in den USA ein überwältigender Erfolg. In Skandinavien war er jedoch ein Kassen-Flop. Vor allem in Schweden waren die Filmkritiken vernichtend.

Das war auch kein Wunder, den der Film entzückt den historisch sachkundigen Freund der unfreiwilligen Filmkomik durch daumendick aufgetragene Klischees und durch zahlreiche kleine historische Fehler und große Anachronismen. Egbert trägt nicht nur den Titel "Lord", sondern auch die Allüren eines englischen (Klischee-)Edelmannes. König Aella lebte vor der Zeit der Wikingerüberfälle auf England - er war der erste bekannte angelsächsische König des Königreiches Deira im 6. Jahrhundert, das mittelenglische Königreich Northumbria, in dem Deira aufging, existierte zwischen 604 und 878, während die gezeigte Wikingerkultur am ehesten noch im 10. Jahrhundert angesiedelt werden könnte. Abgesehen davon wirkt "Northumbria" im Film eher hochmittelalterlich, was nicht nur an der hoch- bis spätmittelalterlichen Burg liegt, auf der einige Szenen gedreht wurden. Aber genug der Haarspalterei: ungewöhnlich für das amerikanische Kino der damaligen Zeit ist, dass Pater Godwin (Alexander Knox) eine beinahe lächerliche Figur abgibt - ungewöhlich, weil der damals für Filme in den USA praktisch verbindliche Production-Code vorschrieb, dass Geistliche nicht als komische Charaktere oder Schurken dargestellt werden durften.
Die gezeigten Riten wirken immerhin schön barbarisch-prächtig, auch wenn sie fast alle frei erfunden wurden und sich ihr Sinn daran erschöpft, barbarisch-prächtig zu sein. Eben passend für einen Western im Fantasy-Mittelalter.
Für Kenner der nordischen Mythologie ist die dramatische Schlusssequenz von besonderer Delikatesse: Es kommt zu einem Schwertkampf zwischen Einar und Erik. Eriks Klinge zerbricht, Einar könnte ihn nun ohne weiteres töten. Doch Einar zögert und erkennt, dass er seinen Bruder vor sich hat. Erik stößt Einar die zerbrochene Klinge in die Brust. Und nun die Szene, die beim sachkundigen Publikum stets große Heiterkeit erzeugt: Erik gibt seinem sterbenden Bruder sein Schwert in die Hand, damit er Walhalla erreichen kann.
Ob ein im Kampf gefallener Kämpfer als Einherjer nach Walhall einzieht, hängt nach altnordischer Vorstellung davon ab, dass er tapfer und ehrbar gekämpft hat. Tatsächlich ist die Vorstellung, dass ein Krieger ein Schwert für den Einzug nach Walhall brauchen würde, etwa so grotesk, wie die Vorstellung, ein Christ müsse unbedingt mit der aufgeschlagenen Bibel in den Händen sterben, um in den Himmel zu kommen.
Zuschauern ohne Wikinger-Wissen entgeht dieser Spaß leider.

Da der Film aber mit dem Anspruch beworben wurde, das Leben der Wikinger so historisch genau wie möglich wiederzugeben, ist die Enttäuschung der meist über die Wikingerzeit gut informierten skandinavischen Zuschauer nachvollziehbar. Erst viel später, als in den 80er Jahren der Film in die Videotheken kam, wurden "Die Wikinger" auch in Nordeuropa "Kult".
Kirk Douglas in "Die Wikinger"

Alles im Allem ist "Die Wikinger" ein sehenswerter Film - und damit eher "gut" als "doof". Es gibt wirklich viel schlechtere Wikinger-Filme, von denen die meisten noch nicht einmal "gut-doof" sind.

Ein Wikinger-Film, der wirklich nur wegen seiner unfreiwillgen Komik zu ertragen ist, der in jeder Hinsicht "so daneben ist, dass der Film schon wieder Kult ist", ist z. B. "Raubzug der Wikinger" (The Long Ships) aus dem Jahr 1964, immerhin mit Richard Widmark und Sidney Poitier und immerhin unter Verwendung eines der Schiffe aus "Die Wikinger" (angeblich) frei nach Bengtssons "Röde Orm" gedreht (so frei, dass es kaum Ähnlichkeiten gibt). Verglichen mit diesem oft im Fernsehen gezeigten Trash ist Kirk Douglas' "Wikinger-Western" wahrlich Filmunterhaltung mit Niveau!
Wirr-Licht - 26. Jun, 10:35

Conan der Wickinger?

Die gezeigten Riten wirken immerhin schön barbarisch-prächtig, auch wenn sie fast alle frei erfunden wurden und sich ihr Sinn daran erschöpft, barbarisch-prächtig zu sein. Eben passend für einen Western im Fantasy-Mittelalter.

ist doch prima. aber solche "historienfilme" wirken auf mich immer sehr anachronistisch.

MMarheinecke - 26. Jun, 11:50

Conan der Zerstörer!

Richard Fleischer war auch der Regisseur von "Conan der Zerstörer", von "Red Sonja" und etlichen weiteren Fantasy-Filmen.
Wirr-Licht - 26. Jun, 12:03

also doch!

meine güte, mein gespür trügt mich nie :D

aber das hätte ich, ganz im ernst, nicht erwartet.

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