Vom olympischen Geist

Ja, ja, ich höre immer wieder, dass Sport und Politik nichts miteinander zu tun hätten. Für diese gespielte Naivität hätte ein "alter Grieche" unsere Sportfunktionäre, sich mit Sportlern schmückende Politiker und die an Sportlern verdienende Industrie laut ausgelacht. Denn das antike Olympia war eine hoch politische (und nebenbei auch hoch religiöse) Veranstaltung. Und die antiken Athleten waren allesamt "Profis".
Natürlich will China eine große Propagandashow abhalten. Selbstverständlich wird auch zu Olympia 2008 gedopt und manipuliert werden, wie bei allen vorhergegangenen olympischen Spielen - tendenziell wahrscheinlich mehr, denn der Gastgeber hat das staatliche Dopingsystem ähnlich perfektioniert wie seine Internet-Zensur und seine Überwachungssysteme - auch dank bereitwilliger Hilfe "westlicher" Unternehmen.
Selbstverständlich werden die zahlreichen akkreditierten Journalisten über die wahren Zustände in China abseits der Sportstätten nicht berichten können - wenn sie denn überhaupt wollen, was ich bei den meisten Journalisten ohnehin nicht annehme.
Und selbstverständlich ist die "Tibet-Frage" nicht der einzige blutig unterdrückte Widerspruch in einem Land, dass den Beweis zu liefern scheint, dass erfolgreicher Kapitalismus keine Bürger- und Menschenrechte braucht. Nur haben die Tibeter das Glück, dass sie mit dem Dalai Lama einen Medienliebling als Vertreter ihrer Exilorganisation haben. Die ebenso unterdrückten Uiguren z. B. können von ähnlicher Aufmerksamkeit nur träumen.
Und selbstverständlich wird ein Boykott, wenn er dann wider Erwarten kommen sollte, ohne Wirkung bleiben.
Denn bekanntlich werden selbst größte Widersprüche in der europäischen Außenpolitik hingenommen, um Geschäfte in China zu sichern.
Warum stelle ich trotzdem diese Graphik in mein Blog?
Weil eines nicht selbstverständlich ist, nicht nur in China: Die freie Meinungsäußerung. Die wir bei uns leichtfertig verspielen, die wir uns unbedacht klauen lassen, unter dem Vorwand der "Sicherheit". Die falsche Alternative "Sicherheit oder Freiheit" ist in China der Vorwand, Bürger- und Menschenrechte zu ignorieren. Leider eifern auch "westliche" Politiker diesem Vorbild nach.
Eines kann man vom Leistungssport tatsächlich lernen: Wer resigniert hat schon verloren.
Angeregt durch Stefan Niggemeier.
MMarheinecke - Dienstag, 25. März 2008
Ich habe beide Olympiaboykotts als Jugendlicher erlebt, vom jetzigen Standpunkt "hinter" dem eisernen Vorhang. Von daher prognostiziere ich, dass es für 99% der Chinesen kein Unterschied sein wird, ob wir teilnehmen oder nicht, alles andere ist illusionär. Die Frage lautet deshalb: Wollen wir unter diesen Umständen teilnehmen? Ich kann die Antwort nur für mich selbst geben: Ich nicht (als Zuschauer). Aber diese Ablehnung fällt mir auch ganz leicht (siehe den zweiten Satz im ersten Abschnitt), weil ich mir sowieso fast nichts angesehen hätte.