Wo liegt was in Tolkiens "Mittelerde"?
Es wird unter Tolkien-Fans schon lange darüber spekuliert, wie sich Mittelerde und Europa in Übereinstimmung bringen lassen.
Ein besonders interessanter Ansatz ist der Versuch eines anderen Professors, des Geologen Peter Bird aus Los Angeles, Mittelerde als das "Europa nach der Eiszeit" zu deuten - ein Europa, in dem der Meeresspiegel tiefer lag und die Küstenlinien deshalb noch anders verliefen: Where on earth was Middle-earth?.
Völlig abwegig ist diese Idee nicht, jedenfalls, wenn man sie spielerisch aufgreift und immer im Hinterkopf behält, dass Tolkien seine Mittelerde-Romane ausdrücklich nicht als Allegorie verstanden haben wollte - und deshalb Deutungen wie "Isengard ist das Ruhrgebiet in seiner Funktion als Waffenschmiede des deutschen Militarismus" oder "das Auenland ist das ländliche England vor dem 1. Weltkrieg" ins Leere laufen.
Tolkien selbst verglich seine "Alte Welt" ausdrücklich mit Europa - allerdings einem Europa, das man im Schulatlas vergeblich sucht:
Aber Tolkien schrieb im Vorwort "Der Herr der Ringe", dass es nichts einbringen würde, nach geographischen Übereinstimmungen zu suchen, denn das 3. Zeitalter von Mittelerde wäre schon lange vorbei und die Gestalt aller Länder hätte sich verändert.
Genau das ist es, was Prof. Peter Bird mit seiner Karte versucht hat. Bird ist Professor für Geophysik und Geologie an der UCLA (University of California in Los Angeles) und legte die Karte von Mittelerde über die Europas etwa zur Zeit des Weichselspätgazials am Ende der vorerst letzten Eiszeit, vor ca. 11500 Jahren.
(Wobei er allerdings die klimatischen Verhältnisse der Gegenwart voraussetzt, und unterschlägt, dass zum Beispiel das nördliche Skandinavien noch unter Gletschern begraben lag - was ja auch die Ursache für den niedrigen Meeresspiegel war.)
Im Grunde macht Prof. Bird mit Tolkiens Welt dasselbe, was auch Lyon Sprague de Camp tat, als er Robert E. Howards "Conan" überarbeitete und erweiterte und dabei das "Hyborische Zeitalter" Conans, das Howard vor "etwa 12000 Jahren" angesiedelt hatte, augenzwinkernd in die reale Geographie dieser Zeit verlegte - jedenfalls in groben Zügen. Conans Heimatland Cimmerien setzte de Camp dabei mit Kimbrien, der Urheimat der Kimbern, gleich, bzw. mit den damals trockenen Boden der Nordsee, der an das mit Kimbrien identifizierte Jütland grenzt.
Wenn ich mit die Karte Prof. Birds ansehe, dann fällt mir auf, dass auch er Einiges verschieben musste, damit aus Europa am Ende der Eiszeit "Mittelerde" wird. Abgesehen vom Fehlen des restlichen skandinavischen und alpiden Inlandeises fällt auf, dass es keinen Fluss gibt, der dem "großen Strom" Anduin entspräche. Streckenweise wird er auf der Bird-Karte mit der Oder, der Elbe und der Donau gleichgesetzt, was aber nicht wirklich befriedigt. Außerdem hat Bird, ganz wie Sprague de Camp, Gebirgszüge nach Bedarf "verlängert" oder "erhöht". Die Nord-Süd-Ausrichtung von Mittelerde und Europa stimmt auch nicht überein. Anders ausgedrückt: was nicht passte, wurde passend gemacht.
Wie oben erwähnt, muss man bei jeder "Ortsbestimmung" im Auge behalten, dass Tolkien keine allegorischen oder aktuellen Gleichsetzungen vornahm. Damit lassen sich die Orte in Mittelerde nur auf dem Wege der persönlichen gefühlsmäßigen Assoziation finden - etwa: "diese Landschaft erinnert mich an ... " oder "diese Berge erwecken in mir das Gefühl, sie könnten ... sein". Es geht um "gefühlte Ähnlichkeiten", wobei die Landschaftsbilder noch am ehesten zwischen Mittelerde und Europa übereinstimmen könnten.
Stimmen die geographischen Orte auf der Europakarte, die Bird Orten aus Mittelerde zuordnet, wenigsten "vom Gefühl her" mit ihren tolkienschen Gegenstücke überein? Da ich die Gefühle und Gedanken Tolkiens nicht wirklich kennen kann, bleibt das zwar Spekulation, aber spaßeshalber kann ich die "birdschen Ortsbestimmungen" darauf abklopfen, wie plausibel sie für mich sind.
Nun gibt es gewiss Schlaumeier, die behaupten werden, Mittelerde sei mit Neuseeland identisch. Obwohl Peter Jackson die Drehorte der Verfilmung durchweg gut wählte, gibt es eine bezeichnende Ausnahme: den Großen Strom. In Neuseeland gibt es einfach keinen Fluss, der breit genug wäre, um als archetypischer Großer Strom glaubwürdig zu sein. Der Große Strom ist Rhein, Rhône, Elbe, Donau und Wolga zugleich, rückt man von "Mittelerde als Europa" ab, ist er auch Nil, Euphrat, Tigres, Indus, Ganges, Mekong, Jangtse, Huang He, Mississippi, vielleicht auch Amazonas und Kongo.
Neuseeland, als Inselstaat, ist einfach zu klein für einen Großen Strom - es wird deshalb nicht Mittelerde sein.
Ein besonders interessanter Ansatz ist der Versuch eines anderen Professors, des Geologen Peter Bird aus Los Angeles, Mittelerde als das "Europa nach der Eiszeit" zu deuten - ein Europa, in dem der Meeresspiegel tiefer lag und die Küstenlinien deshalb noch anders verliefen: Where on earth was Middle-earth?.
Völlig abwegig ist diese Idee nicht, jedenfalls, wenn man sie spielerisch aufgreift und immer im Hinterkopf behält, dass Tolkien seine Mittelerde-Romane ausdrücklich nicht als Allegorie verstanden haben wollte - und deshalb Deutungen wie "Isengard ist das Ruhrgebiet in seiner Funktion als Waffenschmiede des deutschen Militarismus" oder "das Auenland ist das ländliche England vor dem 1. Weltkrieg" ins Leere laufen.
Tolkien selbst verglich seine "Alte Welt" ausdrücklich mit Europa - allerdings einem Europa, das man im Schulatlas vergeblich sucht:
The action of the story takes place in the North-West of ‘Middle-earth’, equivalent in latitude to the coastlands of Europe and the north shores of the Mediterranean (…) If Hobbiton and Rivendell are taken (as intended) to be about the latitude of Oxford, then Minas Tirith, 600 miles south, is at about the latitude of Florence. The Mouths of Anduin and the ancient city of Pelargir are at about the latitude of ancient Troy.Die Geschichte handelt im Nordwesten "Mittelerdes", das in der geographische Breite den Küstenländern Europas und den Nordufern des Mittelmeers entspricht (...) Wenn man (wie beabsichtigt) davon ausgeht, dass Hobbingen und Wasserau ungefähr auf dem Breitengrad von Oxford liegen, dann liegt Minas Tirith, 600 Meilen südlich, etwa auf der Breite von Florenz. Die Mündungen des Anduin und die alte Stadt Pelagir liegen etwa auf dem Breitengrad des alten Troja.
Aber Tolkien schrieb im Vorwort "Der Herr der Ringe", dass es nichts einbringen würde, nach geographischen Übereinstimmungen zu suchen, denn das 3. Zeitalter von Mittelerde wäre schon lange vorbei und die Gestalt aller Länder hätte sich verändert.
Genau das ist es, was Prof. Peter Bird mit seiner Karte versucht hat. Bird ist Professor für Geophysik und Geologie an der UCLA (University of California in Los Angeles) und legte die Karte von Mittelerde über die Europas etwa zur Zeit des Weichselspätgazials am Ende der vorerst letzten Eiszeit, vor ca. 11500 Jahren.
(Wobei er allerdings die klimatischen Verhältnisse der Gegenwart voraussetzt, und unterschlägt, dass zum Beispiel das nördliche Skandinavien noch unter Gletschern begraben lag - was ja auch die Ursache für den niedrigen Meeresspiegel war.)
Im Grunde macht Prof. Bird mit Tolkiens Welt dasselbe, was auch Lyon Sprague de Camp tat, als er Robert E. Howards "Conan" überarbeitete und erweiterte und dabei das "Hyborische Zeitalter" Conans, das Howard vor "etwa 12000 Jahren" angesiedelt hatte, augenzwinkernd in die reale Geographie dieser Zeit verlegte - jedenfalls in groben Zügen. Conans Heimatland Cimmerien setzte de Camp dabei mit Kimbrien, der Urheimat der Kimbern, gleich, bzw. mit den damals trockenen Boden der Nordsee, der an das mit Kimbrien identifizierte Jütland grenzt.
Wenn ich mit die Karte Prof. Birds ansehe, dann fällt mir auf, dass auch er Einiges verschieben musste, damit aus Europa am Ende der Eiszeit "Mittelerde" wird. Abgesehen vom Fehlen des restlichen skandinavischen und alpiden Inlandeises fällt auf, dass es keinen Fluss gibt, der dem "großen Strom" Anduin entspräche. Streckenweise wird er auf der Bird-Karte mit der Oder, der Elbe und der Donau gleichgesetzt, was aber nicht wirklich befriedigt. Außerdem hat Bird, ganz wie Sprague de Camp, Gebirgszüge nach Bedarf "verlängert" oder "erhöht". Die Nord-Süd-Ausrichtung von Mittelerde und Europa stimmt auch nicht überein. Anders ausgedrückt: was nicht passte, wurde passend gemacht.
Wie oben erwähnt, muss man bei jeder "Ortsbestimmung" im Auge behalten, dass Tolkien keine allegorischen oder aktuellen Gleichsetzungen vornahm. Damit lassen sich die Orte in Mittelerde nur auf dem Wege der persönlichen gefühlsmäßigen Assoziation finden - etwa: "diese Landschaft erinnert mich an ... " oder "diese Berge erwecken in mir das Gefühl, sie könnten ... sein". Es geht um "gefühlte Ähnlichkeiten", wobei die Landschaftsbilder noch am ehesten zwischen Mittelerde und Europa übereinstimmen könnten.
Stimmen die geographischen Orte auf der Europakarte, die Bird Orten aus Mittelerde zuordnet, wenigsten "vom Gefühl her" mit ihren tolkienschen Gegenstücke überein? Da ich die Gefühle und Gedanken Tolkiens nicht wirklich kennen kann, bleibt das zwar Spekulation, aber spaßeshalber kann ich die "birdschen Ortsbestimmungen" darauf abklopfen, wie plausibel sie für mich sind.
- The Shire (Das Auenland) liegt im Südwesten Englands. Und da liegt es ohne Zweifel richtig, denn Tolkien selbst hat es dort angesiedelt.
- Der Alte Wald liegt in Yorkshire. Das erscheint mir persönlich wenig plausibel, denn mit "Yorkshire" verbinde ich nicht unbedingt große, unberührte Wälder. Die "Yorkshire Dales" mögen landschaftlich reizvoll sein, sind aber nicht wirklich waldreich. Mir fällt beim Stichwort "Old Forest" schon eher der Sherwood Forest ein, und zwar nicht der heutige klägliche Überrest, sondern der ausgedehnte Wald zu Robin Hoods Zeiten. Immerhin grenzt Nottinghamshire an das südliche Yorkshire, so das wenigstens die Richtung stimmt. Der "Old Forrest" könnte auch der einstige "große Birkenwald", der Bearroc, in Berkshire, sein, weil Tolkien Tom Bombadil, den Hüter des Alten Waldes, einmal als Geist der Landschaft von Oxford- und Berkshire bezeichnet hatte.
- The Barrow Downs (die Hügelgräberhöhen) liegen in Nordengland. Keine Einwände, außer, dass sie "eigentlich" östlich, und nicht nördlich des Alten Waldes liegen müssten.
- Bree liegt bei Newcastle-upon-Tyne - was sich mir nicht unbedingt aufdrängt.
- Amon Sûl, die Wetterspitze, liegt im schottischen Hochland. Das kann ich mir schon wieder gut vorstellen.
- The Grey Havens (die Grauen Anfuhrten) liegen in Irland. Da könnten sie tatsächlich liegen, auch wenn ich sie mir eher wie den Trondheim-Fjord, als großer Naturhafen, vorstelle.
- Eriador entspricht Brittanien. Keine Einwände.
- Hithaegelir, das Nebelgebirge, ist die skandinavische Gebirgskette, in Schweden meist kurz "Fjäll" und in Norwegen "Kjølen" genannt. Damit bin ich einverstanden, denn schon Tolkiens Namenswahl weist nach Skandinavien. Die landschaftliche Übereinstimmung ist groß, vor allem im Hochgebirge Jotunheim in Norwegen. Im Winter war die Gebirgskette früher nahezu unüberwindlich und ist in Volkssagen als Heimat von Zwergen, Riesen und Trollen bekannt.
- Der Mirkwood (Düsterwald) bedeckt fast ganz Finnland und einen großen Teil des Ostseegrundes. Da ich bei schier endlosen, unwegsamen Wäldern tatsächlich an Finnland denke, habe ich keine Einwände. Vielleicht sehen die Finnen das anders.
- Der Elbenwald Lothlórien liegt in Dalarna, Mittelschweden. Ob das plausibel ist, kann ich nicht sagen, da das Elbenland sowieso nicht ganz zur Alltäglichen Welt gehört.
- Helm’s Deep (Helms Klamm) liegt nahe dem Dreiländereck zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz, nicht weit von Basel. Ich könnte mir diese Schlucht durchaus im Südschwarzwald vorstellen, aber wirklich überzeugend ist das nicht. Vielleicht kann man bei Basel an die durch eine "Schlucht" (den Oberrheingraben und die Burgundische Pforte) führenden "lebenswichtigen" Handelswege denken, aber das wäre nach meiner Tolkien-Auffassung viel zu allegorisch gedacht.
- Die Gebirgskette von Ered Nimrais, das "weiße Gebirge", sind die Alpen. Damit bin ich einverstanden.
- Gondor entspricht Norditalien, dass sich in Richtung der trocken liegenden Adria fortsetzt. Das entspricht in etwa auch Tolkiens Angaben, Klima und Geographie stimmen in etwa auch.
- Mordor liegt, glaubt man Bird, auf dem Balkan. Das Kerngebiet um den Schicksalsberg, die Hochebene von Gorgoroth, liegt in Siebenbürgen (Transylvanien) in Rumänien, während Minas Morgul etwa in Ungarn und Minas Tirith irgendwo in Österreich läge. Damit bin ich nicht einverstanden, auch wenn man vielleicht auf den Gedanken kommen könnte, Tolkien hätte an das Transsilvanien aus Bram Stockers "Dracula" gedacht. Ich sehe Mordor als geographischen Fremdkörper, als ein Land, das sich in das "alte Europa" buchstäblich nicht einfügen lässt. Ein höllisches, unwirtliches, "verdorbenes" Land, das nicht wirklich zu Mittelerde gehört.
- Rohan liegt im südlichen Deutschland, wobei Edoras am Fuße der bayrischen Alpen läge. Nun gut, ich habe Rohan eher als weite Ebene in Erinnerung, vergleichbar vielleicht mit der ungarischen Puszta. Edoras könnte ich mir aber gut im Voralpenland vorstellen.
- Isengard liegt bei Hamburg. Ich kann keine landschaftliche Ähnlichkeit erkennen, und auch über die Sagen und Legenden, die sich mit Hamburg oder allgemein Norddeutschland verbinden, gibt es keinen direkten Weg in diesen Talkessel (oder Krater).
- Der Wald von Fangorn läge nicht weit entfernt, etwa in Wagrien (Ostholstein). Auch diese Ortswahl überzeugt mich nicht.
- Östlich des Düsterwaldes liegt Rhovanion und das Ödland von Rhûn - beides liegt auf Birds Karte in Russland, was allenfalls von der geographischen Lage "im Osten" her übereinstimmt. Die Iron Hills (Eisenberge) wären ein Teil des Urals, was schon plausibler wäre.
- Die Sea of Rhûn (das Rhûnenmeer) entspricht dem Schwarzen Meer. Da das Schwarze Meer von über 11000 Jahren tatsächlich ein Binnensee war, könnte das stimmen. Aber eher denke ich doch an das Kaspische Meer, das immer noch ein Binnensee ist.
- Khand liegt in der Türkei. Könnte sein.
- Haradwaith ist der östliche Teil Nordafrikas, Umbar entspricht dem Maghreb, dem westlichen Teil Nordafrikas. Von der geographischen Lage her ist das nicht ganz stimmig, umso mehr von der "inneren Geographie" der Legenden und Klischees - Umbar ist das Land der Korsaren, so wie das vorkoloniale Algerien als Land der Korsaren galt.
- Die Buch von Belfalas ist der Westteil des Mittelmeeres. Das könnte sein.
- Der beste Beleg dafür, dass die Geographie Mittelerdes eher auf einer "inneren Landkarte" als auf einer direkten Analogie zur Geographie Europas beruht, ist Rivendell, das Bruchtal. Nach Bird müsste dieser Ort in Norwegen liegen. Tolkien selbst fertigte aber eine Zeichnung des Bruchtals, das sehr an das schweizerische Lauterbrunnental, das Tolkien 1911 zu Fuß durchwanderte, erinnert.
Nun gibt es gewiss Schlaumeier, die behaupten werden, Mittelerde sei mit Neuseeland identisch. Obwohl Peter Jackson die Drehorte der Verfilmung durchweg gut wählte, gibt es eine bezeichnende Ausnahme: den Großen Strom. In Neuseeland gibt es einfach keinen Fluss, der breit genug wäre, um als archetypischer Großer Strom glaubwürdig zu sein. Der Große Strom ist Rhein, Rhône, Elbe, Donau und Wolga zugleich, rückt man von "Mittelerde als Europa" ab, ist er auch Nil, Euphrat, Tigres, Indus, Ganges, Mekong, Jangtse, Huang He, Mississippi, vielleicht auch Amazonas und Kongo.
Neuseeland, als Inselstaat, ist einfach zu klein für einen Großen Strom - es wird deshalb nicht Mittelerde sein.
MMarheinecke - Samstag, 22. März 2008
Wieder was gelernt
Ein Stück Wissen, das man nicht braucht, aber trotzdem interessant ist