Das (angestrebte) Scientology-Verbot und die Aufklärung

Um erst gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: ich halte Scientology für eine Organisation, die unter dem Deckmantel einer "Kirche" ihre Mitglieder in Abhängigkeit hält und wirtschaftlich ausbeutet, religiös bemäntelte Kurpfuscherei auf psychotherapeutischen Gebiet betreibt, gerne konspirativ arbeitet und weder vor massiver Desinformation (d. h. Lügen, dass sich die Balken biegen) noch vor Wirtschaftskriminalität zurückschreckt. Das ist, wie gesagt, meine persönliche Meinung. Ich weiß, wovon ich schreibe, denn ich hatte vor Jahren mit der "Org" zu tun und kenne etliche "Aussteiger".

Für eines halte ich Scientology nicht - für eine unmittelbare Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschlands. Es gibt meines Wissens mittelschwer größenwahnsinnige Projekte der "Ron-BORGs", Wirtschaft und Politik zu unterwandern, mit dem Ziel "Clear Germany" (Deutschland wird scientologisch), mit dem Zwischenziel "Clear Planet" (die Erde wird scientologisch) und dem schwer zu überbietenden Endziel "Clear Universe". Letzteres verrät meiner Ansicht nach einiges über den politischen Realitätssinn der bei "normalen" Zielen durchaus pragmatisch agierenden und nicht ungefährlichen "Org". Wer Angst vor einer unmittelbar bevorstehenden Machtübernahme durch die alles unterwandernden Scientologen hat, ist meines Erachtens Opfer der nicht zu unterschätzenden "psychologischen Kriegführung" der Scientology geworden.

Ich bin der Ansicht, dass die Ziele der Scientology durchaus undemokratisch sind - von daher habe ich nichts dagegen, dass staatliche Organe ein Auge auf die Scienties haben, und das kriminelle Aktivitäten der "Org" so behandelt werden, wie organisierte Kriminalität auch sonst behandelt wird.
Aber wenn die Innenministerkonferenz erklärt: Scientology unvereinbar mit dem Grundgesetz (sueddeutsche.de) - dann halte ich das in mehrfacher Hinsicht für problematisch:
Es fehlt es an Sorgfalt hinsichtlich der vorgeschlagenen Maßnahmen:
  • Scientology reagiert erfahrungsgemäß auf Verbote mit Umorganisation und Gründung von Tarnorganisationen
  • Scientology ist durchaus in der Lage, sich im Falle eines Verbotes als "religiös verfolgte" Opfer eines "neuen Naziregimes" darzustellen - es gab bereits eine Scientology-Kampagne in den USA, in der sich Scientologen mit den in Nazideutschland verfolgten Juden verglichen, die dem Ansehen Deutschlands extrem abträglich war. Wir Deutschen haben nun einmal über sechs Millionen Leichen im Keller - und die Scienties stürzen sich ohne Skrupel auf diese "Schwäche". Die Org ist zwar ein Zwerg, aber ein Zwerg mit verdammt großer Klappe, vor allem in den USA und vor allem in der Filmindustrie. Es ist daher taktisch mehr als unklug, Scientology statt durch zähe, beharrliche Basisarbeit (die durchaus erfolgreich ist) mit dem "großen Knüppel" anzugehen.
Dann fehlt es an Reflexion hinsichtlich der eigene Motive:
  • Ein Randproblem wird zur tödlichen Bedrohung aufgeblasen. Was die Innenminister-Konferenz übrigens nicht zum ersten Mal macht.
  • Die Verbissenheit, mit der Scientology dämonisiert wird, hat selbst etwas Religiös-Verbohrtes. Parallelen zur anti-islamischen Affekten, die nicht mehr zwischen intoleranten gewaltbereiten "Dschihadisten" und "Achmed-Normal-Muslim" unterscheiden, drängen sich auf. So, als ob sich unsere Innenminister mehr als "Hüter des christlichen Abendlandes" als "Hüter der Demokratie" begreifen würde.
Die Innenminister zeigen sicher zu Recht voller Abscheu und Empörung auf die Scientologen. Die "Organisation" oder "Kirche" bzw. "Sekte" zu verbieten ist jedoch wieder einmal der aussichtslose Versuch, ein Problem zu verbieten, statt es zu lösen.

Was hilft gegen Scientology? Aufklärung! Aufklärung im Sinne von Bildungsarbeit und öffentlicher Information, Aufklärung in Sinne von Polizeiarbeit (gegenüber kriminellen Aktivitäten der "Org"), aber auch Aufklärung im philosophischen Sinne.
Das Problem, dass ich nicht nur bei der politischen Haltung gegenüber Scientology sehe, sondern auch bei der gegenüber anderen religiösen und quasireligiösen Gruppierungen, ist der weit verbreitet Glaube daran, dass die eigene (christliche) Religion im Besitz der absoluten Wahrheit ist, ein Glaube an die Überlegenheit der eigenen Überzeugungen, der die meisten politischen Überzeugungen in der Schatten stellt. Das blinde Hoffen in die Wirkung der Autorität der Staatsmacht ist auch eine Form des quasi-religiösen Glaubens.

So, wie es im Moment leider aussieht, sind unsere Innenminister eine größere Gefahr für die Verfassung als jede noch so aggressive Sekte.

Übrigens:
Politiker und Verfassungsschützer halten ein Verbot der Organisation Scientology für unwahrscheinlich. Es sei nicht Aufgabe des Staates, den Menschen die Dummheit zu verbieten, heißt es unter anderem.
aus netzeitung: Skepsis gegenüber Scientology-Verbot.
M. Möhling (Gast) - 8. Dez, 18:22

Ehre, wem Ehre gebührt

Nach der bis dato einzig statistisch relevanten Studie von Heitmeyer neigt ein Drittel der jugendlichen "Achmed-Normal-Muslime" türkischer Herkunft zu einem "gewaltzentriertem islamischen Fundamentalismus und ethnischen Nationalismus" - was nicht ohne Folgen bleibt:
http://ttf.data.he-hosting.de/wiki/User:Tm/div#Germany-Berlin

Heitmeyer, Wilhelm/Müller, Joachim/Schröder, Helmut: Verlockender Fundamentalismus. Türkische Jugendliche in Deutschland, Frankfurt, 1997, 3. Auflage 1998


> unsere Innenminister eine größere Gefahr
> für die Verfassung als jede noch so
> aggressive Sekte

Dafür demonstriert unser Außenminister multikulturelles Einfühlungsvermögen und rappt zum Ausgleich mit grauen Wölfen.

MMarheinecke - 8. Dez, 19:49

Was ich nicht in Abrede stelle

Denn es ist ja nicht meine Absicht, vorhandene Gefahren zu verniedlichen. Allerdings besteht ein Unterschied zwischen "gewaltzentriertem islamischen Fundamentalismus und Nationalismus" (das wäre, übertragen auf "rein deutsche" Verhältnisse etwa die "rechte Szene") und islamischen Integrismus (das, was man mit Fug und Recht "Islamofaschismus" nennen könnte - das Gegenstück zu Neonazis) oder Dschihadismus - will sagen: beim "radikalen Drittel" der jungen Türken ist noch nicht alles verloren. Aber darüber, das es nicht leicht ist, diese Menschen vom Abgleiten in die militante Szene abzuhalten, mache ich mir keine Illusionen.
Wobei speziell vor diesem Hintergrund naive oder schlicht unwissende "Verbrüderungen" mit türkischen Nationalisten oder "Dschihad-Romantikern" absolut kontraproduktiv sind.
Gregor Keuschnig - 8. Dez, 18:28

Ich stimme dem Tenor dieses Beitrages ausdrücklich zu.

Eines ist nicht zu unterschätzen: Für den Fall, dass man ein Verbotsverfahren letztendlich vor dem BVerfG verlieren würde (was m. E. durchaus möglich scheint), so käme dies für Scientology einem Ritterschlag gleich.

Aufklärung ist aber natürlich viel schwieriger als Verbote. Es würde aber dauerhafter wirken. Das gilt im übrigen auch für die NPD.

Roman (Gast) - 8. Dez, 21:41

Ich denke wenn man Scientology oder die NPD immer ins Rampenlicht rückt, dann werden sich auch viele fragen: Stimmen die Vorwürfe? Schon aus Neugierde wird mancher solche Organisationen besuchen.
Von Verboten halte ich nichts, weil man Gedanken nicht verbieten kann. Es wird viel zu viel über Scientology oder die NPD geredet, als sie in Diskussionen zu verzetteln. Ich denke die NPD würde bei einer Debatte entzaubert werden können. Sie will alle Ausländer ausweisen, dann würde ich die NPD fragen: Soll man auch die türkischen Unternehmer wie Ögertours ausweisen? Die schaffen ja auch in diesem Land Arbeitsplätze.
Es gebe viele Schwachpunkte.
Ich halte nicht viel davon über etwas zu reden.
MMarheinecke - 8. Dez, 22:06

Die Hoffnung, die NPD bei öffentlichen Diskussionen zu "entzaubern", habe ich nicht. Bei solchen Diskussionen scheiterte der aufklärende Effekt allzu oft an gut geschulten und ideologisch verbohrten NPD-Funktionären (Strategie der "Wortergreifung", sprich, die Leute sind darauf geschult, Demokraten das Wort im Munde umzudrehen) - und an der geradezu monumentalen Dummheit und Sturheit vieler einfacher NPD-Anhänger. Was durchaus hilft sind aufklärerische Informationen, die z. B. das "Saubermann-Image" der NDP als pure Propaganda entlarven.

Zum Glück wird Scientology heute nicht mehr in gleicher Weise ins Rampenlicht gerückt, wie in den 90er Jahren, als z. B. der "Stern" eine allzu dramatische Serie über den "Kraken Scientology" brachte. Dadurch erscheint Scientology mächtiger und gefährlicher, als sie ist. Die Stärke dieser "Psycho-Sekte" liegt meiner Ansicht nach im Gebrauch psychologischer Tricks und in einer geschickten Propaganda - was beim starken Engagement von Scientologen in der Filmindustrie unangenehm sein kann. Wie gesagt, ein Giftzwerg mit riesiger Klappe. Gefährlich für seine Opfer, unangenehm, aber nicht wirklich gefährlich für die staatliche Ordnung.
Björn (Gast) - 9. Dez, 12:15

Martin, falls du ihn noch nicht gesehen hast, such mal auf Google Video nach "Scientology & Me". Sollte 'ne BBC-Doku darüber werden, wie Scientology funktioniert, wurde dann eine BBC-Doku darüber, wie Scientology mit Reportern und Dokumentationen umgeht. Chilling stuff: Da zeigt sich auch, dass Scientology sich offensichtlich Dossiers seiner Kritiker anlegt und die immer griffbereit hat...
Gregor Keuschnig - 9. Dez, 17:21

@MMarheinecke

Die "Entzauberung" der NPD ist m. E. dahingehend möglich, sie nicht als "Protestpartei" für eine gewisse Klientel wählbar zu machen. Dass sture NPD-Funktionäre und deren Gefolgsleute schwer bis gar nicht "umzupolen" sind, ist klar.

Die missliebige Meinung der NPD zu verbieten, ist jedoch aus mehreren Gründen schlecht bis falsch. Parteienverbote dürfen nur die absolute Ultima Ratio sein. Das damalige Verbot der FAP war richtig, u. a. auch, weil die Beweisführung eindeutig war. Würde jetzt die NPD verboten, würde bspw. die DVU wieder stärker aktiv - und nichts wäre gewonnen.

Ich erachte sogar die Möglichkeiten, der NPD gewisse Gelder nicht zuzugestehen, für problematisch. Man stelle sich nur vor, das BVerfG muss irgendwann in letzter Instanz die Rechtmässigkeit dieser Vorhaben ablehnen (und sei es auch wg. Formfehlern).
MMarheinecke - 9. Dez, 17:22

Das ist mir - leider - aus erster Hand bekannt

(Dieser Text bezieht sich nicht auf Gregor, sondern auf Björn. Und diese Blogsoftware eignet sich nicht wirklich für Diskussionen.)
Im Scienty-Jargon bin ich eine "SP" - das steht für "Supressive Personality" - "unterdrückerische Persönlichkeit" - sprich: ich werde als "Gegner" eingestuft. Scientology betreibt auch einen eigenen "Geheimdienst", genannt "Office for Special Affairs" (OSA), das offiziell für die Rechtsangelegenheiten der "Kirche" zuständig ist. Hauptzweck des OSA ist nach meiner Kenntnis die Kontrollen nach "innen" und die Abwehr von Kritikern nach "außen". Die bevorzugte Methode nach außen ist, so sehe ich es, der "Psychoterror" und die Schmähkampagne (bis hin zum Rufmord) gegen Scientology-Kritiker. Dabei helfen auch Privatdetektive und Anwälte, die nicht unbedingt selber Scientologen seien müssen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem GO ("Guardian Office") - Spezialität: Büroeinbrüche - bleibt das OSA nach Möglichkeit im Rahmen der Gesetze - Scientology versucht, so wenig Angriffsmöglichkeiten für staatliche Stellen wie möglich zu bieten.

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