Es geschah in Mölln - vor 15 Jahren

Am 23. November 1992 verübten Neonazis Brandanschläge auf zwei Wohnhäuser in Mölln, die von türkischen Familien bewohnt wurden. Dabei starben drei Menschen und neun weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Es war "nur" ein Anschlag von zahlreiche Brandanschläge gegen Migranten und Asylbewerber, die zwischen 1991 und 1993 in Deutschland vor allem, aber nicht nur, von Neonazis verübt wurden.
Ein Anschlag von vielen.

Anfang der 90er Jahre gab es in Deutschland eine bis dahin beispiellose Serie von xenophoben Anschlägen.
Xenophob - wörtlich "gast-ängstlich" - beschreibt den Charakter dieser Anschläge besser als die deutsche Entsprechung "fremdenfeindlich" oder "ausländerfeindlich" - und sogar "rassistisch". Es läuft darauf hinaus, Menschen, die im Wortsinn "nicht normal" sind, die also eine Norm, wie ein Deutscher gefälligst zu sein hat, nicht erfüllen, zu eliminieren - wobei das Spektrum des "Eliminieren" von (Zwangs-)Assimilieren über Vertreiben bis Umbringen reicht.

Leider goss die "große Politik", trotz allerlei Betroffenheitsadressen, trotz Empörung über die rechtsextremistischen Täter, kräftig Öl ins Feuer. Die Brandanschläge gingen einher mit einer - anders kann man es nicht nennen - Hetzkampagne gegen Asylbewerber. Teilweise wird das der Taktik der Unionsparteien geschuldet sein, das vermeintliche Wählerpotenzial am "rechten Rand" abzuschöpfen - die "Republikaner" profilierten sich damals mit fremdenfeindlichen Parolen. 1993 gipfelte die Auseinandersetzung um die Asylkampagne der CDU in einer de-facto Abschaffung des Asylrechts (Grundgesetzänderung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP).
Allerdings ist xenophobes Denken keine "Spezialität der politisch Rechten". Man könnte sogar darüber spekulieren, dass die Xenophobie eine Reaktion auf gut gemeinte, aber unkritische, "Multi-Kulti-Seeligkeit" gewesen sein könnte. Oder darüber, dass nach der Vereinigung Deutschlands der verschüttete Nationalismus ans Tageslicht kam. Aber das sind, denke ich, Randfaktoren. Der entscheidende Faktor war wohl primitive ökonomische Konkurrenzsangst - die Angst vor dem "Sozialschmarotzer". Die bis heute gern politisch instrumentalisiert, ja gefördert wird - bis weit in die SPD und "die Linke" hinein.

Die angeheizte xenophobe Stimmung in der Bevölkerung gipfelte in den Ausschreitungen von Rostock/Lichtenhagen (1992) sowie den Brandanschlägen in Mölln (1992) und Solingen (1993). Insgesamt wurden im Jahr 1992 mindestens 25 Menschen aus xenophoben Motiven ermordet.

"Mölln" stellte einen Wendepunkt innerhalb dieser Anschlagserie dar.
Die beiden Brandanschläge in der Nacht zum 23. Novemer 1992 zeigten, dass solche Anschläge keine "ostdeutsche Besonderheit" waren. Sie hatten, auch das war neu, kein Asylbewerberheim zum Ziel, sondern seit Jahre in Deutschland lebende türkische Einwanderer. Und anders als andere, eher "spontane" Brandanschläge war der Anschlag von Mölln ein kaltblütig geplanter Mord. In einem der Häuser gossen die Täter zunächst Benzin in das Treppenhaus und zündeten es an. Damit war der Fluchtweg blockiert. Dann warfen sie warfen einen Molotowcocktail auf die Rückseite des Hauses. Für die 51 jährige Großmutter und zwei Mädchen, 10 und 14 Jahre alt, die sich im ersten Stock aufhielten, gab kein Entkommen. Wegen dieses kaltblütigen Plans wurde zunächst auch in Richtung "Hamburger Unterwelt" ermittelt. (Mölln ist nicht allzu weit von Hamburg entfernt.) Aber es bestanden von Anfang an wenig Zweifel, dass die Täter in Neonazi-Kreisen zu suchen waren. (Beim Notruf meldete sich in der Brandnacht ein Anrufer mit den Worten: "In der Ratzeburger Straße brennt es. Heil Hitler!" und später "In der Mühlenstraße brennt es. Heil Hitler!")
In der Folge wurde es östlich von Hamburg "unruhig", es organisierte sich eine "türkische Bürgerwehr", es gab Schlägereien zwischen türkischen und deutschen Jugendlichen, die oft, aber leider nicht immer, Neonazis waren. "Mölln" war Thema in den Hauptnachrichten, auch international. Was ich höchst peinlich fand: Bundeskanzler Helmut Kohl fuhr damals, statt an der Trauerfeier teilzunehmen, direkt zum Berliner CDU Parteitag.

Nach 1990 fühlten die Neonazis, dass sie "Oberwasser" bekamen, dass "rechte" Themen wie die (angebliche) "Asylantenschwemme" die Wahlkampfveranstaltungen bestimmten. Das (vermeindlich) hilflose Agieren der "Gutmenschen" zwischen Lichterkette und Mahnadresse bestärkte sie noch in ihrem Selbstbewußtsein.
Allerdings nahmen auch die Aktivitäten der "Antifa" zu - wobei es die "Antifa", im Sinne einer einheitlichen politischen Weltanschauung oder einer einheitlichen Strategie, nie gab. Was die Antifa zusammenhält, ist der gemeinsame Gegner. Vor allem schaffte es die Antifa damals erstmals Bundesgenossen bis weit ins bürgerlich-liberale Spektrum zu gewinnen. Ich merkte das daran, dass Gegendemonstranten gegen Nazi-Veranstaltungen in der Regionalpresse nicht mehr gewohnheitsmäßig als "linke Chaoten" oder ähnlich bezeichnet wurden. (Eine Tendenz, die sich leider nicht bei allen Zeitungen bzw. Medien durchgesetzt hat!)

Im Jahr nach den Anschlägen gründete sich in Mölln der Verein "Miteinander Leben e.V." Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, das Zusammenleben von deutschen und MigrantInnen in der Region zu verbessern und Aufklärungsarbeit gegenüber rechtsextremistischen Auswüchsen in der Gesellschaft zu betreiben.

Und heute?
Diese pogromartige Stimmung Anfang der 1990er-Jahre gibt es zum Glück heute nicht mehr. Aber die Gefahr der Xenophobie ist natürlich nicht verschwunden. Immer wieder kommt es zu Gewalt gegen Einwanderer, "Ausländer", da reicht ein Blick in die Verfassungsschutzberichte.
In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2007 versuchten mehrere Neo-Nazis mit Hilfe eines Fahrradständers in die Internationale Begegnungsstätte in Mölln einzudringen. Bei diesem Haus handelt es sich um das Brandhaus in dem 1992 drei Menschen ums Leben kamen.Nach dem den Nazis das Eindringen misslang, schlugen diese eine Scheibe ein, verklebten AntiAntifa-Aufkleber und flüchteten bevor die Polizei eintraf.
(Quelle: Indymedia)

Es gibt in der Kleinstadt Mölln eine aktive "Anti-Antifa", personell wohl eher klein, aber mit unangenehm hohem Gewaltpotenzial. Anfang 2007 machte sie erstmals durch Angriffe auf "Ausländer" (oder Menschen, die sie dafür hielten), Aufkleberaktionen auf das Brandhaus in der Mühlenstrasse, sowie Observationen von einzelnen "Linken" (oder Menschen, die die Anti-Antifa dafür hält) von sich reden.

Zur Zeit finden antifaschistische Aktionswochen in Mölln statt, um den Brandanschlägen zu gedenken und über Naziaktivitäten und Strukturen zu informieren.

Auf "MUT gegen rechte Gewalt":Stadt mit Stigma

5 Jahre alter, aber immer noch aktueller, Artikel der "Jungle World":
Lieber zum Parteitag
che2001 (Gast) - 23. Nov, 10:19

Ich weiß noch, wie nach Mölln der Focus titelte "Großmütig will Kohl die Türken versöhnen", welch Hohn. Was das Anzünden von Treppenhäusern angeht: Nach dem Tod von Conny versuchten Nazis, Freunde von mir anzuzünden.Eigentlich überlebten die nur durch Zufall.

Zuppi (Gast) - 23. Nov, 11:03

Das Naziding in der Wendezeit

beschäftigt auch Telegehirn und mich selbst. An der Silvio Meier Demo in Berlin entflammen sich unterschiedliche Gedankengänge: Erinnerungen an diese unwirkliche Zeit, die Antifaselbstverständnisse in einer gesellschaftlich hegemonial xenophoben und einheitsbesoffenen Grundstimmung zu beschreiben und die - teils peinlichen - Nacherzählungen von nicht dabei gewesenen Bloggern, rühren einen bitteren Cocktail um.
Merci für die dargelegten Erinnerungen zu Mölln ;)
Zuppi

MMarheinecke - 23. Nov, 11:56

Nicht zu danken

Vielleicht sollte ich wirklich mal meine persönlichen Erinnerungen an "damals" darlegen, damit es nicht heißt, ich würde von der schwierigen Thematik reden, wie ein Blinder von der Farbe. Denn ich war - und bin - "dabei", wenngleich auch nur am Rande.
(Das Zwinkern habe ich nicht übersehen, Zuppi. ;) )
netbitch - 23. Nov, 23:23

Ich bringe morgen mal eine Beschreibung der Dinge, die nach dem Tod von Conny passierten. Es hatte mich extrem erschüttert, wie nah das "liquidieren" von Anderdenkenden sowohl bei offenkundigen Faschisten als auch der Staatsgewalt beieinander liegt. Theoretisch hatte ich das gewusst, im Nahen Osten auch erlebt. Das in Deutschland praktisch zu erleben war mir neu. Das war mein 1989.

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