Nazivergleiche
Rayson machte bei den B.L.O.G. den Vorschlag: Wer etwas nicht anders ausdrücken kann als mit Hilfe eines Nazi-Vergleichs, sollte besser schweigen.
Ich schließe mich Rayson an, aber mit Ausnahmen: wer absichtlich oder fahrlässig braunes Gedankengut verbreitet, muss es sich gefallen lassen, mit Nazis gleichgesetzt zu werden. Wer absichtlich oder fahrlässig Ideologien vertritt, die Nazi-Ideologie zum verwechseln ähnlich sehen, muss es sich gefallen lassen, mit Neonazis verglichen zu werden.
Ja, dass geht an jene Ecke, wo gerne mit Metagenetik, Ethnopluralismus und "naturgemäßen" Sexualverhalten, Geschlechterrollen, Hierarchien usw. ja sogar Religionen argumentiert wird. Wo man gern behauptet, kein Rassist zu sein, aber faktisch Rassentrennung predigt. Und wo man angeblich kein Stück antisemitisch (sondern nur antizionistisch) ist - aber die "mosaischen Wüstenreligionen" an allen Übeln Schuld sein sollen, für die die "amerikanische Ostküste" beim schlechtesten Willen nicht verantwortlich gemacht werden kann.
Aber es ist gar nicht so einfach, sauber die Kurve zu kriegen und echte braune Scheiße von allen, was von Weitem ähnlich aussieht, aber keine braune Scheiße ist (von harmlosen Dreck bis Nutella), zu unterscheiden. Ohne Kenntnis der Zusammenhänge und des Hintergrunds ist das ein Ritt auf der Rasierklinge, den man im Zweifel besser unterlässt.
Es ist aber verführerisch einfach: Wann immer einem die Argumente ausgehen, holt man die Nazi-Keule hervor und bezichtigt seinen Gegner kurzerhand "nationalsozialistischen Gedankenguts".
Zwei bekannte Opfer dieser Praxis in jüngster Zeit sind zwei prominente Biologen.
Nehmen wir den britische Evolutionsbiologen Richard Dawkins von der Oxford University, dessen Buch "Der Gotteswahn" gerade in deutscher Übersetzung erschienen ist. In diesem Buch schreibt er auch einige nicht sehr erfreuliche Dinge über den mosaischen Gott - im Rahmen einer allgemeinen Religionskritik, aber man kann die Zitate ja aus ihrem Zusammenhang präparieren. Oder man kann ihm einen öffentlich geäußerten dummen Vergleich im Munde umdrehen:
Erst recht unangemessen ist es, wie es der Psychiater und Theologe Manfred Lütz es in einer in der "Welt" abgedruckten Rezension des Buches "Der Gotteswahn" tut, gegenüber Dawkins zur braunen Keule zu greifen. Missionarischer Atheismus.
Lütz schreibt Dawkins darin eine "zynische Ethik" zu, die dem Dritten Reich und der Ermordung von über 100.000 behinderten Menschen den Weg geebnet hätte.
Was hat Dawkins außer der scharfen Religionskritik, über die ein Theologe verständlicherweise wenig erfreut ist, Böses geschrieben?
Er soll die christliche Doktrin von der "Heiligkeit des menschlichen Lebens" untergraben haben - und er hat sich für einen liberalen Umgang mit der Abtreibung, der Stammzellenforschung und der Beihilfe zur Selbsttötung nach dem Vorbild der Schweiz ausgesprochen. Glaub man Lütz, zeigt das eine "Mentalität, die auch Karl Binding und Alfred Hoche nicht fremd war". (Hoche und Binding lieferten die pseudowissenschaftliche Rechtfertigung für das "Euthanasieprogramm" der Nazis - das ein Programm zur "Ausmerzung" "lebensunwerten Lebens" war.)
Natürlich ist Dawkins laut Lütz auch Rassist und Befürworter der Eugenik. Auch wenn in dem ganzen umfangreichen Buch keine Zeile darüber steht. Dawkin steht eben seinem Freund Watson zu nahe:
Zur von Lütz behaupteten unbeabsichtigten Rechtfertigung Hitlers durch Dawkins: Der Satz "Besonders bösartig erscheint Hitler nur nach den eher gutartigen Maßstäben unserer Zeit" steht in einem Kontext, aus dem klar ersichtlich ist, dass Dawkins Hitler ablehnt. Dawkins zielt auf den "Zeitgeist" ab, den gesellschaftlichen Konsens über Werte: Vor 100 Jahren war es z. B. "normal", selbst unter gebildeten Weißen, Schwarze für minderwertig und Homosexuelle für krank zu halten. Heute hätte sich dies zum Glück geändert. Ethik und Moral unterliegen also einem Wandlungsprozess. Dawkins ist der Ansicht, dass sich die Werte trotz einiger Rückschläge, z. B. bei religiösen Fundamentalisten in den USA, zum Besseren wandeln. Vielleicht hätte Dawkins differenzieren sollen, etwa so: "Die antidemokratische, rassistische und antisemitische Ideologie der Nazis galt um 1930 auch außerhalb Deutschland nicht unbedingt als 'besonders bösartig', die Taten, die folgten, allerdings schon."
Heute sind wir (wahrscheinlich aufgrund der schlechten Erfahrung) so weit, dass schon Nazideologie auch ohne die mit ihr verbundenen Mordtaten (außer von Neonazis) als besonders bösartig wahrgenommen wird.
Insgesamt illustriert das Beispiel wieder einmal, wie tückisch Nazi-Vergleiche sind. Hätte Dawkins z. B. geschrieben: “Besonders bösartig erscheint Alexander der Große (Caesar, Konstantin, Karl der Große, Dschingis-Khan, Wallenstein, Napoleon usw. usw.) nur nach den eher gutartigen Maßstäben unserer Zeit" hätte ihm kaum jemand widersprochen.
Ansonsten redet Lütz in seiner Kritik fast durchweg an Dawkins vorbei, wobei mir nicht klar ist, ob aus Unverständnis oder Absicht.
(Nebenbei stimmt es einfach nicht, dass "die Sklaverei vor allem von den Christen abgeschafft wurde", was Lütz mit den Hinweis auf "neuere Forschungen" behauptet - denn es gab noch weit bis in hohe christliche Mittelalter Sklaverei und Sklavenhandel - und nicht zu vergessen auch: auch Leibeigenschaft ist eine Form der Sklaverei. Erst in der Folge der Aufklärung und der industriellen Revolution, die Sklavenarbeit in den meisten Fällen "unrentabel" werden ließ, wurde die Sklaverei wirklich abgeschafft.)
Der erwähnte Dr. James Watson, Mitentdecker der Bedeutung der DNS als Erbträger, Nobelpreisträger und "großer alter Mann" der Genforschung, geriet auch selbst (wider einmal) in der Verdacht, ein böser Rassist zu sein. In einem Interview mit der "Sunday Times" behauptete er angeblich, dass Test zeigen würden, dass Schwarze nicht so intelligent wie wir (Weiße) seien. Im Kontext wird klar, dass Watson, der im selben Absatz sagt, dass die Genforschung noch mindestens ein Jahrzehnt davon entfernt ist, etwas wissenschaftlich Belegbares über Intelligenzunterschiede auszusagen, einen seiner berüchtigten provokativen Scherze gemacht hat. Seine Provokationen leben von Auslassungen entscheidender Fakten und deren späteren Ergänzungen. Heise telepolis: Falsche Annahmen.
Allen Rassisten, die sich auch schon in der Vergangenheit gerne auf Watson beriefen, sei seine Richtigstellung im "Independent" ans Herz gelegt:
Ich schließe mich Rayson an, aber mit Ausnahmen: wer absichtlich oder fahrlässig braunes Gedankengut verbreitet, muss es sich gefallen lassen, mit Nazis gleichgesetzt zu werden. Wer absichtlich oder fahrlässig Ideologien vertritt, die Nazi-Ideologie zum verwechseln ähnlich sehen, muss es sich gefallen lassen, mit Neonazis verglichen zu werden.
Ja, dass geht an jene Ecke, wo gerne mit Metagenetik, Ethnopluralismus und "naturgemäßen" Sexualverhalten, Geschlechterrollen, Hierarchien usw. ja sogar Religionen argumentiert wird. Wo man gern behauptet, kein Rassist zu sein, aber faktisch Rassentrennung predigt. Und wo man angeblich kein Stück antisemitisch (sondern nur antizionistisch) ist - aber die "mosaischen Wüstenreligionen" an allen Übeln Schuld sein sollen, für die die "amerikanische Ostküste" beim schlechtesten Willen nicht verantwortlich gemacht werden kann.
Aber es ist gar nicht so einfach, sauber die Kurve zu kriegen und echte braune Scheiße von allen, was von Weitem ähnlich aussieht, aber keine braune Scheiße ist (von harmlosen Dreck bis Nutella), zu unterscheiden. Ohne Kenntnis der Zusammenhänge und des Hintergrunds ist das ein Ritt auf der Rasierklinge, den man im Zweifel besser unterlässt.
Es ist aber verführerisch einfach: Wann immer einem die Argumente ausgehen, holt man die Nazi-Keule hervor und bezichtigt seinen Gegner kurzerhand "nationalsozialistischen Gedankenguts".
Zwei bekannte Opfer dieser Praxis in jüngster Zeit sind zwei prominente Biologen.
Nehmen wir den britische Evolutionsbiologen Richard Dawkins von der Oxford University, dessen Buch "Der Gotteswahn" gerade in deutscher Übersetzung erschienen ist. In diesem Buch schreibt er auch einige nicht sehr erfreuliche Dinge über den mosaischen Gott - im Rahmen einer allgemeinen Religionskritik, aber man kann die Zitate ja aus ihrem Zusammenhang präparieren. Oder man kann ihm einen öffentlich geäußerten dummen Vergleich im Munde umdrehen:
"When you think about how fantastically successful the Jewish lobby has been, though, in fact, they are less numerous I am told - religious Jews anyway - than atheists and [yet they] more or less monopolise American foreign policy as far as many people can see. So if atheists could achieve a small fraction of that influence, the world would be a better place."(aus: Atheists arise: Dawkins spreads the A-word among America's unbelievers.) Es überrascht mich zwar, dass Dawkins die Legende von der schrecklich einflussreichen "jüdischen Lobby" als Vorbild (!) für eine mögliche segenstiftende "atheistische Lobby" anführt, aber als Beleg für eine antisemitische Einstellung Dawkins' reicht das nicht.
Erst recht unangemessen ist es, wie es der Psychiater und Theologe Manfred Lütz es in einer in der "Welt" abgedruckten Rezension des Buches "Der Gotteswahn" tut, gegenüber Dawkins zur braunen Keule zu greifen. Missionarischer Atheismus.
Lütz schreibt Dawkins darin eine "zynische Ethik" zu, die dem Dritten Reich und der Ermordung von über 100.000 behinderten Menschen den Weg geebnet hätte.
Was hat Dawkins außer der scharfen Religionskritik, über die ein Theologe verständlicherweise wenig erfreut ist, Böses geschrieben?
Er soll die christliche Doktrin von der "Heiligkeit des menschlichen Lebens" untergraben haben - und er hat sich für einen liberalen Umgang mit der Abtreibung, der Stammzellenforschung und der Beihilfe zur Selbsttötung nach dem Vorbild der Schweiz ausgesprochen. Glaub man Lütz, zeigt das eine "Mentalität, die auch Karl Binding und Alfred Hoche nicht fremd war". (Hoche und Binding lieferten die pseudowissenschaftliche Rechtfertigung für das "Euthanasieprogramm" der Nazis - das ein Programm zur "Ausmerzung" "lebensunwerten Lebens" war.)
Natürlich ist Dawkins laut Lütz auch Rassist und Befürworter der Eugenik. Auch wenn in dem ganzen umfangreichen Buch keine Zeile darüber steht. Dawkin steht eben seinem Freund Watson zu nahe:
Außerdem huldigt Dawkins offensichtlich einem Intelligenzrassismus, wie er auch von seinem Freund James Watson bekannt ist, der einst forderte, man solle weniger intelligenten Menschen, die Kinder zeugen, höhere Steuern auferlegen, da die die Gesellschaft mit ihren wahrscheinlich wenig intelligenten Kindern belasten.(In Kenntnis des skurrilen Humors und der etwas exentrischen Anschauungen Dr. Watsons würde ich gern wissen, in welchem Zusammenhang er das geäußert haben soll.)
Zur von Lütz behaupteten unbeabsichtigten Rechtfertigung Hitlers durch Dawkins: Der Satz "Besonders bösartig erscheint Hitler nur nach den eher gutartigen Maßstäben unserer Zeit" steht in einem Kontext, aus dem klar ersichtlich ist, dass Dawkins Hitler ablehnt. Dawkins zielt auf den "Zeitgeist" ab, den gesellschaftlichen Konsens über Werte: Vor 100 Jahren war es z. B. "normal", selbst unter gebildeten Weißen, Schwarze für minderwertig und Homosexuelle für krank zu halten. Heute hätte sich dies zum Glück geändert. Ethik und Moral unterliegen also einem Wandlungsprozess. Dawkins ist der Ansicht, dass sich die Werte trotz einiger Rückschläge, z. B. bei religiösen Fundamentalisten in den USA, zum Besseren wandeln. Vielleicht hätte Dawkins differenzieren sollen, etwa so: "Die antidemokratische, rassistische und antisemitische Ideologie der Nazis galt um 1930 auch außerhalb Deutschland nicht unbedingt als 'besonders bösartig', die Taten, die folgten, allerdings schon."
Heute sind wir (wahrscheinlich aufgrund der schlechten Erfahrung) so weit, dass schon Nazideologie auch ohne die mit ihr verbundenen Mordtaten (außer von Neonazis) als besonders bösartig wahrgenommen wird.
Insgesamt illustriert das Beispiel wieder einmal, wie tückisch Nazi-Vergleiche sind. Hätte Dawkins z. B. geschrieben: “Besonders bösartig erscheint Alexander der Große (Caesar, Konstantin, Karl der Große, Dschingis-Khan, Wallenstein, Napoleon usw. usw.) nur nach den eher gutartigen Maßstäben unserer Zeit" hätte ihm kaum jemand widersprochen.
Ansonsten redet Lütz in seiner Kritik fast durchweg an Dawkins vorbei, wobei mir nicht klar ist, ob aus Unverständnis oder Absicht.
(Nebenbei stimmt es einfach nicht, dass "die Sklaverei vor allem von den Christen abgeschafft wurde", was Lütz mit den Hinweis auf "neuere Forschungen" behauptet - denn es gab noch weit bis in hohe christliche Mittelalter Sklaverei und Sklavenhandel - und nicht zu vergessen auch: auch Leibeigenschaft ist eine Form der Sklaverei. Erst in der Folge der Aufklärung und der industriellen Revolution, die Sklavenarbeit in den meisten Fällen "unrentabel" werden ließ, wurde die Sklaverei wirklich abgeschafft.)
Der erwähnte Dr. James Watson, Mitentdecker der Bedeutung der DNS als Erbträger, Nobelpreisträger und "großer alter Mann" der Genforschung, geriet auch selbst (wider einmal) in der Verdacht, ein böser Rassist zu sein. In einem Interview mit der "Sunday Times" behauptete er angeblich, dass Test zeigen würden, dass Schwarze nicht so intelligent wie wir (Weiße) seien. Im Kontext wird klar, dass Watson, der im selben Absatz sagt, dass die Genforschung noch mindestens ein Jahrzehnt davon entfernt ist, etwas wissenschaftlich Belegbares über Intelligenzunterschiede auszusagen, einen seiner berüchtigten provokativen Scherze gemacht hat. Seine Provokationen leben von Auslassungen entscheidender Fakten und deren späteren Ergänzungen. Heise telepolis: Falsche Annahmen.
Allen Rassisten, die sich auch schon in der Vergangenheit gerne auf Watson beriefen, sei seine Richtigstellung im "Independent" ans Herz gelegt:
Ich kann die Reaktionen zu einem großen Teil verstehen. Denn wenn ich gesagt habe, was ich gesagt haben soll, dann muss ich zugeben, dass mich das bestürzt. Bei all jenen, die aus meinen Worten geschlossen haben, dass Afrika als Kontinent in irgendeiner Weise genetisch minderwertig sei, kann ich mich nur aus vollem Herzen entschuldigen. Das habe ich nicht gemeint. Und noch wichtiger: Es gibt keinerlei wissenschaftliche Grundlage für eine derartige Annahme.
MMarheinecke - Samstag, 20. Oktober 2007
-Der "liebe Gott" als blutrünstiges Ungeheuer
Friedrich Wilhelm Graf
http://www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/587/132346/