Die verschwiegene Demo ...

An und für sich werde ich die Großdemonstration "Freiheit statt Angst" in angenehmer Erinnerung behalten, und nicht nur wegen des schönen Spätsommerwetters: zahlreiche Teilnehmer (über 8000 nach Polizeiangaben, 15000 nach Angeben der Organisatoren), gute Organisation und - trotz eines meines Erachtens unnötigen Zugriffs der Polizei auf den geschlossen marschierenden "linksradikalen Block". Denn dieser Block war allenfalls mit dem Mundwerk aggressiv, ein gewaltbereiter "schwarzer Block" sieht anders aus (ich spreche da durchaus aus Erfahrung). Von anderen Demo-Teilnehmern erfuhr ich, dass das "Spielchen" zwischen den Schwarzvermummten und den Weissbehelmten beinahe bei jeder größeren Demo ähnlich abläuft, und dieses Mal vergleichsweise glimpflich abging. (Ähnliche Gewalt-"Spielchen" kenne ich auch aus Hamburg, z. B. war es nach dem "Schanzenfest" wieder mal soweit - 15 Verletzte.)
Erfreulich an dieser Demomonstration war auf jeden Fall, dass sich ein über viele ideologische Grenzen hinweg reichendens Protestpotential gebildet hat, und dass es möglich ist, auch für ein vergleichsweise "abstraktes" Problem tausende Demonstranten auf die Straße zu bringen.

Unerfreulich: die Demonstration ging in der Massenmedien beinahe unter. Das wäre fast "das Übliche" - nämlich, dass über Demos ohne "Sensationswert" (sprich "Krawall"), zumal wenn sie "unbequeme Fragen" aufwerfen (sprich: wenn mal tatsächlich recherchiert und nachgehakt werden muss) eher wenig berichtet wird. Dafür, dass die Journalisten stark selbst betroffen sind - es geht ja auch um den Informantenschutz bei Recherchen - und das z. B. Journalistenverbände mitdemonstrierten - erstaunt das spärliche Echo dann aber doch.

Da die Berichterstattung so spärlich war (die 20 Uhr "Tagesschau" berichtete z. B. gar nicht darüber), werden viele Menschen gar nicht mitbekommen haben, dass in Berlin mindestens 8000 Teilnehmern gegen den Abbau von Bürgerrechten demonstriert haben.
Da eine gewisse Absicht zu unterstellen, liegt ziemlich nahe, nicht im Sinne einer Verschwörungstheorie, sondern im Sinne einer sich freiwillig "regierungstreu" gleichschaltenden Presse, etwa in dem Sinne, dass Maßnahmen zur "Terrorabwehr" nicht kritisiert werden, da, wenn dann doch ein Anschlag vom Ausmaß der Londoner U-Bahn-Attentate stattfindet, jeder, der nicht uneingeschränkt "dafür" war, als Komplize oder Sympathisant dastehen könnte.
Sowohl seitens der Politik wie der meisten Medien wird nicht mit offenen Karten gespielt, sowohl der Hinweis auf die Gefahren (Schäuble beruft sich auf nie bei Namen genannte "Experten") wie die Begründung für die geplanten Abwehrmaßnahmen bleiben im Diffusen. Frau Bundeskanzlerin Merkel weiß z. B. genau, dass Online-Durchsuchungen bei darauf vorbereiteten Straftätern ins Leere laufen würden. (Woher ich das wissen will? Ganz einfach: Geheimsachen werden im Bundeskanzleramt grundsätzlich nur auf einem PC ohne Internetanschluss bearbeitet und verschlüsselt bzw. entschlüsselt. Die verschlüsselten Dateien werden dann "von Hand", per USB-Stick, vom abgeschotteten Rechner auf den vernetzten Rechner übertragen, so das niemals eine unverschlüsselte Datei mit brisanten Inhalten auf einem "online durchsuchbaren" Rechner liegen wird. Dieses Procedere wurde schon vor über 15 Jahren unter Kanzel Kohl eingeführt. Es gibt keine Grund, weshalb es ein "professioneller" Krimineller anders machen sollte.) Dennoch schließt sie sich öffentlich der Argumentation Innenminister Schäubles an:
"Es kann nicht sein, dass der Computer und die darin liegende Festplatte ein Raum sind, wo der deutsche Rechtsstaat sagt: Da greifen wir nicht zu", sagte Merkel beim Landesparteitag der niedersächsischen CDU am Sonnabend in Oldenburg.
Merkel für Online-Durchsuchungen.
Der deutsche Rechtsstaat darf schon längst zugreifen und z. B. Festplatten bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmen. Anders kann er auch nicht zugreifen, wenn es z. B. ein Terrorist genau so macht wie das Kanzleramt.

Jan Schejbat:
Freiheit-statt-Angst-Demo: Berichterstattung und Teilnehmerzahlen.
Jens Scholz: Demo gegen Überwachung in Berlin: Bloggerstimmen
Sven Scholz: Demo in Berlin
distelfliege - 24. Sep, 18:30

Ach jo..

...Da hatte ich dann gar net die Zeit gehabt an dem Samstag, um hinzugehen. Schön, daß es so viele Leut waren :)
Mit dem Verschweigen allerdings stimme ich dir zu, daß das ärgerlich ist. Da müsst es halt noch eine Demo geben an nem Tag wo ich Zeit hab, und dann noch eine und so weiter... :-)

MMarheinecke - 24. Sep, 20:16

Ich hätte Dich ja auch Besuchen kommen können ...

... aber ich habe erstaunlich wenige der vielen, die ich so in Berlin kenne, aufgesucht. Berlin ist nun mal kein Dorf.

Du hast recht, eine Demo ist keine Demo, und eine Aktion keine Aktion - Hartnäckigkeit zahlt sich bei so was aus.
Thomas Kurbjuhn (Gast) - 24. Sep, 22:14

Wer sich für Freiheit einsetzt, sollte doch auch Befürworter einer umfassenden Meinungsfreiheit bezüglich politischer Fragen sein. Da müßten sich die Gegner der Überwachung doch eigentlich auch für die Abschaffung des § 130 STGB einsetzen.

Sven (Gast) - 24. Sep, 23:31

Mensch, "Thomas", kommst du auch hier, wie in fast jedem anderen Blog und zu jedem noch so fern liegenden Thema daher mit deinen braunen Spießgesellen von der NPD (auch wenn du's hier jetzt mal zufällig nicht direkt gesagt hast - sind wir vorsichtiger geworden, weil du jedesmal zu Recht dafür verbale Kloppe bekamst, was?) und forderst Toleranz für Ideologien der Intoleranz, die nichts mit Meinung, dafür viel mit Verbrechen zu tun haben? Wenn demnächst mal einer über Plüschhäschen bloggt fällt dir bestimmt auch was ein um deine braunen Brüder ins Thema zu holen, gell? Tu' mir doch den Gefallen und geh' doch einfach irgendwo sterben. Oder heul doch einfach, wenigstens.
MMarheinecke - 25. Sep, 00:40

Thomas, im § 130 STGB geht es nicht um "Meinungsfreiheit"

Ich bin Anhänger eines uneingeschränktes Rechts zur freien Meinungsäußerung, das auch für "Scheiß-Meinungen" bis hin zu verbrecherischen Ansichten gilt. Aber im § 130 StGB "Volksverhetzung" geht es nicht um Meinungen:
Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1. zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder
2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Der §130 StGB beruht auf bitteren historischen Erfahrungen, unter anderem der, dass zu langes rechtliches Dulden von Hetzpropaganda in der Weimarer Republik den Aufstieg der Nazis begünstigt hat. (Kein Wunder also, dass ihr den "130er" nicht mögt, ist irgendwie logisch.) Nur Absatz 3, der sich auf die Holocaustleugnung bezieht, greift tatsächlich in die Meinungsfreiheit ein - aber diese bezeichnende Ausnahme stellt nicht eine Meinung unter Strafe, sondern eine im höchsten Maße diffamierende Tatsachenbehauptung. Es ging wohl nicht anders.
(Übrigens wäre die Holocaustleugnung auch ohne diesen Absatz als Beleidigung strafbar. Nicht, dass ihr Bräunlinge Euch selbst und anderen da was vormacht.)
Björn (Gast) - 26. Sep, 11:13

Was denkst du wieviel an diesem Artikel aus der MoPo dran ist?
Bei der Demonstration gegen die Verschärfung der Sicherheitsgesetze am vergangenen Sonnabend in Mitte gab es offenbar schwerere Ausschreitungen, als bisher bekannt. Unter anderem sind mehrere Polizisten aus einer Gruppe von etwa 1000 gewalttätigen Demo-Teilnehmern heraus angegriffen worden. Dabei wurden 13 Beamte verletzt, einer davon so schwer, dass er nach wie vor dienstunfähig ist. Außerdem wurden zwei Fahrzeuge beschädigt. Das teilte Polizeipräsident Dieter Glietsch gestern in der Sitzung des Innenausschusses mit.
Wenn tatsächlich jeder Achte auf dieser Demo ein Teil des Schwarzen Blocks gewesen wäre, dann wäre das ja schon ziemlich bedauerlich.

Hellblazer - 26. Sep, 13:00

glaube ich nicht. Aber ich informiere mich da halt auch hauptsächlich nur über (die Bandbreite von links bis "gutbürgerlich" abdeckende) Blogs von Leuten, die dabei waren und nicht über Boulevardblätter. Außerdem war ich auch schon auf Demos, die problemlos und friedlich abliefen, und am nächsten Tag fragte man sich an Hand der Berichterstattung, ob man auf einer anderen Veranstaltung war als der, der da berichtet. Oder auf nem anderen Planeten. Nachdem ich bei 99,9% anderer Demobesucher ähnliche Erfahrungen vermeldet bekomme scheint diese Diskrepanz zwischen tatsächlichem Geschehen und Berichterstattung leider völlig normal, und so kann ich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dies hier nicht anders ist.
Björn (Gast) - 26. Sep, 13:12

Darum frage ich ja auch Martin als Anwesenden wie er das erlebt hat oder wie er das sieht. Eben weil es schon ziemlich hart klang für eine Demo die eigentlich "anständig" ist (um mal den Herrn Innenminister zu zitieren).

Ich weiß jetzt auch nicht wo die MoPo politisch zu verordnen ist. Sowas spielt ja in Berichterstattung auch immer mit rein.
MMarheinecke - 26. Sep, 19:36

Die Berliner MoPo ist ein Springer-Blatt

Der "schwarze Block" - eher "linksradikale Block" - waren so etwa 1000 Leute (ganz grob geschätzt), die allerdings ziemlich lautstark auftraten. Insoweit stimmt der Bericht. Er stimmt nicht in dem Sinne, dass alle 1000 "Linksaußen" Randale gemacht hätten - die meisten aus dem "Block" waren nicht einmal vermummt. (Ich war aber nicht in unmittelbarer Nähe.) Nach dem, was man mir gesagt hat, gab es den üblichen Kleinkram wegen zu langer Fahnenstangen usw. . Und es soll ein paar Idioten gegeben haben, die aus der dritten Reihe oder so Gegenstände geworfen haben. Wenn sich die Polizei durch deren Auftreten provozieren ließ, dann klappt da etwas mit der vielgerühmten "Deeskalationspoltik" nicht so richtig.

"Schwere Ausschreitungen" - vielleicht, weil das Gestühl eines Straßencafés beim Hotel Adlon dabei zum Teil draufgegangen ist. So gesehen gäbe es auf jedem zweiten Volksfest "schwere Ausschreitungen". Ist ja nicht so, dass "Unter den Linden" "entglast" worden wäre oder so.

Ich nehme die Randalkids nicht in Schutz, und wer Steine schmeißt, kann nicht auf meine Sympathie rechnen, aber der Bericht ist eindeutig parteiisch zuungunsten der Demonstranten!

(Indirekt gibt der Artikel sogar zu, dass die "Ausschreitungen" nicht so heftig gewesen sein können: nur acht Festnahmen und 24 Strafanzeigen wegen Widerstand wären bei einem richtigen "Schwarzen Block" von 1000 Leuten absolut untypisch. Wenn 100 "Gewaltbereite" bei der Demo dabei waren, waren es viel.)

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