Romanlektüre - zum 1. September
Zitat aus dem Roman "Der Feigling" von Jost Nolte:
Erst 1989, als es im Grunde zu spät ist, kommt die Vergangenheit des "mutigen Streiters für die Demokratie" ans Licht.
Manchmal trägt die romanhafte Form dazu bei, bestimmte Vorgänge besser nachempfinden zu können. Der Roman lehnt sich eng an bekannte Vorgänge einer derartigen Karriere an. Nolte nennt ausdrücklich den Fall des Germanisten Hans Ernst Schneider, einem Karrieristen im SS-"Ahnenerbe", der nach dem Krieg unter dem falschen Namen Hans Schwerte als liberaler Wissenschaftler zu beachtlichem Erfolg brachte.
Die Fiktion ermöglicht die Spekulation, die sich in realen Fällen verbietet.
Eine interessantes und sehr plausibles Detail, dass Nolte schon im Prolog erwähnt und auf dass er am Ende des Romans zurückkommt, ist, dass "Rosmer" nach dem Krieg in Vorträgen und Aufsätzen die ganze deutsche Geschichte als Misere darstellt. Durch die ganze deutsche Geschichte, angefangen von Hermann dem Cherusker über Luther, Friedrich den Großen, Bismark bis zu Hitler zieht sich bei "Rosmer" ein blutigroter Faden der Unterdrückung, Aggression, Intoleranz. Das ist nicht nur "Tarnung", Schierling glaubt das wirklich - und er legt diese deutsche Misere zu seinem Gunsten aus: Wenn Arminius bis Hitler eine gerade Linie führt, und wenn das ein "zwangsläufiger" Geschichtsverlauf war (wovon Schierling offensichtlich ausgeht) dann war Hitler und waren alle seine Mittäter, einschließlich Schierling, wenigstens halbwegs entlastet.
Weshalb ich gerade die Stelle, die ich oben zitierte, auswählte? Weil sie mich auf einen beunruhigend Gedanken brachte: Solange noch die leugnenden, verdrängenden, verfälschenden "ehemaligen Herrenmenschen" Macht und Einfluss hatten, bestimmten sie den öffentlichen Diskurs in ihrem Sinne mit. Erst nachdem sie buchstäblich weggestorben oder doch wenigstens in Rente waren, endete in der Nachkriegs-BRD die Epoche der öffentlichen Verdrängung der NS-Verbrechen. Aber die folgende Generation, die der ehemaligen Hitlerjungen, war nicht viel besser: sie erlebte sich als "eigentlichen Leidtragenden der Weltgeschichte", stilisierten sich , aus ihrer subjektiven Erleben, zu "Opfern", obwohl sie tatsächlich Täter waren (Selbstvikimisierung). Wobei man den Gedanken an "Schuld", der zu nichts führt, außer zu Entschuldigungen und Schuldprojektionen, beiseite lassen sollte. Es geht es um Mitverantwortung.
Nun stirbt auch die "Flakhelfergeneration" mit ihren Lebenlügen und ihrer Wirklichkeitsverzerrung aus. Welche Generation folgt? Ganz klar, die der Kinder des "Wirtschaftswunders". Die mit dem Mythos von Glück des Tüchtigen aufwuchs. Und die früh erfahren hat: "Frechheit siegt!" Die oft nie gelernt hat, was "Solidarität" und was "Mitleid" wirklich bedeuten. Es ist die Generation, die heute in Deutschland noch den Ton angibt, wobei der Einfluss Handvoll "Alt-68er" unter ihnen groteskt überschätzt wird. Und dann?
Wohl ist mir nicht, wenn ich an Deutschlands Zukunft denke. Auch wenn ich keinen neuen "1. September", den Beginn eines Vernichtungskrieges, befürchte.
"Was du gern tun würdest oder nicht", sagte Leutnant Daisy Silberstein, "interessiert hier niemanden. Mich zuallerletzt. Ihr habt Tante Rebekka umgebracht. Tante Rebekka und ein paar Millionen anderer wehrloser Juden. Jetzt sitzt Rebekkas Silbersteins Nichte hier seit sieben Wochen in dieser deutschen Kasernenstube, und ein ehemaliger Herrenmensch nach dem anderen tritt ein, und sagt aus, dass er keine Verbrechen begangen habe. Wenn ihn aber doch ein Verbrechen nachgewiesen wird, behaupte er, man habe ihn gezwungen, es zu begehen. So läuft es hier Tag für Tag. Fast ausnahmslos. Die Ausnahmen sind ehemalige Hitlerjungen, für die die Welt zusammengebrochen ist. Enttäuschte und gekränkte Halbstarke, die sich für die eigentlichen Leidtragenden der Weltgeschichte halten. (..)"Der Roman erzählt die Lebensgeschichte des Juristen Jon Schierling, der sich in der Nachkriegszeit einen Namen als linksliberaler Publizist Ansgar Rosmer macht. Niemand weiß, dass er aus Feigheit sich zuerst an der Vergewaltigung der Justiz durch die Nazis und später dann an der Ausbeutung und Ermordung der galizischen Juden beteiligte. So, wie er aus Feigheit zum Demokraten "geläutert" wird, und sich auch aus Feigheit nicht den gut funktionierenden Seilschaften ehemaliger Nazis, die u. A. die FDP unterwandern, beteiligt.
Erst 1989, als es im Grunde zu spät ist, kommt die Vergangenheit des "mutigen Streiters für die Demokratie" ans Licht.
Manchmal trägt die romanhafte Form dazu bei, bestimmte Vorgänge besser nachempfinden zu können. Der Roman lehnt sich eng an bekannte Vorgänge einer derartigen Karriere an. Nolte nennt ausdrücklich den Fall des Germanisten Hans Ernst Schneider, einem Karrieristen im SS-"Ahnenerbe", der nach dem Krieg unter dem falschen Namen Hans Schwerte als liberaler Wissenschaftler zu beachtlichem Erfolg brachte.
Die Fiktion ermöglicht die Spekulation, die sich in realen Fällen verbietet.
Eine interessantes und sehr plausibles Detail, dass Nolte schon im Prolog erwähnt und auf dass er am Ende des Romans zurückkommt, ist, dass "Rosmer" nach dem Krieg in Vorträgen und Aufsätzen die ganze deutsche Geschichte als Misere darstellt. Durch die ganze deutsche Geschichte, angefangen von Hermann dem Cherusker über Luther, Friedrich den Großen, Bismark bis zu Hitler zieht sich bei "Rosmer" ein blutigroter Faden der Unterdrückung, Aggression, Intoleranz. Das ist nicht nur "Tarnung", Schierling glaubt das wirklich - und er legt diese deutsche Misere zu seinem Gunsten aus: Wenn Arminius bis Hitler eine gerade Linie führt, und wenn das ein "zwangsläufiger" Geschichtsverlauf war (wovon Schierling offensichtlich ausgeht) dann war Hitler und waren alle seine Mittäter, einschließlich Schierling, wenigstens halbwegs entlastet.
Weshalb ich gerade die Stelle, die ich oben zitierte, auswählte? Weil sie mich auf einen beunruhigend Gedanken brachte: Solange noch die leugnenden, verdrängenden, verfälschenden "ehemaligen Herrenmenschen" Macht und Einfluss hatten, bestimmten sie den öffentlichen Diskurs in ihrem Sinne mit. Erst nachdem sie buchstäblich weggestorben oder doch wenigstens in Rente waren, endete in der Nachkriegs-BRD die Epoche der öffentlichen Verdrängung der NS-Verbrechen. Aber die folgende Generation, die der ehemaligen Hitlerjungen, war nicht viel besser: sie erlebte sich als "eigentlichen Leidtragenden der Weltgeschichte", stilisierten sich , aus ihrer subjektiven Erleben, zu "Opfern", obwohl sie tatsächlich Täter waren (Selbstvikimisierung). Wobei man den Gedanken an "Schuld", der zu nichts führt, außer zu Entschuldigungen und Schuldprojektionen, beiseite lassen sollte. Es geht es um Mitverantwortung.
Nun stirbt auch die "Flakhelfergeneration" mit ihren Lebenlügen und ihrer Wirklichkeitsverzerrung aus. Welche Generation folgt? Ganz klar, die der Kinder des "Wirtschaftswunders". Die mit dem Mythos von Glück des Tüchtigen aufwuchs. Und die früh erfahren hat: "Frechheit siegt!" Die oft nie gelernt hat, was "Solidarität" und was "Mitleid" wirklich bedeuten. Es ist die Generation, die heute in Deutschland noch den Ton angibt, wobei der Einfluss Handvoll "Alt-68er" unter ihnen groteskt überschätzt wird. Und dann?
Wohl ist mir nicht, wenn ich an Deutschlands Zukunft denke. Auch wenn ich keinen neuen "1. September", den Beginn eines Vernichtungskrieges, befürchte.
MMarheinecke - Samstag, 1. September 2007
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