Naiver Schnüffel-Optimismus

Im newsblog der ct' kann man nachlesen, wie man sich im Innenministerium den Einsatz von Überwachungssoftware so vorstellt:
Innenministerium verrät neue Details zu Online-Durchsuchungen.
Das Risiko einer Entdeckung der komplexen Durchsuchung hält das Ministerium "als solches" für gering. Es könne auch durch nicht näher erläuterte technische Maßnahmen reduziert werden.
Wenn ich mir die im Artikel beschriebenen Maßnahmen so ansehe, halte ich es für so gut wie ausgeschlossen, dass bei einem einigermaßen "computer-fitten" Verdächtigen die Untersuchung unbemerkt bleibt.
Tatsächlich soll im Vorfeld, bevor überhaupt der "Bundestrojaner" zum Einsatz kommt, ermittelt werden, wie gut das System des Verdächtigen durch Firewall und Anti-Virensoftware gesichert ist, welches Betriebssystem und welchen Browser er benutzt, wie seine Internet-Gewohnheiten sind usw.. Ich gehe jede Wette ein, dass Windows-Benutzer ohne aktuelle Anti-Virussoftware, die eine ältere "Explorer"-Version und einen lang nicht mehr gepatchten "Outlock" benutzen, immer den selben Internet-Zugang verwenden und nie Anonymisierungsdienste und Kryptographie in Anspruch nehmen, für den "Bundestrojaner" in den engere Wahl kommen - während argwöhnische und IT-kompetente Kriminelle mutmaßlich verschont bleiben.
Mit anderen Worten: laut Bundesinnenministerium soll nach dem "verlorenen Schlüssel" unter der "Straßenlaterne" gesucht werden, weil es anderswo kaum möglich sein wird.
Das verstärkt den Argwohn, dass es bei der "Online Durchsichtung" um etwas ganz anderes geht, als um Terroristen-Abwehr, Bekämpfung der organisierten Kriminalität oder die gern angeführte Aufdeckung von "Kinderporno-Ringen" (wo durch Online-Fahndung bisher auch "nur" Konsumenten, nicht aber "Hintermänner", ertappt wurden).
Vielleicht geht es um Steuer- und Gebührenhinterziehung, Ebay-Betrug, "Raubkopien" und ähnliche Kleinkriminalität. Wo man dann auch mit einiger Wahrscheinlichkeit etliche unkundige oder unvorsichtige Täter finden wird. Für die man aber beim besten Willen kein Grundgesetz eingeschränkt bekommt.

Und am Schluss noch etwas zum Lachen:
Auch von einer "Vertrauenskrise" der Informationsgesellschaft könne nicht die Rede sein: "Bereits heute existieren erhebliche Schwachstellen, die durch Kriminelle genutzt werden", ohne dass dies zu einer Verringerung der Internetnutzung geführt habe. Angesicht der geplanten "nur geringen Anzahl" von Online-Durchsuchungen würde generell keine "maßgeblichen Änderung der Situation der IT-Sicherheit" herbeigeführt. Insofern seien auch diesbezügliche Schadensersatzforderungen nicht zu erwarten.
Nachttrag:Und das ist auch gut: Generalbundesanwältin Monika Harms begrüßt die von Bundesinnenminister Dr. "Seltsam" Wolfgang Schäuble vehement geforderte Regelung zu Online-Durchsuchungen privater Computer.
"Wir müssen bei schwersten Straftaten eine solche Möglichkeit - selbstverständlich unter Richtervorbehalt - haben", sagte Harms der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Straftäter kommunizierten heute so verschlüsselt über das Internet, dass anders an die Informationen nicht heranzukommen sei.
(Tja, aber wer hat der guten Bundesanwältin weiß gemacht, dass es einen Unterschied machen würde, wenn man die Computer der Verdächtigen "online untersuchen" würde. Natürlich, mit einem Keylogger könnte man die Verschlüsselung umgehen. Aber in der Realität, z. B. meines Computers, wäre ein Keylogger in erster Linie ein Lieferant von Datenmüll. Abgesehen davon, dass so eine "Müllschleuder" nicht lange unentdeckt bliebe.)
"Wir müssen uns beeilen, um in der technischen Entwicklung auf Augenhöhe mit den Straftätern zu kommen."
(Das ist eine fromme Hoffnung, solange unsere "politischen Entscheider" überwiegend Computer-Analphabeten sind. Zum Vergleich: ich erwarte von keinem Politiker, der über KFZ-Steuern, Umweltschutzgesetze, die auch den Autoverkehr betreffen, oder über Autobahnbau mit entscheiden, dass er oder sie selber z. B. ein Auto reparieren kann oder über die unterschiedlichen Auto- und Motorentypen Bescheid weiß, oder auch nur gut Auto fahren könnte. Aber welche Bedeutung der Autoverkehr hat, über grundsätzlichen Fragen der Unfallverhütung, des Kraftstoffverbrauches, der Umweltbelastung, der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Autoindustrie, oder auch über Fragen des alltäglichen Straßenverkehrs sollte ein Politiker Bescheid wissen und nicht mit der Ausrede durchkommen: "Um das Auto kümmert sich mein Fahrer".

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