Gedanken zur Schöpfung

Obwohl ich überzeugter Heide bin, sehe ich ab und an "Jesus.de" vorbei. Zum Beispiel zitiert dieser Artikel »Um Gottes Willen – Kreationisten auf dem Vormarsch« ausführlich einen Beitrag auf HR3, der mir sonst entgangen wäre. In dieser Artikel fand sich ein Zitat des rationalistisch-naturalistischen Philosophen und erklärten Atheist Michael Schmidt-Salomon von der Giordano-Bruno-Stiftung. Er-wurde gefragt, ob Religion überhaupt ohne den Schöpfungsglauben auskomme.
Wer die Schöpfungslehre aus dem Glauben streicht, sei es bei den Christen, den Juden oder den Muslimen, der kann eigentlich auch den ganzen Rest seines Glaubens vergessen. Die Schöpfungslehre ist die Basis des religiösen Glaubens. Das steht auch im Katechismus der katholischen Kirche klar formuliert.
Ich stimme Schmdt-Salomon zu, man kann ohne Bekenntnis zum Schöpfungsglauben kein Katholik sein. Dennoch sind nicht alle Katholiken Kreationisten oder Anhänger des "Intelligent Designs". Selbst Papst Benedikt XVI. bemüht sich sichtlich, darwinistische Evolutionstheorie und biblischen Schöpfungsmythos unter einen Hut zu bekommen - was sogar funktionieren kann, solange der Mythos als Mythos und nicht als biologische Tatsache aufgefasst wird. Das ist auch der Grund, weshalb sehr viele, vielleicht sogar die meisten, Christen längst ihren Frieden mit Darwin gemacht haben.
Wer die Schöpfungslehre aus dem Christlichen, jüdische oder islamischen Glauben streicht, der entzieht in der Tat dem jeweiligen Glaubensgebäude sein Fundament. Allerdings: das Judentum ist eine Gesetzesreligion; solange man sich an die Gebote hält, kann man durchaus Jude sein, ohne an Gott zu glauben. Und eine mythologische oder allegorische Deutung der jeweiligen Schöpfungslehre bietet sich ohnehin an - außer für buchstabengläubige Fundamentalisten. Die meisten Juden und Christen (zumindest in Europa) glauben hingegen ganz sicher nicht an die wörtlich ausgelegte Genesis.

Stellt sich die Frage: gibt es Religion ohne Schöpfungslehre - und ohne Schöpfergott?
Dafür gibt es zwei Antworten: Wenn unter Religion "etwas in der Art" von Christentum, Judentum, Islam gemeint ist, lautet sie: "Nein". Zentrales Element ist, dass der einzige Gott zugleich Schöpfer der Universums ist - in welcher Form auch immer.
Es gibt daneben spirituelle Lehrsysteme, wie den Buddhismus, die bei uns ebenfalls, nicht ganz zurecht, "Religionen" genannt werden. Die buddhistische Lehre benennt weder einen allmächtigen (Schöpfer-)Gott noch eine ewige Seele.

Die meisten polytheistischen Religonen (für die ebenfalls der bei uns Religionsbegriff nicht richtig greift) kennen Weltentstehungsmythen - manche sogar mehrere sich widersprechende. Der entscheidende Unterschied zu den monotheistischen Religionen ist, dass die Götter nicht Schöpfer des Universums sind - das Universum entstand spontan.
In diesem Sinne kommt die Mehrheit der Religionen ohne Schöpfung, ohne Schöpfergott - und selbstverständlich ohne "Intelligent Design" aus.
David (Gast) - 12. Jun, 22:14

"Die meisten polytheistischen Religonen (für die ebenfalls der bei uns Religionsbegriff nicht richtig greift) kennen Weltentstehungsmythen - manche sogar mehrere sich widersprechende."

Da kann die Bibel ja auch mithalten.

Rayson (Gast) - 12. Jun, 22:33

Zunächst: Bei monotheistischen Religionen ist das eine Frage der inneren Logik. Wenn es nur einen Gott gibt, kann es auch nichts geben, dass quasi unabhängig neben, vor oder nach ihm existiert. Sobald man so etwas als existent annähme, hätten wir Polytheismus.

Ein "Fundament des Glaubens" ist das aber nicht, eher eine notwendige Konsequenz aus dem Glauben. Deswegen sind für Christen die alttestamentarischen Schöpfungsmythen auch völlig problemlos als solche zu lesen. Sie sind für ihren Glauben unerheblich.

Köppnick - 19. Jun, 19:33

Neuer Mythos

Die in den Religionen zu findenden Weltenstehungserklärungen sind für uns heute „Mythen“, weil die zu ihrer Ersterzählzeit durchaus rational verstandenen Geschichten heute unter unserem Wissensstand sind. Wirft man einen genauen Blick auf die „Religion“ unserer Zeit, die Physik, dann erkennt man, dass dort (für die Menschen der Zukunft) ebenfalls ein Mythos am Entstehen ist, weil sich ein logischer Widerspruch nicht auflösen lässt: Wir sind von unserer Machart (der Evolution) auf das Finden von Ursachen für alle Vorgänge gepolt, aber egal welchem Weltmodell man anhängt, Urknall oder ewig existierendes Multiversum, in beiden Fällen finden wir keine Ursache. Das wird der neue Mythos.

MMarheinecke - 20. Jun, 09:37

Ein Mythos ist der Versuch, zu erzählen, was sich nicht sagen läßt

Ich nehme nicht an, dass die Mythen zur Zeit ihrer Ersterzählung rational verstanden wurden. Dagegen spricht z. B. die Erfahrung mit schamanistischen Praktiken: kein Schamane käme im Alltagsleben, in der "konsensionellen Realität" auf die Idee, es gäbe einen materiellen Weltenbaum, auf dem er in seinem fleischlichen Körper in den Himmel klettern könne. Er war von Anfang an "Symbol", stand "für etwas", das sich mit "normalen Sinnen" nicht beschreiben lässt. Eine ganz alltägliche Erfahrung - man versuche nur einmal, z. B. eine Symphonie mit Worten zu beschreiben.

In der modernen Naturwissenschaft entstehen tatsächlich neue Mythen - und zwar aus dem selben Grunde, der schon für den Schamanen galt. Die Quantenphysik lässt sich nur in der abstrakten Sprache der Mathematik beschreiben, jeder Versuch, sich darunter etwas vorzustellen, bringt nicht etwa eine vereinfachte Modellvorstellung hervor, sondern eine mythische Umschreibung.

Wir denken im Alltag kausal, in Ursachen und Wirkungen - sonst würden wir nicht lange Überleben. Der Mythos ist der Versuch, in kausaler Sprache a-kausale (aber unzufällige) Vorgänge zu beschreiben.
Ein Problem dabei ist, dass wir in unserer Kultur, infolge eine jahrhundertelangen Entmythologisierung (die unter überzeugten Prostestanten übrigens weiter vorangeschritten zu sein scheint, als unter Agnostikern und selbst Atheisten) im Gegensatzpaar "kausal" und "zufällig" denken. Darin liegt meiner Ansicht nach auch das Hauptproblem beim Diskurs um das "Intelligent Design": Für die - meist stramm protestantischen (und entmythologisierten) ID-Anhänger gibt es nur die Alternative "Zufall" oder "Planung" - folglich sind sie auch felsenfest überzeugt, "Darwin widerlegt" zu haben, wenn sie nachweisen können, dass "purer Zufall" und mechanistisch verstandene "Naturgesetze" die Entwicklung des Lebens nicht hinreichend erklären können. Schon simple Beispiele von Selbstorganisation - etwa die Tatsache, dass an einem Kiesstrand mit heftiger Brandung der Kies "nach Größe sortiert wird" - sprengen in ihrer Unanschaulichkeit das klassische "entmythologisierte Weltbild". Daraus gibt es zwei Auswege: entweder auf jede Anschaulichkeit verzichten - konsequente Mathematisierung - oder (einschließendes "Oder", nicht die "Alternative": "entweder - oder"!) - der Mythos. Da sind die "harten" Kreationisten gegenüber den pseudowissenschaftlichen ID-Anhängern wenigstens ehrlich, denn sie verweisen offen auf einen Mythos: das ordnende Eingreifen Gottes.
Köppnick - 20. Jun, 22:41

Rational = wortwörtlich

Ich glaube schon, dass unsere Vorfahren viele Geschichten, die wir heute als Mythen betrachten, wortwörtlich genommen haben. Beispiele: "Jesus machte Tote wieder lebendig" oder "Er ist das Kind der Jungfrau Maria". Nach unserem heutigen Wissen kann man aber Tote nicht lebendig machen und Jungfrauen gebären keine Kinder, damals hielt man das aber für möglich (und im Falle Jesu sogar für wahrscheinlich).

Ähnliches prognostiziere ich für unsere heutigen Weltmodelle: Heute glauben wir, dass Materie, Raum und Zeit beim Urknall entstanden sind. In der Zukunft wird man wahrscheinlich herausfinden, dass nur eine Konversion aus etwas anderem stattgefunden hat, was schon "vorher" dagewesen ist. (Das "vorher" habe ich in Anführungszeichen gesetzt, weil es ja wahrscheinlich kein zeitliches Vorher gewesen ist, hier fehlt unserer heutigen Vorstellung das richtige Modell.)

Die Mathematisierung verdeckt für die meisten (auch viele Physiker), dass es sich nur um von uns gebildete Modelle handelt, nicht um die Wirklichkeit, die damit beschrieben werden soll. Ich erinnere dich an Watzlawick, dessen Tod du ja auch kommentiert hast.
MMarheinecke - 20. Jun, 23:00

Unterschätze die Menschen vor 2000 Jahren nicht

Sicherlich gab es (wie heute) genügend Naive, die mythologische Texte wörtlich nehmen. Der Regelfall bei Gebildeten wird es nicht gewesen sein - man kann z. B. Paulus eine Menge nachsagen, Naivität ist es nicht. Der wusste schon, was er predigte.

Die Jungfrauenfrage stellte sich für die ersten Christen gar nicht, denn erst durch eine Übersetzungsfehler wurde aus einer "jungen Frau" eine "Jungfrau". "Vergöttlichung" ging in der hellenistischen Welt übrigens leicht, alle möglichen Menschen, die außergewöhnliches leisteten, hielt man für Inkarnationen bzw. Avatare von Göttern.

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