Willkommen zurück in auf der Erde, Heiligendamm!
Es ist überstanden: Heiligendamm ist wieder ein normales Ostseebad. Das, was sich dort abspielte, dass hatte schon etwas Irreales, Unwirkliches - die Steigerung der üblichen Inszenierung von "Un-Politik", zur "virtuelle Politik", zur reinen Symbolik - oder noch weniger. Denn zu glauben, dass da wirklich "die acht mächtigsten Menschen der Erde" zusammentrafen und dort wirklich "wichtige Entscheidungen" trafen, das glaubt ernsthaft nur jemand, der nicht allzu viel von Politik versteht - oder verstehen will.
Da liegt es nahe, die G8-Inszenierung als Produktion eines Fantasy-Films zu beschreiben, wie es der "Spiegelfechter" macht: Filmtipp: The Weatherman.
Anders die "andere Seite". Die G8-Kritiker. Nicht die "Globalisierungsgegner", wie sie oft genannt wurden, obwohl sicherlich ein paar Isolationisten oder Protektionisten (also Globalisierungsgegner im strengen Sinne) aus den Anfangstagen von Attac übrig geblieben sind - alle übrigen, die dort demonstrierten, wollten eine "andere Globalisierung", wenn auch nicht alle dieselbe. Weshalb die Kritik an den Kritikern, sie seinen ja selbst sehr stark globalisiert, auch nicht trifft. Und leider gingen (wie geplant?) die meisten durchaus ernst zu nehmenden Fragen, die von G8-Kritikern gestellt wurden, unter - in der Sensations-Berichterstattung über (weitgehend virtuelle) Krawalle - 2 statt 40 oder "hunderten" Schwerverletzten, ein ausgebranntes Auto statt "zahlreicher brennender Autos". Sie gingen leider aber auch unter in der Show-Inszenierung und in den allzu plakativen, also vereinfachenden Thesen und Forderungen. Willkommen in der Welt der Un-Politik!
Vor fast einem Monat, nach den Razzien gegen (mutmaßliche und bei dieser Gelegenheit gleich in's terroristische Umfeld gerückte) linke G8-Gegner, machte Anje Schrupp den nahe liegenden Vorschlag, einfach auf die sinnentleerten Prostestrituale gegen ein längst sinnentleertes Politikritual zu verzichten.
Ich halte es nicht für einen Zufall, dass sie sich dabei auf einem Klassiker der Science-Fiction-Literatur, "The Left Hand of Darkness" von Ursula K. LeGuin (dt. "Winterplanet", neuere Ausgaben "Die linke Hand der Dunkelheit") bezog:
Ich würde nicht so weit gehen, zu behaupten, dass gegen etwas opponieren immer bedeuten würde, es zu stützen. Alle Revolutionen entstanden beispielsweise aus der fundamentalen Opposition zum hergebrachten politischen System. Aber: der von Hegel und nach ihm von Marx behauptete dialektische Mechanismus von "These (altes System) - Antithese (Opposition, die das alte System bekämpft) - Synthese (neues politischen System)" mit einer quasi "automatischen" Weiterentwicklung bei gelungenen Revolution (oder gelungener durchgreifender Reform) - beschreibt die historische Wirklichkeit nur unzureichend. Eben so oft muss die Wirklichkeit im "dialektischen Materialismus" der Theorie angepasst werden - womit sie ihren Ideologiecharakter entlarvt. Bezeichnenderweise herrschte auch im antikommunistischen "Westen" das an ökonomischen Systemfragen ausgerichtete Marx`sche Geschichtsmodell vor - und es ist noch heute das übliche Paradigma in Politik, Wirtschaft, Journalismus und im Schulunterricht. Was zum Teil am vom LeGuin beschriebenen Prinzip der "stützenden Opposition" lag, mehr aber darin, dass marxistischer "Historischer Materialismus"und die modernen "bürgerlichen" Geschichtstheorien grundsätzlich das selbe theoretische Fundament hatten. Außerdem teilen sie beide die Vorstellung eines unaufhaltsamen Fortschrittes in der Menschheitsgeschichte.
Als Vorhersageinstrument - die Vorhersage ist die Nagelprobe jeder Theorie - versagte der "dialektischer Materialismus" kläglich. Ebenso die ihm verwandten "bürgerlichen" Theorien - der weltweite "Sieg" des liberalen Kapitalismus müsste theoretisch den ebenfalls weltweiten Sieg des entsprechenden politischen Systems, dem der liberalen parlamentarischen Demokratie, nach sich ziehen.
Die antreibende Dialektik des geschichtlichen Wandels müsste mit dem de-facto-Ende des Sozialismus nach sowjetischen Modell (bis auf Nord-Korea und, mit Einschränkungen, Kuba) jedenfalls aufgehoben sein - das war es, was manche Theoretiker am Anfang der 1990er Jahre vom "Ende der Geschichte" reden ließ.
Ich vermute: jeden Opposition, die den Gegners direkt bekämpft, und darüber das "Gehen der eigenen Wege" vernachlässigt oder aus taktischen Gründen unterlässt, wird kurz über lang Charakterzüge des Gegners annehmen. Ein anderer Klassiker der (anti-)utopischen Literatur, George Orwell, hat diesen Mechanismus der "dialektischen Angleichung" ideologischer Gegner in "Animal Farm" und, andeutungsweise, in "1984" skizziert.
Wir sehe ja z. B. wie sich liberale, "moderne" Christen "refundamentalisieren", in Abwehr gegen den fundamentalistischen Islam und in Abwehr fundamentalistischer evangelikaner Strömungen im Christentum. Auch ist es nicht zu übersehen, wie sich kämpferische Atheisten der Argumentationsweise christlich-fundamentalistischer Anhänger eines Kreationismus in (kläglicher) wissenschaftlicher Tarnung, genannt "Intelligent Design" annähern, und ihrerseits borniert, arrogant und streitsüchtig werden.
"Eine andere Globalisierung" zu fordern, statt "die Globalisierung" zu verdammen, ist schon mal ein guter Anfang. Ein weiterer, guter Schritt, könnte es sein, auf Polit-Inszenierungen nicht mit eigenen Polit-Inszenierung zu reagieren.
Das ist z. B. der entscheidende Unterschied zu den Großdemos der 80er Jahre, die die äußere Vorlage für "Rostock" lieferten: weder die Raketenstationierungen noch der geplante Bau der Atommüllwiederaufbereitungs-Anlage in Wackersdorf, noch - Sprung in die Gegenwart - Castor-Transporte sind Inszenierungen. Da passiert wirklich etwas. Auf dem G8-Gipfel passiert nichts, was nicht auch ohne diese Gipfeltreffen passieren würde.
Da liegt es nahe, die G8-Inszenierung als Produktion eines Fantasy-Films zu beschreiben, wie es der "Spiegelfechter" macht: Filmtipp: The Weatherman.
Anders die "andere Seite". Die G8-Kritiker. Nicht die "Globalisierungsgegner", wie sie oft genannt wurden, obwohl sicherlich ein paar Isolationisten oder Protektionisten (also Globalisierungsgegner im strengen Sinne) aus den Anfangstagen von Attac übrig geblieben sind - alle übrigen, die dort demonstrierten, wollten eine "andere Globalisierung", wenn auch nicht alle dieselbe. Weshalb die Kritik an den Kritikern, sie seinen ja selbst sehr stark globalisiert, auch nicht trifft. Und leider gingen (wie geplant?) die meisten durchaus ernst zu nehmenden Fragen, die von G8-Kritikern gestellt wurden, unter - in der Sensations-Berichterstattung über (weitgehend virtuelle) Krawalle - 2 statt 40 oder "hunderten" Schwerverletzten, ein ausgebranntes Auto statt "zahlreicher brennender Autos". Sie gingen leider aber auch unter in der Show-Inszenierung und in den allzu plakativen, also vereinfachenden Thesen und Forderungen. Willkommen in der Welt der Un-Politik!
Vor fast einem Monat, nach den Razzien gegen (mutmaßliche und bei dieser Gelegenheit gleich in's terroristische Umfeld gerückte) linke G8-Gegner, machte Anje Schrupp den nahe liegenden Vorschlag, einfach auf die sinnentleerten Prostestrituale gegen ein längst sinnentleertes Politikritual zu verzichten.
Ich halte es nicht für einen Zufall, dass sie sich dabei auf einem Klassiker der Science-Fiction-Literatur, "The Left Hand of Darkness" von Ursula K. LeGuin (dt. "Winterplanet", neuere Ausgaben "Die linke Hand der Dunkelheit") bezog:
Mir fällt ein Abschnitt aus dem schönen SciFi-Roman Winterplanet von Ursula K. Le Guin ein: Gegen etwas opponieren, bedeutet, es zu erhalten. Man sagt hier: "Alle Wege führen nach Mishnory". Doch wenn man Mishnory den Rücken kehrt und es verlässt, ist man ganz eindeutig immer noch auf dem Weg nach Mishnory. Gegen Vulgarität opponieren bedeutet unvermeidlich, selbst vulgär zu sein. Nein, man muss woanders hingehen; man muss sich ein anderes Ziel setzen. Dann beschreitet man einen anderen Weg."Genau dieser Mechanismus, den LeGuin in diesem sehr vom Taoismus beeinflussten Roman beschreibt, machten den gut gemeinten Protest gegen das gut gemeinte G8-Treffen so sinnlos.
Ich würde nicht so weit gehen, zu behaupten, dass gegen etwas opponieren immer bedeuten würde, es zu stützen. Alle Revolutionen entstanden beispielsweise aus der fundamentalen Opposition zum hergebrachten politischen System. Aber: der von Hegel und nach ihm von Marx behauptete dialektische Mechanismus von "These (altes System) - Antithese (Opposition, die das alte System bekämpft) - Synthese (neues politischen System)" mit einer quasi "automatischen" Weiterentwicklung bei gelungenen Revolution (oder gelungener durchgreifender Reform) - beschreibt die historische Wirklichkeit nur unzureichend. Eben so oft muss die Wirklichkeit im "dialektischen Materialismus" der Theorie angepasst werden - womit sie ihren Ideologiecharakter entlarvt. Bezeichnenderweise herrschte auch im antikommunistischen "Westen" das an ökonomischen Systemfragen ausgerichtete Marx`sche Geschichtsmodell vor - und es ist noch heute das übliche Paradigma in Politik, Wirtschaft, Journalismus und im Schulunterricht. Was zum Teil am vom LeGuin beschriebenen Prinzip der "stützenden Opposition" lag, mehr aber darin, dass marxistischer "Historischer Materialismus"und die modernen "bürgerlichen" Geschichtstheorien grundsätzlich das selbe theoretische Fundament hatten. Außerdem teilen sie beide die Vorstellung eines unaufhaltsamen Fortschrittes in der Menschheitsgeschichte.
Als Vorhersageinstrument - die Vorhersage ist die Nagelprobe jeder Theorie - versagte der "dialektischer Materialismus" kläglich. Ebenso die ihm verwandten "bürgerlichen" Theorien - der weltweite "Sieg" des liberalen Kapitalismus müsste theoretisch den ebenfalls weltweiten Sieg des entsprechenden politischen Systems, dem der liberalen parlamentarischen Demokratie, nach sich ziehen.
Die antreibende Dialektik des geschichtlichen Wandels müsste mit dem de-facto-Ende des Sozialismus nach sowjetischen Modell (bis auf Nord-Korea und, mit Einschränkungen, Kuba) jedenfalls aufgehoben sein - das war es, was manche Theoretiker am Anfang der 1990er Jahre vom "Ende der Geschichte" reden ließ.
Ich vermute: jeden Opposition, die den Gegners direkt bekämpft, und darüber das "Gehen der eigenen Wege" vernachlässigt oder aus taktischen Gründen unterlässt, wird kurz über lang Charakterzüge des Gegners annehmen. Ein anderer Klassiker der (anti-)utopischen Literatur, George Orwell, hat diesen Mechanismus der "dialektischen Angleichung" ideologischer Gegner in "Animal Farm" und, andeutungsweise, in "1984" skizziert.
Wir sehe ja z. B. wie sich liberale, "moderne" Christen "refundamentalisieren", in Abwehr gegen den fundamentalistischen Islam und in Abwehr fundamentalistischer evangelikaner Strömungen im Christentum. Auch ist es nicht zu übersehen, wie sich kämpferische Atheisten der Argumentationsweise christlich-fundamentalistischer Anhänger eines Kreationismus in (kläglicher) wissenschaftlicher Tarnung, genannt "Intelligent Design" annähern, und ihrerseits borniert, arrogant und streitsüchtig werden.
"Eine andere Globalisierung" zu fordern, statt "die Globalisierung" zu verdammen, ist schon mal ein guter Anfang. Ein weiterer, guter Schritt, könnte es sein, auf Polit-Inszenierungen nicht mit eigenen Polit-Inszenierung zu reagieren.
Das ist z. B. der entscheidende Unterschied zu den Großdemos der 80er Jahre, die die äußere Vorlage für "Rostock" lieferten: weder die Raketenstationierungen noch der geplante Bau der Atommüllwiederaufbereitungs-Anlage in Wackersdorf, noch - Sprung in die Gegenwart - Castor-Transporte sind Inszenierungen. Da passiert wirklich etwas. Auf dem G8-Gipfel passiert nichts, was nicht auch ohne diese Gipfeltreffen passieren würde.
MMarheinecke - Samstag, 9. Juni 2007
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