Aufmerksamkeitsökonomie und Realitätsverzerrung
Manchmal ist es erstaunlich, welche Themen in unseren Massenmedien Vorrang genießen.
Damit meine ich jetzt nicht den breiten Raum, den klassische Boulevard-Themen zwischen knatschigen Schauspielerehen und flauschigen Jungeisbären einnehmen. Das fällt mehr oder weniger unter Unterhaltung. Es geht auch nicht um kulturelle Themen zwischen Opernpremieren und verbrennenden Museumsschiffen. Das fällt mittlerweile auch in den Bereich Unterhaltung / angenehmes Werbeumfeld. Wie übrigens auch der Bereich des Wissenschaftsjournalismus (außer bestimmten Umweltthemen und einigen neuen Technologien).
Nein, es geht um ernsthafte Themen. Denen mit 20-Uhr-Tagesschau- oder Titelseiten-Potenzial.
Wie hieß es neulich so schön auf NPD-Blog.Info:
Warum ist das so? Ein Beispiel aus dem April, aus Hamburg. Ein von Neonazis gesprengter Briefkasten eines Antifa-Aktivisten schaffte gerade mal einen Dreizeiler in der Lokalzeitung und eine Notiz auf "indimedia" (bei immerhin erheblicher Personengefährdung): Naziatterror in Hamburg-Harburg, über einen im direkten Vergleich der Folgen "harmlosen" Anschlag auf ein Hotel in Hamburg, bei dem es lediglich Glasbruch und eine durch Farbbeutel verunzierte Fassade gab, wurde ausführlich überregional berichtet.
An sich ist auch das Thema "militante Nazis" immer für eine saftige Schlagzeile gut. Sieht man sich aber das jeweilige Opfer an, dann springt ein gewaltiger Unterschied ins Auge: Ziel des Neonazi-Sprenganschlages war ein unbekannter Antifa-Aktivist. Also ein "medialer Niemand" (ein "uninteressanter Typ!") der sich außerdem direkt mit Rechtsextremisten anlegt (hier setzt gern der "Selber Schuld!"-Reflex ein). Außerdem wird das peinliche Thema "Neonazis" gern seitens der (Lokal-)Politik gern verdrängt. (Siehe oben!)
Der Farbbeutel-Fall steht im Umfeld der ohnehin im Fokus der Medien stehenden Proteste gegen den G8-Gipfel, ist damit automatisch "Thema", die "Opfer" sind u. A. Gäste eines Hotels der gehobenen Kategorie (5 Sterne), also potenziell "wichtig" - und das Thema "Linksextremistische Gewalt" passt in die politische Agenda sowohl des Hamburger Innensenators Nagel wie des Bundesinnenministers Schäuble.
Anderes Beispiel, via Zwischenspeicher. Im Klinikum Essen gibt es einen ungeheuerlichen Verdacht, der sich aber nur in der Regionalpresse niederschlägt: RP: Verdacht auf Organhandel, wogegen der Skandal um Doping-Ärzte im Radsport breiteste Aufmerksamkeit einschließlich Sondersendungen im Fernsehen genießt.
Lange Zeit habe ich angenommen, es gäbe irgendwelche Drahtzieher im Hintergrund, Politiker, Interessenvertreter usw. die dafür sorgen, dass bestimmte Nachrichten unterdrückt und andere dafür gehypet werden. Also: Zensur durch Druck und Korruption. In Einzelfällen mag das so sein, aber inzwischen bin ich mir sicher, dass meistens gar keine äußere Einflüsse auf die Redaktionen mehr vonnöten sind. Es reicht in privatwirtschaftlichen Medien der Seitenblick auf die Anzeigenkunden.
Sehr schön hat MomoRules diese Mechanismen hier skizziert: Das Sagbare und das Unsägliche.
Damit meine ich jetzt nicht den breiten Raum, den klassische Boulevard-Themen zwischen knatschigen Schauspielerehen und flauschigen Jungeisbären einnehmen. Das fällt mehr oder weniger unter Unterhaltung. Es geht auch nicht um kulturelle Themen zwischen Opernpremieren und verbrennenden Museumsschiffen. Das fällt mittlerweile auch in den Bereich Unterhaltung / angenehmes Werbeumfeld. Wie übrigens auch der Bereich des Wissenschaftsjournalismus (außer bestimmten Umweltthemen und einigen neuen Technologien).
Nein, es geht um ernsthafte Themen. Denen mit 20-Uhr-Tagesschau- oder Titelseiten-Potenzial.
Wie hieß es neulich so schön auf NPD-Blog.Info:
m Mai 2007 war bekannt geworden, dass ein hochrangiger Beamter der Polizeidirektion Dessau versucht haben soll, die Bekämpfung rechtsextremer Straftaten zu bremsen. Wie die Nachrichtenagentur ddp mit Bezug auf den Tagesspiegel berichtete, soll der Dessauer Vize-Polizeichef Hans-Christoph Glombitza drei Staatsschützern der Direktion im Februar 2007 bei einer Besprechung nahe gelegt haben, dass man diesbezüglich nicht alles sehen müsse. Glombitza soll gewarnt haben, dass das Ansehen des Landes Sachsen-Anhalt nachhaltig geschädigt werden könnte.Hervorhebungen von mir. Quelle - NPD-Blog: Eingesperrt, gefesselt, verbrannt - was geschah in Dessau?.
Offenbar waren seine Befürchtungen übertrieben, die bundesdeutsche Öffentlichkeit interessiert sich zurzeit mehr für angebliche Terroristen beim G8-Gipfel als für verbrannte Flüchtlinge und Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt.(...)
Warum ist das so? Ein Beispiel aus dem April, aus Hamburg. Ein von Neonazis gesprengter Briefkasten eines Antifa-Aktivisten schaffte gerade mal einen Dreizeiler in der Lokalzeitung und eine Notiz auf "indimedia" (bei immerhin erheblicher Personengefährdung): Naziatterror in Hamburg-Harburg, über einen im direkten Vergleich der Folgen "harmlosen" Anschlag auf ein Hotel in Hamburg, bei dem es lediglich Glasbruch und eine durch Farbbeutel verunzierte Fassade gab, wurde ausführlich überregional berichtet.
An sich ist auch das Thema "militante Nazis" immer für eine saftige Schlagzeile gut. Sieht man sich aber das jeweilige Opfer an, dann springt ein gewaltiger Unterschied ins Auge: Ziel des Neonazi-Sprenganschlages war ein unbekannter Antifa-Aktivist. Also ein "medialer Niemand" (ein "uninteressanter Typ!") der sich außerdem direkt mit Rechtsextremisten anlegt (hier setzt gern der "Selber Schuld!"-Reflex ein). Außerdem wird das peinliche Thema "Neonazis" gern seitens der (Lokal-)Politik gern verdrängt. (Siehe oben!)
Der Farbbeutel-Fall steht im Umfeld der ohnehin im Fokus der Medien stehenden Proteste gegen den G8-Gipfel, ist damit automatisch "Thema", die "Opfer" sind u. A. Gäste eines Hotels der gehobenen Kategorie (5 Sterne), also potenziell "wichtig" - und das Thema "Linksextremistische Gewalt" passt in die politische Agenda sowohl des Hamburger Innensenators Nagel wie des Bundesinnenministers Schäuble.
Anderes Beispiel, via Zwischenspeicher. Im Klinikum Essen gibt es einen ungeheuerlichen Verdacht, der sich aber nur in der Regionalpresse niederschlägt: RP: Verdacht auf Organhandel, wogegen der Skandal um Doping-Ärzte im Radsport breiteste Aufmerksamkeit einschließlich Sondersendungen im Fernsehen genießt.
Lange Zeit habe ich angenommen, es gäbe irgendwelche Drahtzieher im Hintergrund, Politiker, Interessenvertreter usw. die dafür sorgen, dass bestimmte Nachrichten unterdrückt und andere dafür gehypet werden. Also: Zensur durch Druck und Korruption. In Einzelfällen mag das so sein, aber inzwischen bin ich mir sicher, dass meistens gar keine äußere Einflüsse auf die Redaktionen mehr vonnöten sind. Es reicht in privatwirtschaftlichen Medien der Seitenblick auf die Anzeigenkunden.
Sehr schön hat MomoRules diese Mechanismen hier skizziert: Das Sagbare und das Unsägliche.
Zurück zu den Sonnenbrillen im Magazin von DIE ZEIT: Klar, im Umfeld einer solchen Story fühlen sich Anzeigenkunden wohl. Qualität? So konzipiert man auch beim Fernsehen ganze Sendungen - eben anhand potenzieller Zielgruppen für Werbung. Berichterstattung als Umfeld für Werbung ist das, was vermeintlichen "Meinungsjournalismus" ersetzt.Bei öffentlich-rechtlichen Sendern mag das mit den Werbekunden nicht ganz so schlimm sein, dafür müssen dann eben Rücksichten auf die im Rundfunkrat vertretenen "gesellschaftlichen Gruppen" genommen werden. Also: Kritik und Sendezeit immer schön gleichmäßig auf die politischen Parteien verteilen - und ja kein zu böses Wort über den Papst. (Letzteres war letztens anlässlich einer skandalösen Rede, die Ratzinger in Brasilien hielt, sehr auffällig.) Und egal ob öffentlich-rechtlich oder privat: es ist klar, auf wen "man" Rücksicht nehmen muss - und wen man ruhig mal gepflegt in die Pfanne hauen darf.
So sind einst die Erotik-Magazine aus dem Privatfernsehen verschwunden: Sie hatten gute Quoten, aber die die Werbeblöcke verkauften sich nicht gut, weil Titten und Ärsche offenkundig dem beworbenen Produkt nicht gut bekommen. "Titten und Ärsche" wäre mir übrigens bei annähernd jeder Zeitung aus dem Text redigiert worden im Namen der Qualität, weil's nach Gosse riecht für den gemeinen Bildungsbürger und es dessen Dünkel ist, der eben auch über Sagbares und Unsägliches bestimmt. Und noch hat der ja Geld, der Bildungsbürger.
Im Gegensatz zum unappetitlichen Hartz IV-Empfänger, a priori unter Sozialbetrugsverdacht gestellt - ein zentrales Motiv aktueller Quasi-Journaille, die Verdächtigung. Spitzel-Schreiberlinge und -Filmer von Schäubles Gnaden, sozusagen. Die dann als Protagonisten im sogenannten "Unterschichtenfernsehen" sich Sozialamtsschnüffler wählen - würde man sie aus sich heraus verstehen wollen, diese Objekte der Berichterstattung da auf ihren Otto-Katalog-Sofas, könnten ja ebenfalls Werbekunden ausbleiben.
Weil das eben gegen aktuelle Selektionskriterien verstieße, wie man solche Leute zu behandeln hat. Bei Entscheidern in den Sendern löste sowas Unbehagen aus, das käme nicht durch, weil's eben nicht mehr bunt wäre. Da brauchte noch nicht mal ein Werbekunde anzurufen, das passiert schon ganz von selbst.
Der einzige Grund, warum Schwule in Deutschland nicht mehr so offenkundig diskriminiert werden, ist wohl, daß sie als werberelevante Zielgruppe gelten. Für Kanacken, Asylanten und Flüchtlinge gilt das nicht. Die sind allenfalls als "Schicksalsbericht" erlaubt. Oder als antagonistisches Prinzip zur je eigenen Kultur. Willkommen in Zettels und di Lorenzos schöner, neuer Welt der Qualität und Scheinprobleme!Das ist das Stichwort: Scheinprobleme! Medienphantome. Wobei es im Effekt nur wenig Unterschied macht, ob es um einen politischen Jurasic Park geht (wo aus einer Mücke ein Tyrannosaurier gemacht wird), oder es ob die "große Katastrophe" real im befürchteten Verlust von Werbeeinahmen besteht.
MMarheinecke - Samstag, 26. Mai 2007
Danke,
ich gebe das Lob weiter an MomoRules