Auch wer "nichts zu verbergen hat" lebt gefährlich

Statler stellt da etwas richtig und eine provozierende Frage: Ist einer Mehrheit der Deutschen die "Sicherheit" nicht viel mehr wert als die Freiheit? Stasi 2.0?.
Nein, Schäuble ist nicht der Mielke 2.0, der gegen den Willen der Bevölkerung einen Überwachungsstaat etabliert. Er befriedigt eine politische Nachfrage.
Für die etablierte, "reife" DDR, mit ihrem ins absurde gesteigerten Spitzel- und Überwachungswesen trifft das wohl zu: bei den DDR-Bürgern war der "VEB Horch, Guck & Greif" mehrheitlich nicht beliebt (aber im für mich erstaunlichen Maße akzeptiert). Aber das MfS ist nicht vom Himmel gefallen oder fix und fertig aus der damals noch von Väterchen Stalin regierten UdSSR importiert worden. Es war ein Produkt der Angst - und der Angstmache. Es spricht einiges dafür, dass das MfS lange Zeit von vielen DDR-Bürgern als notwendiges Übel gesehen wurde - lieber Überwachung als Chaos. Noch heute treffe ich "Ostalgiker", die mir ahnungslosem "Wessi" lang und breit erzählen, wie friedlich und sicher es doch in der DDR-Provinz vor der "Wende" gewesen war. "Weil die immer damit rechnen mußte, dass man ihnen auf die Finger sah, kamen die doch gar nicht erst auf dumme Gedanken". Die Stasi - Garant einer Spießer-Idylle. "Die" waren natürlich immer "die Anderen", man selbst hatte ja nichts groß zu verbergen, also auch nichts zu befürchten.
Aus heutiger Sicht war das Mißtrauen die Grundlage des States DDR - wobei nicht etwa nur die linke Hand nicht der rechten Hand mißtraute, sondern sogar der Zeigefinger nicht dem Daumen. Wie konnte da das beinahe kindliche Vertrauen mancher (längst nicht aller) DDR-Bürger entstehen, ihm würde schon nichts passieren? Wie konnte die viel gelobte "menschlich warme" Atmosphäre in einer Gesellschaft entstehen, in der der beste Freund ein MfS-Zuträger sein konnte? Ich vermute: die Illusion, dass man nichts zu verbergen hätte, was den VEB Horch, Guck & Greif interessieren könnte. Was sie, insofern sie loyale Bürger waren, gern vergaßen: Nicht "der Staat" überwachte sie, sondern Agenten, die ganz normale, fehlbare, eigenützige, erpressbare, korrupte und manchmal sogar kriminelle Menschen waren. Die außerdem einem Apparat zuarbeiteten, der nicht etwa allein "dem Staat" diente, sondern tief in Machtkämpfe verwickelt war und gegen andere Representanten "des Staates" einschließlich seine Auftraggeber intrigierte, konspirierte, erpresste und desinformierte. Im Prinzip ist das in anderen Systemen nicht anders (nur bisher nicht so ausgeprägt).

Heute, fast 17 Jahre nach dem Ende der DDR, scheint die Illusion "ich habe nichts zu verbergen" und "der Staat darf das ruhig wissen" weiter verbreitet zu sein, als je zuvor.

Jan Schejbal hat ein klein wenig recherchiert: Wer nichts zu verbergen hat ... Anhand der Im Wiki der Initiative gegen Vorratsdatenspeicherung aufgelisteten Fälle von Datenmissbrauch und durch Datensammlungen verursachten Irrtümern legt er dar, dass Überwachung nicht mehr "Sicherheit" schafft, sondern direkte negative Auswirkungen hat - auch auf völlig Unschuldige, die “nichts zu verbergen” haben!

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