Gedanken über die gefühlte Gefährlichkeit von Drogen
Vor einigen Tagen ging eine Meldung durch die Presse: Britischen Wissenschaftlern zufolge sind Alkohol und Tabak gefährlicher als Cannabis und Ecstasy. Dies geht aus einem Ranking von legalen und illegalen Rauschmitteln hervor, in dem sowohl die körperlichen und sozialen Folgen des Missbrauchs als auch das Suchtpotenzial der Drogen berücksichtigt wurde. wissenschaft.de:Die Rangliste der gefährlichsten Drogen. süüdeutsche.de:Alkohol und Tabak gefährlicher als LSD und Ecstasy
focus: Die 20 gefährlichsten Drogen. Typisch focus: gute Graphik, schlechte Überschrift - es handelt sich nicht um die "20 gefährlichsten Drogen", sondern um 20 willkürlich aus den 40 untersuchten Stoffen ausgewählte Substanzen (Anabolika sind z. B. keine Drogen im klassischen Sinne) "4-MAT" ist übrigens 4-MTA, ein den Serotonin-Spiegel hebender Stimmungsaufheller, im Jargon "Flatliner".
Auffällig dabei ist, dass die offizielle Einstufung der Drogen - von Heroin und Kokain abgesehen - wenig mit dem in der Studie ermittelten Gefahrenprotenzial zu tun hat. Überraschend ist das für mich nicht - irgendwelche Illusionen hinsichtlich der potenziellen Gerfährlichkeit von Alkohol (dem ich, in der Form von Bier, Wein und Met durchaus nicht abgeneigt bin) oder des enormen Suchtprotenzials von Nikotin hatte ich schon lange nicht mehr. (Ich kenne jemanden, der es schaffte, im "kalten Entzug" vom Heroin wegzukommen. Aber er schafft es einfach nicht, sich das Rauchen abzugewöhnen.) Über die relative (!) Harmlosigkeit von Haschisch war ich mir schon längst im Klaren.
Eines ist klar: sowohl die übliche Gefahreneinschätzung wie die Gesetzgebung hängen schief - wozu Volkmar dankenswerterweise schon einiges in seinem Blog schrieb, das ich deshalb hier nicht wiederholen brauche: Drogengesetzgebung: Schieflage.
Vergleicht man die offizielle Gefahreneinstufung mit der ermittelten Rangliste, dann fällt auf, dass "psychoaktive Drogen" bzw. Psychodelika - Halluzinogene im weitesten Sinne - tendenziell vom Gesetzgeber als gefährlicher eingestuft werden als andere Drogen. Das berüchtigte LSD und das viel diskutierte Ecstacy, beide in Großbritannien als "A" (besonders gefährlich) und in Deutschland als "nicht verkehrsfähig" eingestuft, liegen in der Gefahreneinschätzung noch unter dem relativ harmlosen milden Psychedelikum (und in Deutschland ebenfalls "nicht verkehrsfähigen") Cannabis.
("Nicht verkehrsfähig" bedeutet: auch die medizinische Anwendung und die Anwendung zu wissenschaftlichen Zwecken sind verboten.)
Warum ist das so? Ein Blick ins Jahr 1966, als in den USA das LSD verboten wurde, liefert einen möglichen Hinweis:
Tatsächlich war es so: Mitte der 1960er verstanden viele Eltern ihre heranwachsenden Kinder nicht mehr - sowohl in den USA wie in (West-)Deutschland. Obwohl der gesteigerte "Generationenkonflikt" eindeutig benennbare soziale Ursachen hatte, wurde ein Symtom der "Rebellion" - das Experimentieren mit "ungewohnten" Drogen - als Ursache aufgefasst. Oft wird es gar nicht die Droge gewesen sein, die die jungen Konsumenten nicht mehr auf den spießigen Lebensstil ihrer Eltern klarkommen ließen, sondern die Erfahrung mit dem "alternativen" Umfeld, in dem damals LSD konsumiert wurde - Stichwort: Hippie-Kultur.
Da kam es sehr gelegen, dass der unvorsichtige Umgang mit LSD - übrigens auch in der Psychotherapie - tatsächlich einigen Menschen die geistige Gesundheit gefordert hatte.
Dem Ruf nach sofortigem Verbot wurde stattgegeben, um 1970 waren praktisch alle Halluzinogene weltweit geächtet.
Ich bin außerdem der Ansicht, dass es noch eine tiefere kulturelle Ursache dafür gibt, dass unsere Zivilisation sich mit halluzinogenen Drogen schwer tut.
Neben "etablierten" Drogen wie Tabak und Alkohol werden solche Drogen, die die "berufliche und soziale Funktionstüchtigkeit" des Einzelnen (scheinbar) fördern, eher toleriert als Psychedelika. Das gilt sogar für das gefährliche Kokain oder Amphetamine ("Speed").
Psychedelika sind, das vermute ich, nicht deshalb illegal, weil es irgend jemanden stört, dass der Drogenkonsument ein paar "heftige Träume" hat, sondern weil sie etwas an sich haben, dass die Gültigkeit der "offiziellen" Wirklichkeit in Zweifel ziehen läßt. Sie bringen den Konsumenten auf "andere Gedanken", zumindest auf den, dass Wahrnehmungen - und damit das Bild der Wirklichkeit - relativ sind. Besonders ärgerlich ist das meines Erachtens für autoritären Menschen mit ausgeprägt "sittenchristlichem" Weltbild. Für einen Materialisten ist es hingegen klar, dass unser geistig-seelisches Leben materiellen Grundlagen hat, und für einen Anhänger "östlicher" Religionen (Hinduismus, Buddhismus) ist es ausgemacht, dass das, was wir "Wirklichkeit" nennen, durchaus illusionär ist. Das "neuzeitlich-christlich-abendländische" Weltbild - auch bei Nicht-Christen - verbindet hingegen naiven Realismus mit der Annahme der Unantastbarbar und der ontologischen Sonderrolle der menschlichen Seele. Das Ego ist autonom, jederzeit für alles verantwortlich; es gibt nur die beiden Bewußtseinszustände "voll da" (nüchtern) oder "voll" (berauscht, nicht bei Verstand).
Autoritäre Persönlichkeiten, für die "feste Leitbilder" eine Notwendigkeit sind, empfinden schon die Idee "alternativer Bewußtseinszustände" als beunruhigend. Sie werden folgliche automatisch als "krankhaft" klassifiziert, egal, ob sie durch Drogen, Zufall oder Lebenseinstellung hervorgerufen werden.
Er recht gilt das für Ideologen, denen nicht nur abweichende Wahrnehmungen der Wirklichkeit, sondern schon abweichende Meinungen als "Geisteskrankheiten" erscheinen.
focus: Die 20 gefährlichsten Drogen. Typisch focus: gute Graphik, schlechte Überschrift - es handelt sich nicht um die "20 gefährlichsten Drogen", sondern um 20 willkürlich aus den 40 untersuchten Stoffen ausgewählte Substanzen (Anabolika sind z. B. keine Drogen im klassischen Sinne) "4-MAT" ist übrigens 4-MTA, ein den Serotonin-Spiegel hebender Stimmungsaufheller, im Jargon "Flatliner".
Auffällig dabei ist, dass die offizielle Einstufung der Drogen - von Heroin und Kokain abgesehen - wenig mit dem in der Studie ermittelten Gefahrenprotenzial zu tun hat. Überraschend ist das für mich nicht - irgendwelche Illusionen hinsichtlich der potenziellen Gerfährlichkeit von Alkohol (dem ich, in der Form von Bier, Wein und Met durchaus nicht abgeneigt bin) oder des enormen Suchtprotenzials von Nikotin hatte ich schon lange nicht mehr. (Ich kenne jemanden, der es schaffte, im "kalten Entzug" vom Heroin wegzukommen. Aber er schafft es einfach nicht, sich das Rauchen abzugewöhnen.) Über die relative (!) Harmlosigkeit von Haschisch war ich mir schon längst im Klaren.
Eines ist klar: sowohl die übliche Gefahreneinschätzung wie die Gesetzgebung hängen schief - wozu Volkmar dankenswerterweise schon einiges in seinem Blog schrieb, das ich deshalb hier nicht wiederholen brauche: Drogengesetzgebung: Schieflage.
Vergleicht man die offizielle Gefahreneinstufung mit der ermittelten Rangliste, dann fällt auf, dass "psychoaktive Drogen" bzw. Psychodelika - Halluzinogene im weitesten Sinne - tendenziell vom Gesetzgeber als gefährlicher eingestuft werden als andere Drogen. Das berüchtigte LSD und das viel diskutierte Ecstacy, beide in Großbritannien als "A" (besonders gefährlich) und in Deutschland als "nicht verkehrsfähig" eingestuft, liegen in der Gefahreneinschätzung noch unter dem relativ harmlosen milden Psychedelikum (und in Deutschland ebenfalls "nicht verkehrsfähigen") Cannabis.
("Nicht verkehrsfähig" bedeutet: auch die medizinische Anwendung und die Anwendung zu wissenschaftlichen Zwecken sind verboten.)
Warum ist das so? Ein Blick ins Jahr 1966, als in den USA das LSD verboten wurde, liefert einen möglichen Hinweis:
Spätestens im Herbst 1966 deuteten dann Gegner an, dass LSD wahrscheinlich langfristige Schädigungen des Gehirns hervorrufe. Ihre Beweisgundlage? Die Tatsache, dass so viele Jugendliche, nach LSD-Erfahrung, wenig Verlangen zeigten, sich dem koropativ-provinziellen Lebensstil anzupassen, den ihre Eltern sich zu Eigen gemacht hatten.aus: Jay Stevens: Storming Heaven - zitiert nach: Daniel Pinchbeck: Den Kopf aufbrechen (Breaking Open the Head)
Tatsächlich war es so: Mitte der 1960er verstanden viele Eltern ihre heranwachsenden Kinder nicht mehr - sowohl in den USA wie in (West-)Deutschland. Obwohl der gesteigerte "Generationenkonflikt" eindeutig benennbare soziale Ursachen hatte, wurde ein Symtom der "Rebellion" - das Experimentieren mit "ungewohnten" Drogen - als Ursache aufgefasst. Oft wird es gar nicht die Droge gewesen sein, die die jungen Konsumenten nicht mehr auf den spießigen Lebensstil ihrer Eltern klarkommen ließen, sondern die Erfahrung mit dem "alternativen" Umfeld, in dem damals LSD konsumiert wurde - Stichwort: Hippie-Kultur.
Da kam es sehr gelegen, dass der unvorsichtige Umgang mit LSD - übrigens auch in der Psychotherapie - tatsächlich einigen Menschen die geistige Gesundheit gefordert hatte.
Dem Ruf nach sofortigem Verbot wurde stattgegeben, um 1970 waren praktisch alle Halluzinogene weltweit geächtet.
Ich bin außerdem der Ansicht, dass es noch eine tiefere kulturelle Ursache dafür gibt, dass unsere Zivilisation sich mit halluzinogenen Drogen schwer tut.
Neben "etablierten" Drogen wie Tabak und Alkohol werden solche Drogen, die die "berufliche und soziale Funktionstüchtigkeit" des Einzelnen (scheinbar) fördern, eher toleriert als Psychedelika. Das gilt sogar für das gefährliche Kokain oder Amphetamine ("Speed").
Psychedelika sind, das vermute ich, nicht deshalb illegal, weil es irgend jemanden stört, dass der Drogenkonsument ein paar "heftige Träume" hat, sondern weil sie etwas an sich haben, dass die Gültigkeit der "offiziellen" Wirklichkeit in Zweifel ziehen läßt. Sie bringen den Konsumenten auf "andere Gedanken", zumindest auf den, dass Wahrnehmungen - und damit das Bild der Wirklichkeit - relativ sind. Besonders ärgerlich ist das meines Erachtens für autoritären Menschen mit ausgeprägt "sittenchristlichem" Weltbild. Für einen Materialisten ist es hingegen klar, dass unser geistig-seelisches Leben materiellen Grundlagen hat, und für einen Anhänger "östlicher" Religionen (Hinduismus, Buddhismus) ist es ausgemacht, dass das, was wir "Wirklichkeit" nennen, durchaus illusionär ist. Das "neuzeitlich-christlich-abendländische" Weltbild - auch bei Nicht-Christen - verbindet hingegen naiven Realismus mit der Annahme der Unantastbarbar und der ontologischen Sonderrolle der menschlichen Seele. Das Ego ist autonom, jederzeit für alles verantwortlich; es gibt nur die beiden Bewußtseinszustände "voll da" (nüchtern) oder "voll" (berauscht, nicht bei Verstand).
Autoritäre Persönlichkeiten, für die "feste Leitbilder" eine Notwendigkeit sind, empfinden schon die Idee "alternativer Bewußtseinszustände" als beunruhigend. Sie werden folgliche automatisch als "krankhaft" klassifiziert, egal, ob sie durch Drogen, Zufall oder Lebenseinstellung hervorgerufen werden.
Er recht gilt das für Ideologen, denen nicht nur abweichende Wahrnehmungen der Wirklichkeit, sondern schon abweichende Meinungen als "Geisteskrankheiten" erscheinen.
MMarheinecke - Freitag, 30. März 2007
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