Noch mal "bessere Zeiten" - aber dieses Mal architektonisch
Ein Blogbeitrag Karans brachte mich auf die Idee: Fin de siècle
Art Noveau - leider ein Stil für Eliten. Während gleichzeitig die meisten Arbeiter noch in erbärmlichen Wohnverhältnissen hausten. Immer noch wurde Mietskaserner mit engen Hinterhöfen, steilen Treppen, düsteren Wohnungen errichtet. Trotz zögerlicher reformeriischer Ansätze.
Im ersten Weltkrieg ging leider nicht nur die hemmende alte Ordnung, die weitgehend "geschlossene" Gesellschaft der Kaiserzeit, zugrunde, sondern auch der meiste Elan der Aufbruchszeit der Jahrhundertwende. Viele bedeutende Künstler, Architekten, Dichter "fielen fürs Vaterland", wie es emphemistisch hieß, andere kamen körperlich oder seelische verkrüppelt davon. Und die, die übrig waren, waren desillusioniert und oft traumatisiert. Und es herrschte Chaos. Vor allen von jenen angerichtet, die die Ordnung zu schützen vorgaben.
Trotzdem - in den 1920er Jahre erlebte die deutsche Architektur ihre besten Jahre. Es herrschte Mangel. Auf beinahe allen Gebieten. Architekten und Produktgestalter waren nunmehr dazu aufgerufen, Einfachheit, Übersichtlichkeit und Klarheit in die Produktio von Häusern und Gebrauchsgegenstände einzuführen. Es waren pikanterweise die sozial engagierten Stadtplaner und die reformerische tätigen Produktgestalter, aufgewachsen zwischen "weltfremden" lebensreformerischen Ideen und "verträumten" Art Noveau, die mit ihrer Forderung "Produktion für das Existenzminium" den vernagelten Wirtschaftsführern die Augen öffneten: auch der "Massenmarkt" ist ein lohnender Absatzmarkt. Auf dem Gebiet des Wohnungsbaus waren es die vor allem die Baugenossenschaften, die die Abkehr von der Mietskaserne, hin zu menschenwürdigen und bezahlbaren Wohnungen, vorantrieben. Staatliche und private Bauherren folgten erst später.
In den 20er Jahren entstanden - nebeneinander und sich ergänzend - die expressionistische Architektur und das sachliche Neue Bauen - wobei die Architekt des Bauhauses international stilbildend wirkte.
So sehr ich die klaren Linien und die Zweckmäßigkeit des originalen "Neuen Bauens" (nicht zu verwechseln mit der Waschbeton-Ödnis der Plattenbauära in Ost und West, mag sie sich noch so sehr auf diese Tradition berufen haben) liebe und schätze - die wirklich "spannende" Architektur, die Gebäude, die mir bei einem Standrundgang ins Auge fallen, das war das expressionistische Bauen.
Viele Architekten des Expressionismus waren vom Deutschen Werkbund und vom Jugendstil geprägt - und die meisten wandten sich später dem Neuen Bauen zu.
Expessionismus ist, soweit es um Architektur geht, eher eine Verlegenheitsbezeichnung. Eher eine Bau-Gesinnung als ein einheitlicher Stil. Viele der expressionistischen Bauten, mit ihren runden, geschwungenen, "stromlinienförmigen" oder auch gezackte Formen und den geometrischen Ornamenten kann man dem Art Déco zuschlagen, andere nicht. Hauptkennzeichen: ungehemmte Lust am Experiment, Spaß am Dekorativem, das aber nie "aufgesetzt" oder gar funktionswidrig sein sollte.
Die expressionistischen Architekten bauten Häuser, wie sie kein Mensch zuvor gebaut hatte. Und das im kulturell konservativem Deutschland.
Der "Einsteinturm" des Potsdamer Observatoriums - Erich Mendelsohns berühmstestes Werk (1921). Ein Gebäude wie aus eine anderen Welt - dabei höchst funktionell.
Das berühmsteste Bauwerk der zum Art Déco orientierten Richtung des expressionistischen Bauens dürfte das von Fritz Höger entworfenen Chilehaus in Hamburg (1924) sein:
Während sich bei den Bauten Erich Mendelsohns der Begriff "Science Fiction Architektur" geradezu aufdrängt, muten die Gebäude Fritz Högers ein wenig wie "gebaute Fantasy" an. Noch stärker in Richtung "Fantasy-Architektur" gingen die Häuser des "bauenden Bildhauers" Berhard Hoetger.
Allerdings vertraten gerade die Architektur-Stars des "Backstein-Expressionismus", Högers und Hoetgers, eine Ideologie, die als "finster" zu beschreiben schönfärberisch wäre - völkischen Okkultismus bzw. Ariosophie. Und zwar nicht erst seitdem sie sich den Nazis anbiederten - die sie ungeachtet dessen als "entartet" verfehmten.
Mehr dazu demnächst in diesem Blog. Der Backstein-Expressionismus und der völkische Okkultismus (1)
Bildquelle: Wikipedia
Wiener Sezession, Jugendstil, Symbolismus, früher Expressionismus, spätromantische und beginnende atonale Musik - dies alles und noch viel mehr war geboten zu dieser Zeit, und die vibrierenden Kunst- und Kulturzirkel zu Wien, Berlin und Paris hätte ich nur allzu gerne selber kennengelernt...Ich teile Karans Vorliebe. In der deutschen Architektur war es aber nicht die Zeit des Art Noveau ("Jugendstil" deckt nur einen Teil dieser breiten Kunst- ,Design- und Architekturströmung ab), der "lebensreformierischen Schwarmgeister" und der unter dem Marschstiefeln des 1. Weltkriegs zertretenen Utopien und Hoffnungen, die die beste, spannenste, innovativste und wegweisenste Architektur hervorbrachte. Die wunderbaren Jugendstilbauten z. B. in Darmstadt und die erste lebenreformerische inspirierten Gartenstädte waren ein Anfang. Aber noch war Deutschland überfrachtet vom Protz wilhelminischer Herrschaftsarchitektur, die Nippes-Ästhetik bürgerlicher Bauten - Stuckornamente aus dem Katalog - war noch stilprägend, von der Villa bis zum "besseren" Mietshaus. Selbst die meisten Art Noveau Bauten waren Luxusgebäude, so wie Jugendstilmöbel für "einfache Leute" wegen der aufwändigen Herstellung unerschwinglich waren.
Art Noveau - leider ein Stil für Eliten. Während gleichzeitig die meisten Arbeiter noch in erbärmlichen Wohnverhältnissen hausten. Immer noch wurde Mietskaserner mit engen Hinterhöfen, steilen Treppen, düsteren Wohnungen errichtet. Trotz zögerlicher reformeriischer Ansätze.
Im ersten Weltkrieg ging leider nicht nur die hemmende alte Ordnung, die weitgehend "geschlossene" Gesellschaft der Kaiserzeit, zugrunde, sondern auch der meiste Elan der Aufbruchszeit der Jahrhundertwende. Viele bedeutende Künstler, Architekten, Dichter "fielen fürs Vaterland", wie es emphemistisch hieß, andere kamen körperlich oder seelische verkrüppelt davon. Und die, die übrig waren, waren desillusioniert und oft traumatisiert. Und es herrschte Chaos. Vor allen von jenen angerichtet, die die Ordnung zu schützen vorgaben.
Trotzdem - in den 1920er Jahre erlebte die deutsche Architektur ihre besten Jahre. Es herrschte Mangel. Auf beinahe allen Gebieten. Architekten und Produktgestalter waren nunmehr dazu aufgerufen, Einfachheit, Übersichtlichkeit und Klarheit in die Produktio von Häusern und Gebrauchsgegenstände einzuführen. Es waren pikanterweise die sozial engagierten Stadtplaner und die reformerische tätigen Produktgestalter, aufgewachsen zwischen "weltfremden" lebensreformerischen Ideen und "verträumten" Art Noveau, die mit ihrer Forderung "Produktion für das Existenzminium" den vernagelten Wirtschaftsführern die Augen öffneten: auch der "Massenmarkt" ist ein lohnender Absatzmarkt. Auf dem Gebiet des Wohnungsbaus waren es die vor allem die Baugenossenschaften, die die Abkehr von der Mietskaserne, hin zu menschenwürdigen und bezahlbaren Wohnungen, vorantrieben. Staatliche und private Bauherren folgten erst später.
In den 20er Jahren entstanden - nebeneinander und sich ergänzend - die expressionistische Architektur und das sachliche Neue Bauen - wobei die Architekt des Bauhauses international stilbildend wirkte.
So sehr ich die klaren Linien und die Zweckmäßigkeit des originalen "Neuen Bauens" (nicht zu verwechseln mit der Waschbeton-Ödnis der Plattenbauära in Ost und West, mag sie sich noch so sehr auf diese Tradition berufen haben) liebe und schätze - die wirklich "spannende" Architektur, die Gebäude, die mir bei einem Standrundgang ins Auge fallen, das war das expressionistische Bauen.
Viele Architekten des Expressionismus waren vom Deutschen Werkbund und vom Jugendstil geprägt - und die meisten wandten sich später dem Neuen Bauen zu.
Expessionismus ist, soweit es um Architektur geht, eher eine Verlegenheitsbezeichnung. Eher eine Bau-Gesinnung als ein einheitlicher Stil. Viele der expressionistischen Bauten, mit ihren runden, geschwungenen, "stromlinienförmigen" oder auch gezackte Formen und den geometrischen Ornamenten kann man dem Art Déco zuschlagen, andere nicht. Hauptkennzeichen: ungehemmte Lust am Experiment, Spaß am Dekorativem, das aber nie "aufgesetzt" oder gar funktionswidrig sein sollte.
Die expressionistischen Architekten bauten Häuser, wie sie kein Mensch zuvor gebaut hatte. Und das im kulturell konservativem Deutschland.
Der "Einsteinturm" des Potsdamer Observatoriums - Erich Mendelsohns berühmstestes Werk (1921). Ein Gebäude wie aus eine anderen Welt - dabei höchst funktionell.
Das berühmsteste Bauwerk der zum Art Déco orientierten Richtung des expressionistischen Bauens dürfte das von Fritz Höger entworfenen Chilehaus in Hamburg (1924) sein:
Während sich bei den Bauten Erich Mendelsohns der Begriff "Science Fiction Architektur" geradezu aufdrängt, muten die Gebäude Fritz Högers ein wenig wie "gebaute Fantasy" an. Noch stärker in Richtung "Fantasy-Architektur" gingen die Häuser des "bauenden Bildhauers" Berhard Hoetger.
Allerdings vertraten gerade die Architektur-Stars des "Backstein-Expressionismus", Högers und Hoetgers, eine Ideologie, die als "finster" zu beschreiben schönfärberisch wäre - völkischen Okkultismus bzw. Ariosophie. Und zwar nicht erst seitdem sie sich den Nazis anbiederten - die sie ungeachtet dessen als "entartet" verfehmten.
Mehr dazu demnächst in diesem Blog. Der Backstein-Expressionismus und der völkische Okkultismus (1)
Bildquelle: Wikipedia
MMarheinecke - Freitag, 9. März 2007
Backsteinexpressionismus und Amsterdamer Schule
Meiner Meinung nach triff das allenfalls auf einen Teil des Backsteinexpressionismus zu. Für die Amsterdamer Schule, die ja schon ein Jahrzehnt früher unter verschiedenen Stadtplanern in den Niederlanden begonnen hat und auch ein Ausgangspunkt für die deutsche Variante des Backsteinex(!)pressionismus war kann man das ja nicht sagen.
Das war ja eher der Beginn des sozialen Wohnungsbau in den Niederlanden verbunden mit einer sozialistischen Grundhaltung der Architekten in den späten 10er Jahren. Daher bin ich etwas verwundert, bin aber bereit klüger zu werden.
Die Irratiation ist beabsichtigt
Der "Backsteinimpressionismus" ist ein Witz und auf Berhard Hoetger gemünzt. Im Falle Fritz Högers paßt es nicht, da hast Du recht. Ich ändere es besser ab.
Ja, der niederländische Backsteinexperessionismus der Amsterdamer Schule war ein wichtiges Vorbild des deutschen Backsteinexpressionismus - bzw. die deutsche und die niederländische Strömung sind nach meinem Eindruck so eng miteineinander verwoben, dass sie kaum voneinander zu trennen sind. Dass die ersten Bauten dieses Stil in den Niederlanden entstanden, ist allerdings kein Zufall. (Liberalere Gesellschaft & Neutralität im 1. Weltkrieg machten es den Niederländern leichter -
der Stil konnte sich in Deutschland erst ab ca. 1920 richtig entwickeln.)
Ja, der soziale Wohnungsbau war Schrittmacher des Backsteinexpressionismus - auch in Deutschland (z. B. der Einfluß Fritz Schumachers als sozialreformerischer Stadtplaner mit Faible für Backsteinbauten und architektonische Experimente in Hamburg und Köln).
Nein, Sozialismus und völkischer Okkultismus - im Sinne der Ariosophie - schließen sich leider nicht aus.