Anthroposophische Medizin - "Netzwerkarbeit" statt Wirksamkeitsnachweis

An und für sich bin ich ein Anhänger naturheilkundlicher Heilverfahren und komplementärer Medizin. Aber nicht selten empfielt es sich sehr, so scharfen Kritikern der Naturheilkunde wie der GWUP Aufmerksamkeit zu schenken: GWUP Aktuell: Medikamente ohne Wirksamkeitsnachweis nicht auf Kosten der Allgemeinheit.

Es sieht nämlich ganz so aus, als ob die wachsende Anerkennung der Naturheilkunde (und unter ihr ganz besonders der Anthroposophischen Medizin) weniger auf dem Nachweis der Wirksamkeit als auf geschickter Netzwerk- und Lobbyarbeit zurückzuführen ist. Medikamente ohne Wirksamkeitsnachweis.
Besonders hervorgetan hat sich in dem Bemühen der offiziellen Anerkennung dieser so genannten "Naturheilverfahren" ein Hamburger Versicherungskaufmann, Thomas Martens, der 1984 die „SecurVita - Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH" gründete.
Die SecurVita ist extrem prozessfreudig - z. B. gegen die Zeitschrift "Öko-Test", die bemerkte, dass das alternativ-ökologischen Image nicht so ganz den Tatsachen entsprach. SecurVita betreibt u. A. eine eigene Krankenkasse, eine Investmentgesellschaft und ein Reiseunternehmen. Sie ist auch bestens "vernetzt", z. B. mit Greenpeace und dem BUND.

Mittlerweile tritt die SecurVita in einem Verbund mit Organisationen an, die zusammen rund 2,6 Millionen Mitglieder vertreten: B.A.U.M., Bioland, BUND, Demeter, Deutscher Hausfrauen-Bund, Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union, Deutscher Tierschutzbund, Deutsche Umwelthilfe, foodwatch, GLS-Gemeinschaftsbank, Germanwatch, Greenpeace Deutschland, Mehr Demokratie, NABU, Netzwerk Recherche, Transparency International Deutschland, WWF Deutschland und Zukunftsstiftung Landwirtschaft in der GLS Treuhand. Diese Organisationen genießen - meistens wohl zurecht - einen guten Ruf, von dem Securvita profitiert. (Ich sehe die SecurVita in der Position eines klassischen "Image-Abstaubers".)
Kritik an der SecurVita und dem deutlich Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der "alternativen Versicherung" ist selten, z. B. beim Infomarkt des SWR: Krankenkasse verzögert Behandlungszusage.

Aus meiner Sicht besonders interessant ist, dass SecurVita, GLS, Weleda, foodwatch, etc. zum Weltverständnis der Anthroposophen gehören. Also eine eindeutig "esoterische" Grundlange haben, und zwar eine, die wegen rassistischer und stramm autoritärer Ideologiebestandteile zurecht umstritten ist. Hervorzuheben ist z. B. die Wurzelrassenlehre, die nach wie vor in der antrophosophischen Lehre eine entscheidende Rolle spielt, obwohl heute die gröbsten Rassismen aus der Öffentlichkeit verschwunden sind.

Über Nachrichten wie "Anthroposophische Medizin jetzt auf IKK-Card" sollte man sich auch Freund naturheilkundlicher Verfahren nicht uneingeschränkt freuen. Weil z. B. das Modellprojekt der IKK Hamburg, das anscheinend eine "lang anhaltende Besserung" des Gesundheitszustandes der Patienten durch anthroposophische Methoden nachweist, wissenschaftlich-kritischen Ansprüchen nicht genügt. Statt dessen gibt es einen Binnenkonsens, in dem nicht unabhängige Gutachter prüfen, sondern gleich gesinnte Kollegen.
Ob die untersuchten Methoden wirklich helfen oder nicht bleibt leider zweifelhaft.

Allerdings kann ich die "Fundamentalkritik" der GWUP an unorthodoxer Heilmethoden nicht teilen. Längst nicht alle Studien, die für die Wirksamkeit z. B. eines so "unwissenschaftlichen" Verfahrens wie der Akupunktur sprechen, beruhen auf Binnenkonsens und Gefälligkeitsgutachten.

Und außerdem sind Hersteller, die "alternative" Medikamente fragwürdiger Wirksamkeit anbieten, auf dem Feld der Bereicherung auf Kosten der Gesundheit der Patienten "kleine Fische". Die "dicken Fische" sind "nicht alternative" Pharmaunternehmen, die mitunter tödliche Risiken und Nebenwirkungen ihrer nachweislich hochwirksamen Medikamente zugunsten "gesunder Geschäft"e verheimlichen: BooCompany - Eli Lilly: Für ein paar Milliarden Dollar mehr.
Birne Helene (Gast) - 21. Feb, 18:41

GWUP: Zwischen Wissenschaft und Demagogie

Die Pressemeldung der GWUP wirkt auf den ersten Blick ganz überzeugend. Wer sich jedoch die Mühe macht, das Kleingedruckte einmal Experten aus der komplementärmedizinischen Forschung zur Prüfung vorzulegen (so geschehen im "H.Blog: Homöopathie & Forschung") der kommt nicht umhin, die Pressemeldung der Skeptiker in die Schublade "Demagogie" einzuordnen. Manchmal zählt eben der zweite Blick und mitunter lohnt es sich, auch gegenüber Skeptikern skeptisch zu sein.

Mehr dazu unter:

http://birnehelene.blogspot.com/2007/02/gwup-zwischen-wissenschaft-und.html

MMarheinecke - 21. Feb, 20:24

Die GWUP bzw. ihre Mitglieder neigen dazu, dogmatisch zu sein

d. h. nicht selten sind die Texte im "Skeptiker" eher von vornherein "ablehnend" denn "skeptisch". Allerdings hat sich das seit der Zeit, als noch "Esoterikfresser" Colin Goldner mitmachte, deutlich gebessert.

Das Problem ist ja nicht die Komplementärmedizin an sich, sondern die Antroposophische Medizin. Mit der habe ich gleich zwei ganz große Probleme: einmal die offen von antroposophischen Medizinern ausgesprochene, ziemlich "abgehoben" esoterische und hochgradig ideologische Grundlage, die meines Erachtens geeignet ist, den für einen praktizierende Mediziner nun mal erforderlichen realistisch-pragmatischen Blick zu trüben, und dann natürlich die intensive Netzwerk- und Lobbyarbeit, mit der der Antroposophen trotz magelhaftem oder fehlendem Wirklungsnachweis "ihre" Medizin etablieren. Ob z. B. Homöopathie wirkt oder nicht ist in diesem Zusammenhang eher unwichtig.

Zur von Steiner und Ita Wegman entwickelten Antroposophische Medizin gehört untrennbar ein Weltbild, zu dem ("westliche") Karma-Vorstellungen, die vier Wesensglieder ("Leiber") des Menschen, eine vermeintliche Dreigliederung des Menschen und der Gestalt der Pflanzen, und - wenn auch heute nur noch selten offen erwähnt - die altbekannte "Wurzelrassenlehre" (ich nenne sie "spirituellen Rassismus") gehören.

Aus den daraus konstruierten Beziehungen zwischen Gestirnen, irdischen Metallen und Körperorganen resultieren Therapieverfahren, die mit "Erfahrungsmedizin" oder "überliefertem Heilwissen" oder "Naturheilkunde" herzlich wenig zu tun haben, sondern eher pure Spekulation sind. Es fehlt, im Gegensatz z. B. auch zur sehr "spirituellen" traditionellen chinesischen Medizin, jegliche empirische Basis.
Zum Glück für die Patienten sieht sich die Anthroposophische Medizin als Ergänzung, nicht als Alternative zur "herkömmlichen" Medizin. Das, und die Tatsache, dass sie anderswo erprobte (Natur-)Heilverfahren integriert, unterscheidet sie noch von haltloser Quacksalberei.

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