Umweltschutz in der Parallelwelt der "wichtigen Leute"
Nur für den Fall, dass es jemand noch nicht mitbekommen hat:
Man würde es sich zu einfach machen, wenn man vermutet, dass Grenzwerte nach dem Prinzip des "texanischen Meisterschützen" aus einem alten Slapstick-Film festgelegt würden: Der "Meisterschütze" schoß zuerst auf ein Scheunentor und malte dann eine Zielscheibe rund um seinen "Treffer", so dass es so aussah, als hätte er ins Schwarze getroffen. Also: nachträgliche Anpassung der Grenzwerte an die "Realität". Denn das hieße, dass das Obst und Gemüse im Regelfall stärker belastet wäre, als nach den bisher gültigen Grenzwerten zulässig wäre - das ist glücklicherweise nicht der Fall.
Auch die Korruptions-Hypothese ist, wie die Lobbyisten-Hypothese, nur begrenzt tragfähig - obwohl Schmieren und Schleimen aus der politischen Praxis kaum wegzudenken sind, und ich mir als spritzender Gemüsegroßproduzent schon überlegen würde, wo ich meine diskreten Finanzspritzen einsetzen würde: die Kontrolleure zu bestechen könnte für mich leicht strafrechtlich unangenehm werden, auf der politischen Entscheidungsebene ist mein Schmiergeld effektiver und risikoarm "angelegt".
Mir sieht der Fall nach einem weiteren Beispiel aus der seltsamen Parallelwelt der Politiker, der hochrangigen politischen Beamten und der "Wirtschaftsführer" aus. Wie Sven Scholz hier überzeugend darlegt, ist in der Welt der "wichtigen" Leute die Währung nicht etwa der Euro, sondern die "Wichtigkeit". Das Prestige. Oder ganz banal: die schöne Fassade. Es ist "wichtig" melden zu können, dass es "kaum Fälle von Grenzwertüberschreitungen gab" (genau so, wie die monatliche Arbeitslosenquote "wichtiger" ist, als das Schicksal der Arbeitslosen als Einzelmenschen). Es ist auch "wichtig", nicht bei "wichtigen Leuten" aus Wirtschaft und Politik anzuecken, etwa mit unbequemen Forderungen oder lästigen Fragen. Das Thema Schutz der Verbraucher vor belasteten Lebensmitteln ist erst dann wichtig, wenn es einen öffentlichkeitswirksamen Skandal gibt - wie jetzt geschehen. Wobei die Skandalvermeidung "wichtiger" ist als diese lästigen Tatsachen.
Ein kurioses Beispiel für "wichtigkeitsgesteuerte" Umweltpolitik ist der jährliche Waldzustandsbericht. Er wird nach einem Verfahren ermittelt, dass systematisch zu hohe "Krankheitsraten" ergibt - was seit mehr als 20 Jahren bekannt ist. Trotzdem wird das zu falschen Zahlen führende Verfahren nicht geändert - aus Angst vor dem öffentlichen Vorwurf, man wolle den Wald mittels geändertem Meßverfahren "gesundschreiben". "Wichtig" ist: bloß keinen Skandal! Außerdem kann man sich als Umweltpolitiker dank solcher Zahlenwerte gut als "Mahner und Warner" verkaufen, auch "Teilerfolge" machen sich immer gut - und dafür an anderer Stelle nicht so genau hinsehen.
Interessant auch, dass die "Wichtigkeit" des Themas "Waldsterben" nichts mit dem tatsächlichen Zustand des Waldes zu tun hatte. Irgendwann war einfach das Thema "durch" - auch dank einiger nicht eingetroffenen Horrorprognosen.
Ein aktuelles Beispiel liefert Ver.di-Boss Bsirske auf einer Kundgebung gegen "unfaire Auflagen" beim Emissionshandel und einen "Zwangsverkauf" der Stromnetze:
Der Widerspruch in Bsirskes Foderung ist eklatant. Aber unvermeindlich, wenn es einem, wie Bsirske, um die "Wichtigkeit" geht. "Wichtig" sind die obligatorischen Worte zum Klimawandel - ohne geht es nun einmal nicht, wenn man nicht als "Umweltsünder" darstehen will. Wichtig ist auch das Ansehen bei den Gewerksschaftsmitgliedern - die teils durchaus ein wirtschaftlichen Eigeninteresse am derzeitigen, weder verbraucher- noch umweltfreundlichen Oligopol der "vier Energiegiganten" hat, teils aber auch nur Angst vor Veränderung. "Bestandsicherung" kommt immer gut an. Und wichtig ist auch das Ansehen bei den "Tarifpartnern" - faktisch sind Gewerkschaftler die besten Lobbyisten "ihrer" Unternehmer.
Was Bsirske diesmal nicht schaffte: den krassen Widerspruch in seiner Rede elegant zu kaschieren. Andere können das besser. Zum Beispiel die deutschen Innenminster (fast alle!), die den eklatanten Abbau der Bürgerrechte als Schutz der Bürgerrechte verkaufen.
Absurd: Die eine staatliche Prüfbehörde, also das Bundesamt für Verbraucherschutz, erlaubt eine Gift-Konzentration, die die andere staatliche Prüfbehörde, also das Bundesinstitut für Risikobewertung, für nicht akzeptabel hält: Doch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit kümmert das offenbar wenig und das zuständige Bundesverbraucherschutzministerium legalisiert ebenfalls die höhere Belastung.- (aus frontal21 Belastetes Obst, giftiges Gemüse ).
Man würde es sich zu einfach machen, wenn man vermutet, dass Grenzwerte nach dem Prinzip des "texanischen Meisterschützen" aus einem alten Slapstick-Film festgelegt würden: Der "Meisterschütze" schoß zuerst auf ein Scheunentor und malte dann eine Zielscheibe rund um seinen "Treffer", so dass es so aussah, als hätte er ins Schwarze getroffen. Also: nachträgliche Anpassung der Grenzwerte an die "Realität". Denn das hieße, dass das Obst und Gemüse im Regelfall stärker belastet wäre, als nach den bisher gültigen Grenzwerten zulässig wäre - das ist glücklicherweise nicht der Fall.
Auch die Korruptions-Hypothese ist, wie die Lobbyisten-Hypothese, nur begrenzt tragfähig - obwohl Schmieren und Schleimen aus der politischen Praxis kaum wegzudenken sind, und ich mir als spritzender Gemüsegroßproduzent schon überlegen würde, wo ich meine diskreten Finanzspritzen einsetzen würde: die Kontrolleure zu bestechen könnte für mich leicht strafrechtlich unangenehm werden, auf der politischen Entscheidungsebene ist mein Schmiergeld effektiver und risikoarm "angelegt".
Mir sieht der Fall nach einem weiteren Beispiel aus der seltsamen Parallelwelt der Politiker, der hochrangigen politischen Beamten und der "Wirtschaftsführer" aus. Wie Sven Scholz hier überzeugend darlegt, ist in der Welt der "wichtigen" Leute die Währung nicht etwa der Euro, sondern die "Wichtigkeit". Das Prestige. Oder ganz banal: die schöne Fassade. Es ist "wichtig" melden zu können, dass es "kaum Fälle von Grenzwertüberschreitungen gab" (genau so, wie die monatliche Arbeitslosenquote "wichtiger" ist, als das Schicksal der Arbeitslosen als Einzelmenschen). Es ist auch "wichtig", nicht bei "wichtigen Leuten" aus Wirtschaft und Politik anzuecken, etwa mit unbequemen Forderungen oder lästigen Fragen. Das Thema Schutz der Verbraucher vor belasteten Lebensmitteln ist erst dann wichtig, wenn es einen öffentlichkeitswirksamen Skandal gibt - wie jetzt geschehen. Wobei die Skandalvermeidung "wichtiger" ist als diese lästigen Tatsachen.
Ein kurioses Beispiel für "wichtigkeitsgesteuerte" Umweltpolitik ist der jährliche Waldzustandsbericht. Er wird nach einem Verfahren ermittelt, dass systematisch zu hohe "Krankheitsraten" ergibt - was seit mehr als 20 Jahren bekannt ist. Trotzdem wird das zu falschen Zahlen führende Verfahren nicht geändert - aus Angst vor dem öffentlichen Vorwurf, man wolle den Wald mittels geändertem Meßverfahren "gesundschreiben". "Wichtig" ist: bloß keinen Skandal! Außerdem kann man sich als Umweltpolitiker dank solcher Zahlenwerte gut als "Mahner und Warner" verkaufen, auch "Teilerfolge" machen sich immer gut - und dafür an anderer Stelle nicht so genau hinsehen.
Interessant auch, dass die "Wichtigkeit" des Themas "Waldsterben" nichts mit dem tatsächlichen Zustand des Waldes zu tun hatte. Irgendwann war einfach das Thema "durch" - auch dank einiger nicht eingetroffenen Horrorprognosen.
Ein aktuelles Beispiel liefert Ver.di-Boss Bsirske auf einer Kundgebung gegen "unfaire Auflagen" beim Emissionshandel und einen "Zwangsverkauf" der Stromnetze:
Dann wird es ganz still. Bsirske spricht über Klimawandel. "Der Bericht, den die Vereinten Nationen in der letzten Woche vorgelegt haben, hat erneut deutlich gemacht", sagt der Ver.di-Chef, um dann aufzuzählen, worauf sich die Welt einzustellen habe: "Mehr Wirbelstürme, mehr Hitzewellen, mehr Überschwemmungen, mehr Dürren." Über den Anstieg des Meeresspiegels kommt Bsirske dann zu den Ursachen des Übels, an denen "kein Zweifel mehr besteht": die globale Verbrennung von fossilen Brennstoffen. Fast zehn Minuten lang ist es völlig still auf dem Platz. Keine Zwischenrufe, kein Trillern im Publikum.(aus taz.online:Mit Tröten gegen Klimaquatsch - via sargnagelschmiede)
Das ändert sich erst, als Bsirske Forderungen an die Politik erhebt: "Daraus folgt, heimischen Energieträgern den Vorrang zu geben." Jetzt ist die Menge wieder da: Sie grölt und trötet ausgesprochen engagiert. "Braunkohle zur Stromgrundlast einsetzen" - Jubel und Getriller; "Für Braunkohle einen brennstoffbezogenen Zertifikate-Koeffizienten einführen" - Getröte und Geklatsche. Zur Erinnerung: Braunkohle ist der klimaschädlichste Rohstoff. Bsirske erlöst jetzt die Sünder im Publikum.
Der Widerspruch in Bsirskes Foderung ist eklatant. Aber unvermeindlich, wenn es einem, wie Bsirske, um die "Wichtigkeit" geht. "Wichtig" sind die obligatorischen Worte zum Klimawandel - ohne geht es nun einmal nicht, wenn man nicht als "Umweltsünder" darstehen will. Wichtig ist auch das Ansehen bei den Gewerksschaftsmitgliedern - die teils durchaus ein wirtschaftlichen Eigeninteresse am derzeitigen, weder verbraucher- noch umweltfreundlichen Oligopol der "vier Energiegiganten" hat, teils aber auch nur Angst vor Veränderung. "Bestandsicherung" kommt immer gut an. Und wichtig ist auch das Ansehen bei den "Tarifpartnern" - faktisch sind Gewerkschaftler die besten Lobbyisten "ihrer" Unternehmer.
Was Bsirske diesmal nicht schaffte: den krassen Widerspruch in seiner Rede elegant zu kaschieren. Andere können das besser. Zum Beispiel die deutschen Innenminster (fast alle!), die den eklatanten Abbau der Bürgerrechte als Schutz der Bürgerrechte verkaufen.
MMarheinecke - Donnerstag, 8. Februar 2007
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