Elektrosmog und Gehirnvernebelung
In den Raunächten, zwischen dem 22. Dezember und dem 2. Januar blogge ich Texte, die ich irgendwann einmal angefangen habe und die lange als halbfertige Entwürfe oder als Notiz herumlagen, aber auch Ergänzungen älterer Artikel. Auch dieser Beitrag schien mir zu schade, um als "Beitragsbauruine" auf meiner Festplatte zu enden.
Dass starke elektromagnetische Felder gesundheitschädlich sein können, ist schon lange bekannt. Bei einer Recherche über mögliche umweltbedingte Ursachen der Multiplen Sklerose stieß ich auf die Hypothese, dass gepulste hochfrequente Radiowellen die Funktion der Hirn-Blutschranke beeinträchtigen könnten. Dafür fand ich leider keine glaubwürdige Bestätigung (oder eine glaubwürdige Widerlegung). aber immerhin einen Zwischenbericht eines Forschungsprojektes des Laboratoire PIOM, Bordeaux: Einfluss der Mobilfunkfelder auf die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke von Labornagern (in vivo)
Und ich stieß bei "indimedia" auf einen Beitrag, der zwar kein Licht in diese Geschichte bringt, jedoch einen aufklärerischen Blick auf die Elekrosmog-Hysterie wirft: Das Mobilfunksyndrom und die Bürgerangst
Der Beitrag befasst sich mit der Bamberger Ärztin Dr. Cornelia Waldmann-Selsam. Mit ihre zahlreichen Fallbeispielsammlungen über mobilfunkgeschädigte Bürger hat sie einiges Aufsehe erregt.
Ihre Fallsammlungen werden aber von Fachleuten als unseriös
kritisiert - und zwar nicht, weil diese allesamt von den bösen Telkos gekauft worden wären.
Waldmann-Selsams beschafft ihrer alarmierenden Daten nämlich so: Mobilfunkkritische Bürgerinitiativen, die in aller Regel aus Unmut über einen in Wohnortnähe installierten Funkmasten gegründet worden sind, rufen die inzwischen bundesweit bekannte Ärztin zu ihrer Unterstützung herbei. Zunächst werden an die Bewohner in der Nähe einer Sendeanlage Fragebögen verteilt. Die Auswertung liefert neben den Befragungsdaten nach Befindlichkeit und aktuell erlittenen Krankheiten zwangsläufig auch die Adressen von Bürgern, die sich in ihrer Gesundheit beeinträchtigt fühlen.
In den Häusern der so Ermittelten nimmt Waldmann-Selsam Strahlungsmessungen vor und listet die aus den Haushalten berichteten Krankheiten auf. Weiterhin wird die Nähe zum nächsten Mobilfunksender festgestellt. Auch andere Funkquellen, wie z.B. ein Schnurlostelefon in der Wohnung, werden registriert. Auf diese Weise entstehen Waldmann-Selsams Fallbeispielsammlungen, welche die Vermutung nahelegen sollen, dass es rund um die Mobilantennen zu Häufungen von Krankheiten kommt. So weit, so gut.
Allerdings sind ihre Fallsammlungen (ich habe mir mal eine angesehen) bestenfalls von annekdotischen Wert, weil sie Krankheiten völlig unterschiedlicher Art summiert. Egal, ob eher banale Altagskrankheiten oder tötlich verlaufende Krebserkrankungen, schwere psychische Störungen oder Pubertatsprobleme, tote Vögel oder Haustiere, die sich "sonderbar" verhalten - alles wird auf das "Mikrowellensyndroms" abgestellt.
Sicher könnte man so erste Hinweise auf mögliche Gesundheitsgefahren durch Mobilfunkmasten erhalten - allerdings nur, wenn man zum Vergleich z. B. die Häufigkeit entsprechender Erkrankungen vor dem Bau der Mobilfunkanlage heranzieht. In der Sprache der Statistiker: gab es eine signifikanten Anstieg der Erkränkungen durch die Anlage? Auch ein Vergleich mit einer Bevölkerungsgruppe in einem notorische "Funkloch" mit schlechter "Mobilfunkabdeckung" wäre aussagekräftig.
Auf ähnliche Weise wurde z. B. die deutlich erhöhten Krebsraten beim Personal militärischer Radaranlagen entdeckt - nämlich durch den Vergleich mit den durchschnittlichen Erkrankungsraten anderer Soldaten.
Neben den unzureichenden Vergleichsdaten fällt auf, dass sie die Daten gezielt auswählt - indem nur jene befragt werden, die glauben, durch die Funkanlagen gesundheitliche Nachteile erlitten zu haben. Bei einer "sauberen" Untersuchung müßten die Stichprobe der Befragten zufällig ausgewählt werden - oder noch besser: alle Bürger im Umkreis der Anlage müßten befragt werden.
Nachvollziehbare medizische und neurologische Tests fehlen ebenfalls.
Ein weiteres Problem: Die Befragten antworten unter dem Eindruck der zuvor aufgestellten Behauptung einer unmittelbaren gesundheitlichen Bedrohung. Egal, welche Beschwerde sie haben. oder ob diese Beschwerden nicht eine klar erkennbare andere Ursache haben - es wir dem Befragten nahegelegt die Ursache seiner Beschwerden im Mobilfunk zu suchen.
Das Verfahren ist bestens geeignet, Panik zu verbreiten - zumal sie als Ärztin und als (vermeindliche) Aufdeckerin eines Umweltskandals erheblichen Vertrauensvorschuß genießt. Auf die selbe Art und Weise könnte man auch Panik vor "Chemtrails" oder "Erdstrahlen" verbreiten - mit dem Unterschied allerdings, dass Mikrowellen tatsächlich und "schulmedizische abgesichert" zu Gesundheitschäden führen können. (Allerdings bei weitaus höherer Dosisleistung.)
Dem Autor des Indimedia-Artikels fiel auf, dass Waldmann-Selsams seltsamen Thesen eher in ländlichen Gegenden und in einem gutbürgerlichen Umfeld auf fruchtbaren Boden fallen, aber keine Angelegenheit der Städte sind, obwohl dort die Mikrowellenbelastung erheblich größer ist.
Er vermutet, dass Mobilfunkmasten und Handys wohl einigen verängstigten Bürgern als Symbole für die gefühlte Bedrohung der Bürgeridentität dienen. Es droht in einer schnelllebigen Wettbewerbsgesellschaft Identitäts- und Werteverlust - und jeder könnte Verlierer sein.
Der Mobilfunk stillt außerdem die Bürgersehnsucht nach der einen Lösung, der einen Ursache, dem einen Schuldigen für die persönliche Misere. Bis hin zu Verschwörungstheorien.
Ein allgemeiner Artikel über die Anti-Mobilfunk-Aktivisten, die der Autor deutlich von den ökosozialen Bewegungen abgrenzt; auch auf "indimedia": Das Erzeugen von Angst als Methode
Allgemeinverständlich zum Thema - WDR5 "Leonardo": Mobilfunk und das Gehirn
Dass starke elektromagnetische Felder gesundheitschädlich sein können, ist schon lange bekannt. Bei einer Recherche über mögliche umweltbedingte Ursachen der Multiplen Sklerose stieß ich auf die Hypothese, dass gepulste hochfrequente Radiowellen die Funktion der Hirn-Blutschranke beeinträchtigen könnten. Dafür fand ich leider keine glaubwürdige Bestätigung (oder eine glaubwürdige Widerlegung). aber immerhin einen Zwischenbericht eines Forschungsprojektes des Laboratoire PIOM, Bordeaux: Einfluss der Mobilfunkfelder auf die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke von Labornagern (in vivo)
Und ich stieß bei "indimedia" auf einen Beitrag, der zwar kein Licht in diese Geschichte bringt, jedoch einen aufklärerischen Blick auf die Elekrosmog-Hysterie wirft: Das Mobilfunksyndrom und die Bürgerangst
Der Beitrag befasst sich mit der Bamberger Ärztin Dr. Cornelia Waldmann-Selsam. Mit ihre zahlreichen Fallbeispielsammlungen über mobilfunkgeschädigte Bürger hat sie einiges Aufsehe erregt.
Ihre Fallsammlungen werden aber von Fachleuten als unseriös
kritisiert - und zwar nicht, weil diese allesamt von den bösen Telkos gekauft worden wären.
Waldmann-Selsams beschafft ihrer alarmierenden Daten nämlich so: Mobilfunkkritische Bürgerinitiativen, die in aller Regel aus Unmut über einen in Wohnortnähe installierten Funkmasten gegründet worden sind, rufen die inzwischen bundesweit bekannte Ärztin zu ihrer Unterstützung herbei. Zunächst werden an die Bewohner in der Nähe einer Sendeanlage Fragebögen verteilt. Die Auswertung liefert neben den Befragungsdaten nach Befindlichkeit und aktuell erlittenen Krankheiten zwangsläufig auch die Adressen von Bürgern, die sich in ihrer Gesundheit beeinträchtigt fühlen.
In den Häusern der so Ermittelten nimmt Waldmann-Selsam Strahlungsmessungen vor und listet die aus den Haushalten berichteten Krankheiten auf. Weiterhin wird die Nähe zum nächsten Mobilfunksender festgestellt. Auch andere Funkquellen, wie z.B. ein Schnurlostelefon in der Wohnung, werden registriert. Auf diese Weise entstehen Waldmann-Selsams Fallbeispielsammlungen, welche die Vermutung nahelegen sollen, dass es rund um die Mobilantennen zu Häufungen von Krankheiten kommt. So weit, so gut.
Allerdings sind ihre Fallsammlungen (ich habe mir mal eine angesehen) bestenfalls von annekdotischen Wert, weil sie Krankheiten völlig unterschiedlicher Art summiert. Egal, ob eher banale Altagskrankheiten oder tötlich verlaufende Krebserkrankungen, schwere psychische Störungen oder Pubertatsprobleme, tote Vögel oder Haustiere, die sich "sonderbar" verhalten - alles wird auf das "Mikrowellensyndroms" abgestellt.
Sicher könnte man so erste Hinweise auf mögliche Gesundheitsgefahren durch Mobilfunkmasten erhalten - allerdings nur, wenn man zum Vergleich z. B. die Häufigkeit entsprechender Erkrankungen vor dem Bau der Mobilfunkanlage heranzieht. In der Sprache der Statistiker: gab es eine signifikanten Anstieg der Erkränkungen durch die Anlage? Auch ein Vergleich mit einer Bevölkerungsgruppe in einem notorische "Funkloch" mit schlechter "Mobilfunkabdeckung" wäre aussagekräftig.
Auf ähnliche Weise wurde z. B. die deutlich erhöhten Krebsraten beim Personal militärischer Radaranlagen entdeckt - nämlich durch den Vergleich mit den durchschnittlichen Erkrankungsraten anderer Soldaten.
Neben den unzureichenden Vergleichsdaten fällt auf, dass sie die Daten gezielt auswählt - indem nur jene befragt werden, die glauben, durch die Funkanlagen gesundheitliche Nachteile erlitten zu haben. Bei einer "sauberen" Untersuchung müßten die Stichprobe der Befragten zufällig ausgewählt werden - oder noch besser: alle Bürger im Umkreis der Anlage müßten befragt werden.
Nachvollziehbare medizische und neurologische Tests fehlen ebenfalls.
Ein weiteres Problem: Die Befragten antworten unter dem Eindruck der zuvor aufgestellten Behauptung einer unmittelbaren gesundheitlichen Bedrohung. Egal, welche Beschwerde sie haben. oder ob diese Beschwerden nicht eine klar erkennbare andere Ursache haben - es wir dem Befragten nahegelegt die Ursache seiner Beschwerden im Mobilfunk zu suchen.
Das Verfahren ist bestens geeignet, Panik zu verbreiten - zumal sie als Ärztin und als (vermeindliche) Aufdeckerin eines Umweltskandals erheblichen Vertrauensvorschuß genießt. Auf die selbe Art und Weise könnte man auch Panik vor "Chemtrails" oder "Erdstrahlen" verbreiten - mit dem Unterschied allerdings, dass Mikrowellen tatsächlich und "schulmedizische abgesichert" zu Gesundheitschäden führen können. (Allerdings bei weitaus höherer Dosisleistung.)
Dem Autor des Indimedia-Artikels fiel auf, dass Waldmann-Selsams seltsamen Thesen eher in ländlichen Gegenden und in einem gutbürgerlichen Umfeld auf fruchtbaren Boden fallen, aber keine Angelegenheit der Städte sind, obwohl dort die Mikrowellenbelastung erheblich größer ist.
Er vermutet, dass Mobilfunkmasten und Handys wohl einigen verängstigten Bürgern als Symbole für die gefühlte Bedrohung der Bürgeridentität dienen. Es droht in einer schnelllebigen Wettbewerbsgesellschaft Identitäts- und Werteverlust - und jeder könnte Verlierer sein.
Der Mobilfunk stillt außerdem die Bürgersehnsucht nach der einen Lösung, der einen Ursache, dem einen Schuldigen für die persönliche Misere. Bis hin zu Verschwörungstheorien.
Ein allgemeiner Artikel über die Anti-Mobilfunk-Aktivisten, die der Autor deutlich von den ökosozialen Bewegungen abgrenzt; auch auf "indimedia": Das Erzeugen von Angst als Methode
Allgemeinverständlich zum Thema - WDR5 "Leonardo": Mobilfunk und das Gehirn
MMarheinecke - Montag, 25. Dezember 2006
Trackback URL:
https://martinm.twoday.net/stories/3095133/modTrackback