Ich, der verhinderte Amokschütze
Gedanken zum Abschiedsbrief des "Amokschützen" Sebastian B: TP. "Ich will R.A.C.H.E".
Was es auf der politischen, gesellschaftlichen und "medien-technischen" Seite zu sagen gibt, dass haben andere schon gesagt.
Besonders treffend sagte es Jens Scholz, dem kann ich mich nur anschließen:
Der Brief geht mir nahe. Das Gefühl aus lavierender Depression, ohnmächtigem Zorn, aber auch größenwahnsinnigen Rachephantasien kenne ich allzu gut.
Auch in hatte mal, vor über 20 Jahren, einen ähnlichen Abschiedsbrief geschrieben. Auf die genaue Situation, die mich dazu gebracht hat, gehe ich hier nicht ein; das ist zwar ein persönliches Blog, aber Details aus meinem Intimleben gehören nicht in Netz. Wichtig nur: ich war fix und alle, vieles im Leben haute nicht hin.
Wenn schon Selbstmord, dachte ich, dann kein Abgang mit Wimmern oder Röcheln, sondern mit "Knall". Wenn man schon verliert, dann wenigstens "im Kampf" sterben und ein paar von "Ihnen" Mitnehmen. Erweiterter Suzid, wie die meisten soganannten Amokläufe. Nein, Waffen hatte ich nicht. Aber ich wußte, wie man hochbrisante Sprengstoffe herstellt.
Es blieb - zum Glück - bei der Planung. Ich hatte nämlich Menschen die mich auffingen. Die mitbekamen, dass mit mir was nicht stimmte. Und mir nicht einfach sagten: "Reiß dich zusammen" oder "Akzpetiere gefälligst deine Lage" oder "Hör auf mit Deiner albernen Selbstinszenierung.". (Wobei - solche Sprüche gab es leider auch.) Die mir eine Alternative zum "erweiterten Suizid" aufzeigten. Die Menschen, die Sebastian B. fehlten.
Was ich auch zum Glück hatte, war eine etwas ausgegorenere Weltanschauung. Ein wenig mehr politisches Denken, ein paar Gedanken mehr über Ethik und Moral, ein bißchen mehr Einfühlung und Ein-Denken in andere Menschen. Deshalb stilisierte ich mich nicht zum "Einsamen Rächer", suchte keine Ersatz für fehlendes Selbstwertgefühl in eine matialischen Selbstdarstellung. Das war nicht mein Verdienst. Das verdanke unter anderem meiner Schule, meinen Lehrer. Ich hatte großes Glück mit meiner Schule. Weshalb sich mein Amoklauf auch nicht in der Schule abgespielt hätte. Sebastian B. hatte das Glück nicht. Nicht, dass seine Schule schlecht gewesen wäre. Der Fehler liegt "im System".
Ich stelle mir vor, was gewesen wäre, wenn ich meinen ebenso dummen wie verzweifelten Plan in die Tat umgesetzt hätte. Schlagzeilen hätte ich mit Sicherheit gemacht. Und bestimmt hätte es üblichen Politikersprüche und Journalisten-"Weisheiten" gegeben, hätten die üblichen Fachleute ihre üblichen Ansichten vertreten. "Ego-Shooter" gab es noch nicht, damals waren Horrorvideos der große Verderber der Jugend. Das ich gar kein so großer Fan von Horrorstreifen war, wäre egal gewesen - wichtig wäre nur: ich habe nachweislich mal so was gesehen.
Irgend eine Patentursache hätte man bestimmt gefunden. Science-Fiction- und Fantasy-Fan? "Ja, dahin führt diese Realitätsflucht!" - Kontakte zur Hausbesetzerszene? "Da sieht man es mal wieder, diese Chaoten machen junge Leute zu Selbstmordbombern!" Vermutlich wäre selbst meine damalige Vorliebe für Räucherstäbchen, germanische, keltische und antike Mythologie, meine "Kraftwerk"-Platten, meine Romanversuche, meine bescheidenen politischen Aktivitäten, also kurz: alles was auch nur ein bißchen "auffällig" ist, thematisiert worden. Ob man mich damals der links- oder der rechtsextremen "Szene" zugeordnet hätte, wäre reiner Zufall gewesen. Hauptsache nur: ich wäre "Außenseiter" gewesen. Gut angepaßte, gebildete und nicht völlig erfolglose junge Leute laufen nicht Amok. Tun sie es dann doch, dann müssen sie doch irgend einer finsteren Subkultur zugehört haben! Ach, sieh' da, ein Pentagramm! Klar, der junge Mann war Satanist (zumindest hätte das in der BILD so gestanden).
Entschuldigt bitte, dass ich mich hier ausheule. Und das ich Mitgefühl für einen "Killer" zeige. Mit etwas weniger Glück hätte nämlich ich damals ein "Killer" sein können.
Auch lesenswert, zu politischen "Diskussion": Sven Scholz: The Return of the Volksschädling
und Medienvermeidung 2
Und bei Cynx, zum "Sinn", den es macht, die pösen, pösenEgo ShooterKilerspiele "endlich zu verbieten": Schmalspurdenken
Was es auf der politischen, gesellschaftlichen und "medien-technischen" Seite zu sagen gibt, dass haben andere schon gesagt.
Besonders treffend sagte es Jens Scholz, dem kann ich mich nur anschließen:
Der Junge war fertig. Und diesmal wars kein dummer Mensch, er hat alles aufgeschrieben, was er fühlte. Er hat zwei Jahre versucht, gehört zu werden. Die damals schon nicht stattgefundene Diskussion darüber, wie sehr Kinder in diesem Land unter Druck gesetzt werden findet auch diesmal nicht statt. Die Standardreaktion der üblichen Verdächtigen werden gesendet, die Computerspieler werden sich wieder dagegen wehren müssen, daß sie zum Sündenbock hochstilisiert werden und schon ist das eigentliche Thema wieder vergessen.Weiterlesen:Das ist ja so ermüdend
Der Brief geht mir nahe. Das Gefühl aus lavierender Depression, ohnmächtigem Zorn, aber auch größenwahnsinnigen Rachephantasien kenne ich allzu gut.
Auch in hatte mal, vor über 20 Jahren, einen ähnlichen Abschiedsbrief geschrieben. Auf die genaue Situation, die mich dazu gebracht hat, gehe ich hier nicht ein; das ist zwar ein persönliches Blog, aber Details aus meinem Intimleben gehören nicht in Netz. Wichtig nur: ich war fix und alle, vieles im Leben haute nicht hin.
Wenn schon Selbstmord, dachte ich, dann kein Abgang mit Wimmern oder Röcheln, sondern mit "Knall". Wenn man schon verliert, dann wenigstens "im Kampf" sterben und ein paar von "Ihnen" Mitnehmen. Erweiterter Suzid, wie die meisten soganannten Amokläufe. Nein, Waffen hatte ich nicht. Aber ich wußte, wie man hochbrisante Sprengstoffe herstellt.
Es blieb - zum Glück - bei der Planung. Ich hatte nämlich Menschen die mich auffingen. Die mitbekamen, dass mit mir was nicht stimmte. Und mir nicht einfach sagten: "Reiß dich zusammen" oder "Akzpetiere gefälligst deine Lage" oder "Hör auf mit Deiner albernen Selbstinszenierung.". (Wobei - solche Sprüche gab es leider auch.) Die mir eine Alternative zum "erweiterten Suizid" aufzeigten. Die Menschen, die Sebastian B. fehlten.
Was ich auch zum Glück hatte, war eine etwas ausgegorenere Weltanschauung. Ein wenig mehr politisches Denken, ein paar Gedanken mehr über Ethik und Moral, ein bißchen mehr Einfühlung und Ein-Denken in andere Menschen. Deshalb stilisierte ich mich nicht zum "Einsamen Rächer", suchte keine Ersatz für fehlendes Selbstwertgefühl in eine matialischen Selbstdarstellung. Das war nicht mein Verdienst. Das verdanke unter anderem meiner Schule, meinen Lehrer. Ich hatte großes Glück mit meiner Schule. Weshalb sich mein Amoklauf auch nicht in der Schule abgespielt hätte. Sebastian B. hatte das Glück nicht. Nicht, dass seine Schule schlecht gewesen wäre. Der Fehler liegt "im System".
Ich stelle mir vor, was gewesen wäre, wenn ich meinen ebenso dummen wie verzweifelten Plan in die Tat umgesetzt hätte. Schlagzeilen hätte ich mit Sicherheit gemacht. Und bestimmt hätte es üblichen Politikersprüche und Journalisten-"Weisheiten" gegeben, hätten die üblichen Fachleute ihre üblichen Ansichten vertreten. "Ego-Shooter" gab es noch nicht, damals waren Horrorvideos der große Verderber der Jugend. Das ich gar kein so großer Fan von Horrorstreifen war, wäre egal gewesen - wichtig wäre nur: ich habe nachweislich mal so was gesehen.
Irgend eine Patentursache hätte man bestimmt gefunden. Science-Fiction- und Fantasy-Fan? "Ja, dahin führt diese Realitätsflucht!" - Kontakte zur Hausbesetzerszene? "Da sieht man es mal wieder, diese Chaoten machen junge Leute zu Selbstmordbombern!" Vermutlich wäre selbst meine damalige Vorliebe für Räucherstäbchen, germanische, keltische und antike Mythologie, meine "Kraftwerk"-Platten, meine Romanversuche, meine bescheidenen politischen Aktivitäten, also kurz: alles was auch nur ein bißchen "auffällig" ist, thematisiert worden. Ob man mich damals der links- oder der rechtsextremen "Szene" zugeordnet hätte, wäre reiner Zufall gewesen. Hauptsache nur: ich wäre "Außenseiter" gewesen. Gut angepaßte, gebildete und nicht völlig erfolglose junge Leute laufen nicht Amok. Tun sie es dann doch, dann müssen sie doch irgend einer finsteren Subkultur zugehört haben! Ach, sieh' da, ein Pentagramm! Klar, der junge Mann war Satanist (zumindest hätte das in der BILD so gestanden).
Entschuldigt bitte, dass ich mich hier ausheule. Und das ich Mitgefühl für einen "Killer" zeige. Mit etwas weniger Glück hätte nämlich ich damals ein "Killer" sein können.
Auch lesenswert, zu politischen "Diskussion": Sven Scholz: The Return of the Volksschädling
und Medienvermeidung 2
Und bei Cynx, zum "Sinn", den es macht, die pösen, pösen
MMarheinecke - Donnerstag, 23. November 2006