virtuelle Gefahr "Antifa"

In der "Tageszeitung", 28.08.2006, berichtet Gabriele Goettle über die "Antifaschistin" und Rechtsanwältin Katja Herrlich, die sich in Frankfurt am Main mit den sich immer besser organisierenden Neonazis herumschlägt. (Auch online "Wie war es möglich?".)

Nun mag die Weltanschauung, die hinter Teilen der (politisch gesehen äußerst vielfältigen) Antifa steht, nicht immer mit der liberalen Demokratie verträglich sein. Hingegen sollte eigentlich jedem Beobachter der Szene klar sein, dass die Gefahr für die liberale Demokratie nicht von der Antifa ausgeht.
Eigentlich. Denn die politische Praxis sieht oft anders aus: Da wird munter und undifferenziert von einer "Bedrohung von Rechts und Links" gesprochen, ungeachtet der Tatsache, dass man zum Terror bereite Linke (die es durchaus gibt) schwerlich in der Antifa finden wird. Wenn es eine "Gefahr von Links" für die liberale Demokratie gibt - "linke" Feinde der "offenen Gesellschaft" gibt es ja tatsächlich überreichlich - dann geht sie nicht von jenen "gewaltbereiten" Antifas aus, die meinen, dass man mit "braunen Schlägern" in der einzigen Sprache reden müßte, die sie verstünden, nämlich der (Gegen-)Gewalt.
In diesem Falle ging es um eine "gemeinsame Gewaltverzichtserklärung", die "Linke" und "Rechte" unterzeichnen sollten. (Eine geradezu rührend wirklichkeitsfremde Idee.)
Wir als Linke sahen gar keinen Anlass, eine solche Erklärung abzugeben. Wir ziehen ja nicht los, um andere Leute zusammenzuschlagen. Wir wehren uns lediglich gegen die Nazis. Hier sollte rassistische Gewalt und antifaschistische Gegenwehr gleichgesetzt werden, das ganze Gespräch konnten wir nur als Farce betrachten. Den Vertretern der Stadt, die auch dabei waren, ging es eigentlich gar nicht um die Gewalt und die Opfer, sondern nur um den ,Standort', um den Imageschaden für die Stadt. Dass hinter dieser störenden Gewalt eine Ideologie steht von Rassismus und Intoleranz, die man nicht tatenlos hinnehmen kann, das interessierte die Stadt wenig.
Und wieder die Debatte um "Standorte" und "Imageschäden". Politik reduziert auf BWL und PR für Anfänger - Motto "heile Welt verkauft sich gut". Als ob Demokratie, Bürgerrechte, Menschenrechte keine Werte an sich, sondern nur "abgeleitete" Werte seien - ausschlagebend ist allein, was sie im "Wettbewerb der Standorte" angeblich bringen. Klar, Neonazis sind schlecht fürs Geschäft. Aber Leute, die nicht bereit sind, das Rechtsextremismus-Problem unter den Teppich zu kehren, offensichtlich auch. Nach dem alten Prinzip, dass es einfacher ist, sich gegen denjenigen zu wenden, die auf Mißstände aufmerksam machen, als die Mißstände zu bekämpfen.

Was Katja Herrlich zu behördlichen Repressionen gegen "Links" zu sagen hat, wirft ein Schlaglicht auf eine bei Strafverfolgern offensichtlich weit verbreite Denkweise:
Es herrscht ein kompletter Verfolgungsdrang, man meint irgendwie, unbedingt Täter beibringen zu müssen. Und obwohl die linke Szene ja schon seit so vielen Jahren observiert wird, haben sie nichts verstanden. (...) In meiner Studienzeit bin ich bei der Polizei in so eine Schublade getan worden, in der ich jetzt immer noch stecke. Eben weil ich mal ein paar Demos angemeldet habe, wird bis heute davon ausgegangen, dass ich diejenige bin, die antifa-mäßig hier was zu sagen hat, Einfluss auf die Szene ausübt. Was ja nicht so ist, weil's eben hier nicht irgendwelche Führer gibt, die die Richtung vorgeben. Sie haben nicht verstanden, dass Antifa an sich schon immer ein Zusammenhang von Leute war, wo jeder alles zu sagen hatte.
Die Klischees sind offenbar stärker als die erkennbare Realität. Der Strafverfolger denkt in hierachischen, zentralistischen Systemen - und geht promt davon aus, dass die Antifa ebenfalls zentralistisch und hierarchisch organisiert sein müsse. In Wirklichkeit ist sie das nicht. Übrigens geht man auch "rechtsaußen" dezentral vor. (Und das "Terrornetzwerke" ohne militärische Befehls- und Gehorsamsstrukturen auskommen, sollte sich nach 5 Jahren "Krieg gegen den Terror" auch langsam herumgesprochen haben.)

Es gibt offensichtlich zwei völlig verschiedene Antifas: die Antifa, wie sie sich aufgrund erkennbarer Fakten darstellt - nämlich: dezentral, politisch uneinheitlich, ohne ausgeprägte Hierarchien, im Grundsatz pro-demokratisch, in der Regel nicht gewaltätig, und wenn, dann nur nach Provokation - und die Antifa aus der Sicht bestimmter "Sicherheitsexperten", Innenpolitiker, Polizeibeamter: zentralistische Kaderorganisation, politisch stramm kommunistisch, stets gewaltbereit gegen das "System".
distelfliege - 28. Aug, 13:27

OH jaaaaa

DANKE!

Mich kotzt dieses "wir sind gegen Links- UND Rechtsextremismus" Gefasel SO SEHR AN!

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