"Beinahe GAU" - oder: dick aufgetragen
Im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark gab es einen sehr ernsten Störfall: den Ausfall der internen Stromversorgung.
TP: Fast-GAU in Schweden Durchaus einen, der wieder einmal die Frage nach der Zuverlässigkeit solcher Anlagen aufwirft. Sind wir haarscharf einem "zweiten Tschernobyl" entkommen, wie manche Kommentoren meinen?
Was ist passiert? Es kam bei Wartungsarbeiten in einem Umspannwerk außerhalb des Kraftwerks einem Kurzschluss mit "Lichtbogenüberschlag". Deshalb mußten zwei der drei Reaktoren am Standort Forsmark vom Netz genommen werden. Auch die Betriebsstromversorgung der von Netz genommenen Blöcke für die Kühlwasserpumpen und die Überwachungseinrichtungen fiel am 26. Juli in Forsmark aus, denn der heftige Kurzschluss (den man sich wir ein Miniaturgewitter vorstellen kann) war auf einen Teil der Anlagen des Kraftwerks "durchgeschlagen". Auch zwei der vier dieselbetriebene Notstromaggregate sprangen nicht an. In der Folge war die Betriebszentrale eines Blockes für rund 20 Minuten "blind", die elektronische Überwachung der Betriebszustände des Reaktors war ausgefallen. Erst dann gelang es der Betriebsmannschaft, die Notstromversorgung vollständig in Gang zu bringen und den Reaktor ordnungsgemaß herunterfahren.umweltschutz-news: Störfall in Schweden - vier Atomkraftwerke abgeschaltet
Ein schwerwiegender, gefährlicher Vorfall, der nahelegt, dass die Kraftwerke dieses Typs Konstruktionsfehler aufweisen. Es erstaunt mich ehrlich gesagt auch, wieso nach dem Ausfall der Überwachungsanlage nicht sofort die Notabschaltung ausgelöst wurde. (Übrigens würde sie bei völligen Stromausfall "von selbst" ausgelöst werden, da bei einem Druckwasserreaktor die Bremsstäbe an Elektromagneten aufgehängt sind - fällt der Stom völlig, aus "rutschen" die Bremsstäbe in den Reaktor und bringen die Kettenreaktion zum Erliegen. Auch scheinen die Umwälzpumpen der Reaktorkühlung noch gearbeitet zu haben. Also herrschte die gefährliche Situation, dass der Reaktor lief, aber nicht überwacht werden konnte, die eigentlich in jedem Fall verhindert werden muß.) Laut "Greenpeace" sagte der ehemalige Forsmark-Direktor Lars-Olov Höglund, es sei jedoch "reines Glück gewesen, dass es nicht zu einer Kernschmelze gekommen" und kein Unfall wie 1986 in Tschernobyl eingetreten sei.
Auch wenn Höglung inzwischen entschiedener Gegner der Kernernergienutzung ist und das Risiko einer Kernschmelze theoretisch durchaus bestand, bezweifle ich, dass er den Vergleich mit "Tschernobyl" selbst gezogen hat. Mit dem rein mechanisch arbeitenden Notkühlsystem (im wesendlichen hochgelegene Wasserbehälter) auch beim Ausfall der Kühlpumpen ein Kernschmelze abgewendet werden können. Bei der teilweisen Kernschmelze im AKW Three Mile Island, einen Vorfall, der einige Parallelen zum Forsmark-Störfall hat, war dieses Notkühlsystem nicht betriebsbereit gewesen. Beim notabgeschalteten Reaktor würde übrigens auch "nur" die Resthitze der Brennstäbe wirken.
Welche Folgen eine ungebremste Kernschmelze in Forsmark gehabt hätte, läßt sich nur schwer abschätzen. Wahrscheinlich hätte, wie in Three Mile Island, der Sicherheitsbehälter das Schlimmste verhindert.(Zur Erinnerung: es gab dort damals weder Tote, noch Verletzte, noch eine schwerwiegende radioaktive Belastung der Umgebung.)
Aber selbst wenn es zum "Super GAU" gekommen wäre, also das "Containment" versagt hätte, wären die Folgen für die unmittelbaren Umgebung sehr schlimm gewesen - jedoch: zu einer radioaktiven Kontamination ganzer Landstriche, ja halb Europas, ware es nicht gekommen. Ein Unfall, der auf keinen Fall achselzuckend als "normaler Industrieunfall" hätte abgetan werden können. Aber eben kein "zweites Tschernobyl".
Ich vermute, dass hier wieder einmal die sattsam bekannten Mechanismen des Journalimus wirken, die man auch auf anderen Gebieten "bewundern" kann: che: Das Fachwissen deutscher Kriegsberichterstatter
Nachtrag: Wie nicht anders zu erwarten, wurde in Forsmark mit dem Stromausfall tatsächlich ordnungsgemäß die Schnellabschaltung des Reaktors ausgelöst. Das ging aus den Pressemeldungen, die mir beim Abfassen meines Artikels vorlagen, nicht hervor. (Also kein "Blindflug" des Reaktors.) Damit ging es "nur" noch darum, die Restwärme zu beherrschen bzw. der Reaktor richtig herunterzukühlen. Der Reaktorkern hätte also schlimmstenfalls "zusammenschmelzen" (aber nicht "durchschmelzen") können, was bei weitem kein "GAU" (Größter Anzunehmender Unfall, besser: größter Unfall, für den den Anlage ausgelegt ist, "Auslegungsunfall"), sondern "nur" ein "schwerer Unfall" mit Totalschaden des Reaktors wäre. Von der IAEO wurde der Unfall in die Kategorie 2 eingestuft - Tschernobyl war Kategorie 7 auf der International Nuclear Event Scale (INES), Three Miles Island Kategorie 5. Wäre die Kühlung in Forsmark völlig ausgefallen, wäre der Unfall auf der INES auf Stufe 4 gelandet. (Einen vergleichbaren Unfall mit Totalschaden des Reaktors gab es 1977 im deutschen Kernkraftwerk Grundremmingen, Block A.)
Gute Darstellung des Störfalls auf Wikipedia: Kernkraftwerk Forsmark.
Ebenfalls gut, in der NZZ online vom 6. August: Kein Beinahe-GAU
TP: Fast-GAU in Schweden Durchaus einen, der wieder einmal die Frage nach der Zuverlässigkeit solcher Anlagen aufwirft. Sind wir haarscharf einem "zweiten Tschernobyl" entkommen, wie manche Kommentoren meinen?
Was ist passiert? Es kam bei Wartungsarbeiten in einem Umspannwerk außerhalb des Kraftwerks einem Kurzschluss mit "Lichtbogenüberschlag". Deshalb mußten zwei der drei Reaktoren am Standort Forsmark vom Netz genommen werden. Auch die Betriebsstromversorgung der von Netz genommenen Blöcke für die Kühlwasserpumpen und die Überwachungseinrichtungen fiel am 26. Juli in Forsmark aus, denn der heftige Kurzschluss (den man sich wir ein Miniaturgewitter vorstellen kann) war auf einen Teil der Anlagen des Kraftwerks "durchgeschlagen". Auch zwei der vier dieselbetriebene Notstromaggregate sprangen nicht an. In der Folge war die Betriebszentrale eines Blockes für rund 20 Minuten "blind", die elektronische Überwachung der Betriebszustände des Reaktors war ausgefallen. Erst dann gelang es der Betriebsmannschaft, die Notstromversorgung vollständig in Gang zu bringen und den Reaktor ordnungsgemaß herunterfahren.umweltschutz-news: Störfall in Schweden - vier Atomkraftwerke abgeschaltet
Ein schwerwiegender, gefährlicher Vorfall, der nahelegt, dass die Kraftwerke dieses Typs Konstruktionsfehler aufweisen. Es erstaunt mich ehrlich gesagt auch, wieso nach dem Ausfall der Überwachungsanlage nicht sofort die Notabschaltung ausgelöst wurde. (Übrigens würde sie bei völligen Stromausfall "von selbst" ausgelöst werden, da bei einem Druckwasserreaktor die Bremsstäbe an Elektromagneten aufgehängt sind - fällt der Stom völlig, aus "rutschen" die Bremsstäbe in den Reaktor und bringen die Kettenreaktion zum Erliegen. Auch scheinen die Umwälzpumpen der Reaktorkühlung noch gearbeitet zu haben. Also herrschte die gefährliche Situation, dass der Reaktor lief, aber nicht überwacht werden konnte, die eigentlich in jedem Fall verhindert werden muß.) Laut "Greenpeace" sagte der ehemalige Forsmark-Direktor Lars-Olov Höglund, es sei jedoch "reines Glück gewesen, dass es nicht zu einer Kernschmelze gekommen" und kein Unfall wie 1986 in Tschernobyl eingetreten sei.
Auch wenn Höglung inzwischen entschiedener Gegner der Kernernergienutzung ist und das Risiko einer Kernschmelze theoretisch durchaus bestand, bezweifle ich, dass er den Vergleich mit "Tschernobyl" selbst gezogen hat. Mit dem rein mechanisch arbeitenden Notkühlsystem (im wesendlichen hochgelegene Wasserbehälter) auch beim Ausfall der Kühlpumpen ein Kernschmelze abgewendet werden können. Bei der teilweisen Kernschmelze im AKW Three Mile Island, einen Vorfall, der einige Parallelen zum Forsmark-Störfall hat, war dieses Notkühlsystem nicht betriebsbereit gewesen. Beim notabgeschalteten Reaktor würde übrigens auch "nur" die Resthitze der Brennstäbe wirken.
Welche Folgen eine ungebremste Kernschmelze in Forsmark gehabt hätte, läßt sich nur schwer abschätzen. Wahrscheinlich hätte, wie in Three Mile Island, der Sicherheitsbehälter das Schlimmste verhindert.(Zur Erinnerung: es gab dort damals weder Tote, noch Verletzte, noch eine schwerwiegende radioaktive Belastung der Umgebung.)
Aber selbst wenn es zum "Super GAU" gekommen wäre, also das "Containment" versagt hätte, wären die Folgen für die unmittelbaren Umgebung sehr schlimm gewesen - jedoch: zu einer radioaktiven Kontamination ganzer Landstriche, ja halb Europas, ware es nicht gekommen. Ein Unfall, der auf keinen Fall achselzuckend als "normaler Industrieunfall" hätte abgetan werden können. Aber eben kein "zweites Tschernobyl".
Ich vermute, dass hier wieder einmal die sattsam bekannten Mechanismen des Journalimus wirken, die man auch auf anderen Gebieten "bewundern" kann: che: Das Fachwissen deutscher Kriegsberichterstatter
Ich vermute, dass sich hier echte Unwissenheit, die Mediengewohnheit, alles ein bißchen aufzublasen ("Mann beißt Hund") und dezidierte Absichten zu einem trüben Brei vermischen.Wobei es übrigens nicht besser wird, wenn es, wie bei Greenpeace, in bester Absicht geschieht.
Nachtrag: Wie nicht anders zu erwarten, wurde in Forsmark mit dem Stromausfall tatsächlich ordnungsgemäß die Schnellabschaltung des Reaktors ausgelöst. Das ging aus den Pressemeldungen, die mir beim Abfassen meines Artikels vorlagen, nicht hervor. (Also kein "Blindflug" des Reaktors.) Damit ging es "nur" noch darum, die Restwärme zu beherrschen bzw. der Reaktor richtig herunterzukühlen. Der Reaktorkern hätte also schlimmstenfalls "zusammenschmelzen" (aber nicht "durchschmelzen") können, was bei weitem kein "GAU" (Größter Anzunehmender Unfall, besser: größter Unfall, für den den Anlage ausgelegt ist, "Auslegungsunfall"), sondern "nur" ein "schwerer Unfall" mit Totalschaden des Reaktors wäre. Von der IAEO wurde der Unfall in die Kategorie 2 eingestuft - Tschernobyl war Kategorie 7 auf der International Nuclear Event Scale (INES), Three Miles Island Kategorie 5. Wäre die Kühlung in Forsmark völlig ausgefallen, wäre der Unfall auf der INES auf Stufe 4 gelandet. (Einen vergleichbaren Unfall mit Totalschaden des Reaktors gab es 1977 im deutschen Kernkraftwerk Grundremmingen, Block A.)
Gute Darstellung des Störfalls auf Wikipedia: Kernkraftwerk Forsmark.
Ebenfalls gut, in der NZZ online vom 6. August: Kein Beinahe-GAU
MMarheinecke - Freitag, 4. August 2006
In der gesamten Anlage gibt es also ein Temperaturgefälle, dass im Normalfall an jeder Stelle eine bestimmte Temperatur ergibt, für die die Anlage ausgelegt ist. Selbst wenn die Bremsstäbe im Havariefall in den Reaktorkern fallen, steigt die Temperatur bei einem Ausfall des Kühlmittelkreislauf in der Nähe des Reaktorkerns an. Nicht durch neu entstehende Wärme, sondern allein durch die Energie, die bereits vorhanden ist. Ab einer bestimmten Temperatur verdampft das Kühlmittel, das ja im Normalfall schon flüssig ist. Bei noch höherer Temperatur werden auch die festen Stoffe erst flüssig und können bei weiterer Temperaturerhöhung ebenfalls verdampfen (=Explosion).
Die Stoffe in der Umgebung des Reaktorkerns sind alle radioaktiv, in verdampfter Form hat man dann einen höheren Gasdruck, den der Behälter nicht zurückhalten kann, es tritt Radioaktivität aus.
Ein "sicheres" Kernkraftwerk müsste so konzipiert sein, dass nach dem beliebigen Ausfall einer oder mehrerer Komponenten die Temperaturen an allen Stellen unterhalb dieser kritischen Größen bleibt. Dieses Konstruktionsziel steht aber mit dem einer möglichst großen Energieausbeute im Widerspruch, denn der Wirkungsgrad des Kraftwerks ist um so höher, je größer die Temperaturunterschiede zwischen der "warmen" und der "kalten" Seite sind. (Physikalisch gesehen steckt der theoretisch maximale Wirkungsgrad nämlich im Verhältnis der beiden Temperaturen, gemessen in Kelvin.) Die Konstrukteure werden also so oder so immer an die Limits gehen, die sie noch für beherrschbar halten, und niemals die maximal mögliche Sicherheit vorsehen.
Die Hauptprobleme von Kernkraftwerken liegen aber sicherlich nicht in der Sicherheit der Anlagen, sondern in den entstehenden radioaktiven Abfällen und in der Tatsache, das AKWs Großkraftwerke sind. Ersteres bedeutet, dass unsere niedrigen Strompreise von den Menschen der Zukunft bezahlt werden, die sich noch lange um unsere Abfälle kümmern müssen, ohne selbst einen Nutzen davon zu haben. Letzteres bedeutet, dass eine auf AKWs basierende Infrastruktur extrem anfällig für singuläre Ausfälle ist - und außerdem die Monopolbildung der Versorgungsunternehmen möglich macht.
einen höheren Druck
Stimmt, aber ich möchte dazu noch etwas senfen
Das soll nun wirklich nicht heißen, dass Vorfälle wie in Forsmark "harmlos" wären, geht wirklich alles schief, was schief gehen kann, einschließlich eines Versagen des Containments, ist die unmittelbare Umgebung des havarierten Kraftwerks auf Dauer "heiß" (eine "Todeszone" die wahrscheinlich, weil das ausgetretene radioaktive Material nicht weiträumig verteilt wurde, sondern in einem relativ kleinen Radius verbliebe, weitaus "heißer" wäre, als die um Tschernobyl). In dicht besiedelten Gebieten würden auch Anwohner gesundheitsschädliche Dosen Radioaktivität abbekommen.