Auf Klärung aus: 1. Woran erkennt man einen Antisemiten?

"Antisemit" ist ein politisch vernutzter Kampfbegriff. Antisemit ist immer nur "der Andere". Wer Antisemit ist, ist oft nur eine Frage der Definition. (Je nachdem, ob man unter "Antisemitismus" eine geschlossene Ideologie oder "nur" antijüdische Ressentiments versteht, kommt man auf 5% oder 30% Antisemiten in Deutschland. Wie auch immer, es sind jedenfalls zu viele.)
Irrig ist die verbreitete Aufassung, als "Linker", Liberaler und / oder als überzeugter Demokrat könne man kein Antisemit sein. Es gibt ja sogar antisemitische Juden.

Durchaus praxisnah erscheint mir diese Begriffsklärung von Henryk M. Broder (aus Woran man Antisemiten erkennt:
Woran erkennt man einen Antisemiten? Wie merkt man, daß man selbst ein Antisemit ist?
Die Sache ist recht einfach. Man ist nicht Antisemit, wenn man die israelische Politik kritisiert, gefillte Fish nicht mag oder Artur Brauner und Rolf "Shimon" Eden unsympathisch findet. Man ist auch kein Antisemit, wenn man Klezmer-Konzerte meidet, noch nie in Auschwitz war oder keinen Kurs für koscheres Kochen besucht hat. Man ist aber Antisemit, wenn man den Juden etwas übel nimmt, das man anderen nicht übel nimmt, wenn man sich über Juden aufregt und empört, während das gleiche Verhalten von Nichtjuden keine Aufregung und keine Empörung zur Folge hat. Das ist schon alles.
Das heißt auch, wenn ich den Gedanken weitführe, dass betontes Interesse an jüdischer Kultur kein sicheres Merkmal für fehlenden Antisemitismus ist. Oder auch, dass Antisemitismus nicht ganz dasselbe ist wie "Vorurteile gegen Juden haben". Oder das zum Antisemitismus immer Hass gehört.
Die idiotische Frage: "Wie können die Juden, die so gelitten haben, anderen das antun, was sie selbst erlebt haben?" ist ein Beweis für den Antisemitismus des Fragestellers, weil er von Juden moralische Leistungen einfordert, die er Nicht-Juden nicht abverlangt, schon gar nicht, wenn sie in ihrem früheren Leben Täter waren, die anderen Leiden zugefügt haben.
Hier sehe ich das Problem vieler Philosemiten, die "die Juden" ob ihrer Leiden verklären, in sie eine gradezu "übermenschliche" Moral hineinprojezieren. Halten real existierende Juden diesen übergroßen Ansprüchen nicht stand, kippt schwärmerischer Philosemitismus gern in Antisemitismus um.
Wer sich über die israelische Besatzung von Judäa und Samaria aufregt, aber keine Ahnung hat, wie lange die Chinesen schon Tibet besetzt halten, der ist ein Antisemit.
Wenn sich ein paar auf Juden fixierte Bruchpiloten zusammenrotten, um einander zu bestätigen, daß sie keine Antisemiten sind, obwohl sie auf Juden fixiert sind, dann liefern sie gleich den Beweis, daß sie nicht nur Antisemiten sind, sondern auch ahnen, daß sie es sind.
Und wer sich über den "Boykott" des palästinensischen Volkes, das im Ganzen und pro Kopf mehr Hilfe bekommen hat als die Deutschen durch den Marshall-Plan, echauffiert, aber noch nie ein Wort über die Aufrufe zum Boykott israelischer Produkte und israelischer Wissenschaftler verloren hat, der ist so antisemitisch wie die Hostie heilig ist. Amen
Im Rückblick auf: Antisemtismus auf Schwedisch - trifft Broders Defition die schwedische Haltung genau.
distelfliege - 18. Mai, 18:35

die Definition...

..stimmt jedenfalls.
Man könnt' auch sagen: Ungleichbehandlung (ob positiv oder negativ gefärbt) aufgrund von Jude oder Nichtjude-Seins.

Bei dem Beispiel "Aufregen über israelische Besetzung" würd ich aber sagen, man kann halt einfach nicht sich über sämtliche Besetzungen sich gleichermassen aufregen, weil man interessenmässig und themenmässig auch filtert.
Z.b. kann man sich über die Todesstrafe in den USA aufregen ohne gleich Antiamerikanismus zu betreiben. Auch wenn in China viel mehr Menschen hingerichtet werden, oder in Weißrussland ebenfalls die Todesstrafe existiert, und auch durchgeführt wird.
Vielleicht interessiert sich ein Jemand, der sich über die Besetzung von Gebieten durch Israel aufregt, einfach nicht gleichermassen für Tibet, dafür kanns auch gute Gründe geben.
Ich würde sagen, die Definition kann darauf zutreffen, muss nicht, und während die Definition von Broder sinnig und allgemeingültig ist, kann man wieder so Beispiele nicht verallgemeinern.
Kommt rüber was ich damit sagen will?

Naja, mir ist schon klar, daß ich gar nicht auf deinen Text antworte ;) sondern auf die Zitate. Es fiel mir nur grade so ein.

Grüsslis an dich

Distel

MMarheinecke - 18. Mai, 18:49

Stimmt schon ...

... Broder hat eben seine politischen Schwerpunktthemen (und leider auch seine "Lieblingsfeinde"), aber er hat grundsätzlich recht

Für das von Dir genannte Beispiel "Antiamerikanismus" würde das bedeuten: wer immer nur und ausschließlich von der Todesstrafe in den USA redet, und die Todesstrafe in anderen Ländern gutheißt oder schönredet, den halte ich im Zweifel doch für einen Antiamerikaner.
Wobei: Antiamerikanismus und Antisemitismus sind zwei sehr verschiedene Paar Schuhe. Auch wenn auffällig viele Antiamerikaner auch Antisemiten sind, und umgekehrt.
distelfliege - 18. Mai, 19:06

Stümmt..

...wenn ich also die Besetzung von Gebieten durch Israel schlecht finden würde, und die Besetzung Tibets schönreden, dann wärs eindeutig, nuuuuuur gings in dem Beispiel nicht um Schönreden, sondern ums "Nicht kritisieren". Manche ham vll. einfach keine Zeit sich über zwei Dinge auf einmal aufzuregen. (Das nur als Alternativtheorie)

Also kurz gesagt, stimm ich dir zu: Mit zweierlei Maß messen ist der Kasus Knacksus, und Broder hat damit recht.
Ich sah halt das zweierlei Maß nicht als erwiesen an in dem Beispiel.

Antiamerikanismus und Antisemitismus verschiedene Paar Schuhe? Naja schon, sonst würde ja ein Wort dafür hinreichen, aber es tät mich interessieren, wo jetzt der qualitative Hauptunterschied ist deiner Meinung nach.
Ich würde sagen, die Hauptgemeinsamkeit ist das "Zweierlei Maß".

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