Der Sommer kommt früh dieses Jahr

Damit meine ich nicht nur das gerade herrschende ungewöhnlich sonnige Wetter, sondern auch die zahlreichen "typischen Sommerlochthemen" in der derzeitigen politischen Berichterstattung. Wohl weniger, weil es an wichtigen politischen Themen mangeln würde, sondern, weil diese wichtigen Themen irgendwie unangehm sind. Oder um die absehbaren (gewollten?) Folgen bestimmter politischer Entscheidungen zu verschleiern: liberale Stimme: Umverteilung bei den Familien.
Den sommerlichen Klassiker "Schuluniform" hatten wir schon, jetzt kommt das alte bildungsbürgerlich-konservative Repertoire-Gruselstück "Sprachliche Überfremdung" in neuer Inszenierung:
"Wenn es also nicht anders geht, muß ein Sprachgesetz her", so Prof. Walter Krämer, Vorsitzender des Vereins Deutsche Sprache (VDS). "Widersinnigerweise ist alles in Deutschland reguliert – zum Teil überreguliert – aber die Sprache kann jeder nach Laune verbiegen".
In einem Sprachgesetz sollten deutsche Unternehmen und Institutionen verpflichtet werden, mit ihren Kunden deutsch zu sprechen. (Mit Tucholsky: "Deutsche, kauft deutsche Zitronen!")
Irgendwie typisch deutsch - vor allem das "Argument", mehr Regulierung damit zu rechtfertigen, dass schon so viel bei uns reguliert ist. Nicht ganz so typisch deutsch ist die Idee mit dem Gesetz - der Unsinn ist offensichtlich bei Frankreichs vielbelächeltem Sprachgesetz abgekuckt. Gegen das branchentypische "Denglish" in Public Relations und Unternehmensberatung (sorry, consulting) dürfte es sowieso nicht helfen.
karstenduerotin - 17. Mai, 19:00

Ja, auch die Sprachgesetze sind ein regelmäßig wiederkehrendes Sommerlochthema. Das einzig beruhigende ist, dass sich auch selten jemand findet, der für so einen Unsinn ernsthaft ein Gesetz formulieren und dieses durchpauken will; die Diskussion erschöpft sich in Ankündigungen und Willenserklärungen ohne faktische Bedeutung.

Heidrun - 22. Jul, 23:17

Denglisch ist die schlechtere Alternative

Zitat: "Der Unsinn ist offensichtlich bei Frankreichs vielbelächeltem Sprachgesetz abgekuckt. Gegen das branchentypische "Denglish" in Public Relations und Unternehmensberatung (sorry, consulting) dürfte es sowieso nicht helfen."

Belächelt wird das französische Sprachgesetz nur in Deutschland. Die Mehrheit der Franzosen - von links bis rechts - steht hinter dem Sprachgesetz, weil dort Sprache als hohes Kulturgut und wichtiger Identifikationsfaktor gilt. Diese Einstellung geht den Deutschen aus bekannten Gründen leider ab mit der Folge, dass die englischen Worthülsen das PR- und Consulter- Kauderwelschs bis hin zur Unverständlichkeit dominieren.

In Deutschland wird es allein wegen der förderalistischen Struktur kein Sprachgesetz geben, weil die Hoheit über Bildung (und Sprache) bei den Ländern liegt. Trotzdem halte ich das allgegenwärtige Denglisch für die schlechtere Alternative.

MMarheinecke - 23. Jul, 00:42

Französisch

Ich bin mit der Situation in Frankreich zu wenig vertraut, um beurteilen zu können, wie ernst das Sprachgesetz von der Mehrheit der Franzosen genommen wird. Was mir aber in Frankreich auffiel, ist die angenehme Nonchalance, mit der dort im Alltag mit gewissen Vorschriften und Gesetzen umgegangen wird. (Im Straßenverkehr ist zugegebenermaßen nicht immer angenehm.) Dieser lässige Umgang gilt, soweit ich weiß, auch für das Sprachgesetz.
Es dürfte stimmen, dass die Mehrheit der "gebildeten" Franzosen ihre Sprache für ein hohes Kulturgut und einen wichtiger Identifikationsfaktor halten. Es stimmt aber auch, dass viele der fränzösischen Neubildungen, die an Stelle längst etablierter Fremdwörter treten sollen, eher Stoff für Kabarett, Satire und Witze liefert.

Es gibt meines Erachtens nicht nur die Alternativen "Sprachgesetz" und "Sprachverwahrlosung" (als solche empfinde ich die extremeren Varianten des "Denglish" in der Tat). Tatsächlich sind mir von allen Möglichkeiten genau diese beiden "Alternativen" die Umsympathischten. Es gibt, wie immer im wahren Leben nicht nur schwarz und weiß.

Übrigens mag mir die Formulierung: "Diese Einstellung geht den Deutschen aus bekannten Gründen leider ab .." gar nicht gefallen, weil ich sie leider viel zu oft in politisch weit "rechts" stehenden Schriften gelesen habe. Vielleicht tue ich Ihnen Unrecht, aber oft ist in diesem Zusammenhang "bekannte Gründe" ein Platzhalter für z. B. "Unterdrückung eines normalen Nationalgefühls", "Umerziehung", "Amerikanisierung", "eingeimpfter Minderwertigkeitskomplex" usw.. Das "denglische" Kauderwelsch ist wohl meistens pure Angeberei, soll Weltläufigkeit und Fachwissen vortäuschen, oder beruht schlicht auf Faulheit. Deshalb ist die überreichliche Verwendung von Anglizismen auch keine deutsche Besonderheit.
Übrigens wäre der Umgang der Isländer mit ihrer Sprache ein weit besseres Beispiel für "Sprachpflege als Identitätspflege" als das französische Sprachgesetz. Weil die isländische Identität tatsächlich sehr von der Sprache abhängt, werden dort die "Reinhaltung" der Sprache, auch mittels neugebildeter Wörter, weithin begrüßt. Weil die meisten Isländer mehrere Fremdsprachen beherrschen, wirken die von mir genannten Gründe für die Verwendung fremdsprachlicher Einsprengsel sich in Island auch weniger aus.

Der Föderalismus hat die Rechtschreibreform nicht verhindert, bei genügend politischem Willen könnte auch ein dem französischen analoges Sprachgesetz für Schulen und Behörden durchgesetzt werden.
Heidrun - 23. Jul, 17:57

Importweltmeister angloamerikanischer Vokabeln

Zu MMarheinecke:
Dass viele Franzosen einen laxen Umgang mit Gesetzen und Vorschriften pflegen, kann ich nur bestätigen. Andererseits werden Verstöße gegen das Sprachgesetz kaum geahndet. Dem Durchschnittsfranzosen ist es kaum bewusst, dass das Gesetz überhaupt existiert.

Das nach dem vormaligen Minister Toubon benannte Gesetz "Loi Toubon" betrifft in erster Linie Behörden und staatliche Instanzen sowie den Verbraucherschutz. Alle ausländischen Produkte müssen neben den meist englischen Bezeichnungen auch französische Namen tragen und in der Landessprache erläutert werden. Kein Wunder, dass diese Regelungen von der Bevölkerung gutgeheißen werden. Nennenswerter Protest kam gelegentlich aus der Werbebranche, die gehalten ist, Produktbezeichnungen und Werbeslogans auf Französisch abzufassen. Weiter ins Detail zu gehen, würde hier zu weit führen. Ich beschränke mich deshalb auf einen Link zu der deutschen Übersetzung des "Loi Toubon: http://www.culture.gouv.fr/culture/dglf/lois/loi-all.htm

Den Rahmen dieses Blogs sprengen würde auch, jedesmal "aus bekannten Gründen" langatmig zu erläutern. Ich kann wohl davon ausgehen, dass jeder halbwegs gebildete Leser darunter Hitlers Vernichtungskriege und ihre Folgen versteht. Was das mit einer "rechten" Einstellung zu tun haben soll, ist mir unerfindlich.

Die Folgen: ein fast nicht existentes Nationalgefühl bis hin zu "Nie wieder Deutschland"-Einstellungen. U.a. aus diesem Minderwertigkeitsgefühl konnten sich bei uns so viele Anglizismen einnisten wie in keinem anderen anderen europäischen Land. Allein in den letzten 30-40 Jahren musste die deutsche Sprache je nach Quelle 6000-8000 Anglizismen schlucken, verbunden mit den bekannten denglischen Verdauungsbeschwerden. Deutschland ist nicht nur Export-, sondern auch Importweltmeister was den Import angloamerikanischen Vokabulars anbelangt.

Das Islandische ist insofern ein missliches Beispiel, als diese abgelegene Inseln über die Jahrhunderte kaum mit anderen Sprachen in Berührung gekommen ist. Island ist ein Sprachmuseum. Die europäischen Sprachen sind hingegen Mischsprachen, die immer wieder Vokabeln aus Nachbarsprachen übernommen haben. Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden. Es ist das Übermaß gedankenlos übernommener englischer Brocken in einem sprachgeschichtlich winzigen Zeitraum, das das Deutsche langsam aber sicher zu verenglischen droht.

holzauge (Gast) - 30. Nov, 10:26

ja ja gut und schön

Ich bin ganz der Meinung meines Vorredners, äh Schreibers. Nur zum besseren Verständnis, welches sind die Quellen der Anglizismenzahl?

Groß vom Holzauge

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