Antisemitismus auf Schwedisch

Eigentlich wäre es eine Marginalie: die schwedische Luftwaffe zieht sich von einer gemeinsamen Übung mit den Luftwaffen befreundeter Nationen zurück. Wäre da nicht die übel klingende Begründung: Schweden macht nicht mit, weil die Israelis auch dabei sind - womit Israel offensichtlich nicht mehr zu den befreundeten Nationen gezählt wird.
Verteidigungsministerin Leni Björklund sagte, sie habe ihre Entscheidung wegen der Teilnahme ‚eines Staates, der sich nicht an internationalen Friedenssicherungs-Einsätzen beteiligt’ geändert. Ein anderes schwedisches Regierungsmitglied argumentierte weniger diplomatisch: ‚Israel handelt nicht im Namen des Friedens und sollte nicht an einer solchen Darbietung teilnehmen!’
Liza äußert in seinem Blog den üblen, und wohl zutreffenden, Verdacht, dass diese Entscheidung nicht zuletzt dem in Schweden weit verbreiteten "Antizionismus" geschuldet ist. Alter Schwede!

Antisemitismus im friedlichen Musterland im Norden?
Über das rosarote Schwedenbild mancher Deutscher habe ich mich ja schon mal ausgelassen: Bullerbü ist überall. Meine schwedische Freundin äußerte einmal den Verdacht, der gute Ruf Schwedens in Deutschland würde auch daher kommen, dass man "als Schwede" Dinge sagen dürfte, die in Deutschland wegen der Nazivergangenheit "politisch inkorrekt" sind. Soweit es um Dinge wie Sonnenwendfeiern geht, wünsche auch ich mir etwas "nordische Lockerheit" bei angeblichen "Tabuthemen". Im Falle des Antisemitismus vermisse ich den "unbefangenen" Umgang vieler Schweden mit "NS-belasteten" Themen nicht im Geringsten.
Erst vor knapp zwei Monaten hatte eine Studie zutage gefördert, dass 36 Prozent der schwedischen Bevölkerung „eine mindestens ‚teilweise ambivalente‘ Haltung gegenüber Juden“ hat. Mehr als ein Viertel bejahten die Frage, ob „die Juden großen Einfluss auf die Weltwirtschaft haben“, genauso viele möchten „keinen Juden als Ministerpräsidenten“. Die Dunkelziffer ist vermutlich noch weit höher – derlei Umfragen fassen die Definition von Antisemitismus zumeist ziemlich eng.
Die Umfrageergebnisse sind in Deutschland übrigens nicht wesendlich besser. Der Unterschied: eine offen anti-israelische Position, die mit alten anti-semitischen Klischees arbeitet, ist in Deutschland, der "Auschwitz-Keule" sei Dank, die Sache von Rechtsextremisten und schäbigen Populisten. Im nicht "belasteten" Schweden ist diese Haltung tief im politischen Establishment verankert. Und auch um diese "Unbefangenheit" beneiden, fürchte ich, nicht wenige Deutsche ihre nördlichen Nachbarn.

Nachtrag: Schweden hat am 5. 5. als erstes europäisches Land einem Hamas-Minister, nämlich Atef Odwan. eine Einreisegenehmigung erteilt – Anlass ist eine von Palästinensern organisierten Konferenz in Malmö. Schweden bewilligt Hamas-Minister Visum

Und eine Klarstellung:
Nicht jeder Unterstützer der Palästinenser ist auch Antizionist. Nicht jeder Antizionist ist zwangsläufig Antisemit. Aber jeder Antisemit ist auch Antizionist.
Von daher ist mir jeder Palästina-Unterstützer äußerst suspekt, der es mit dem Existenzrecht Israels und der Ablehung des Terrorismus nicht so genau nimmt. Geschweige denn, jemanden zu einer Konferenz einzulande, der das Existenzerecht Israels offen ablehnt und in der Vergangenheit Terrorismus befürwortet hat.

Noch etwas: Ich finde die "Ausschwitz-Keule" - der Hinweis auf die besondere deutsche Verantwortung wegen des millionenfachen Mordes - ist ein zwar Wirksames, aber zu grobes Instrument, um Antisemiten zu stoppen. Zumal sie hat keinen Bezug zur Gegenwart hat.

Zur Frage, wie viele Antisemiten es in anderen europäischen Ländern gibt: Antisemitismus sinkt, Israelfeindschaft steigt in Europa. Deutschland liegt mit traurigen 36% der Befragten, die antisemitische Ressentiments an den Tag legten, ganz vorn.
Vielleicht noch schlimmer: 45 % der befragten Europäer glauben, dass Israel keinen Frieden im Nahen Osten wolle (und nur 7 % glauben, dass Palästina keinen Frieden will).

Nachtrag vom 17. Mai:
Da hamma den Salat: Hamas-Minister widerrechtlich in Europa.
Mit einem schwedischen Visum hat ein Mitglied der radikalen palästinensischen Hamas-Regierung mehrere europäische Länder besucht - trotz eines Verbots der Europäischen Union.
kaiserwilhelm - 6. Mai, 11:58

Pfui, pfui...

diese widerlichen Schweden wollen nicht mit der israelischen Luftwaffe Krieg spielen. Na ja, dann sind die Schweden wohl alle üble Antisemiten.
Mich haben Sie überzeugt, ich werde nie wieder bei IKEA kaufen.

MMarheinecke - 6. Mai, 12:21

Normalerweise lösche ich solche Trollkommentare

aber der Deutlichkeit halber:
Es geht nicht in ersten Linie darum, dass die schwedische Luftwaffe nicht an einer Übung gemeinsam mit der israelischen Luftwaffen teilnimmt, sondern wie diese Absage begründet wird.
Den "schwedischen Antisemitismus", den ich übrigens für einen sehr engen Verwandten des deutschen Antisemitismus halte, mache ich nicht allein an der problematische Haltung der schwedischen Regierung gegenüber Israel fest. Und ansonsten gilt auch wenn ich mich mal kritisch über Schweden und noch kritischer über eine bestimmte Sorte deutscher Schwedenfans äußere: Jag älska Sverige.
Köppnick - 6. Mai, 12:40

Argumentationslinie

Es kann durchaus sein, dass unterschwellig eine latente Judenfeindlichkeit (Antisemitismus) die Entscheidungen der schwedischen Regierung beeinflusst. Aber Ihre Argumentation gibt diesen Schluss eigentlich nicht her. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Umfrageergebnissen und der Entscheidung kann nicht bewiesen werden. In anderen europäischen Ländern gibt es sicher ähnliche Umfrageergebnisse, trotzdem handelt jede Regierung anders.

Aus den Äußerungen schwedischer Regierungsmitglieder kann auch nicht auf eine Ablehnung des Existenzrechts Israels (Antizionismus) geschlossen werden , weil ja nicht die Existenz Israels beendet werden soll, sondern lediglich die Politik der israelischen Regierung kritisiert wird. Dass die israelische Armee in widerrechtlich besetzten Territorien Krieg führt, ist eine Tatsache.

Die Hamas ist (leider) demokratisch gewählt. Wenn man nicht mit denen reden will, macht man deutlich, dass man selbst Demokratie nur akzeptiert, wenn einem das Ergebnis passt. In diesem speziellen Fall ist es wahrscheinlich so, dass die Politik Israels für den Sieg der Hamas mitverantwortlich ist. Folgt man Ihrer Logik, könnte man auch auch Gespräche mit der Regierung Israels verweigern. So funktioniert es also offensichtlich nicht.

Wenn man mal etwas wirklich Gutes zum Thema lesen will, dann empfehle ich den Telepolis-Artikel Deutschland / Israel / Palästina.

MMarheinecke - 6. Mai, 13:28

Na ja, unter "wirklich gut" verstehe ich was Anderes

als gerade Meggles Artikel. Dünner Chomsky-Aufguss. Chomsky schätze ich als Wissenschaftler sehr, aber ein "Voltaire", sprich radiakaler Aufklärer, ist er nicht wirklich. Ich teile Chomskys Urteil über die friedensblockierende Funktion von Gewaltverzichtsforderungen, die sich nur an die andere Seite richten, sich selbst aber ausnehmen, nicht unbedingt. Zumal es durchaus höhere Güter als den Frieden gibt.
Wenn man nicht mit denen reden will, macht man deutlich, dass man selbst Demokratie nur akzeptiert, wenn einem das Ergebnis passt.
Nö. Um ein historisches Beispiel zu nennen: die Regierung Hitler war anfangs als Koalitionregierung durchaus "demokratisch legimiert". Trotzdem wäre die einzig richtige Reaktion seitens "des Westens" ein Einfrieren der diplomatischen Beziehungen, verbunden mit einem Wirtschaftsboykott gewesen - solange Deutschland an seine rassistischen, Minderheiten und politische Gegner brutal verfolgenden und und auf glatten Bruch des Versailler Friedensvertrags gerichteten Politik gehalten hätte. Ein glatter außenpolitischer Mißerfolg, verbunden mit wirtschaftlichen Nachteilen, hätte die überwiegend opportunistischen Hitler-Unterstützer schnell ernüchtert - es waren ja die "Anfangserfolge" der Nazis, die die Diktatur konsensfähig machte.
Die Hamas wurde auch deshalb gewählt, weil die Fatah korrupt bis zur Absurdität ist. Die - zugegeben problematische - Politik Israels hat nur am Rande zum Hamas Wahlsieg beigetragen. Nebenbei: aus ihrem Vernichtungsantisemitismus und ihrem Weltverschwörungsdenken hat die Hamas nie einen Hehl gemacht, es steht sogar in ihrer Charta (und sogar auf englisch). Also: wer Hamas wählt oder unterstützt, müßte wissen, wen er da wählt bzw. unterstützt.
In anderen europäischen Ländern gibt es sicher ähnliche Umfrageergebnisse, trotzdem handelt jede Regierung anders.
Ähnlich katastrophale Ergebnisse gibt es auch aus Deutschland. Ich bin der Ansicht, dass nur entsprechende politische Tabus verhindern, dass eine antiisraelische Politik hierzulande ernsthaft zur Debatte steht. Der kausale Zusammenhang ist nicht beweisbar, möglicherweise ist er den handelden Politikern nicht einmal bewußt. Es ist eher eine Frage des politischen Klimas, in dem Entscheidungen getroffen werden, als der absichtliche politischen Entscheidung.
Köppnick - 7. Mai, 10:19

Höhere Güter?

Ich weiß nicht genau, ob es da eine theoretische Rangfolge gibt. Für mich ist das höchste Gut menschliches Glück, und zwar für möglichst viele. Da ist Frieden eine sehr wichtige Voraussetzung, ebenfalls wichtig sind Gesundheit, Bildung und Sicherheit im Alter. Demgegenüber sind Demokratie und Freiheit o.ä. nachrangig, weil ich mir gesellschaftliche Bedingungen vorstellen kann, unter denen menschliches Glück für möglichst viele realisiert werden kann, obwohl unsere Definitionen von ihnen nicht erfüllt werden. Weil Freiheit und Demokratie bestenfalls Sekundärziele sind, schrillen bei mir auch immer die Alarmglocken, wenn irgend jemand in ihrem Namen einen militärischen Konflikt vom Zaun bricht. Es sind Nebelkerzen für ganz andere Absichten.

Irgendwo habe ich mal gelesen, dass man eine Diskussion dadurch beendet, dass man das Dritte Reich und den Holocaust als Beispiele anführt. Leider habe ich die Begründung wieder vergessen. Vermutlich liegt sie darin, dass Historiker im Dritten Reich ein einzigartiges Ereignis sehen, das mit nichts verglichen werden kann. Ich finde jetzt leider die Quelle nicht.
MMarheinecke - 7. Mai, 12:23

Glück? Bitte nicht!

Allenfalls kann man das "Streben nach Glück" als verteidigungswertes Gut sehen. "Glück" aber auf keinen Fall, nicht nur, weil Glück extrem subjektiv ist. Da halte ich es mit Popper (oder auch mit Adorno - in dem Punkt waren die beiden sich mal einig): Von allen politischen Idealen ist der Wunsch, die Menschen glücklich zu machen, vielleicht der gefährlichste. Denn dieser Wunsch führt unvermeidlich zu dem Versuch, anderen Menschen unsere Ordnung der "höheren Dinge" aufzuzwingen. (Genau diesen Fehler machten IMO die USA bzw. die Selbstdarstellung ihrer Politik - und religiöse Fanatiker denken sowieso so.)
"Freiheit" im Sinne von Poppers "offenen Gesellschaft" ist ein für mich ein primärer Wert - auch wenn er kein unverselles Glück verheißt, sondern eher frustrierenden "Kleinkram" - abwenden einer "Hölle" in ständiger "Stückwerkarbeit" statt dem Versuch, den "Himmel" auf Erde zu errichten. Zum "Abwenden der Hölle" gehört, dass die materiellen Grundbedürfnisse - Nahrung, sauberes Wasser, Kleidung, Unterkunft usw. - für alle befriedet werden, dass die grundsätzlichen Abwehrrechte gegen körperliche und seelische Gewalt, Unterdrückung, sexuellen Missbrauch usw. - gewährleistet sind, ganz im Sinne des Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unanstastbar". Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist ebenfalls elementar. Ein gutes Gesundheitswesen übrigens auch. Anders ausgedrückt: Die Menschenrechte sind nicht verhandelbar, aber Glück (wie Heimat, Identität, Stolz, Ehre) ist kein Menschenrecht.
Mit den "Nebelkerzen" mag Du recht haben - denn Kriege werden in der Regel aus eiskalten wirtschaftlichen Überlegungen begonnen - von einigen (meist besonders blutigen) Religionskriegen einmal abgesehen.
Nein,es war nicht meine Absicht, die Diskussion mit dem Hinweis auf Nazi-Deutschland und den "Holocaust" ("Brandopfer" - welch' Euhemismus!) zu beenden. Weil ich mir mühelos noch größere "menschengemachte Höllen" ausmalen kann, als es diese einzigartige menschengemachte Hölle des industriell betriebenen Massenmordes wohl war. Schlimmere Kriege als den 2. Weltkrieg sowieso.
Ich belasse es ungern bei "Wehret den Anfängen" - ich denke an das "schreckliche Ende" / "die schreckliche Konsequenz".

Nebenbei: "Glück" ist für mich persönlich ein Ziel unter vielen; ich habe mich in meinem Leben einige Male bewußt gegen mein "privates Glück" zugunsten anderer Ziele, die mir wichtiger waren, entschieden.
Köppnick - 7. Mai, 15:02

Interessant

Das was du unter "Freiheit" aufgelistet hast, läuft bei mir unter der Kategorie "Glück". Ist also wohl nur ein Problem der unterschiedlichen Wortdefinition.

Einen Unterschied macht es bei mir in folgendem Beispiel: Kinder fühlen sich insgesamt wohler (=sind glücklicher), wenn ihnen manchmal Grenzen gesetzt werden. Im Gegenzug genießen sie Fürsorge und Schutz. Dürfen sie alles, entwickeln sie sich zu gestörten Erwachsenen (=sind unglücklicher). Auch Erwachsene sind manchmal zufriedener (=glücklicher), wenn ihnen einige Entscheidungen abgenommen werden. Also: Weil der Mensch ein soziales Lebewesen ist, kann er glücklich sein, obwohl formal seine Freiheitsrechte eingeschränkt wurden.

Extremes Beispiel (nur angerissen, mich also bitte nicht in eine bestimmte Ecke stellen!): Burka oder Kopftuch. Können wir uns in jedem Fall sicher sein, dass wir der Frau etwas Gutes tun, wenn wir ihr "die (unsere!) Freiheit" geben? Ist es denkbar, dass diese Freiheit durch andere Zwänge, die dann auf sie zukommen, für sie zu teuer erkauft wird?

Den ersten Satz "Glück ist subjektiv" verstehe ich allerdings überhaupt nicht. Was soll denn sonst das Ziel sein, als als "Subjekt" glücklich und zufrieden zu sein? Ich will das ja auch nicht als Gegensatz zu anderen Individuen verstanden wissen, sondern schrieb "für möglichst viele".
Gregor Keuschnig - 7. Mai, 15:23

@Köppnick

Meinst du "Godwins Gesetz"?

Im Verlauf einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit eines Vergleichs, in dem die Nazis oder Hitler einbezogen sind, Eins an.

Ich glaube inzwischen, dass die Seite, die den Vergleich als erstes vorbringt, argumentativ (im Moment) am Ende ist. Es ist ähnlich wie mit der Rubrizierung "anti..." - meist: "antsemitisch" oder "antiamerikanisch". De erste Begriff wird meist noch falsch verwendet, denn auch Araber sind Semiten.

Die Attribute werden verwendet, wenn einem kein anderes Argument mehr einfällt. Ich kenne das; gelegentlich verfalle ich selber in diesen Fehler, etwa, wenn ich "antidemokratisch" schreibe.

Der Diskutant wird sofort in eine Ecke gestellt und kommt zunächst einmal in Rechtfertigungszwang; das Thema gerät aus dem Blick.

Bestimmte Kombinationen gehen mit "anti..." nicht. Beispielsweise: "antiislamisch". Die Mohammed-Karikaturen durfte man nicht so nennen, weil die Muslime sie so nannten. Wären es Karikaturen gewesen, die jüdische Menschen verunglimpft hätten, hätte man sie wieder "antisemitisch" nennen dürfen.

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