Gedanken anläßlich eines bevorstehenden "Wikingerüberfalls", Teil 1: Gedanken zur Kinderfreundlichkeit

Gestern erhielt ich einen netten Brief: Eine alte Freundin und ihre drei wilden Jungwikinger (7, 5 1/2, im Mai 2) wollen so um Ostern ´rum Hamburg und bei der Gelegenheit auch mich besuchen. Wobei "wilde Jungwikinger" ihre Söhne an sich gut beschreibt, andererseits Assoziationen nahelegt, die auf die drei Jungen überhaupt nicht zutreffen. Barbar
Die drei sind lebhaft, aber nicht hyperaktiv, selbstbewußt, aber nicht agressiv. Sie gehören zu den (anscheinend selten gewordenen) Kindern, die spätestens nach einer halben Stunde den Gameboy gelangweilt in die Ecke pfeffern und lieber selber was machen: Toben, selbst erfundene Spiele spielen, basteln (überraschend geduldig) und Erwachsenen Löcher in den Bauch fragen. Sie sind intelligent, selbstbewußt, selbständig und strotzen geradezu vor Gesundheit.

Kinder, wie sie sich jeder eigentlich nur wünschen kann? Offensichtlich nicht! Zwar beklagen sich viele besorgte Erwachsene zurecht über die "Generation Gameboy", über mit Fast-Food fehlernährte Kinder, über Bewegungsmangel, aggressives Mobbing schon unter Grundschülern, Lernunwilligkeit, Respektlosigkeit.
Allerdings habe ich den Verdacht, dass "Jungwikinger" nicht sonderlich erwünscht sind, weil sie anstrengen. Am liebsten hätten wir wohl Kinder mit einer Pausentaste. Außerdem haben solche Kinder einen eigenen, ziemlich dicken, Kopf. Hochbegabt und sehr kreativ, sprachbegabt - aber "faul", d. h. nicht zu Leistungen bereit, deren Sinn ihnen nicht einleuchtet. Keine Musterschüler, mit denen sich angeben ließe, die sich schon im Grundschulalter in die Karrierepläne ihrer Eltern einfügen. Sportlich, kräftig, agil, aber anscheinend der Alptraum jedes "leistungsorientierten" Sportlehrers oder Trainers. Ohne Bock darauf stellvertretend für ihre Eltern sportliche Lorbeeren zu sammeln.

Kinderfeindlichkeit fängt sicherlich schon da an, wo man die Kinder nicht so nimmt, wie sie sind, sondern so, wie man sie sein sollen, wie "man" sie gerade braucht. Das gilt erst recht für behinderte Kinder (siehe noch mal: Die Spitze des Eisbergs. )
Wie verdreht, absurd und im Grunde menschenverachtend die derzeitige Demographie-Debatte ist, hat Barbara A. Lehner, österreichische Mutter und "Testsiegerin", sehr viel pointierter ausgedrückt, als ich es je könnte: Halbe Renten für ganze Menschen.

Die drei "Jungwikinger" haben Glück. Mit ihren Eltern, ihrem Wohnumfeld und ihrer Heimatland. Sie wachsen in Schweden auf. Nicht, das Schweden nun das Musterland der Kinderfreundlichkeit wäre. Der "schwedische Sozialsstaat" ist längst nicht das, für den ihn manche Kritiker der deutschen Verhältnisse ihn halten. Sagen wir mal so: das schwedische Erziehungswesen ist, soweit ich es beurteilen kann, nicht wirklich gut, sondern nur weniger schlecht als das deutsche. Immerhin: Erziehungsurlaub und Kindergartenplätze sind kein großes Problem und das Bildungssystem bietet zumindest Chancen für Arme und Wohlhabende gleichermaßen.
Auch hat das real existierende Schweden wenig Ähnlichkeit mit der kinderfreundlichen Bullerby-Idylle der Reiseprospekte. Und ideologisch verbiesterte Grundsatzdebatten über Erziehungsfragen, Schulsysteme und Kinderbetreuung gibt es auch mehr als genug.
Mir fällt aber der Pragmatismus angenehm auf, mit dem in Schweden auf Familien mit Kindern und deren Bedürfnisse reagiert wird. Z. B. gibt es in schwedischen Fernzügen Kinderspielabteile, weil sich dort herumgesprochen zu haben scheint, dass Kinder nicht gerne stundenlang still sitzen und das auch Familien mit Kindern Bahnkunden sind, die durchaus das Auto nehmen könnten. In Deutschland ist der Kinderhort von IKEA beispielhaft, in Schweden einfach nur das Übliche, das eben auch auf die ausländische Filialen übertragen wurde. IKEA ist entgegen seinem Image nämlich keineswegs sonderlich "sozial".

Übrigens schützt auch vorgelebte Gebärfreudigkeit Kinderfreundlichkeit nicht vor Schnappsideen. Ich hatte mich ein wenig gefreut, als eine Mutter von 7 Kinder, die es außerdem noch geschafft hat, die meiste Zeit anspruchsvoll beruftstätig zu sein, Familienministerin wurde. Endlich mal jemand, der wirklich das Leben kennt. Na, ja:
Ein Rat von der Leyen: "Eltern sollen mit Kindern beten"
Das christliche Grundvertrauen mache es leichter, ein Kind in die Welt zu setzen, sagte die Bundesfamilienministerin. Ganz große Klasse! Vielleicht sind andere Religionen noch geburtenfördernder? -> Jesus statt Odin. Das parallel dazu eine Allensbach-Umfage herausgefunden haben will, dass Höflichkeit, gutes Benehmen, Sparsamkeit und Gewissenhaftigkeit bei der Arbeit wieder Werte sind, die Kindern vermittelt werden sollten, paßt ins Bild. Nichts gegen die genannten Werte. Die "Jungwikinger" verkörpern sie, aus meiner Sicht, geradezu ideal. Ich habe aber so den Verdacht, dass zumindest einige politische Freunde von der Leyens darunter, ganz "deutsch-tradionell", etwas anderes verstehen als ich: Unterordnung, Konformität, bedingsloser Gehorsam. :(

Also genau das, was Ingers höfliche, sparsamen und beim Arbeiten (Basteln, Schule) gewissenhafte Jungwikinger echt doof finden.

Kleine Korrektur: Die Kinder wachsen zwar schneller, als man glaubt, aber ich hatte mich bei den Altersangaben um gut ein Jahr vertan: Der jüngste der Jungwikinger wird zu Beltaine erst 2! Habe das richtiggestellt.

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soma - 26. Jul, 01:26

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