Kreationisten - auch bei uns auf dem Vormarsch

Bisher nahm ich an, "Kreationisten", die die Schöpfungsgeschichte der Bibel wörtlich nehmen, seien bei uns eine Erscheinung am sektiererischen Rand des Christentums.
Auch die Lehre von "Intelligent Design", von fundamentalistischen Christen in den USA als angeblich "wissenschaftliche" Theorie und Alternative zum "Darwinismus" gepriesen, hielt ich für eine "Ami-Spinnerei" - in Deutschland hätten die Kirchen wenig zu melden, und außerdem hätten sie längst ihren Frieden mit der Wissenschaft gemacht.

Ein langer und lesenswerter Artikel in ZeitWissen belehrte mich eines Besseren. Auch wenn die "Kreationisten" bei uns eine kleine Minderheit sind, sie machen gehörig Wind:

Päpstlicher als der Papst
Wer daran zweifelt, dass das Leben auf der Erde sich im Großen und Ganzen anders entwickelt hat, als es die moderne Synthetische Evolutionstheorie beschreibt, gehört einer Minderheit an. Zwar glauben laut einer repräsentativen Infratest-Umfrage im Auftrag von ZeitWissen 50,4 Prozent der Deutschen, eine höhere Macht habe die Erde und das Leben auf ihr erschaffen (Osten 34,7 Prozent, Westen 54,4 Prozent). Immerhin 28,8 Prozent glauben nicht, dass Affe und Mensch einen gemeinsamen Vorfahren haben. Bis heute aber ist in keiner seriösen naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift ein Aufsatz veröffentlicht worden, der Belege für einen lenkenden Gestalter enthielte.
Die Umfrageergbenisse überraschten mich. Allerdings fällt mir auf, dass die Behauptung "Eine höhere Macht hat die Erde und das Leben auf ihr erschaffen" alternativ zu der wissenschaftlich gut erhärteten Theorie einer "Entwicklung von primitivsten Lebensformen hin zur Welt, die wir kennen, getrieben durch zufällige Veränderungen, beeinflusst durch Umweltbedingungen und Konkurrenzdruck" gesehen wird: Entweder Schöpfung oder Evolution. In pantheistischen und ganz allgemein "naturreligiösen" Ansätzen besteht dieser Gegensatz nicht. Es kann also sein, dass etliche der vermeindlichen "Schöpfungsanhänger" durchaus "gute Darwinisten" sind.

Obwohl es im Alltag wenig Bedeutung zu haben scheint, wie denn das Leben, das Universum und der Rest entstanden sind, ist der Kreationismus weitaus mehr als irgendeine beliebigepseudowissenschaftliche Lehre:
Das Schöpfungsbuch Creatio etwa, das Junker auf dem Klappentext lobt, prangert eine »Missachtung der Schöpfungsordnung« an, wo Alleinerziehende, Homoelternpaare, Doppelverdienereltern oder »Familien mit Hausmann« von der »von Gott gegebenen Form der Ehe« abweichen. Eben noch Genesis, plötzlich wird mit der Bibel anderer Leute Lebensstil verdammt. »Die Frage, wie der Mensch entstanden ist, hat auch Folgen für Ethik und Normen«, sagt Junker.
Umgekehrt scheint es auch so zu sein, dass ein in all seinen ethischen Implikationen ernst gemeintes Christentum auch dann zu antidarwinistischem Schöpfungsglauben führen kann, wenn man sehr wohl weiß, dass die Bibel nicht wort-wörtlich zu verstehen ist:
Was vertrackt klingt, ist zentral, will man die Motivation von Wort und Wissen verstehen. Nur zu sagen, das seien Fundamentalisten, die eben alles wörtlich nähmen, greift zu kurz. Vielmehr ist die Bibeltreue der Anfangspunkt eines Dilemmas: Erst der Sündenfall hat den Tod in die Schöpfung gebracht. Vorher war sie perfekt. So steht es geschrieben.

Zur Evolutionstheorie hingegen gehört die Auslese. Sünde wird da schnell zum Selektionsvorteil. Ein Widerspruch, so Junker: »Wie hätte Gott den Menschen dann noch zur Rede stellen können und fragen: Was hast du getan?« Ohne sündige Menschen und vergebenden Gott aber macht die Erlösungsreligion Christentum wenig Sinn - solange man die Bibel als faktentreue Offenbarungsschrift liest, darf Evolution einfach nicht der Weg sein, auf dem sich das Leben entwickelt hat.
Hellblazer - 9. Dez, 17:26

Die Umfrage finde ich nun wenig überraschend. Aber (wie du) sehe ich zwischen den Aussagen keinen zwingend sich ausschließenden Gegensatz. Und ich vermute, 95% der Befragten auch nicht. Einfach, weil di "instinktiv" wissen, dass diesem ganzen Kretionismus-Unfug ein einfacher, aber gern genommener Argumentationsfehler innewohnt, nämlich, dass hier Apfelbäume und Quarzkristalle verglichen werden, noch dazu mit einer Fragestellung "Warum ist es Nachts kälter als draußen".

MMarheinecke - 11. Dez, 11:36

Überrascht

Mich überraschte in der Tat, dass immerhin 28,8 Prozent der Deutschen nicht glauben, dass Affe und Mensch einen gemeinsamen Vorfahren haben. Immerhin vertreten die beiden großen Kirchen in Deutschland ausdrücklich keinen Kreationismus, über ein drittel der Deutschen ist konfessionlos, und in öffentlichen Schulen gehört die Evolutionslehre schon seit über 100 Jahren zum Lehrplan. (Nein, ich ziehe keine Verbindung zur "Pisa-Studie.)

MMarheinecke - 6. Jul, 20:54

goerke, ich habe Ihren langen Beitrag gelöscht

Ich erkenne zwar an, dass Sie sich so viel Mühe machten und praktisch eine Kurzdarstellung des Phänomens Kreationismus gegeben haben, missbillige aber Ihre Darstellungen des Chrakters der monotheistischer Religionen. Kurz gesagt dulde ich auf meinem Blog keine verdeckt antisemitschen Äußerungen - auch wenn sie aus Naivität heraus erfolgten. Wenn Sie Ihren Text guten Glauben geschrieben haben sollten, bitte ich um Entschuldigung. Er war allerdings mindestens mißverständlich.

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