So, auch hier: mein Senf zur Wahl

Ich sehe das Wahlergebnis mit der wahrscheinlichen "Wespenkoalition" (schwarz-gelb) und mit "Leichtmatrosen" Guido Westerwelle als wahrscheinlichen Außenminister mit einen lachenden und einem weinenden Auge.

Lachend, weil die die SPD ihre verdiente Klatsche für den jahrelangen Verrat an ihren Wählern (anders kann man das nicht nennen) bekommen hat. Weil Bürgerrechte, bei aller Umfall-Neigung der FDP, für die "Liberalen" immer noch einen höheren Stellenwert haben, als für die "alten Parteisoldaten" der SPD wie Wiefelspütz oder Müntefering. Und weil die wirtschaftspoltischen Vorstellungen des einflussreichen "Seeheimer Kreises" der SPD sich vom "neoliberalen" Marktradikalismus der FDP eigentlich nur durch die Vorliebe für Großkonzerne unterscheidet.

Gut finde ich es auch, dass sich die "Grünen" auf etwa 11 Prozent steigern konnten, und die "Linken" mit wohl gut 12 Prozent ein sehr starkes Ergebnis erzielten. Damit, und mit der hoffentlich zur Besinnung kommenden SPD, werden wir wohl eine Opposition haben, die diesen Namen auch verdient. Dass die "Piraten" bei gut 2 Prozent liegen, ist auch kein schlechtes Ergebnis für eine neue Partei (wo krebsten die "Grünen" 1980 ´rum?). Es wäre m. E. etwas mehr drin gewesen, etwa 3 Prozent. Die "Piraten" haben m. E. nicht im Wahlkampf immer glücklich agiert, und hatte außerdem extrem viel (medialen) Wind von vorn.

Die "Piraten" sorgten - und sorgen hoffentlich weiter - für Aufmerksamkeit für das in den letzten Jahren ins Hintertreffen geratenen Thema Bürgerrechte. Immerhin haben die "Grünen" nach langen Jahre ihre einstige "Kernkompetenz" Datenschutz wiederentdeckt.

Auf der traurigen Seite:
Auch wenn es keine echte Richtungsentscheidung ist - weil sich die Agenden von Schwarz-Gelb und Schwarz-Rot nicht wirklich voneinander unterscheiden- stehen uns wohl einige Jahre harter Einschnitte bevor. Die gäbe es auch unter Schwarz-Rot - aber möglicherweise wird es bei der "Wespe" aus ideologischen Gründen härter für die Armen und Erwerbslosen. Egal, wer regiert: die Kassenlage ist katastrophal, und alle möglichen Regierungsparteien haben selbst im Wahlkampf selbst radikale Kürzungen nicht ausgeschlossen. Wer an "Steuersenkungen dank FDP" glaubt, glaubt vermutlich auch an den Weihnachtsmann.
Ob der Atomausstieg unter "schwarz-gelb" Bestand haben wird, ist fraglich - allerdings wäre das auch unter "rot-schwarz" eine wacklige Angelegenheit gewesen. Bei den Bürgerrechten erwarte ich, dass die FDP es als Erfolg verkaufen wird, wenn nicht noch mehr Raubbau an der Privatsphäre betrieben wird. Wieder mehr Bürgerrechte sind, angesichts des Hangs der FDP zum Opportunismus - wohl unter der "Wespe" nicht drin.

Ich erwarte, dass die "Wespe" nur ein kurzes, aber nicht nur für finanziell Schwache, sondern auch für die Hauptwählerschicht der FDP und der CDU, die Mittelschicht, umso härteres, Intermezzo sein wird. Deshalb, weil bei den "Armen" kaum noch etwas zu holen ist, und bei den "Reichen" wohl nicht geholt werden wird - es wird also teuer für die mittleren Einkommensgruppen.
Köppnick - 28. Sep, 08:07

Das deckt sich ziemlich gut mit meinen Überlegungen. Nur eine Ergänzung aus östlicher Sicht: In den neuen Bundesländern unterscheidet sich das Wahlergebnis nach wie vor deutlich von dem in den westlichen Ländern. Im Osten muss man jeweils von CDU, FDP und Grünen etwa 5% abziehen und bei der Linken 15% addieren. Im Osten hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit.

Su (Gast) - 28. Sep, 12:44

Ich war doch sehr enttäuscht von dem Ergebnis gestern. Dein Beitrag ändert etwas die Sicht, jedoch ist der letzte Halbsatz genau mein Problem. Und was bedeutet das Ganze nun für die Bildungspolitik? Da sehe ich noch nicht ganz durch. Kannst Du helfen?

@Köppnik: Im Osten hat, wenn auch gering, die CDU zugelegt. Sind das die enttäuschten NPD-Wähler? Im Westen hat sie (viel zu wenige) Punkte verloren. Blöder Merkel-Faktor.

MMarheinecke - 28. Sep, 13:31

Für die Bildungspolitik sehe ich eher "schwarz" als "gelb"

Das heißt, ich fürchte, dass "Sparzwänge" alle Versuche, endlich mehr Mittel für die Bildung bereitzustellen, konterkarrieren. Außerdem fürchte ich, dass m. E. durchaus ehrlich gemeinte Versuche, etwa unser antiquiertes Schulsystem z. B. nach skandinavischem Vorbild zu modernisieren, an den Konservativen in der CDU/CSU abperlen werden. (Dass Schule und weitgehend Unis Ländersache sind, macht die Reform noch schwieriger. Schützt aber auch vor "von oben angeordneten" Schnellschüssen.)
Ich bin kein "Pirat", aber ich vermute anhand der Diskussion, dass "Bildung" einer der Schwerpunkte eines nicht mehr so rudimentären Parteiprogramms sein wird - da haben die "Piraten" m. E. echte Kompentenzen - und können auch andere Schwerpunkte setzen als die "Lehrerpartei" (die "Grünen").
Gregor Keuschnig - 28. Sep, 14:09

Ich finde es merkwürdig, dass die Grünen mit ihrer Ausschliesseritis noch so viele Stimmen bekommen haben. Aufgrund der Erfahrungen unter Kohl wird die FDP schnell einknicken (nicht zuletzt unter der angespannten Finanzlage) und nur in Randbereichen werden sie sich durchsetzen können (Abschaffung der Wehrpflicht bspw). Daran wird auch das veränderte Stimmengewicht (1:2,5 statt 1:5) nichts ändern.

Ich glaube nicht, dass Schwarz-Gelb ein Intermezzo bleiben wird (ähnliches dachten viele auch 1982 mit Kohl [außer Wehner]). Die SPD ist personell am Ende; die Neugruppierung wird viele Jahre dauern.

Köppnick - 28. Sep, 15:27

Das mit den Grünen finde ich nicht merkwürdig. Sie haben ihre Stimmen bekommen, weil sie sich klar zu Nicht-Schwarz bekannt haben, genauso wie die FDP Stimmen für ihr Bekenntnis zu Schwarz gewonnen hat.

Deine Aussage bzgl. der SPD halte ich für richtig. Und ich sehe auch bei den Linken ein vergleichbares Problem, wenn sich Lafontaine (66) und Gysi (61) irgendwann verabschieden. Die zweite Reihe ist nicht so charismatisch und die noch Jüngeren haben auch nicht das intellektuelle Format.

Der Test für Schwarz-Gelb ist nächstes Jahr die Wahl in Nordrhein-Westfalen. Bis dahin hat die Regierung einige Grausamkeiten beschließen müssen, die konträr zu ihren Wahlaussagen sein werden. Man merkt es Rüttgers deutlich an, dass er das Wahlergebnis im Bund nicht für so ideal hält.
Gregor Keuschnig - 28. Sep, 18:32

@Köppnick

Das Risiko der FDP war deutlich geringer als 2005, daher das eindeutige Bekenntnis zu Schwarz-Gelb.

Die Grünen hatten gegen Ende jede realistische Regierungsmöglichkeit selbst verspielt: Rot-Grün geht rechnerisch nicht (das war von Anfang an klar); Schwarz-Grün war auch fast unmöglich (es war früh deutlich, dass die Grünen weniger Stimmen als die FDP bekommen) und Rot-Rot-Grün war eh ausgeschlossen. Am Ende schloß man dann auch noch Jamaika aus. Daher kann ich nicht verstehen, wie über 10% der Leute bei dieser Perspektive grün wählen können, es sei denn, sie haben gar kein Interesse an einer auch nur teilweise Durchsetzung ihres Programms. (Wobei ich tatsächlich glaube, viele wählen Grün als eine Art Absolution.)

Die Wahl in NRW ist tatsächlich wichtig: Entweder Schwarz-Gelb hält bis dahin im Bund still und versäumt die schmerzlichen Schnitte. Sie hoffen dann auch auf eine Fortsetzung der CDU/FDP-Regierung in NRW. Oder das ist zu vage und sie riskieren, dass Rüttgers in die Koalition mit der SPD gehen muss – dann verliert Schwarz-Gelb die Mehrheit im Bundesrat. Die Koalition CDU/Grün sehe ich in NRW nicht, obwohl es in Anbetracht der fürchterlichen SPD-Spitzenkandidatin interessant wäre. Die kleine Hoffnung: Steinbrück geht als Kandidat für die SPD.
Köppnick - 28. Sep, 18:58

Inm Spiegel vom 9.9., den ich gerade lese, steht, dass die Kanzlerin für Peer Steinbrück nach einer Nichtfortsetzung der großen Koalition einen lukrativen Posten (in der EU?) besorgen wird, weil sie mit seinem Krisenmanagment Ende letzten Jahres sehr zufrieden war. An Steinbrücks Stelle würde ich dieses Angebot annehmen, denn in der SPD dürfte es für Schröderianer in nächster Zeit sehr ungemütlich werden. ;-)
Gregor Keuschnig - 28. Sep, 20:59

EU-Kommissar...

dürfte aber jemand von der CDU werden...sowas mit Steinbrück kann Merkel nicht machen.
Aurisa - 28. Sep, 19:13

Also für mich ist das nicht die 'Wespen'- sondern die 'Tiegerenten'-Koalition ;)...

MMarheinecke - 28. Sep, 19:27

Ist zwar üblich, passt aber nicht.

Tigerenten sind niedlich und stechen nicht!
Gregor Keuschnig - 28. Sep, 20:58

...und Wespen scheuche ich immer aus der Wohnung (das geht hier auch nicht!)
Aurisa - 28. Sep, 20:59

Ich meinte das jetzt auch eher satirisch ;)...

Angela Merkel und Guido Westerwelle beim gemeinsamen planschen mit dem Tieger-Quietscheentchen in der Koalitionsbadewanne ;)...
Su (Gast) - 29. Sep, 08:43

@ Gregor: Ich bin bekennende Grün-Wählerin. Meine Stimme war dafür, dass die Grünen merken, dass sie gebraucht werden. Ich hoffe, in der Opposition bekommen sie wieder mehr Profil. Und ein ganz, ganz kleiner Hoffnungsschimmer war wohl doch das Rot-Rot-Grün.

@Martin: Danke für die Einschätzung. Ich befürchte es ebenfalls. Meine persönlichen Job-Vorstellungen in Bezug auf die Projekte im Bildungsmanagement werden sich dann mal wieder nicht erfüllen. Und mein Großer kommt in zwei Jahren in die Schule. Da habe ich mehr Befürchtungen als Zuversicht. Mist! Das heißt dann wieder mehr persönliches Engagement ohne Unterstützung von "oben".

Gregor Keuschnig - 29. Sep, 10:55

Ich hoffe, in der Opposition bekommen sie wieder mehr Profil.
Dazu hatten sie ja schon vier Jahre Zeit. Letztlich ist die Partei erstarrt. Ihre Oppositionsarbeit war fast ausschließlich im "Dagegen"-Sein (auch in Feldern, die man vorher - als Regierungspartei - noch anders gesehen hatte). In den Ländern sind die Grünen derzeit nur in Hamburg in der Regierung (mit der CDU); im Saarland sind sie Zünglein an der Waage und überlegen.

Ich frage mich, wozu eine Partei ein Gefühl bekommen soll, dass sie gebraucht wird, wenn sie alle Optionen zur Durchsetzung ihrer Programmatik a priori ausschließt. Dann wird sie meines Erachtens NICHT MEHR gebraucht. (Das sage ich als ehemaliger Grünen-Wähler, der sich dann - symbolisch - einige Monate später bei Kriegseinsätzen gegen Jugoslawien wiederfand.)
MMarheinecke - 29. Sep, 11:17

Bremen hat eine Rot-Grüne Regierung!

Nach Jahren einer "großen Koalition" übrigens. Aber in freien Hansestädten gehen die politischen Uhren eh anders ...
Gregor Keuschnig - 29. Sep, 14:09

Huch,

das hatte ich ganz vergessen... Klar.

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