Die Stunde der Heuchler und Aktionisten

Ja, der Jo Herrmann:
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kündigte an, er wolle Argumente für ein NPD-Verbotsverfahren sammeln. Wenn es Bezüge zwischen Tat und NPD gebe, könnten diese sicherlich neue Argumente für ein Verbotsverfahren bringen. Noch im Wahlkampf im September 2008 hatte die CSU die Anhänger der NPD mit den Wählern der Linkspartei gleichgesetzt. Ein von der SPD angestrebtes Verbotsverfahren gegen die NPD hatten die Unions-Innenminister, mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern, im Frühjahr 2008 abgelehnt. Es war Hermann, der bei der Innenministerkonferenz seinen Kollegen empfahl, sich auf andere Maßnahmen gegen die NPD zu konzentrieren.
npd-blog: Mutmaßliches Neonazi-Attentat in Passau: Erneute Debatte um NPD-Verbot
Der bayrische Innenminister ist kein Einzelfall - bei weitem nicht. Mit dem Attentat auf einen beherzten Polizeidirektor sind sie wieder da, die Heuchler und Aktionisten. Alois Mannich tat das, was andere verantwortliche Polizisten gerne versäumen: entschieden gegen die "braune Szene" vorgehen. Ob auch alles, was er tat, auch sinnvoll war? Die spektakuläre Öffnung des Grabes des Neonazis Friedhelm Busse, um eine Hakenkreuzfahne zu entfernen, die sein ebenfalls kackbrauner Kamerad Thomas Wulff dort hineingelegt hatte, halte ich für albern. Was sollte sie bewirken? Zur Beweisstücksicherung war das überflüssig - und der symbolisch Akt Wulffs wurde durch diese vielleicht ebenfalls symbolisch motivierte Aktion erst überall bekannt. Das soll keine Kritik an der entschlossen Haltung des Passauer Polizeichef Alois Mannich sein, sondern daran, wie fragwürdig in Deutschland ganz allgemein die Prioritäten im Kampf "gegen rechts" gesetzt werden. (Das Grab wurde auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Passau geöffnet.)
Zur Eindämmung der rechtsextremistischen Gewalttaten und zur Verhinderung strafbarer rechtsextremistischer Propagandaaktivitäten wurde eine Vielzahl staatlicher Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus ergriffen (insbesondere Vereins- und Versammlungsverbote).
heißt es auf der Website des Verfassungsschutzes. Und so klingen auch die meisten jetzt wieder erhobenen Forderungen: "verbieten" und "härtere Strafen". Nur, dass Verbote im Neonazi-Umfeld erfahrungsgemäß nur dazu führen, dass dann eben Ersatz-Organisationen gegründet und Ersatz-Symbole verwendet werden. Und dass die abschreckende Wirkung von harten Strafen bei Überzeugungstätern umstritten ist. Abgesehen davon wäre ein Sonderstrafrecht für politische motivierte Kriminelle eine "Medizin", die für die Demokratie noch gefährlicher wäre, als die "Krankheit".

Warum sprechen Politiker, auch solche in der Bundesregierung, von "neuen Dimension der Gewalt"? Über die Tatsache, dass Neonazis in diesem Jahr bereits drei Menschen ermordet haben, wurde wenig berichtet.
Warum also diese Aufgeregtheit? Ich werde den Verdacht nicht los, dass es nur darum geht, sich in der Innenpolitik zu profilieren, ganz gleich, mit welchem Inhalt. Vorgestern "abstrakt erhöhte" Terrorgefahr, gestern "immer mehr" Kinderpornos, heute Neonazis, morgen vielleicht "linke Chaoten" und übermorgen wieder die Terrorgefahr.
Ich kann dieses Politikergewäsch einfach nicht mehr hören. Und auch nicht die seit Jahrzehnten immer gleichen Textbausteine zum Rechtsextremismus:
"Mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln den Rechtsextremismus bekämpfen", "die Rechten werden immer gewalttätiger", "neue Qualität rechter Gewalt".
Mein Eindruck: die Situation war schlimm und ist schlimm. Dauerzustand. Was auch bedeutet: alle diese tollen Symbolverbote und symbolischen Aktionen, als auch das, oft gut gemeinte, "Engagement gegen Rechts" war vergeblich.
Ja, und klar: Mal wieder muss die NPD verboten werden. Es ist ärgerlich, wenn eine offen demokratiefeindliche Partei de facto vom demokratischen Staat subventioniert wird. Aber sonst?
Die NPD ist keine politische Gefahr für den Bestand der Demokratie und wird das in absehbarer Zeit auch nicht werden. Also gibt es keinen Grund zum Aktionismus - der, wie die Blamage des letzten Verbotsversuches zeigt, mehr schadet als nützt. Ob die NPD ohne V-Leute überhaupt noch arbeiten kann? Es käme auch einen Versuch an!

Neonazis und "Neue Rechte" sind ein übles Symptom, nicht die Ursache - Rassismus und Antisemitismus haben ihre stärksten Wurzeln nicht am Rande, sondern mittendrin in Deutschland. Gewalttätige Nazischläger führen meistens "nur" das aus, was sie am Küchentisch oder am Kneipentisch gehört haben. Ich verweise auf die aufsehen erregende Studie der Friedrich-Ebert-Gesellschaft aus dem Jahr 2006 Von Rechts zur Mitte und aktuelle Fogestudie aus diesem Jahr: Bewegung in der Mitte.
Nicht nur die "Metapolitiker" der Neuen Rechten und Rechtsintellektuelle bilden ein "Schanier" von der bürgerlichen zur extremen Rechten:
Weite Teile der CDU und vor allem der CSU haben doch nach wie vor ein völkisches Verständnis der Nation, begrüßen die rassistische Asyl- und Ausländergesetzgebung und wissen nicht - oder wollen nicht wissen - wie denn der Antisemitismus in die Köpfe hineinkommt. Eine "rechtspopulistische" Partei vom Zuschnitt der FPÖ hätte auch in Deutschland ein Wählerpotenzial von gut 20 % - wie 2001 Schills "PRO" in Hamburg zeigte, einer Stadt, die keineswegs als "rechte Hochburg" einzuschätzen ist, und fände Koalitionspartner - auch siehe "PRO".

Was nicht heißt, dass man die Nazis nicht entschieden bekämpfen soll. Aber nicht mit jedem Mittel. Die Gefahr, dass die Demokratie "zu Tode geschützt" wird, war selten so groß wie heute.

Gegendemos und die meisten Antifa-Aktionen halte ich für sinnvoll, da sie nicht auf den "starken Staat" setzen und den kackbraunen "Kameraden" zeigen, auch notfalls auf handgreifliche Art, dass ihnen nicht "die Straße" gehört. Eine "machtvolle Großkundgebung" von 30 - 40 Nazihanseln und nebenan 3000 bis 4000 Gegendemonstranten - das zeigt, wie "wehrhafte Demokratie" wirklich aussieht. Und nicht Forderungen nach "Überwachen, Verbieten, Strafen".
Sinnvoll sind auch Aktionen wie Meldeformular gegen Nazi-Propaganda im Internet und »Mit hundert Seiten gegen eine Naziseite« beides Initiativen von haGalil.com. Leider wird ausgerechnet haGalil im Rahmen der Bundesmittel zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus, trotz mehrfacher leitlinien-konformer und fristgerechter Antragstellung, in keiner Weise unterstützt und ist auf private Spenden angewiesen.

Neonazis werden erfahrungsgemäß dann gefährlich, wenn sie regional agieren und keine Konkurrenz haben - wie auf dem "flachen Land" in Mecklenburg-Vorpommern. Sie füllen dort gewissermaßen eine Marktlücke, etwa mit Angeboten an Jugendliche zur Freizeitgestaltung. Die Erfahrung lehrt auch, dass die Attitude des "Underdogs", die die eher schlicht gestrickten Neonazis erst "sexy" macht, durch Verbote verstärkt wird.

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