Gute Nachrichten für LARPer, Reenacter und sonstige Freizeit-Wikinger

Wie die Universität Uppsala berichtete, war die Kleidung der Wikinger weitaus prächtiger, als bisherige Rekonstruktionen nahelegte.
Schlagzeilen machte bereits die "provokativen" Kleider nordeuropäischer Frauen zur "Wikingerzeit" (ca. 750 - ca. 1050). Die Männer waren, sofern einigermaßen wohlhabend, aber noch eitler und kombinierten orientalische Modeeinflüsse mit nordischem Stil. Zumindest die Festkleidung war bunt und sparte nicht mir kostbaren Materialien und glitzernden Accessoires. Nicht völlig überraschend ist, dass die "provokativen" körperbetonten Kleider mit der Christianisierung verschwanden.
Vikings did not dress the way we thought (mit Bildern).

Hierzu auch, auf Stern.online: Die heiße Mode der Wikinger

Persönliche Anmerkung: Dass sich "die Wikinger anders kleideten, als wir dachten" bezieht sich auf die traditionelle Darstellung der Wikinger etwa in schwedischen Sachbuch-Illustrationen, die gern den "bäuerlich-tugendhaften" Charakter der Kleidung der Nordgermanen des frühen Mittelalters betonten.
Jari (Gast) - 26. Feb, 23:09

Hmmmm..

..als Reenactor frag ich mich jedoch inwieweit das eher die Oberschicht betraf? Ich stelle eher so schwedische Mittel- bis Unterschicht dar und bisher relativ "unbunt" (braune oder gelbe Hose aus Wolle, Wendeschuhe aus Ziegen- und Rindsleder, Beinwickel aus Wolle, Untertunika aus grobem naturfarbenem Leinen bzw. Brennnessel, Übertunika aus grauem oder gelborangenen Wollstoff, braune Filzkappe - keine Borten oder ähnliches, gehe aber vom Bauernkrieger in Richtung Fischerei und die Fischer waren wohl richtig Unterschicht...). Die Frage wäre also ob der nicht so gut betuchte Bauer oder arme Fischer sich die Mode leisten konnte!? Desweiteren wäre das immer noch die Differenz von Arbeitskleidung und Festkleidung, eine bunte, aufwändige Arbeitskleidung halte ich für fragwürdig.

Das Problem auf Wikinger Reenactment-Veranstaltungen ist ja nicht, dass es diese "bonzige" Kleidung nicht gab (gut manchmal ist es echt Fantasy *heul*), sondern dass alle in Oberschicht-Festkleidung mit Borten, Kettenhemd und Helm mit nem Schwert rumrennen... .

Wenn sie konnten war die Kleidung sicher knallbunt, aber was ist mit den einfachen Leuten? Bin spkeptisch...

Dass die Wikingers gern aufreizende Kleidung getragen haben sollen, überrascht mich dagegen weniger. Das Bild von den keuschen Wikingern - und insbesondere der keuschen Germanin sind längst überholt, und basieren unter anderem auf dem Herrn Tacitus seiner Germania, welcher seinen Römern den "Sittenspiegel" vorhalten wollte und deshalb "altrömische" Werte den "unziviliserten, aber doch sittsamen Barbaren" zuwies.

Jari

MMarheinecke - 27. Feb, 09:19

Was die "Schicht" anging, hast Du recht

Bunt und auffällig kleideten sich Kaufleute, erfolgreiche Krieger, erfolgreiche Seeräuber, Bauern mit eigenem Land und natürlich die "Edlen". Die "Unterschicht" war mit Sicherheit "unbunter" und schlichter gekleidet, dasselbe gilt auch für die "Arbeitskleidung". Insofern - völliger Konsens mit dem, was Du schreibst.

Das Problem, dass bei einer Reenactment-Veranstaltung alle die "schrägen", bunten, aufwändigen Gewandungen tragen wollen, ist sicher nicht wikinger-spezifisch. Schon beim Kinderkarneval sind Verkleidungen wie "Prinzessin" oder "Piratenkapitän" besonders gefragt.

Dass das Bild der "keuschen Germanen" tiefste Nationalromantik ist, ist klar. Weniger klar ist, wieso sich diese Vorstellung zumindest in Schweden so "gut" halten konnte. Ich vermute, dass es sehr mit der modernen schwedischen Gesellschaft zu tun hat, die ja durchaus nicht frei von puritanischen Zügen ist (trotz relativ großer sexueller Freizügigkeit).
Jari (Gast) - 27. Feb, 15:36

Japp, das ist mir auch schon aufgefallen...

... in Finnland mischt sich auch tiefste Verklemmtheit (getrennte Sauna, keine Frauen "oben-ohne" am Strand, Sexheftchen werden unter anderen "Männermagazinen" vergraben) mit einer total offenen Sexualität, sexualisiertem Humor (jeder Witz hat irgendeinen sexuellen Bezug oder spielt auf irgendsowas an) und für uns ungewohnt dominante Weiblichkeit.

Mein Vater meinte mal, man(n) darf ja nicht mit einer Frau in die Sauna und wehe man schaut bei einem kurzen Rock genauer hin, aber es ist durchaus normal, wenn man von einer fremden Frau ohne großes Tamtam "flachgelegt" wird...Widerstand ist zwecklos! ;) Die Verklemmtheit ist bei den "bürgerlichen Lutheranern" aber viel stärker als bei den Leuten auf dem Land oder den Jugendlichen.

Die spinnen die Finnen, Jari ;)

MMarheinecke - 28. Feb, 20:24

In Schweden ist das meinen Beobachtungen nach etwas anders

Ich meine damit, dass "die" Schweden (obwohl es da viele Ausnahmen gibt) im Großen und Ganzen auf mich nicht "verklemmt" wirken. Manchmal ganz im Gegenteil. Mein Vater erzählt immer noch gern, wie schockiert er bei seinem ersten Schwedenbesuch über den lockeren Umgang mit Pornographie war. Diese "Lockerheit" hat wohl aber weniger mit Mentalität zu tun, als einfach damit, dass es dort schon relativ liberale Gesetze gab, als in Deutschland Pornographie noch verboten und Homosexualität eine Straftat war.
FKK-Strände - fast immer "wilde" - gibt es in Schweden nach meinen Beobachtungen reichlich, und auch gemischten Saunen gibt es. In dieser Hinsicht scheinen die Schweden näher bei "den" Deutschen als bei den Finnen zu sein. (Wobei: gerade in Deutschland gibt es ja in dieser Hinsicht enorme regionale Unterschiede.) Die "für uns" ungewohnt dominante Weiblichkeit beobachtete ich übrigens auch bei (einigen) Schwedinnen. (Irgendwo muss das Klischee von den "wilden Schwedinnen" ja herkommen ... )

Nein, ich zielte weniger auf "Verklemmtheit" ab, als auf etwas, womit schwedische Krimiautoren wie Henning Mankell ganze Kapitel füllen: den Kontrast zwischen "öffentlicher Moral" mit überhohen, über-anspruchsvollen Grundsätzen - und der "gelebten" Moral.
Mankell schrieb: "In Schweden wohnen die Menschen drei Kilometer von der Hauptstraße entfernt", und meine schwedische Freundin meinte, ihre Landsleute hätten oft eine unsichtbare, abweisende Plastikhülle um sich herum. Eine hübsche, glatte Fassade. (Die, das vermute nicht nur ich, mit dem schwedischen Protestantismus zu tun hat. Und der gnadenlosen "sozialen Kontrolle" in einer immer noch ländlich-kleinstädtisch geprägten Gesellschaft. Letzteres hat aber auch Vorteile. )

Nein, ich vermute in den "ordentlichen", "selbstdisziplinierten" und "tüchtigen" nordischen Bauern der Wikingerzeit eine Wunschbildprojektion. (Nicht unähnlich dem Germanenbild deutschvölkischer Nationalromantiker.)
Die Vorfahren als idealisierte Vorbilder. Im Grunde die selbe Mentalität, die in den 70er Jahren zu regelrechten Kampagnen gegen die Popband ABBA führte - vor allem gegen die aufwendigen Bühnenkostüme und den öffentlichen zur Schau gestellten Wohlstand der Band. Ein anständiger schwedischer Musiker hat entweder in Jeans und Pullover oder im dunklen Abendanzug aufzutreten - und wenn man reich ist, zeigt man das nicht. In dieser Hinsicht ist Ingvar Kamprad, Gründer von "IKEA" und extrem reich, "typisch schwedisch" - er erhält erfolgreich die Fassade eines persönlich bescheidenen, "anständigen", einfach lebenden Menschen aufrecht, die im auffälligen Gegensatz zu seiner Karriere steht. Gerne pflegt der Multimilliardär die Legenden über seine Knauserei - (Tatsächlich hegt er einen an Dagobert Duck erinnernden schrulligen Geiz - was ich für einen Teil von Kamprads "puritanischer Plastiktüte" halte.)
Jari (Gast) - 29. Feb, 15:09

Oh,

verstehe, dann ist das in Schweden nochmals bissle anders, aber die Frauen sind sich doch ähnlich, da oben ^^

Dass die wikingerzeitlichen Bauern tüchtig und selbstdiszipliniert waren, ist weniger Projektion, sondern eine Notwendigkeit, wenn man in solch einem harten Leben bestehen will (Wie es ein isländischer Bauer sagte: "Ich kann mir keine Gedanken machen, ob ich die Arbeit auf meinem Bauernhof langweilig finde, denn sie muss einfach gemacht werden."), aber die angebliche Keuschheit und Bescheidenheit ist auf jeden Fall Projektion. Wenn ein Wikinger - egal ob adlig, frei oder unfrei- irgendwie hätte können, hätte er vermutlich täglich wilde Orgien gefeiert, die modischsten und buntesten Sachen und in Saus und Braus gelebt... und ihren Umgang mit Sexualtität kann man schön bei Ibn Fadlans Reisebericht nachlesen ;)

Jari

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